Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.05.2023, Az.: 11 K 113/21

Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Höhe der Säumniszuschläge

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.05.2023
Aktenzeichen
11 K 113/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 52730
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0516.11K113.21.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: XI R 18/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Verstoß der gesetzlichen Regelung zur Höhe der Säumniszuschläge (§ 240 AO) gegen geltendes Verfassungsrecht ist nicht ersichtlich.

  2. 2.

    Eine Übertragung der im BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen BVerfGE 158, 282) zu den Zinsen nach §§ 233a, 238 AO herausgearbeiteten Grundsätze auf die Säumniszuschläge ist nicht möglich.

  3. 3.

    Die Vorschrift des § 240 AO verstößt nicht gegen das Unionsrecht.

Tatbestand

Streitig ist die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Höhe der Säumniszuschläge.

Der Kläger ist Steuerberater und wird zur Umsatzsteuer veranlagt.

Unter dem 5. Dezember 2018 ergingen geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2014, aus denen sich Nachzahlungsbeträge in Höhe von 141,55 € (2012), 79,80 € (2013) und 159,60 € (2014) ergaben, die der Kläger am 15. Oktober 2019 zahlte. Die für 10 Monate berechneten Säumniszuschläge in Höhe von 10,00 € (2012), 5,00 € (2013) und 15,00 € (2014) wurden am 18. Oktober bzw. 14. November 2019 getilgt.

Die sich aus seinen Umsatzsteuervoranmeldungen für das 1. bis 3. Quartal 2017 ergebenden Nachzahlungsbeträge in Höhe von 532,00 € (I/2017, Verwaltungsakt - VA - vom 28. August 2017), 437,00 € (II/2017, VA vom 23. November 2017) und 565,44 € (III/2017, VA vom 7. Februar 2018) zahlte der Kläger am 9. und 13. Oktober 2017 (I/2017), am 29. November 2017 (II/2017) sowie am 7. Februar und 12. März 2018 (III/2017). Die für ein (II/2017) bzw. zwei (I/2017, III/2017) Monate berechneten Säumniszuschläge in Höhe von 10,00 € (I/2017), 4,00 € (II/2017) und 9,00 € (III/2017) wurden bis Ende August 2018 ebenfalls getilgt bzw. entrichtet.

Den sich aus der Umsatzsteuervoranmeldung vom 23. Juli 2018 für das 1. Quartal 2018 ergebenden Nachzahlungsbetrag in Höhe von 536,06 € zahlte der Kläger zunächst nicht. Vielmehr wurde am 15. August 2018 eine geänderte Umsatzsteuervoranmeldung eingereicht, aus der sich ein Guthaben in Höhe von 599,64 € ergab. Die bis zum 14. August 2018 berechneten Säumniszuschläge für einen Monat in Höhe von 6,50 € zahlte der Kläger am 15. August 2018.

Mit Fax vom 21. Dezember 2019 beantragte der Kläger den Erlass eines Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) über die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer. Er wies darauf hin, dass die Säumniszuschläge aus einem Zinsanteil bestünden und die Höhe der steuerlichen Zinsen derzeit verfassungsrechtlich überprüft werde. Er kündigte an, gegen den Abrechnungsbescheid Einspruch einlegen und das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ruhen lassen zu wollen.

Mit Abrechnungsbescheid vom 25. Februar 2020 stellte der Beklagte fest, dass die Säumniszuschläge in einer Gesamthöhe von 59,50 € zurecht verwirkt seien, da die Voraussetzungen des § 240 AO erfüllt seien. Unter Bezugnahme auf die dem Abrechnungsbescheid beigefügten Anlagen 1 bis 7 führte der Beklagte aus, dass die Nachzahlungsbeträge zur Umsatzsteuer 2012 bis 2014, 1. bis 3. Quartal 2017 und 1. Quartal 2018 zum Teil gezahlt, verspätet gezahlt oder zum Teil von der Vollziehung ausgesetzt worden seien. Auf die Anlagen 1 bis 7 zum Abrechnungsbescheid vom 25. Februar 2020 wird Bezug genommen.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch, in dem er auf die bestehende Niedrigzinsphase und die Anweisung des Bundesfinanzministeriums zur Aussetzung der Vollziehung von Zinsen verwies. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Finanzgerichts (FG) Münster vom 29. Mai 2020 (12 V 901/20 AO, EFG 2020, 1053) zum Zinsanteil bei Säumniszuschlägen beantragte er das Einspruchsverfahren bis zur Hauptsacheentscheidung des FG Münster (12 K 2067/20 AO) ruhen zu lassen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2020 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Ein Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO komme seiner Auffassung nach aufgrund der geringen Erfolgsaussichten nicht in Betracht. Sämtliche beim BVerfG anhängigen Verfahren befassten sich mit der Höhe von Zinsen nach §§ 233a ff. AO und nicht mit der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO. Die Entscheidung des FG Münster habe keinerlei rechtliche Wirkungen auf die niedersächsischen Finanzämter. Auch eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 363 Abs. 1 AO komme mangels vorgreiflichem Rechtsstreit nicht in Betracht.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er verweist erneut auf das Parallelverfahren beim FG Münster und auf die Entscheidung des BVerfG vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14,1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) zu den Nachzahlungszinsen nach § 233a AO i.V.m. § 238 AO a.F. Er ist der Auffassung, dass den Säumniszuschlägen ein Zinsanteil innewohne, weshalb die Verfassungswidrigkeit der Zinsen auch die Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge zur Folge habe. Die vom BVerfG ausgesprochene Fortgeltungsanordnung für Verzinsungszeiträume bis zum 31. Dezember 2018 lasse sich demgegenüber nicht auf die Säumniszuschläge übertragen, da der Haushalt bei Säumniszuschlägen nicht entscheidend sei. Überdies müssten Säumniszuschläge nicht festgesetzt werden, sondern entstünden automatisch.

Darüber hinaus begehrt der Kläger die Berücksichtigung von Gegenansprüchen im Zusammenhang mit den Prüfungsfeststellungen aus der Außenprüfung der Jahre 2012 bis 2014 (pauschale Kürzung der Betriebsausgaben um 1.500 € pro Jahr). Die Säumniszuschläge seien dadurch entstanden, dass ihm die Aussetzung der Vollziehung verweigert worden sei. Die zugrundeliegende Steuerfestsetzung sei in seinen Augen jedoch rechtswidrig. Würden diese pauschalen Abschläge wegfallen, erfolge dies rückwirkend, weshalb er sicherstellen wolle, dass diese Rückwirkung auch bei den Säumniszuschlägen ankomme. Er halte in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO für nicht einschlägig.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer vom 25. Februar 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2020 die Säumniszuschläge in Höhe von 0,00 € festzustellen;

hilfsweise die Säumniszuschläge vorläufig auf den Betrag herabzusetzen, soweit sie bei einer Anerkennung der Gegenansprüche entfallen würden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Rechtsauffassung fest. Ein Zinsanteil in den Säumniszuschlägen sei nicht erkennbar. Insoweit sei auch die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes gemäß § 238 AO nicht auf die Säumniszuschläge übertragbar.

Im Hinblick auf den Einwand des Klägers zu seinen Gegenansprüchen weist der Beklagte darauf hin, dass eine Einberechnung etwaiger Gegenansprüche bei der Festsetzung von Säumniszuschlägen gesetzlich nicht vorgesehen sei und allenfalls in einem Erlassverfahren berücksichtigt werden könne.

Mit Schreiben vom 26. März bzw. 3. April 2023 haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I. Aufgrund des Einverständnisses des Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

II. Der Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die verwirkten Säumniszuschläge in zutreffender Höhe im Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 AO festgestellt.

Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag in Höhe von 1 % des auf den nächsten, durch 50 € teilbaren Betrag, abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten.

1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Beklagte entsprechend dieser Regelung zutreffend die festgestellten Säumniszuschläge berechnet hat. Auch aus den dem Senat vorliegenden Akten sind keine Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Berechnung ersichtlich.

2. Der erkennende Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung zur Höhe der Säumniszuschläge überzeugt. Aus diesem Grund kommt auch eine Vorlage an das BVerfG nicht in Betracht.

Der Senat teilt insoweit die Auffassung des II., VI. und VII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH), dass eine Übertragung der im BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen - BVerfGE - 158, 282) zu den Zinsen nach §§ 233a, 238 AO herausgearbeiteten Grundsätze auf die Säumniszuschläge nicht möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 15. November 2022 VII R 55/20, NJW 2023, 1157 und vom 23. August 2022 VII R 21/21, BStBl. II 2023, 304; BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 283 [BFH 04.01.2023 - XI B 51/22]; 20 [BFH 24.05.2022 - IX R 28/21]. September 2022 II B 3/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1328 [BFH 28.07.2022 - IV R 23/19]; vom 9. März 2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574). Die vom V. und VIII. Senat des BFH im Hinblick auf eine (zinsähnliche) Funktion der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern geäußerten Zweifel (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Mai 2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030 [BFH 05.04.2022 - VII R 52/20]; vom 11. November 2022 VIII B 64/22 (AdV), BFH/NV 2023, 165 [BFH 23.08.2022 - VII R 46/20]) greifen nach Ansicht des erkennenden Senats nicht durch.

Anders als bei Nachzahlungszinsen, worauf das BVerfG in seiner Entscheidung vom 8. Juli 2021 unmittelbar abstellt (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282), ist das Entstehen von Säumniszuschlägen allein vom Zutun des Steuerpflichtigen abhängig, denn bei fristgemäßer und vollständiger Zahlung - ggf. unter Aufnahme eines gegenüber den Säumniszuschlägen "günstigeren" Darlehens - entstehen die Säumniszuschläge überhaupt nicht (BFH-Beschluss vom 9. März 2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574). Der Steuerpflichtige hat die Verwirkung von Säumniszuschlägen, anders als im Fall der Nachzahlungszinsen, in der eigenen Hand.

Überdies handelt es sich bei Säumniszuschlägen primär um ein Druckmittel, um den Steuerpflichtigen zur fristgerechten und vollständigen Zahlung seiner Steuerschulden zu bewegen, weshalb die Höhe der Säumniszuschläge mit 1 % auch in einer Niedrigzinsphase als nicht unverhältnismäßig hoch anzusehen ist (so auch BFH-Urteile vom 15. November 2022 VII R 55/20, NJW 2023, 1157 und vom 23. August 2022 VII R 21/21, BStBl. II 2023, 304; BFH-Beschluss vom 9. März 2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574).

Des Weiteren lässt sich beim Säumniszuschlag auch kein konkreter Anteil bestimmen, der als Zins behandelt werden könnte (so auch BFH-Urteile vom 15. November 2022 VII R 55/20, NJW 2023, 1157 und vom 23. August 2022 VII R 21/21, BStBl. II 2023, 304; BFH-Beschluss vom 9. März 2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574). Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Säumniszuschlägen nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2022 VI B 15/22 (AdV), BFH/NV 2023, 47) auch die Funktion zukommt, den aus der versäumten Steuerzahlung resultierenden Verwaltungsaufwand abzugelten, wie er z.B. durch Mahnung und Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen entsteht. Dabei ist der Anteil der Säumniszuschläge, der auf diesen Verwaltungsaufwand entfällt, umso größer, je geringer die rückständigen Steuerbeträge und folglich die Säumniszuschläge sind. Bei einer Höhe von insgesamt 59,50 € ist ein etwaiger Zinsanteil vorliegend auch vor diesem Hintergrund vernachlässigbar.

Ein fester und typisierender Zinssatz lässt sich den Säumniszuschlägen nach § 240 AO jedenfalls nicht entnehmen.

Doch selbst wenn man einen relevanten Zinsanteil annähme, der aufgrund der BVerfG-Entscheidung vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BVerfGE 158, 282) als überhöht anzusehen wäre, käme infolge der durch das BVerfG angeordneten Fortgeltung eine Änderung der Säumniszuschläge, die vor dem 1. Januar 2019 entstanden sind, nicht in Betracht (vgl. § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Im Streitfall sind ausschließlich die Zeiträume bis einschließlich 1. Quartals 2018 betroffen, die insoweit vollständig unter die Fortgeltungsanordnung fallen.

3. Der erkennende Senat kann auch einen Verstoß der Vorschrift des § 240 AO gegen das Unionsrecht nicht feststellen, weshalb es eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH nicht bedurfte. Insbesondere ist kein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erkennbar (ebenso BFH-Beschluss vom 23. Mai 2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030 [BFH 05.04.2022 - VII R 52/20]; Urteil des FG Münster vom 21. Juli 2022 12 K 3010/20 AO, juris und Beschluss des FG Münster vom 22. Dezember 2022 5 V 1370/22, EFG 2023, 478).

4. Eine Berücksichtigung von Gegenansprüchen entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers kommt vorliegend nicht in Betracht. Hierfür fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung der unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüche, mit denen der Kläger als Steuerpflichtiger nach § 226 Abs. 3 AO aufrechnen könnte.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch im Streitfall die Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO, wonach die verwirkten Säumniszuschläge unberührt bleiben, auch wenn die Steuerfestsetzung nachträglich aufgehoben, geändert oder berichtigt wird, uneingeschränkt anwendbar.

Die Klage ist daher abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

IV. Der Senat hat die Revision vor dem Hintergrund einer sich aus den Entscheidungen des V. und VIII. Senats des BFH im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Beschlüsse vom 23. Mai 2022 V B 4/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1030 [BFH 05.04.2022 - VII R 52/20] und vom 11. November 2022 VIII B 64/22 (AdV), BFH/NV 2023, 165 [BFH 23.08.2022 - VII R 46/20]) möglicherweise ergebenden abweichenden Auffassung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO und wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.