Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.05.2023, Az.: 4 K 186/20

Anwachsung; privates Veräußerungsgeschäft; Privates Veräußerungsgeschäft bei Anwachsung eines GbR-Anteils und anschließender Veräußerung eines Grundstücks durch die GbR

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
25.05.2023
Aktenzeichen
4 K 186/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 33919
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0525.4K186.20.00

Fundstellen

  • ErbStB 2023, 356
  • GStB 2023, 445-446

Amtlicher Leitsatz

Ein privates Veräußerungsgeschäft im Sinne von § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 EStG liegt auch insoweit vor, als dem Steuerpflichtigen aufgrund des Ausscheidens eines weiteren Gesellschafters aus einer grundbesitzverwaltenden GbR ein weitergehender Gesellschaftsanteil anwächst und die GbR ausgehend von diesem Zeitpunkt den Grundbesitz veräußert.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anwachsung eines Anteils an einer GbR und die anschließende Veräußerung eines Grundstücks durch die GbR beim Kläger zu einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 EStG führt.

Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte gewerbliche Einkünfte aus Beteiligungen und war zudem an vermögensverwaltenden Gesellschaften bürgerlichen Rechts beteiligt, der A-GbR und der B-GbR. Seinen Anteil an der A-GbR erhielt der Kläger von seinem seit der Gründung der Gesellschaft ... zuvor beteiligten Vater. Zwecke der A-GbR und B-GbR waren die Verpachtung von Grundstücken ...

§ 11 des (neugefasten) Gesellschaftsvertrages der A-GbR aus ... sieht vor, dass bei Kündigung eines Gesellschafters dieser unter Fortführung der Gesellschaft durch die übrigen Gesellschafter ausscheidet. § 12 des Gesellschaftsvertrages regelt die Höhe des Auseinandersetzungsguthabens. Danach entspricht das Auseinandersetzungsguthaben dem Anteil an den stillen Reserven, die in den der Gesellschaft gehörenden Grundstücke enthalten sind. Die stillen Reserven sind dabei nach Verkehrswerten zu bestimmen, für welche wiederum Berechnungsmodalitäten festgelegt sind. Zudem erlaubte § 9 des Vertrags die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen, wobei den Bestandsgesellschaftern ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gesellschaftsvertrag Bezug genommen.

Nach diversen Gesellschafterwechseln bestand die A-GbR jedenfalls seit dem Jahr 2006 noch aus drei Gesellschaftern: Frau X mit einem Anteil von 38 %, Herrn Y mit einem Anteil von 37 % sowie dem Kläger mit einem Anteil von 25 %. Die B-GbR bestand zu diesem Zeitpunkt aus dem Kläger, Frau X sowie Frau Y, der Ehefrau des Herrn Y.

Die Eheleute Y kündigten die Gesellschaften einseitig mit Schreiben vom ... 2008 zum 31. Dezember 2008. Die Wirksamkeit der Kündigung sowie die Höhe eines den Eheleuten Y zustehenden Abfindungsguthabens waren zunächst zwischen den Gesellschaftern streitig. Frau X, der Kläger sowie die A-GbR nahmen anwaltliche Hilfe in Anspruch. In dem Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei vom ... wird die Ansicht vertreten, dass sich ein Wert des Geschäftsanteils des Herrn Y an der A-GbR in Höhe von ... € ergibt; unter Berücksichtigung weiterer Korrekturen ergebe sich demnach ein Restzahlungsanspruch in Höhe von ... €. In gleicher Weise nahm die Anwaltskanzlei unter dem ... zur B-GbR Stellung und ermittelte den Wert des Geschäftsanteils von Frau Y in Höhe von ... €, wovon weiterbestehende Zahlungsverpflichtungen in Höhe von ... € in Abzug zu bringen seien, sodass sich ein aus Zahlungsanspruch in Höhe von ... € ergebe.

Zur Beilegung dieser Streitigkeiten schlossen die Gesellschafter sowie die Gesellschaften im ... 2010 einen Abfindungsvergleich (sogenannte Ausscheidensvereinbarung). Nach dem Inhalt der Vereinbarung bestand Einigkeit über das Ausscheiden der Eheleute Y aus den Gesellschaften mit Ablauf des 31. Dezember 2008 (Ziffer 1 der Vereinbarung). Zudem sollte der Anteil der Ausscheidenden disquotal den verbliebenen Gesellschaftern anwachsen. Konkret sollte sich für die A-GbR der Anteil des Klägers von 25 % auf 52 % erhöhen, derjenige von Frau X von 38 % auf 48 % (Ziffer 2 der Vereinbarung). Bezogen auf den Anteil von Herrn Y entfielen demnach auf Frau X 27,03 % und auf den Kläger 72,97 %. Die ausscheidenden Gesellschafter wurden von den gesellschaftsbezogenen Verbindlichkeiten freigestellt (Ziffer 4 der Vereinbarung). Zudem erhielten die ausscheidenden Eheleute Y einen Gesamtabfindungsbetrag in Höhe von insgesamt ... € (Ziffer 5 der Vereinbarung). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarung verwiesen.

Mit Vertrag vom ... 2014 veräußerte die A-GbR das 1991 angeschaffte und bisher verpachtete Grundstück ... zu einem Kaufpreis von ... € mit Wirkung zum ... 2015.

Mit Bescheid vom ... veranlagte der Beklagte die Kläger zur Einkommensteuer 2015. Dabei setzte der Beklagte abweichend von der Einkommensteuererklärung 2015 und auf Grundlage einer gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Spekulationsgeschäften aus der Beteiligung an der A-GbR in Höhe von zunächst ... € an, später mit Bescheid vom ... Einkünfte in Höhe von ... €.

Die Einkünfte ermittelte der Beklagte wie folgt:

...

Nach Rücksprache mit dem Landesamt für Steuern und aufgrund eines gegen die gesonderte und einheitliche Feststellung des Spekulationsgewinns unter dem Az. ... geführten Klageverfahrens vor dem Niedersächsischen Finanzgericht, dessen Akten der Senat beigezogen hat, hob das FA die gesonderte und einheitliche Feststellung mit Bescheid vom ... auf. Hintergrund war die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu der Frage, ob und ggf. wann ein privates Veräußerungsgeschäft im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung zu erfassen ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 2015 IX R 10/15, BFH/NV 2016, 529). Das genannte Urteil war aufgrund der fehlenden Veröffentlichung im Bundesteuerblatt Teil II (BStBl. II) nach Auffassung der Finanzverwaltung zunächst über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden.

Mit Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2015 vom ... setzte das FA einerseits die Änderung der einheitlichen und gesonderten Feststellung um, berücksichtigte aber zugleich unmittelbar in diesem Bescheid den Veräußerungsgewinn i.H.v. ... €. Die festgesetzte Steuer änderte sich daher im Ergebnis nicht. Als Änderungsvorschrift berief sich das FA auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO sowie auf § 174 AO. In den Erläuterungen des Bescheids führte es aus: "Der Bescheid wurde aufgrund einer geänderten Mitteilung über Beteiligungseinkünfte an der A- GbR vom ... geändert. Gleichzeitig erfolgte eine Änderung gem. § 174 Abs. 4 AO aufgrund der Zurechnung des Veräußerungsgewinns aus der Veräußerung des Grundstücks in ... auf Ebene der Einkommensbesteuerung."

Hiergegen legten die Kläger mit Schreiben vom ... Einspruch ein, mit welchem sie sich gegen den Ansatz des privaten Veräußerungsgeschäfts dem Grunde und der Höhe nach wandten. Zudem habe der Einkommensteuerbescheid nicht auf Grundlage von § 174 AO geändert werden dürfen. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA einen Änderungsbescheid vom ..., welcher hier nicht in Streit stehende Punkte betraf.

Durch Einspruchsentscheidung vom ... wies der Beklagte den Einspruch der Kläger als unbegründet zurück. Neben anderen - nicht mehr in Streit stehenden Punkten - führte es zur Begründung aus:

Es liege ein privates Veräußerungsgeschäft gemäß §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vor, da im Streitfall sowohl eine Anschaffung als auch eine Veräußerung innerhalb des maßgeblichen Zeitraums vorliege. Konkret sei eine (anteilige) Anschaffung auch in der Beteiligung an einer Personengesellschaft zu sehen. Der Kläger habe sich bei Anschluss der Abfindungsvereinbarung freiwillig für einen Erwerb entschieden, so dass eine Übertragung von in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, in denen nicht von einer Anschaffung auszugehen gewesen sei, nicht in Betracht komme. Die Höhe der Einkünfte sei unter Berücksichtigung der dem Kläger entstandenen Anschaffungskosten zu berechnen, sodass auf den gezahlten Kaufpreis abzustellen sei. Die gezahlte Abfindung könne auch nicht anderweitig - über ... € hinaus - zugeordnet werden. Es fehle der Nachweis, dass der A-GbR ein höherer Wert zuzuordnen gewesen sei als der B-GbR. Zudem entspreche die Zuordnung derjenigen, welche im Rahmen der A-GbR vorgenommen worden sei, da es dort zu einer entsprechenden Aufstockung der Anschaffungskosten gekommen sei.

Schließlich habe der Einkommensteuerbescheid nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO geändert werden dürfen. Es sei von einer irrigen Beurteilung des Sachverhalts auszugehen, sodass daraus die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden könnten. Dies gelte selbst dann, wenn davon auszugehen wäre, dass die Einkünfte vorsätzlich fehlerhaft zunächst im Rahmen der A-GbR angesetzt worden seien. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass das BFH-Urteil vom 10. November 2015 zunächst durch die Finanzverwaltung nicht umzusetzen gewesen sei. In zeitlicher Hinsicht komme es nicht darauf an, dass zunächst der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung geändert werden müsse.

Überdies komme jedenfalls auch eine Änderung nach § 177 Abs. 1 AO in Betracht. Denn aufgrund der Aufhebung der gesonderten und einheitlichen Feststellung habe der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden müssen, sodass die Nichtberücksichtigung der Einkünfte aus dem privaten Veräußerungsgeschäfts sodann nach § 177 Abs. 1 AO berichtigt werden könne.

Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben. Sie vertreten insofern die bereits im Vorverfahren sowie im Klageverfahren ... geltend gemachte Auffassung wie folgt:

Selbst wenn man für den Streit stehenden Bescheid eine Korrekturmöglichkeit grundsätzlich als eröffnet ansähe, stünde einer Änderung der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 176 Abs. 2 AO entgegen. Es reiche für dessen Anwendung aus, wenn sinngemäß zum Ausdruck gebracht werde, dass eine allgemeine Verwaltungsauffassung nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehe. Dies sei hier der Fall, weil der Beklagte das schon mehrfach angesprochene Urteil vom 10. November 2015 zunächst nicht habe anwenden dürfen. Spätestens mit dem Urteil vom 19. November 2019 IX R 24/18, BStBl. 2020 II, 225 habe der BFH zum Ausdruck gebracht, dass die vorangegangene Nichtanwendung mit dem geltenden Recht nicht in Einklang stehe.

Der Anwendungsbereich des § 23 EStG sei seinem Wortlaut zufolge nicht eröffnet, da der Erwerb des Grundstücks durch die A-GbR bereits im Jahr 1991 gewesen sei und dieses durch die Gesellschaft im Jahr 2015 veräußert worden sei. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Fälle wie den vorliegenden sei unzulässig, zumal gemäß § 23 EStG in den Fassungen vor 1999 noch eine zweijährige Frist gegolten habe. Die Kündigung des Herrn Y habe als sogenanntes Gestaltungsrecht unmittelbar zur Änderung der bestehenden Rechtsverhältnisse innerhalb der A-GbR geführt. Dadurch seien reflexartig die vorhandenen Gesellschaftsanteile durch Anwachsung erhöht worden, was keines weiteren Willensaktes bedurft habe. Es handelt sich damit nicht um eine Anschaffung einer unmittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG. Diese Vorschrift sei eng am Gesetzeswortlaut auszulegen ("eine Beteiligung") und daher auf die hier vorliegende Konstellation nicht anwendbar. Durch die Anwachsung habe es gerade keinen Rechtsträgerwechsel gegeben. Das Grundstück habe nach wie vor im Eigentum der A-GbR gestanden.

Da das Grundstück bereits im Jahr 1991 erworben und bebaut worden sei und bis 1993 der Tatbestand des § 23 EStG noch keine der jetzigen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG entsprechende Vorschrift gekannt habe, sei damals kein steuerbarer Vorgang denkbar gewesen. Insofern habe sich durch die Gesetzesänderung 1993 die Rechtslage zum Nachteil der Gesellschafter geändert. Dabei werde auf die Besteuerung vorhandener Vermögensgegenstände abgestellt.

Es fehle an einem entgeltlichen Erwerb an dem später veräußerten Grundstück seitens der Kläger. Eine Anschaffung setze eine vom Willen des Erwerbers getragene Erwerbshandlung voraus. Im Streitfall sei hingegen der Erwerb kraft Gesetzes und damit ohne Willensakt des Klägers eingetreten. Denn gemäß § 738 Abs. 1 BGB sei die Anwachsung zwingende gesetzliche Folge des Ausscheidens eines Gesellschafters. Die Anwachsung trete unabhängig von der letztendlich geleisteten Zahlung und der Höhe der Abfindung ein. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe der BFH die Frage, ob eine Anwachsung einen Anschaffungsvorgang im Sinne von § 23 EStG auslöse, bisher offengelassen.

Der Erwerb kraft Gesetzes, wie im Streitfall aufgrund des Anwachsungsvorgangs, sei auch nach Verwaltungsauffassung keine Anschaffung im Sinne des § 23 EStG. Es handelt sich dabei um einen rein dinglichen Vorgang, der Rechtsübergang laufe quasi automatisch ab und setze keinen Willensakt voraus. Der Gesellschaftsvertrag regele insofern nur die Folge von § 738 BGB. Im Gegenteil habe Streit über die Wirksamkeit der Kündigung bestanden und Herr Y habe eine Feststellungsklage dahingehend erhoben, dass die A-GbR grundsätzlich jederzeit kündbar gewesen sei. Zur Vermeidung eines langwierigen Rechtsstreits seien der Kläger und Frau X dem nicht weiter entgegengetreten.

Der Erwerb aufgrund der Anwachsung sei kein marktoffener Vorgang. In seiner bisherigen Rechtsprechung habe der BFH aber darauf abgestellt, ob die Anschaffung und Veräußerung im Rahmen eines marktoffenen Vorgangs geschehen seien.

Den zunächst im Klageverfahren auch bestehenden Streit über die Höhe eines ggf. zu berücksichtigenden privaten Veräußerungsgeschäfts haben die Beteiligten beigelegt. Es wird insofern auf die gerichtlichen Schreiben vom ... und vom ... nebst den zugehörigen Rückäußerungen der Beteiligten sowie auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Die Kläger beantragen,

...

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit die Klage sich nicht auf die unstreitig gewordenen Anschaffungskosten bezieht.

Der Beklagte verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Einspruchsverfahren. Ergänzend wird Bezug genommen auf das Urteil des Finanzgerichts München vom 30. Januar 2018 5 K 1588/15, EFG 2019, 429, dessen Rechtsauffassung der BFH im nachfolgenden Revisionsverfahren (IX R 24/18) bestätigt habe.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Das FA ist zurecht von der Entstehung sonstiger Einkünfte in Gestalt eines privaten Veräußerungsgeschäfts und der Änderbarkeit des vorausgegangenen Einkommensteuerbescheids ausgegangen. Dabei hat es allerdings die einkünftemindernden Anschaffungskosten zulasten der Kläger nicht in zutreffender Höhe berücksichtigt. Insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Das FA ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall ein steuerbares privates Veräußerungsgeschäft vorliegt.

a) Ein privates Veräußerungsgeschäft gem. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 4 EStG liegt vor, wenn bei Grundstücken der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

Als Anschaffung und Veräußerung werden im Regelfall der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsgutes auf eine andere Person aufgefasst (z. B. BFH-Urteil vom 16. Juni 2015 IX R 21/14, BFH/NV 2015, 1567). Ein Anschaffungsgeschäft setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die Erwerbshandlung des Steuerpflichtigen wesentlich von seinem Willen abhängt und sich mithin als Ausdruck einer wirtschaftlichen Betätigung darstellt. Weder die Anschaffung noch die Veräußerung darf ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfinden (etwa BFH-Urteile vom 29. März 1995 X R 3/92, BFH/NV 1995, 74 zum Umlegungsverfahren; vom 23. Juli 2019 IX R 28/18, BStBl. II 2019, 701 zur Enteignung).

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG gilt die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder unmittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus werden hiervon - entgegen der Auffassung der Kläger - auch sog. "Mischfälle" erfasst, in denen entweder das Grundstück durch die Personengesellschaft erworben und anschließend die Beteiligung verkauft wird oder umgekehrt die Beteiligung erworben und anschließend das Grundstück durch die Personengesellschaft veräußert wird (BFH-Urteil vom 21. Januar 2014 IX R 9/13, BStBl. II 2016, 515 - obiter dictum; BFH-Urteil vom 11. November 2015 IX R 10/15, BFH/NV 2016, 529 [BFH 10.11.2015 - IX R 10/15]; Schmidt/Levedag EStG § 23 Rn. 52; Brandis/Heuermann/Ratschow EStG § 23 Rn. 82; Schießl, DStR 2014, 512, 514).

b) Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall ein privates Veräußerungsgeschäft vor. Der Wortlaut der Vorschrift erfasst nach Ansicht des Senats auch die Aufstockung einer schon vorhandenen Beteiligung als Anschaffung "einer" Beteiligung.

aa) Der Hinzuerwerb eines weiteren Anteils an der A-GbR des Klägers infolge des Ausscheidens von Herr Y ist eine Anschaffung eines Grundstücks im Sinne eines privaten Veräußerungsgeschäfts. Konkret hat der Kläger infolge der Anwachsung einen weiteren Anteil an der Personengesellschaft A-GbR erworben, was gemäß § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG als anteilige Anschaffung des Wirtschaftsguts Grundstück gilt (so auch FG München, Urteil vom 30. Januar 2018, EFG 2019, 429 - aus anderen Gründen aufgehoben durch BFH-Urteil vom 19. November 2019 IX R 24/18, BStBl. 2020 II, 225).

Eine Anschaffung scheidet nicht etwa deswegen aus, weil der Kläger etwas gegen seinen Willen erworben hätte. Denn der Kläger hat sich sowohl willentlich an der A-GbR beteiligt als auch willentlich im Rahmen der Ausscheidensvereinbarung die von der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern zu ziehenden Folgen aus dem Ausscheiden der Eheleute Y beeinflusst. Der Kläger unterlag insofern nicht äußeren Einflüssen oder einem Hoheitsakt - wie etwa bei Enteignungen oder im Umlegungsverfahren auf Veräußerungsseite. Anders als bei derartigen Fallgestaltungen unterliegen die Regelungen im Gesellschaftsvertrag weitgehend der Disposition der Vertragsparteien. Zwar wird mit der Gründung einer Gesellschaft die Rechtsfolge der Anwachsung gemäß § 738 Abs. 1 BGB, welche dem Grunde nach unabdingbar ist, gesetzlich festgelegt. Dabei besteht jedoch wiederum Vertragsfreiheit über das "Wie" der Anwachsung, wie es auch die für den Streitfall maßgeblichen Regelungen über den vom Kläger erworbenen disquotalen Anteil zeigen, als auch über die Höhe eines ggf. zu zahlenden Auseinandersetzungsanspruchs nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BeckOK BGB/Schöne § 738 Rn. 5).

Ausgehend vom Zeitpunkt der Anwachsung setzte der Kläger ausweislich seiner Schilderungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung bewusst und willentlich durch, dass sein finanzielles Engagement bei der A-GbR sich zukünftig auch in seinem Gesellschaftsanteil abbildete. Der Kläger entschied sich damit bewusst für eine Aufstockung seines Gesellschaftsanteils und damit gegen andere denkbare Möglichkeiten, die aufgrund der Verhandlungen über die Folgen der Kündigung denkbar gewesen wären, etwa die Übernahme des Anteils von Herrn Y insgesamt durch Frau X oder Dritte, was einer Veräußerung gleichgekommen wäre.

Kein anderes Ergebnis ergäbe sich, wenn der Beitritt zur A-GbR als maßgebend betrachtet würde. Denn auch dann bliebe es bei einem freiwilligen Entschluss, welcher gleichsam nur aufschiebend bedingt durch das tatsächliche Ausscheiden eines anderen Gesellschafters war. Dass sich diese Bedingung wie im Streitfall später verwirklicht, führt nicht zu einem Erwerb gegen den Willen, welcher im insofern maßgeblichen Zeitpunkt, dem Vertragsschluss bzw. dem Beitritt zur Gesellschaft, vorlag. Hierfür war im Gegenteil die Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung durch den Kläger nötig; lediglich deren Rechtsfolgen haben sich zum Teil erst später konkretisiert. Die Beteiligung des Klägers an der A-GbR stellt eine wirtschaftliche Betätigung dar; die spätere Anwachsung eines weiteren Gesellschaftsabteils ist Folge dieser schon zuvor begründeten wirtschaftlichen Betätigung.

Der Senat sieht sich dabei in Übereinstimmung mit Literaturstimmen, in welchen die Anschaffung durch Anwachsung ebenfalls unter den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG subsumiert wird (Brandis/Heuermann/Ratschow EStG § 23 Rn. 94: Schmidt/Levedag EStG § 23 Rn. 31). Soweit eine entgegenstehende Verwaltungsauffassung bestehen sollte, wäre der Senat daran nicht gebunden.

Würde die Anwachsung nicht als Anschaffung im Rahmen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG beurteilt, wären überdies Gestaltungen möglich, die es - etwa durch das geplante Ausscheiden des Mehrheitsgesellschafters und die Anwachsung des Mehrheitsanteils bei zuvor geringfügig beteiligten Gesellschaftern - ermöglichten, bei nicht in gesellschaftsrechtlicher Verbundenheit verwirklichten Geschäften Wertzuwächse innerhalb der Zehnjahresfrist ohne Besteuerungsmöglichkeit zu realisieren. Diesem Ansinnen widerspricht indes die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG, welcher seinen Zweck, Veräußerungsgeschäfte auch auf die Beteiligungen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften zu erstrecken, nur dann verwirklichen kann, wenn auch gesellschaftsrechtliche Tatbestände, die zum Erwerb von Beteiligungen an solchen Gesellschaften führen, als Anschaffung berücksichtigt werden.

Überdies sieht der Senat keinen erheblichen wirtschaftlichen Unterschied zu der jedenfalls im Streitfall aufgrund der Regelungen im Gesellschaftsvertrag möglichen Veräußerung des Gesellschaftsanteils von Herrn Y an den Kläger. Wäre es zu einer Veräußerung gekommen, wäre mutmaßlich kein Streit über die Frage der Anschaffung seitens des Klägers aufgekommen. Dass Herr Y anstatt der Veräußerung die gesellschaftsvertraglich und damit rechtsgeschäftlich eingeräumte Möglichkeit, die Übertragung ohne vorherige Verhandlungen herbeizuführen, genutzt hat, führt indes letztlich zu demselben Ergebnis. Dies gilt umso mehr, als die einseitige Kündigung letztlich zu Vertragsverhandlungen geführt hatte, in welchen sowohl Regelungen hinsichtlich der Anwachsung selbst als auch hinsichtlich der zu zahlenden Abfindung getroffen wurden.

Ebenso wenig streitet für die Ansicht der Kläger, dass die Anwachsung von Gesetzes wegen auch dann eintritt, wenn die verbleibenden Gesellschafter die geschuldete Abfindungszahlung an den Ausgeschiedenen nicht zahlen. Zwar wirkt die Anwachsung dinglich, als mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters das Vermögen kraft Gesetzes an die verbliebenen Gesellschafter übergeht, unabhängig davon, ob diese eine Abfindung leisten. Indes ist dies zivilrechtlich nicht ungewöhnlich, da - auch im Grundstücksbereich, wenngleich dies in den notariellen Verträgen zumeist anderweitig geregelt wird - der Eigentumsübergang vor oder ohne Zahlung eines zugrundeliegenden Kaufpreises möglich ist (Abstraktionsprinzip). Die Frage, ob der Kaufpreis bzw. im Streitfall die Abfindung gezahlt wird, hat damit nur Bedeutung für die Höhe der Anschaffungskosten, nicht jedoch für die Anschaffung als solche. Maßgeblich ist vielmehr, ob es sich um ein entgeltliches Geschäft handelt, wie es etwa nicht der Fall ist im Rahmen der Verteilung des Vermögens einer GmbH auf deren Gesellschafter (BFH-Urteil vom 19. April 1977 VIII R 23/75, BStBl. II 1977, 712). Die Anwachsung einerseits und die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs durch die Gesellschafter andererseits stehen sich hingegen entgeltlich gegenüber, als beide unmittelbare Folge des Ausscheidens eines Gesellschafters sind (§ 738 Abs. 1 Sätze 1-2 BGB) und zugleich ein gänzlicher Ausschluss des Abfindungsanspruchs sittenwidrig und damit gemäß § 138 Abs. 1 BGB unzulässig wäre (BeckOK BGB/Schöne § 738 Rn. 31; MüKo BGB/Schäfer § 738 Rn. 45 jeweils m.w.N. auch aus der Rechtsprechung).

Soweit in der Rechtsprechung des BFH dem Kriterium der Markoffenheit von Anschaffung und Veräußerung eine Bedeutung beigemessen wird (etwa BFH-Urteile vom 6. September 2016 IX R 44/14, BStBl. II 2018, 323; vom 24. April 2021 IX R 20/19, BStBl. II 2021, 687), steht dies der gefundenen Lösung nicht entgegen. Die Marktoffenheit wird nach dieser Rechtsprechung insbesondere in Zusammenhang mit Rückabwicklungsgeschäften infolge von Leistungsstörungen erörtert, bei denen sie fehle, denn "im Zuge der Rückabwicklung findet eine Marktbewertung von Leistung und Gegenleistung nicht statt" (BFH-Urteil vom 24. April 2021 IX R 20/19, BStBl. II 2021, 687). Ungeachtet des Umstands, dass schon die entschiedenen Fallgestaltungen zu Rückabwicklungen keinen Bezug zum hier zu entscheidenden Fall haben, sieht der Senat die Marktoffenheit als gegeben an. Im Hinblick auf die Preisbildung ist dabei zu berücksichtigen, dass aufgrund der Regelungen im Gesellschaftsvertrag der Abfindungsanspruch unter Berücksichtigung von Verkehrswerten zu ermitteln war, also gerade eine Berücksichtigung von Wertveränderungen stattfinden sollte. Die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Ermittlung der Verkehrswerte (auch) anhand von einzuholenden Gutachten entspricht einer markoffenen Preisfindung unter Berücksichtigung der aktuellen Wertverhältnisse. Diese haben im Übrigen die Vertragsparteien der Ausscheidensvereinbarung ausweislich eines Vergleichs der Höhe der sich nach den anwaltlichen Schriftsätzen ergebenden Zahlungsansprüche an die Eheleute Y (... € + ... € = ... €) und der letztlich vereinbarten Zahlung (... €) auch zugrunde gelegt. Sofern sich das Kriterium der Marktoffenheit auch auf die an dem Geschäft beteiligten Personen beziehen sollte, sähe es der Senat ebenfalls als gegeben an. Denn sowohl der Abschluss des Gesellschaftsvertrags als auch der Beitritt dazu sind dem Grunde nach marktoffen, da nicht von vornherein andere Parteien ausgeschlossen werden. Bei den bezeichneten Rückabwicklungsverhältnissen ist dies indes der Fall, weil die Rückabwicklungen nur die Parteien des ursprünglichen Geschäfts betrifft.

Keiner näheren Betrachtung bedarf es daher aus Sicht des Senats, dass die im Streitfall vorliegende disquotale Anwachsung jedenfalls in Höhe des überproportional erhaltenen Anteils keinerlei Unterschied mehr zu einem Erwerb im Rahmen eines Veräußerungsgeschäfts aufweist. Denn soweit dem Kläger ein überproportionaler Anteil angewachsen ist, beruht dies auf einer nach Kündigung des Gesellschafters Y getroffenen Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien der Ausscheidensvereinbarung. Wirtschaftlich ergibt sich kein Unterschied zu einer quotalen Anwachsung bei den beiden verbliebenen Gesellschaftern und einer zeitgleich abgewickelten Veräußerung des überproportionalen Anteils von Frau X an den Kläger unter Abkürzung des Zahlungswegs.

bb) Die Veräußerung des Grundstücks durch die A-GbR (§ 23 Abs. 1 Satz 4 EStG) war innerhalb der Zehnjahresfrist, was zwischen den Beteiligten dem Grunde nach unstreitig ist.

Soweit die Klägerseite hier auf eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung verweist, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Vielmehr sah das Bundesverfassungsgericht in der Verlängerung der sog. Spekulationsfrist nur in bestimmten Fallkonstellationen eine unzulässige Rückwirkung, nämlich wenn Veräußerungsgewinne steuerlich erfasst würden, soweit sie auf Wertsteigerungen beruhen, die vor Verkündung des Steuerentlastunggesetzes 1999/ 2000/ 2002 entstanden sind und nach der vorherigen Gesetzeslage steuerfrei hätten realisiert werden können (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02 u.a., BStBl. II 2011, 76). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor, da die maßgebliche Ausscheidensvereinbarung - zuvor war die Wirksamkeit der Kündigung im Streit - erst nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes abgeschlossen wurde. Selbst wenn die Kündigung zum 31. Dezember 2018 als wirksam erachtet würde, wäre die seinerzeit zweijährige Frist bei Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/ 2000/ 2002 am 31. März 1999 noch nicht abgelaufen gewesen. Der bis dahin eingetretene Wertzuwachs wäre daher ohnehin nicht steuerfrei realisierbar gewesen, was sich durch die Verlängerung der Spekulationsfrist nicht geändert hat (vgl. Brandis/Heuermann/Ratschow EStG § 23 Rn. 19).

Die Einführung des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG führte bereits deswegen nicht zu einer verfassungsrechtlich problematischen Rückwirkung, weil die hier maßgeblichen Dispositionen nach dessen Einführung getroffen wurden. Der Anschaffung des Grundstücks durch die A-GbR kommt nach der hier vertretenen Auffassung keine Bedeutung zu. Sowohl Gesellschaft als auch Gesellschafter hatten die Gelegenheit, auf die Einführung der Vorschrift zu reagieren - etwa durch ein Zuwarten bis die Zehnjahresfrist, berechnet von der Anwachsung an, abgelaufen gewesen wäre. Überdies war jedenfalls der Kläger bis zur Einführung des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG noch gar nicht an der A-GbR beteiligt.

2. Der Höhe nach war die Berechnung des Gewinns aus dem privaten Veräußerungsgeschäft zuletzt zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig. Dieser ist wie folgt zu ermitteln:

...

3. Der Beklagte konnte den Einkommensteuerbescheid verfahrensrechtlich auch wie geschehen ändern. Aufgrund der im vorangegangenen Klageverfahren erreichten Änderung des Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ergab sich - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - eine vom FA auch umgesetzte Verpflichtung zur Änderung des Einkommensteuerbescheids zugunsten der Kläger aus § 175 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO. Aufgrund dessen ergab sich im Streitfall sowohl aus § 174 Abs. 4 AO als auch aus § 177 Abs. 1 AO die Möglichkeit, das private Veräußerungsgeschäft nunmehr unmittelbar im Rahmen des Einkommensteuerbescheids zu berücksichtigen.

a) Zunächst konnte der Einkommensteuerbescheid - zeitgleich mit der Änderung zugunsten der Kläger - gemäß § 174 Abs. 4 AO zu deren Lasten geändert werden.

aa) Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO darf ein bestandskräftiger Steuerbescheid nur aufgehoben oder geändert werden, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. § 174 Abs. 4 AO normiert eine Änderungsvorschrift für den Fall, das auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Die Finanzbehörde kann dann aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Eine irrige Beurteilung i.S.d. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO liegt vor, wenn die Finanzbehörde aus einem bestimmten Sachverhalt unzutreffende steuerrechtliche Folgerungen zieht (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1987 V R 93/85, BFH/NV 1991, 210 [BFH 28.06.1990 - V R 93/85]). Die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts muss sich nachträglich als unrichtig erweisen (BFH-Urteil vom 23. Juli 2019 IX R 25/18, BFH/NV 2020, 1 m.w.N.). Die Unrichtigkeit des Steuerbescheids muss dabei auf einen Irrtum der Finanzbehörde zurückzuführen sein, also auf die objektiv unzutreffende Vorstellung, eine rechtmäßige Beurteilung des Sachverhalts vorzunehmen. Erlässt die Finanzbehörde dagegen bewusst treuwidrig einen unrichtigen Steuerbescheid, ist die Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO mangels irriger Beurteilung des Sachverhalts nicht gegeben. Von einer derartigen Konstellation kann auszugehen sein, wenn sich die Finanzbehörde auf diese Weise eine anderenfalls nicht gegebene Änderungsmöglichkeit verschaffen will (BFH-Urteil vom 25. Oktober 2016 X R 31/14, BStBl. II 2017, 287).

Gegenüber Dritten gilt die Vorschrift, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 4 Satz1 AO).

bb) Nach diesen Maßstäben war eine Änderung aufgrund von § 174 Abs. 4 AO möglich.

Zunächst nahm der Beklagte rechtsirrig im Rahmen des Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung vom ... sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft an. Dies war jedenfalls deswegen unzulässig, weil ein Ansatz auf Ebene der Feststellung nur dann möglich ist, wenn mehrere Personen gemeinsam den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklichen. Dies ist bei der hier in Streit stehenden Anwachsung indes nicht der Fall (BFH-Urteil vom 19. November 2019 IX R 24/18, BStBl. II 2020, 225). Die Berücksichtigung des Gewinns aus der Veräußerung eines Grundstücks der A-GbR, bei dem der Kläger seinen Anteil infolge des Ausscheidens des Gesellschafters Y durch Anwachsung erworben hat, ist deshalb objektiv unzutreffend gewesen. Indem der Beklagte daraufhin mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung 2015 vom ... den Veräußerungsgewinn außer Ansatz ließ und folglich den Gewinn aus dem privaten Veräußerungsgeschäft im Rahmen des Bescheides über Einkommensteuer 2015 vom ... ansetzte, zog es die richtigen steuerlichen Folgerungen.

Der Kläger war auch dem Gerichtsverfahren betreffend die gesonderte und einheitliche Feststellung "beteiligt" im Sinne von § 174 Abs. 5 Satz 1 AO, da in dem ... die Erledigungserklärung vom ... durch die Prozessbevollmächtigten namens der Kläger, zu welchem auch der hiesige Kläger zu 1. gehörte, abgegeben wurde. Es muss daher nicht geklärt werden, ob die Kläger tatsächlich "Dritter" im Sinne des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO ist.

Es liegt auch kein in treuwidriger Weise bewusster Erlass eines unrichtigen Steuerbescheides vor. Das BFH-Urteil vom 19. November 2019 IX R 24/18, BStBl II 2020, 225 ist erst am 20. Februar 2020 auf der Homepage des BFH (www.bundesfinanzhof.de) veröffentlicht worden und konnte daher schon denklogisch dem Bescheid vom 6. Februar 2020 noch nicht zugrunde gelegt werden. Zwar wurde die darin erkennbare Rechtsprechungslinie - Berücksichtigung von nicht "in der Einheit der Gesellschafter" verwirklichter Vorgänge im Rahmen der Einkommensteuer der Gesellschafter anstatt in der gesonderten und einheitlichen Feststellung - bereits im BFH-Urteil vom 10. November 2015 IX R 10/15, BFH/NV 2016, 529 angelegt. Erst in der Entscheidung aus dem Jahr 2019 bekräftigte der BFH dies aber gerade in Zusammenhang mit einer Anwachsung wie im hier zu entscheidenden Fall, während es bei der Entscheidung aus dem Jahr 2015 um die Veräußerung eines Gesellschaftsanteils ging. Ungeachtet der Frage, ob das FA die frühere Rechtsprechung auf Fälle wie den vorliegenden hätte übertragen können und ungeachtet der damals geltenden Verwaltungsauffassung, besteht nach Ansicht des Senats bei dieser Sachlage kein Raum vom bewussten Erlass eines unrichtigen Steuerbescheids auszugehen.

cc) § 176 Abs. 2 AO steht der Änderung nicht entgegen. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.

Sofern in der schlichten Nichtanwendung des BFH-Urteils vom 10. November 2015 IX R 10/15, BFH/NV 2016, 529 durch die Finanzverwaltung bzw. die fehlende Veröffentlichung im BStBl. II eine allgemeine Verwaltungsvorschrift gesehen werden könnte, würden die Voraussetzungen der Vorschrift gleichwohl nicht vorliegen. Denn die Anwendung der Vorschrift hängt davon ab, dass ein bestimmtes Rechtsproblem nach der (zeitlich vorausgegangenen) allgemeinen Verwaltungsvorschrift auf andere (für den Steuerpflichtigen günstigere) Weise zu lösen ist als nach der (späteren) Gerichtsentscheidung (BFH-Urteil vom 17. Januar 2019 III R 35/17, BStBl. II 2019, 407 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Da hier die Nichtanwendung des Urteils aus dem Jahr 2015 erst nach der Veröffentlichung dieses Urteils verwaltungsseitig geregelt werden konnte, liegt jedenfalls keine zeitlich vorangegangene Verwaltungsvorschrift vor.

Überdies erscheint das Abstellen auf Vertrauensschutzgesichtspunkte im Streitfall bereits deswegen nicht angebracht, weil sich der Kläger als Gesellschafter im vorangegangenen Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung gerade auf die Rechtsprechung berief, deren Nichtanwendung er jetzt im Wege des Vertrauensschutzes erstreiten möchte. Auf Vertrauensschutz kann sich aber nach allgemeinen Erwägungen nicht berufen, wer sich damit selbst treuwidrig verhielte.

b) Darüber hinaus durfte das FA im Wege der Kompensation nach § 177 Abs. 2 AO die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen.

Nach der genannten Vorschrift sind, wenn die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen vorliegen, soweit die Änderung reicht, zuungunsten und zugunsten des Steuerpflichtigen solche materiellen Fehler zu berichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung sind.

Im Streitfall war aufgrund der geänderten gesonderten und einheitlichen Feststellung, aufgrund welcher im Ergebnis ein daraus herrührendes privates Veräußerungsgeschäft nicht zu berücksichtigen war, eine Änderung des Einkommensteuerbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO durchzuführen. Da damit positive Einkünfte wegfielen, handelte es sich dabei um eine Änderung zugunsten der Kläger.

Die Einkommensteuerfestsetzung war auch materiell fehlerhaft. Denn aufgrund der vorstehenden Ausführungen hätte der Gewinn aus dem privaten Veräußerungsgeschäft direkt - also ohne ein davor geschaltetes Feststellungsverfahren - im Rahmen der Einkommensbesteuerung der Kläger berücksichtigt werden müssen, wenngleich aufgrund der vorstehenden Ausführungen unter 2. nur in Höhe von ... €.

Im Wege der Fehlerberichtigung durfte das FA folglich die Einkünfte aus dem privaten Veräußerungsgeschäft im Einkommensteuerbescheid vom 3. Februar 2020 ansetzen. Auch insofern scheidet die Berufung auf § 176 Abs. 2 AO aus den oben genannten Gründen aus.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO; die tenorierte Kostenquote entspricht der steuerliche Auswirkung des Obsiegens der Kläger unter Berücksichtigung des progressiven Einkommensteuertarifs. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen.

Mutschler