Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.05.2023, Az.: 9 K 90/22

Ausgesteuerter Sachverhalt; Aussteuerung; Automationsgestützte Veranlagung; Automationsgestützter Bescheiderlass; Bei Erlass; bei Erlass unterlaufen; Fehlerhafte Übertragungen; materielle Bestandskraft; Mechanisches Versehen; Nachträgliches Bekanntwerden; offenbare Unrichtigkeit; Prüfungsbedürftiger Sachverhalt; Risikofilter; Risikomanagementsystem; Schreibfehler; sonstige offenbare Unrichtigkeiten; Steuerkonto; Übernahmefehler; Umsatzsteuererstattungen; Vorsteuererstattungen; Zu eigen machen; Anwendung von Korrekturnormen bei Veranlagungen unter Verwendung eines Risikomanagementsystems

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.05.2023
Aktenzeichen
9 K 90/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 25099
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0516.9K90.22.00

Fundstelle

  • StX 2023, 731-732

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das Merkmal der Kenntnis im Sinne des § 173 Abs. 1 AO kann nicht auf solche Tatsachen und Beweismittel beschränkt werden, die Bestandteil eines im Rahmen des Risikomanagementsystems (§ 88 Abs. 5 AO) als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalts sind.

  2. 2.

    Der Anwendungsbereich des § 173a AO ist nicht nur für vollautomatisiert (§ 155 Abs. 4 S. 4 AO), sondern auch für teilautomatisiert erlassene Steuerbescheide eröffnet.

  3. 3.

    Fehlerhafte Übertragungen von Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärungsformulare stellen keinen Schreibfehler im Sinne des § 173a AO dar.

  4. 4.

    In den Fällen des teilautomatisierten Erlasses von Steuerbescheiden, in denen die Bearbeiter des Finanzamts unter Anwendung des Risikomanagementsystems nur die als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte überprüfen, kann die Finanzbehörde vom Steuerpflichtigen bei der Steuererklärungserstellung verursachte Schreib- und Rechenfehler sowie sonstige offenbare Unrichtigkeiten nach § 129 AO nur berichtigen, soweit sie sich die Unrichtigkeit zu Eigen macht. Dies ist ausgeschlossen, soweit der Besteuerungssachverhalt, dem die Unrichtigkeit anhaftet, nicht ausgesteuert und überprüft wird.

  5. 5.

    Ein Zu-Eigen-Machen von Unrichtigkeiten des Steuerpflichtigen im Sinne des § 129 AO dürfte erst recht für den Fall des vollständig automationsgestützten Erlasses von Steuerbescheiden ausscheiden.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 2016 nicht als Einnahmen erfassten Umsatzsteuererstattungen trotz eingetretener Bestandskraft im Wege der Änderung der Festsetzung berücksichtigen darf.

Die Kläger sind Ehegatten und wurden im Streitjahr 2016 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin betrieb eine Praxis für Fußpflege und Nageldesign (nachfolgend: "Praxis"). Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Im Jahr 2013 erwarb der Kläger das Grundstück X, bebaute es mit einem Gebäude und vermietete ab Oktober 2015 Räumlichkeiten im Erdgeschoss umsatzsteuerpflichtig an die Klägerin für den Betrieb ihrer Praxis. Dabei optierte der Kläger nach § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zur Umsatzsteuer. Die aus der Herstellung der Räumlichkeiten resultierenden Vorsteuern machte der Kläger in seinen Umsatzsteuererklärungen für 2014 und 2015 geltend.

Mit seinen am ... Dezember 2015 eingereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärungen für 2014 und 2015 begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen in Höhe von 20.369,32 € für 2014 und in Höhe von 4.088,24 € für 2015.

Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2014 bat die Sachbearbeiterin des Beklagten, ..., den Kläger mit Schreiben vom ... Januar 2016 um Einreichung von Nachweisen für die geltend gemachten Vorsteuerbeträge. Die Veranlagung zur Einkommensteuer 2014 erfolgte sodann zunächst ohne Berücksichtigung der Vorsteuerbeträge als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Die Zustimmungserklärungen zu den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen wurden im Hinblick auf eine durchzuführende Umsatzsteuer-Sonderprüfung zunächst zurückgestellt.

Im Rahmen einer für die Kalenderjahre 2014 und 2015 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung minderte die Außenprüferin die abziehbaren Vorsteuerbeträge auf 18.827,22 € für 2014 und auf 4.034,43 € für 2015.

Mit Bescheiden über Umsatzsteuer für 2014 und 2015, jeweils vom 12. August 2016, setzte der Beklagte der Außenprüferin folgend einen Vorsteuerüberhang für 2014 in Höhe von 18.827,22 € nebst Zinsen in Höhe von 376,00 € und für 2015 einen Vorsteuerüberhang in Höhe von 3.820,11 € fest. Beide Bescheide wurden gegenüber der Prozessbevollmächtigten der Kläger bekanntgegeben und enthielten den Vermerk, dass das Guthaben auf ein Konto der Klägerin mit der IBAN ... bei der ... erstattet wird.

Gegen beide Bescheide legte der Kläger Einsprüche mit der Begründung ein, dass auch die 7 %-igen Vorsteuerbeträge für 2014 in Höhe von 149,31 € nebst Zinsen in Höhe von 3,00 € sowie für 2015 7 %-ige Vorsteuerbeträge in Höhe von 14,53 € zu berücksichtigen seien.

Der Beklagte gab dem Einspruchsbegehren statt und änderte entsprechend mit Bescheiden vom 11. Oktober 2016 die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2014 und 2015. Beide Bescheide erhielten den Hinweis, dass das jeweilige Guthaben auf das oben genannte Konto bei der ... erstattet würde. Ferner führte der Beklagte in den Erläuterungen aus, dass der jeweilige Bescheid "den Bescheid vom 12. August 2016" ändere.

Im Rahmen eines Änderungsantrags nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) begehrten die Kläger sodann die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2014 mit der Maßgabe, dass die im Jahr 2014 gezahlten Vorsteuerbeträge in Höhe von 18.976,53 € (18.827,22 € und 149,31 €) als Werbungskosten berücksichtigt werden. Diesem Antrag gab der Beklagte durch die Sachbearbeiterin A mit Änderungsbescheid vom ... Oktober 2016 statt.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 2015 machten die Kläger bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung ebenfalls die gezahlten Vorsteuerbeträge als Werbungskosten geltend. Die Veranlagung nahm ebenfalls die Sachbearbeiterin A vor.

Mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2016 beauftragten die Kläger die Prozessbevollmächtigte. Bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2016 berücksichtigten die hierfür zuständigen Mitarbeiter in der Steuerberaterpraxis der Prozessbevollmächtigten fehlerhaft nur die im Abrechnungsteil der geänderten Umsatzsteuerbescheide 2014 und 2015 vom 11. Oktober 2016 ausgewiesenen Umsatzsteuererstattungen in Höhe von 163,84 € (149,31 € und 14,53 €) als Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, nicht aber die Umsatzsteuererstattungen in Höhe von 23.023,33 € (19.203,22 € und 3.820,11 €), die aus den Umsatzsteuerbescheiden 2014 und 2015 vom 12. August 2016 resultierten. Dabei wäre es den Mitarbeitern der Prozessbevollmächtigten möglich gewesen, die im Jahr 2016 erstatteten Umsatzsteuerzahlungen im Steuerkonto abzurufen.

In der am ... Dezember 2017 elektronisch über die Elster-Schnittstelle an den Beklagten übermittelten Einkommensteuererklärung für 2016 erklärte der Kläger Einkünfte aus der Vermietung des Objekts X in Höhe von XXX €. Diese ermittelte der Kläger aus Einnahmen in Höhe von XXX € und Werbungskosten in Höhe von XXX €. Die Einkünfte setzten sich wie folgt zusammen (alle Beträge in €):

MieteXXX
UmlagenXXX
vereinnahmte UmsatzsteuerXXX
erstattete Vorsteuer163
Summe EinnahmenXXX
Summe WerbungskostenXXX
erklärte EinkünfteXXX

Die Veranlagung wurde beim Beklagten von der Sachbearbeiterin A unter Mitwirkung der Steueranwärterin B durchgeführt.

Das vom Beklagten verwendete Risikomanagementsystem gab bei Veranlagung folgende Risikohinweise aus:

a) Die Vorjahresveranlagung steht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Bitte prüfen, ob auch die aktuelle Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgen soll oder der Vorbehalt für das Vorjahr aufgehoben werden soll.

b) Bitte die laufenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb prüfen. Soweit eine Gewinnermittlung unter einer anderen Steuernummer verarbeitet wird, ist der Gewinn zu übernehmen. Bitte auch mögliche Auswirkungen auf die Steuerermäßigung nach § 35 EStG (Kz 44.46, 65 ff.) prüfen.

c) Es wurden erstmalig Schuldzinsen (Kz 25.133 / EW-AZ ...) erklärt. Bitte den Finanzierungszusammenhang prüfen (ggf. Darlehensverträge anfordern).

d) Die geltend gemachten Absetzungen (Kz 25.130, 25.160/EW-AZ ...) bei den Einkünften aus V+V stimmen nicht mit dem AfA-Betrag in den festsetzungsnahen Daten überein. Bitte prüfen und ggf. die festsetzungsnahen Daten aktualisieren.

Daraufhin forderte die Steueranwärterin bei der Prozessbevollmächtigten eine Zinsbescheinigung für das Vermietungsobjekt sowie eine Aufstellung über die AfA-Beträge an, welche die Prozessbevollmächtigte daraufhin übermittelte.

Die Sachbearbeiterin vermerkte zu den Risikohinweisen unter b) und c) in der Einkommensteuerakte:

b) "unter ..., geprüft und i.O."

c) "sind belegt"

Einen Abgleich der vom Kläger als Einnahmen erklärten Vorsteuerbeträge mit den tatsächlich vom Beklagten erstatteten Vorsteuerbeträgen nahm die Veranlagungssoftware des Beklagten nicht vor. Der Sachbearbeiterin wäre es möglich gewesen, durch eine Abfrage, die im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 erstatteten Umsatzsteuer- und Zinsbeträge zu ermitteln.

Nach Ziffer 2.3.3 der Bearbeitungsgrundsätze in den Veranlagungsbereichen bei Einsatz eines Risikomanagementsystems (RMS) der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom ... ... 2017 (Az. ...) - sowie einem regelungsgleichen Schreiben der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom ... 2015 für das Streitjahr - sind vom Risikomanagementsystem nicht ausgesteuerte Sachverhalte ausdrücklich nicht zu prüfen.

Mit Bescheid vom ... April 2018 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2016 unter Berücksichtigung von Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von XXX € fest. Die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb setzte der Beklagte nach der in der Anlage EÜR erklärten Höhe von XXX € an. Der Bescheid erging weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung noch nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorläufig.

Der Beklagte minderte mit Bescheid vom ... Mai 2018 die Einkommensteuer für 2016 aus nicht streitbefangenen Gründen.

Im Rahmen einer für den Gewerbebetrieb der Klägerin von April bis September 2020 durchgeführten Außenprüfung stellte der Beklagte fest, dass die Erstattung aus den Umsatzsteuerbescheiden für 2014 und 2015 vom 12. August 2016 in Höhe von 23.023,33 € nicht als Einnahme bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden war. Die Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten gaben hierzu an, dass der Ansatz der Umsatzsteuererstattung versehentlich unterblieben sei. Die Umsatzsteuererstattungen seien auf das Privatkonto des Klägers ausgezahlt worden. Die entsprechenden Kontoauszüge hätten bei Erklärungserstellung nicht vorgelegen.

Mit Bescheid vom ... Oktober 2020 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für 2016 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und berücksichtigte nunmehr Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von XXX €. Dabei erfasste der Beklagte auch die Umsatzsteuererstattungen aus den Umsatzsteuerbescheiden 2014 und 2015 vom 12. August 2016 in Höhe von 23.026,00 € als Einnahme.

Gegen den Bescheid legten die Kläger am ... November 2020 Einspruch ein. Zur Begründung führten die Kläger unter anderem aus, dass der Sachbearbeiter der Prozessbevollmächtigten unzutreffend angenommen habe, dass es sich bei dem Restguthaben aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 11. Oktober 2016 um die einzigen Zuflüsse im Jahr 2016 gehandelt habe. Der Sachbearbeiter habe die Vorstellung gehabt, dass die restlichen Umsatzsteuererstattungen bereits in den Jahren 2014 und 2015 zugeflossen seien.

Den Einspruch wies der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom ... April 2022 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Kläger behaupten, dass die Umsatzsteuererstattungen aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 12. August 2016 versehentlich nicht als Einnahme aus Vermietung und Verpachtung erfasst worden seien. Der Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten, Herr C, habe die Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen für die vorangegangenen Besteuerungszeiträume 2014 und 2015 erstellt gehabt. Die Mitarbeiterin D sei mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr betraut gewesen. Sie habe mit der Bearbeitung der Anlage V begonnen, sei aber vor Abschluss der Arbeiten aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Ein direkter Austausch zwischen Herrn C und Frau D habe nicht stattfinden können, weil Herr C am Standort Y, Frau D am Standort Z gearbeitet habe. Frau D habe die hohen Vorsteuererstattungen sowie die Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht gekannt.

Die Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015 vom 12. August 2016 und vom 11. Oktober 2016 habe Herr C auf Richtigkeit überprüft und sodann zum Zweck der Archivierung an die Kläger übersandt. Im Rahmen der Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2016 hätten die Kläger dem Steuerbüro ausschließlich die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 11. Oktober 2016 zur Verfügung gestellt. Die Bankkontoauszüge hätten der Mitarbeiterin nicht vorgelegen.

Da bei Umsatzsteuerveranlagungen in der Regel aufgrund von geleisteten Vorauszahlungen nur geringfügige Erstattungs- oder Nachzahlungsbeträge entstünden, sei die Mitarbeiterin D von einer Voranmeldepflicht der Kläger und damit von Erstbescheiden ausgegangen.

Die Kläger bestreiten, dass die fehlende Überprüfung der Umsatzsteuererstattungen durch die Sachbearbeiterin des Beklagten auf einem mechanischen Versehen beruhe. Die Sachbearbeiterin habe die Überprüfung aufgrund der Risikohinweise vielmehr bewusst unterlassen. Sie habe darauf vertraut, dass das Risikomanagementsystem einen solchen Fehler des Steuerpflichtigen erkenne. Hierbei handele es sich um eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung, die die Anwendung des § 129 AO ausschließe.

Die Kläger meinen, der Beklagte sei zu einer Änderung oder Berichtigung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids vom ... April 2018 nicht befugt gewesen. Der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid sei weder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO noch hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorläufig im Sinne des § 165 Abs. 1 AO ergangen.

Insbesondere könne sich der Beklagte nicht auf die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berufen. Die bei der ursprünglichen Veranlagung nicht erfassten Umsatzsteuererstattungen aus den Bescheiden vom 12. August 2016 seien der Sachbearbeiterin des Beklagten bekannt gewesen. Die Umsatzsteuer des Klägers werde - wie auch die Einkommensteuer - beim Beklagten unter derselben Steuernummer veranlagt. Der Sachbearbeiter hätte sich durch Einsicht in das Steuerkonto sowie die vorangegangenen Einkommensteuererklärungen in einfacher Weise Kenntnis über den Sachverhalt verschaffen können.

Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass das Risikomanagementsystem keinen Prüfhinweis in Bezug auf die fehlerhafte Erfassung der Umsatzsteuererstattung ausgegeben habe. § 155 Abs. 4 Satz 1 AO stelle ausdrücklich klar, dass die Finanzbehörde Steuerfestsetzungen nur dann automationsgestützt vornehmen dürfe, soweit kein Anlass bestehe, den Einzelfall durch einen Amtsträger zu bearbeiten. Dabei dürfe sich der Beklagte nicht allein auf die vom Risikomanagementsystem vergebene Risikoklasse berufen.

Für den Sachbearbeiter sei aufgrund der Angabe der hohen Vorsteuerbeträge in der Zeile 51 der Anlage V der Einkommensteuererklärungen für 2014 und 2015 und aus den Umsatzsteuerveranlagungen erkennbar gewesen, dass es sich um einen risikobehafteten Fall handelte. Allein die fehlende Aussteuerung durch das Risikomanagementsystem könnte nicht zur Qualifizierung als nicht bekannte Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO führen.

Auch handele es sich vorliegend nicht um eine vollständig automationsgestützte Veranlagung. Denn aufgrund der Risikohinweise zu anderen Besteuerungsgrundlagen, insbesondere zur Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sei eine personelle Prüfung und Bearbeitung durch den Sachbearbeiter erforderlich gewesen.

Eine spätere Änderung wegen neuer Tatsachen sei ausgeschlossen, wenn eine Umsatzsteuererstattung durch die Einsichtnahme in das Steuerkonto ersichtlich sei (mit Verweis auf FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. September 2002 2 K 1316/02, juris).

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom ... Oktober 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... April 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass den Mitarbeitern der Prozessbevollmächtigten die Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015 vom 12. August 2016 bei Erklärungserstellung vorgelegen hätten. Denn die Umsatzsteuerbescheide vom 12. August 2016 hätten die Umsatzsteuer-Sonderprüfung abgeschlossen, in deren Rahmen der Kläger von der Prozessbevollmächtigten vertreten worden sei. Sofern die Umsatzsteuerbescheide vom 12. August 2016 nicht vorgelegen hätten, so habe sich aber aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 11. Oktober 2016 ein hinreichender Hinweis auf die Bescheide vom 12. August 2016 ergeben.

Der Umstand, dass die bei der Prozessbevollmächtigten zuständige Mitarbeiterin bei den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung überhaupt einen Betrag als Umsatzsteuererstattung angesetzt habe, zeige, dass ihr gewisse Unterlagen vorgelegen hätten. Die Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten hätten bei der Erklärungserstellung fahrlässig gehandelt, indem sie die Umsatzsteuerzahlungen nicht überprüft hätten. Auch bei der Ermittlung der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb sei die Umsatzsteuer fehlerhaft zu hoch angesetzt worden.

Der Beklagte meint, zu einer Änderung aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen befugt zu sein. Da vom Risikomanagementsystem kein Abgleich der erstatteten Umsatzsteuer gefordert worden sei, könne dem veranlagenden Innendienst keine Kenntnis der abweichenden Umsatzsteuererstattungen zugerechnet werden.

Insbesondere habe sich der Beklagte keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht vorzuwerfen. Die Aufklärungspflicht des Finanzamts sei stets durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt. Die Finanzbehörde sei nicht verpflichtet, den Sachverhalt auf alle möglichen Fallgestaltungen zu erforschen. Für den Regelfall könne davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung vollständig und richtig seien (mit Verweis auf BFH, Urteil vom 17. April 1969 V R 21/66, BStBl II 1969, 474). Die Finanzbehörde dürfe den Angaben eines Steuerpflichtigen Glauben schenken, wenn nicht greifbare Umstände vorlägen, die darauf hindeuteten, dass seine Angaben falsch oder unvollständig seien (mit Verweis auf BFH, Urteil vom 11. Juli 1978 VIII R 120/75, BStBl II 1979, 57). Sie verletze ihre Aufklärungspflicht nur dann, wenn sie Tatsachen außer Acht lasse und offenkundigen Zweifelsfragen nicht nachgehe, die sich ihr den Umständen nach ohne weiteres aufdrängen müssten (mit Verweis auf BFH, Urteile vom 16. Januar 1964 V 94/61 U, BStBl III 1964, 149; und vom 13. November 1985 II R 208/82, BStBl II 1986, 241).

Mit der Einführung des Risikomanagementsystems richte sich der Umfang der Bearbeitung in den für eine personelle Prüfung ausgewählten Fällen ausschließlich nach dem Grund der Aussteuerung. Somit seien nur die bei der Veranlagung ausgegebenen Hinweise abzuarbeiten. Für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern mithilfe von automationsgestützten Systemen sei nach § 88 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AO zu gewährleisten, dass der Amtsträger die als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte überprüfe.

Der Gesetzgeber habe im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (BT-Drs. 18/7457, S. 48 f.) klargestellt, dass eine zentrale Maßnahme der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens die Stärkung der ausschließlich automationsgestützten Bearbeitung von dazu geeigneten Steuererklärungen durch den Einsatz von Risikomanagementsystemen sei. Dabei sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die vollautomatisch bearbeiteten Steuererklärungen nicht einem "Weniger" an Prüfungsintensität und Prüfungsqualität unterlägen.

Das Gesetz ordne ausdrücklich an, dass ein Steuerfall zur Bearbeitung durch einen Amtsträger ausgesteuert werden müsse, wenn im Einzelfall hierzu Anlass bestünde. Als Anlass würden die Prüfhinweise des Risikomanagementsystems und das Freitextfeld in der Steuererklärung angesehen. Folge man der Auffassung der Kläger, müsse bei jeder Veranlagung, in der Umsatzsteuerzahlungen oder Umsatzsteuererstattungen im Rahmen einer Gewinnermittlung zu berücksichtigen seien, diese durch einen Amtsträger gesondert überprüft werden.

Im Übrigen könne sich der Beklagte auch auf die Berichtigungsvorschrift des § 129 AO berufen. Eine offenbare Unrichtigkeit könne auch dann vorliegen, wenn das Finanzamt eine in der Steuererklärung oder dieser beigefügten Anlage enthaltene offenbare Unrichtigkeit als eigene übernehme. Übersehe das Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung, dass der Steuerpflichtige in seiner vorgelegten Gewinnermittlung die bei der Umsatzsteuererklärung für denselben Veranlagungszeitraum erklärten und erklärungsgemäß berücksichtigten Umsatzsteuerzahlungen in Gänze nicht als Betriebsausgabe erfasst habe, liege insoweit eine von Amts wegen zu berichtigende offenbare Unrichtigkeit vor (mit Verweis auf BFH, Urteil vom 27. August 2013 VIII R 9/11, BStBl II 2014, 439). Eine offenbare Unrichtigkeit liege dagegen nicht vor, wenn der Steuerpflichtige nicht sämtliche Umsatzsteuer-Vorauszahlungen bei den Betriebsausgaben außer Acht gelassen, sondern im Rahmen seiner Steuererklärung einen Gesamtbetrag eingesetzt habe, der nicht von vornherein unrealistisch war (mit Verweis auf BFH, Urteile vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415; und vom 17. Mai 2017 X R 45/16, BFH/NV 2018, 10 [BFH 09.05.2017 - VIII R 51/14]).

Im Streitfall wären die Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von 379,00 € gesondert in Kennzahl 108 (sonstige Einnahmen) einzutragen gewesen. Da hier eine Eintragung fehle, sei der Anwendungsbereich des § 129 AO eröffnet.

Die erstatteten Umsatzsteuereinnahmen seien bei Kennzahl 109 zu erklären gewesen. Nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 3. Mai 2017 sei bei den Umsatzsteuererstattungen im Streitfall wohl nicht von einer offenbaren Unrichtigkeit auszugehen, weil Zahlungen aus jeweils zwei Bescheiden für zwei Jahre zusammen zu addieren gewesen seien. Andererseits wäre die bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eingetragene Summe der Umsatzsteuererstattungen bei einer Abfrage der im Jahr 2016 gezahlten bzw. erstatteten Umsatzsteuerbeträge problemlos den Umsatzsteuerzahlungen aus den Bescheiden vom 11. Oktober 2016 zuzuordnen gewesen.

Abschließend sei der Beklagte auch befugt gewesen, den Einkommensteuerbescheid nach § 173a AO zu ändern. Die unrichtige Eintragung der Umsatzsteuererstattungen auf der Anlage V durch die Mitarbeiter der Steuerberaterpraxis des Prozessbevollmächtigten sei Folge eines Rechenfehlers. Der Prozessbevollmächtigten hätten sämtliche Bescheide zur Umsatzsteuer vorgelegen. Ferner wäre es den Mitarbeitern der Prozessbevollmächtigten möglich gewesen, die Höhe der erstatteten Umsatzsteuern abzufragen. Die Regelung des § 173a AO sei sinnlos, wenn sich der Steuerpflichtige bei nicht erklärten Einnahmen regelmäßig auf schlichtes Vergessen oder auf einen Irrtum über die zu erfassenden Daten berufen könnte.

Auch der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass es einer Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 173a AO auf ähnliche offenbare Unrichtigkeit nicht bedürfe (BT-Drs. 18/8434, S. 100).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Klageakten und die Steuerakten des Beklagten (Steuernummer: ...).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

A. Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom ... Oktober 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... April 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Beklagte war nicht befugt, den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom ... April 2018 zu ändern und die mit den Umsatzsteuerbescheiden 2014 und 2015 vom 12. August 2016 erstatteten Vorsteuerbeträge als Einnahmen bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen.

I. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten scheidet eine Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgrund nachträglich bekanntgewordener Tatsachen aus.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH, Urteil vom 12. März 2019 IX R 29/17, BFH/NV 2019, 1057).

Nachträglich bekannt geworden ist eine Tatsache, wenn sie das Finanzamt beim Erlass des geänderten Steuerbescheids noch nicht kannte (vgl. BFH, Urteile vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5; und vom 21. Februar 2017 VIII R 46/13, BFHE 257, 198, BStBl II 2017, 745). Die Tatsache muss daher zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt sein (vgl. BFH, Urteil vom 12. März 2019 IX R 29/17, BFH/NV 2019, 1057).

Nach der Rechtsprechung des BFH kommt es jedoch nicht auf die Kenntnis der Finanzbehörde als solcher, sondern auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle an (vgl. BFH, Urteile vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5; und vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233).

Dabei ist grundsätzlich bekannt, was sich aus den bei der Finanzbehörde geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt (vgl. BFH-Urteile vom 28. April 1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458; und vom 21. Februar 2017 VIII R 46/13, BFHE 257, 198, BStBl II 2017, 745). Dazu gehören alle Schriftstücke, die bei der Dienststelle vorliegen oder sie im Dienstgang erreichen. Unerheblich ist, ob der Sachbearbeiter den Vorgang tatsächlich liest, in sein Wissen aufnimmt oder ihn nur überfliegt. Die Finanzbehörde muss sich den gesamten Inhalt der bei ihr geführten Akte als bekannt zurechnen lassen (vgl. BFH, Urteile vom 28. April 1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458; und vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5).

Ergibt sich die Tatsache oder das Beweismittel nicht aus den Akten, kommt es auf die Kenntnis derjenigen Person oder Stelle innerhalb der Finanzbehörde an, die für die Bearbeitung des Streitfalls organisationsmäßig berufen war (vgl. BFH, Urteil vom 28. April 1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370). Zu diesen Personen zählen regelmäßig der Sachbearbeiter, der Sachgebietsleiter und der Vorsteher (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 2007 XI R 48/06, BFH/NV 2008, 367). Bekannt sind diejenigen Tatsachen und Beweismittel, die der zuständige Finanzbeamte in Ausübung seines Amtes erlangt. Rein privates Wissen des Beamten ist demgegenüber der Finanzbehörde nicht zuzurechnen (vgl. BFH, Urteile vom 28. April 1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458; und vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5).

2. Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte nicht befugt, den Einkommensteuerbescheid 2016 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, weil der Veranlagungsstelle sowie der handelnden Sachbearbeiterin bei Vornahme der Einkommensteuerveranlagung die weiteren Umsatzsteuererstattungen aus den Umsatzsteuerbescheiden für 2014 und 2015 vom 12. August 2016 bekannt waren.

Der Beklagte hat selbst eingeräumt, dass der Veranlagungsstelle eine Abfrage der im Veranlagungszeitraum 2016 erstatteten Umsatzsteuern möglich gewesen wäre. Damit lag auch die Kenntnis über den Zahlungsverkehr in der Dienststelle vor. Darüber hinaus ergab sich die Kenntnis auch aus den in der Umsatzsteuerakte vorliegenden Umsatzsteuerbescheiden für 2014 und 2015, die die Erstattungsbeträge ausweisen.

3. Der Beklagte kann die Kenntnis über die Umsatzsteuererstattungen auch nicht dadurch negieren, dass das Risikomanagementsystem die Höhe der im Veranlagungszeitraum erstatteten Umsatzsteuern nicht als prüfungsbedürftigen Sachverhalt aussteuerte. Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 173 Abs. 1 AO ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus seinem Sinn und Zweck oder seiner systematischen Stellung.

a) Die Finanzbehörden können gemäß § 88 Abs. 5 Satz 1 AO zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Steuerfestsetzung automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsystem). Dabei muss das Risikomanagementsystem nach § 88 Abs. 5 Satz 3 Nrn. 1 bis 4 AO mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

1. die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird,

2. die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger,

3. die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können,

4. die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.

Nach § 155 Abs. 4 Satz 1 AO können Finanzbehörden Steuerfestsetzungen auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen und der Angaben des Steuerpflichtigen ausschließlich automationsgestützt vornehmen, soweit kein Anlass dazu besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten.

Diese mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18. Juli 2016 (BGBl I 2016, 1679) eingeführten Regelungen sollen die gleichmäßige Festsetzung der Steuern (§ 85 AO) fördern und gleichzeitig den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung (§ 88 Abs. 5 Satz 2 AO) berücksichtigen (BT-Drs. 18/7457, S. 49, 68 ff.).

b) Weder aus den Regelungen in § 88 Abs. 5 AO und § 155 Abs. 4 AO noch aus den Motiven des Gesetzgebers ergeben sich hingegen Hinweise darauf, dass die automationsgestützte Veranlagung Auswirkungen auf den Begriff der Kenntnis im Sinne des § 173 Abs. 1 AO hat oder nach dem Willen des Gesetzgebers haben sollte. Eine solche einschränkende Auslegung widerspräche auch dem Sinn und Zweck der Einführung des Risikomanagementsystems. Denn das Risikomanagementsystem soll die Finanzbehörden nicht von einer abschließenden Überprüfung des Steuerfalls suspendieren, sondern gerade eine abschließende Überprüfung unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung vorantreiben (vgl. ausführlich Seer, StuW 2015, 315, 319 ff.).

c) Eine etwaige einschränkende Auslegung der Kenntnis im Sinne des § 173 Abs. 1 AO auf solche Tatsachen und Beweismittel, die im Rahmen des Risikomanagementsystems als prüfungsbedürftige Sachverhalte ausgesteuert werden, widerspräche nach Auffassung des Senats auch der Systematik der Änderungs- und Berichtigungsvorschriften der Abgabenordnung.

Nach den §§ 129, 164, 165, 172 ff. AO können Steuerbescheide unter den dort festgelegten Voraussetzungen geändert oder berichtigt werden. Im Übrigen tritt materielle Bestandskraft ein. Von den genannten Berichtigungs- und Änderungsvorschriften bietet allein die Regelung des § 164 AO der Finanzbehörde die Möglichkeit, von einer abschließenden Überprüfung des Steuerfalls vorerst abzusehen und den Eintritt der materiellen Bestandskraft - bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO) - hinauszuzögen. Die übrigen Berichtigungs- und Änderungsvorschriften geben nur die Möglichkeit zu punktuellen Durchbrechungen der Bestandskraft unter den dort genannten Voraussetzungen.

Folgte man der Rechtsauffassung des Beklagten, wonach sich die handelnde Dienststelle Kenntnisse in Bezug auf nicht als prüfungsbedürftig ausgesteuerte Sachverhalte nicht zurechnen lassen muss, könnte die Finanzbehörde diese Sachverhalte - wie es nur bei einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung möglich ist - der materiellen Bestandskraft entziehen. Im Ergebnis könnte damit die Finanzverwaltung durch die Festlegung des - nach § 88 Abs. 5 Satz 4 AO nicht zu veröffentlichenden - Risikofilters den Eintritt der materiellen Bestandskraft nach Belieben beeinflussen (so auch zu nicht vorliegenden Prüfhinweisen: BFH, Urteil vom 12. März 2019 IX R 29/17, BFH/NV 2019, 1057).

d) Eine einschränkende Auslegung des Merkmals des nachträglichen Bekanntwerdens im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach ein bestandskräftiger Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen einer neuen Tatsache, die beim Erlass des vorangehenden Bescheids bereits bekannt war, geändert werden kann, wenn bei der vorangegangenen Änderung nicht der gesamte Steuerfall materiell-rechtlich überprüft werden musste. Solche Ausnahmefälle nimmt der BFH an, wenn der vorangegangene Änderungsbescheid ausschließlich die auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte Anpassung an einen Grundlagenbescheid vorgenommen hatte, wenn sich der vorangegangene Änderungsbescheid darin erschöpft, einen zusätzlichen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO in den Bescheid aufzunehmen oder wenn der vorangegangene Änderungsbescheid auf § 165 Abs. 2 AO gestützt wird und im vollmaschinellen Verfahren erlassen wurde, ohne dass ein Sachbearbeiter des Finanzamts überhaupt noch Gelegenheit hatte, die Akte auf zwischenzeitlich bekannt gewordene Tatsachen durchzusehen (vgl. BFH, Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 8/88, BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438; BFH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2014 VI R 21/13, BFHE 248, 116, BStBl II 2017, 4, und vom 28. Mai 2020 X B 19/20, BFH/NV 2020, 1044).

Auf diese Rechtsprechung kann sich der Beklagte zumindest deshalb nicht berufen, weil es sich im Streitfall bei dem zu ändernden Bescheid - im Gegensatz zu den in der genannten Rechtsprechung des BFH vorliegenden Konstellationen - nicht um einen Änderungsbescheid, sondern um einen erstmaligen Bescheid nach Veranlagung handelt. Denn während sich die vom BFH angeführten Änderungsnormen in der Tat auf punktuelle Änderungen in den Besteuerungsgrundlagen beziehen, hat die erstmalige Veranlagung die Bearbeitung des gesamten Steuerfalls zum Gegenstand. Möchte die Finanzbehörde in einer solchen Konstellation die abschließende Überprüfung des Steuerfalls unter Einbeziehung der bislang bekannten Tatsachen zurückstellen, muss sie eine Veranlagung nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durchführen. Auf eine fehlende Kenntnis der bei Veranlagung vorliegenden Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann sie sich nicht zurückziehen.

II. Der Beklagte kann seine Änderungsbefugnis auch nicht auf § 173a AO stützen.

1. Nach § 173a AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit dem Steuerpflichtigen bei Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde bestimmte, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend mitgeteilt hat.

Die Vorschrift wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18. Juli 2016 (BGBl I 2016, 1679) im Hinblick auf die automationsgestützte Steuerfestsetzung eingeführt (vgl. BT-Drs. 18/7457, S. 49, 68 ff.; Bruschke, StB 2020, 8). Sie ist nach Art. 97 § 9 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung erstmals auf Verwaltungsakte anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2016 erlassen worden sind und somit auch auf den streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid 2016 vom ... April 2018.

Nach dem eindeutigen Wortlaut und der amtlichen Überschrift erfasst § 173a AO nur Schreib- und Rechenfehler, hingegen keine "ähnliche offenbare Unrichtigkeit" im Sinne des § 129 AO (vgl. BFH, Urteil vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233; BFH, Beschluss vom 27. April 2022 IX B 57/21, BFH/NV 2022, 803). Dies wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt, wonach das schlichte Vergessen eines Übertrags selbst ermittelter Besteuerungsgrundlagen in die Steuererklärung keinen Schreib- oder Rechenfehler im Sinne des § 173a AO darstellt (BT-Drs. 18/7457, S. 87).

Schreibfehler sind insbesondere Rechtschreibfehler, Wortverwechslungen oder Wortauslassungen. Rechenfehler sind insbesondere Fehler bei der Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division sowie bei der Prozentrechnung (vgl. BFH, Beschluss vom 27. April 2022 IX B 57/21, BFH/NV 2022, 803; BT-Drs. 18/7457, S. 87). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen zudem auch fehlerhafte Übertragungen zu den Schreibfehlern zählen (BT-Drs. 18/7457, S. 87).

Die Schreib- oder Rechenfehler müssen durchschaubar, eindeutig oder augenfällig sein. Das ist dann der Fall, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als Schreib- oder Rechenfehler erkennbar ist und kein Anhaltspunkt dafür gegeben ist, dass eine unrichtige Tatsachenwürdigung, ein Rechtsirrtum oder ein Rechtsanwendungsfehler vorliegt (BT-Drs. 18/7457, S. 87).

Der Anwendungsbereich des § 173a AO ist nicht nur bei vollautomatisiert erlassenen Steuerbescheiden (§ 155 Abs. 4 Satz 4 AO), sondern auch für - wie im Streitfall - teilautomatisiert erlassene Bescheide eröffnet (vgl. Seer, StuW 2015, 315, 325; Braun Binder, DStZ 2016, 526, 534; Habel/Müller, DStR 2016, 2791).

2. Im Streitfall liegt der Einkommensteuererklärung der Kläger weder ein Schreib- noch ein Rechenfehler zugrunde.

Unabhängig davon, ob der Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten bei Erklärungserstellung auch die Umsatzsteuerbescheide 2014 und 2015 vom 12. August 2016 vorlagen, unterlief ihr nach der Überzeugung des Senats weder ein Schreib- noch ein Rechenfehler.

a) Soweit die fehlende Erfassung der Umsatzsteuererstattungen aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 12. August 2016 - wie die Kläger vortragen - darauf beruhte, dass die Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten bei der Sichtung der von den Klägern eingereichten Belege versehentlich davon ausging, dass es sich bei den Umsatzsteuerbescheiden 11. Oktober 2016 um Erst- und nicht um Änderungsbescheide handelte und sie deshalb nur die Umsatzsteuererstattungen aus den letztgenannten Bescheiden als Einnahmen bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung erfasste, handelt es sich hierbei weder um einen Schreib- noch um einen Rechenfehler, sondern um ein sonstiges Versehen, das vom Anwendungsbereich des § 173a AO nicht erfasst ist.

b) Soweit die Mitarbeiterin - wie der Beklagte vorträgt - hingegen auch die Umsatzsteuerbescheide 2014 und 2015 vom 12. August 2016 noch vorliegen hatte und diese bei der Erfassung der Einnahmen unberücksichtigt ließ, kann der Senat ebenfalls einen Schreib- oder Rechenfehler ausschließen. Denn das bloße Übersehen und Nichterfassen von einzelnen Belegen stellt keinen Schreib- oder Rechenfehler dar.

c) Weitere Feststellungen dazu, ob die Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten möglicherweise die Summe der im Veranlagungszeitraum erstatteten Umsatzsteuern durch Addition der Einzelerstattungen aus den Bescheiden zunächst ermittelte und festhielt, sodann aber nicht vollständig in das Formular übertrug, braucht der Senat nicht zu treffen. Zum einen ergeben sich hierfür weder Anhaltspunkte aus dem Inhalt der Akten noch haben die Beteiligten dies vorgetragen.

Zum anderen könnte der Senat in einem solchen möglichen Übertragungsfehler keinen Schreibfehler erkennen. Die Auffassung des historischen Gesetzgebers, wonach ein Schreibfehler auch "fehlerhafte Übertragungen" umfassen soll (vgl. BT-Drs. 18/7457, S. 87), widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 173a AO (so auch Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 162. Lfg. 9/2020, § 129 AO Rn. 5, 8; Nöcker, AO-StB 2017, 317, 318; v. Wedelstädt, AO-StB 2017, 19, 20; Baldauf, DStR 2016, 833, 839; Habel/Müller, DStR 2016, 2791, 2791 f.).

III. Der Beklagte kann die Änderung auch nicht auf eine entsprechende (analoge) Anwendung des § 173a AO stützen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine Änderung wegen ähnlicher (offenbarer) Unrichtigkeiten nicht vom Anwendungsbereich des § 173a AO erfasst (vgl. BFH, Beschluss vom 27. April 2022 IX B 57/21, BFH/NV 2022, 803; BFH, Urteil vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233). Gegen eine planungswidrige Regelungslücke spricht neben dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auch die Ausführung zur Gesetzeseinführung (siehe BT-Drs. 18/7457, S. 87), welche - trotz Ausführungen zum erweiterten Tatbestand des § 129 AO - den Anwendungsbereich des § 173a AO ausdrücklich auf Schreib- oder Rechenfehler beschränkt (vgl. BFH, Beschluss vom 27. April 2022 IX B 57/21, BFH/NV 2022, 803).

IV. Ebensowenig kommt eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids für 2016 nach § 129 AO in Betracht.

Nach § 129 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.

Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (vgl. BFH, Urteil vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015, 1040). Allein theoretische Möglichkeiten eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums schließen eine offenbare Unrichtigkeit hingegen nicht aus (vgl. BFH, Urteil vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946).

Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden (vgl. BFH, Urteile vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393, BStBl II 2020, 37; und vom 16. Januar 2018 VI R 41/16, BFHE 260, 397, BStBl II 2018, 378). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden (vgl. BFH, Urteil vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233).

Dem Beklagten ist im Streitfall bei Erlass des Einkommensteuerbescheides vom ... April 2018 kein Schreibfehler, Rechenfehler oder eine ähnliche Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO unterlaufen (hierzu unter 1.). Darüber hinaus wäre eine angenommene Unrichtigkeit auch nicht offenbar gewesen (hierzu unter 2.).

1. Dem Beklagten ist bei Erlass des Einkommensteuerbescheids für 2016 vom ... April 2018 weder eine eigene Unrichtigkeit unterlaufen (hierzu unter a)) noch hat er eine Unrichtigkeit der Kläger bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung als eigene übernommen (hierzu unter b)).

a) Der Sachbearbeiterin des Beklagten ist bei der Veranlagung keine eigene Unrichtigkeit unterlaufen.

Eine Berichtigung nach § 129 AO setzt grundsätzlich voraus, dass der Fehler bzw. die offenbare Unrichtigkeit in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (vgl. BFH, Urteil vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015, 1040). Eine solches mechanisches Versehen der Sachbearbeiterin bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer ist hingegen nicht erkennbar. Aufgrund der von der Veranlagungssoftware erteilten Risikohinweise hat die Sachbearbeiterin die Frage der Höhe der als Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzusetzenden Umsatzsteuererstattungen vielmehr bewusst unangetastet gelassen. Dies schließt ein eigenständiges mechanisches Versehen der Sachbearbeiterin aus.

b) Die Sachbearbeiterin hat nach der Auffassung des Senats auch keine von den Klägern bei der Erklärungserstellung veranlasste Unrichtigkeit übernommen.

§ 129 AO gilt seinem Wortlaut nach nicht für offenbare Versehen des Steuerpflichtigen (vgl. BFH, Urteile vom 2. April 1987 IV R 255/84, BFHE 149, 490, BStBl II 1987, 762; und vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015, 1040). Da die Unrichtigkeit aber nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung oder ihr beigefügten Anlagen als eigene übernimmt (vgl. BFH, Urteile vom 2. April 1987 IV R 255/84, BFHE 149, 490, BStBl II 1987, 762; und vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415). Diese Rechtsprechung zu sog. "Übernahmefehlern" gilt auch für - wie im Streitfall - elektronisch im Elster-Verfahren übermittelte Steuererklärungen (vgl. BFH, Beschluss vom 13. August 2010 IX B 20/10, BFH/NV 2010, 2232; BFH, Urteile vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BStBl. II 2020, 37, und vom 12. Februar 2020 X R 27/18, BFH/NV 2020, 1041).

Im Streitfall ist nach der Überzeugung des Senats bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2016 zwar eine Unrichtigkeit unterlaufen (hierzu unter aa)), welche jedoch aufgrund des eingesetzten Risikomanagementsystems vom Beklagten nicht übernommen wurde (hierzu unter bb).

aa) Der Nichtansatz der Umsatzsteuererstattungen aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 12. August 2016 als Einnahmen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung durch die Mitarbeiterin der Steuerberaterpraxis der Prozessbevollmächtigten stellt eine - dem Schreib- oder Rechenfehler - ähnliche Unrichtigkeit dar. Nach den Feststellungen des Senats ist es aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls ausgeschlossen, dass es sich bei der fehlenden Erfassung der weiteren Umsatzsteuererstattungen nicht um ein mechanisches Versehen, sondern um einen Tatsachen- oder Rechtsirrtum handelte.

(1) Es entspricht der Überzeugung des Senats, dass die Mitarbeiterin - wie die Kläger vortragen - die ihr vorliegenden Umsatzsteuerbescheide für 2014 und 2015 vom 11. Oktober 2016 "versehentlich" als Erstbescheide und nicht als Änderungsbescheide erkannt hat. Den Bescheiden vom 11. Oktober 2016 war in den Erläuterungen jeweils zu entnehmen, dass die Bescheide die Erstbescheide vom 12. August 2016 änderten. Im Kopf der Bescheide war ferner jeweils der Hinweis auf eine Änderungsvorschrift enthalten. Der Senat hält es demnach für plausibel, dass die Mitarbeiterin aufgrund der geringen Erstattungshöhe in den beiden Bescheiden vom 11. Oktober 2016 vom Vorliegen von Erstbescheiden ausging, weil Erstbescheide nach Abrechnung über die geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen nicht selten nur zu geringen Nachzahlungs- oder Erstattungsbeträgen führen. Bei dem schlichten Übersehen, dass der Mitarbeiterin tatsächlich Änderungsbescheide und keine Erstbescheide vorlagen, handelt es sich um ein mechanisches Versehen.

(2) Weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch aus dem Inhalt der Akten ergeben sich substantiierte Anhaltspunkte dafür, dass die Mitarbeiterin aufgrund einer abweichenden rechtlichen Würdigung oder auf der Grundlage eines angenommenen abweichenden Sachverhalts bewusst von der Angabe der Umsatzsteuererstattungen aus den Bescheiden vom 12. August 2016 absah.

Der Umstand, dass die Mitarbeiterin die Erstattungen aus den Umsatzsteuerbescheiden vom 11. Oktober 2016 angab, zeigt vielmehr, dass sie sich der steuerlichen Relevanz der Angabe bewusst war, ein Fehler in der rechtlichen Würdigung (zum Beispiel eine Abweichung vom steuerlichen Zuflussprinzip, § 11 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG-) allein theoretischer Natur bleibt.

Dafür, dass die Mitarbeiterin bewusst von einem abweichenden Sachverhalt ausging, hat der Senat keine Anhaltspunkte. So wäre es - wie die Kläger zunächst im Einspruchsverfahren behaupteten - lebensfremd anzunehmen, die Mitarbeiterin wäre von einer Erstattung der Vorsteuerbeträge in den vorhergehenden Jahren 2014 und 2015 ausgegangen. Hiergegen musste für die Mitarbeiterin zum einen sprechen, dass die von der Prozessbevollmächtigten erstellten Umsatzsteuererklärungen für 2014 und 2015 erst am ... Dezember 2015 abgegeben worden waren und zum anderen, dass die - unstreitig - der Mitarbeiterin vorliegenden Umsatzsteuerbescheide vom 11. Oktober 2016 auf die geänderten Bescheide vom 12. August 2016, also auf Bescheide aus demselben Jahr verwiesen.

(3) Die vorstehende Würdigung ergibt sich erst Recht für den Fall, dass der Mitarbeiterin - wie der Beklagte behauptet - die Umsatzsteuerbescheide 2014 und 2015 vom 12. August 2016 bei Erklärungserstellung vorgelegen haben sollten. Denn auch in diesem Fall ergeben sich keine Anhaltspunkte, weshalb die Mitarbeiterin nicht die Erstattungsbeträge aus beiden Umsatzsteuerbescheiden hätte erfassen sollen.

(4) Dass sich dem Identifizieren der Bescheide vom 11. Oktober 2016 als Änderungsbescheide noch die Ermittlung der Höhe der weiteren Umsatzsteuererstattungen durch die Mitarbeiterin angeschlossen hätte, steht dem mechanischen Versehen nicht entgegen. Denn weitere Sachverhaltsermittlungen wären durch die Mitarbeiterin nicht erforderlich gewesen. Allein das Ablesen der weiteren Erstattungsbeträge aus den Bescheiden vom 12. August 2016 oder aus dem für die Prozessbevollmächtigte abrufbaren Steuerkonto hätte genügt.

bb) Der Beklagte hat diese Unrichtigkeit der Kläger bei der Erklärungserstellung jedoch nicht als eigene übernommen.

(1) Ob und inwieweit eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit bei der voll- oder teilautomatischen Bearbeitung eines Steuerfalls zu einem Übernahmefehler des Finanzamts führt, ist in der Rechtsprechung bislang nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. allein Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 16. Februar 2017 14 K 3554/14 E, EFG 2017, 1315).

Im steuerrechtswissenschaftlichen Schrifttum herrscht Einigkeit darüber, dass bei dem von § 155 Abs. 4 AO zulässigen automatisierten Erlass von Steuerbescheiden vom Steuerpflichtigen bei der Erklärungserstellung verursachte Schreib- und Rechenfehler sowie sonstige offenbare Unrichtigkeiten nicht auf der Grundlage von § 129 AO geändert werden können, wenn das Finanzamt den Fehler nicht erkennen und sich nicht entsprechend zu Eigen machen kann (zumindest für vollautomatisierte Verfahren: Seer, StuW 2015, 315, 325; Braun Binder, DStZ 2016, 526, 534; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, 137. EL Januar 2018, § 129 AO Rn. 44; Bruschke, StB 2020, 8, 8f.; Ratschow, in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 129 Rn. 28; Baldauf, DStR 2016, 833, 839; Nöcker, AO-StB 2017, 317, 317; wohl auch Nöcker, DStR 2018, 1417, 1420).

Ob diese Literaturmeinungen ein "Zu-Eigen-Machen" aber nur bei vollständig automationsgestütztem Bescheiderlass (so möglicherweise Braun Binder, DStZ 2016, 526, 534) oder auch bei der teilweisen automatisierten Veranlagung unter Einsatz des Risikomanagementsystems (so möglicherweise Seer, StuW 2015, 315, 325; Nöcker, AO-StB 2017, 317, 317) ablehnen oder das "Zu-Eigen-Machen" im Einzelfall von der Erkennbarkeit des Fehlers durch die Finanzbehörde abhängig machen wollen (dahingehend möglicherweise Ratschow, in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 129 Rn. 28; Baldauf, DStR 2016, 833, 839), bleibt offen.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 16. Februar 2017 (Az. 14 K 3554/14 E, EFG 2017, 1315) die Frage aufgeworfen, ob § 129 Satz 1 AO im Wege der Rechtsfortbildung im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung dahingehend auszulegen ist, dass eine bewusst billigende Inkaufnahme einer dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung widersprechenden Steuerfestsetzung den Anwendungsbereich des § 129 Satz 1 AO als Korrekturnorm jedenfalls dann ausschließt, wenn bei der Sachbearbeitung durch verwaltungsinterne Anweisungen eine Einzelfallprüfung mit dem Hinweis auf die Zuordnung eines Falles zu bestimmten Risikoklassen und das Massenverfahren untersagt ist. Das sich anschließende Revisionsverfahren (vgl. BFH, Urteil vom 14. Januar 2020 VIII R 4/17, BFHE 268, 2, BStBl II 2020, 433) hat diese Rechtsfrage indes nicht klären müssen.

Nach der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung sollen Fehler des Steuerpflichtigen bei Erklärungserstellung nach § 173a AO korrigiert werden. Sei dem Steuerpflichtigen eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit unterlaufen, sollten sich die Rechtsfolgen nicht nach § 173a AO und § 129 AO, sondern ausschließlich nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO richten (AEAO zu § 129 Nr. 4).

(2) Nach der Rechtsauffassung des Senats kann sich die Finanzbehörde eine Unrichtigkeit des Steuerpflichtigen bei der Erklärungserstellung in den Fällen des teilautomatischen Bescheiderlasses, in denen der Bearbeiter des Finanzamts unter Anwendung des Risikomanagementsystems nur die als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte überprüft, nicht zu eigen machen, soweit der Besteuerungssachverhalt, dem die Unrichtigkeit anhaftet, vom Risikomanagementsystem nicht ausgesteuert wird.

Diese Auslegung ergibt sich aus dem gesetzlichen Erfordernis des § 129 AO, wonach eine Unrichtigkeit bei Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen muss, sowie aus der Gesetzesentstehung des § 173a AO.

(a) Weil die Unrichtigkeit des Steuerverwaltungsakts "bei Erlass unterlaufen" sein muss, gilt § 129 AO seinem Wortlaut nach nicht für offenbare Versehen des Steuerpflichtigen (vgl. BFH, Urteile vom 2. April 1987 IV R 255/84, BFHE 149, 490, BStBl II 1987, 762; und vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015, 1040). § 129 AO setzt vielmehr voraus, dass die Unrichtigkeit in der Sphäre des Finanzamts entsteht. Über seinen Wortlaut hinaus wendet die Rechtsprechung des BFH § 129 AO aber auch dann an, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen übernimmt (vgl. BFH, Urteile vom 2. April 1987 IV R 255/84, BFHE 149, 490, BStBl II 1987, 762, und vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415).

Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein mechanisches Versehen nicht nur in der Sphäre des Finanzamts, sondern bereits in der Sphäre des Steuerpflichtigen bei Erklärungserstellung entstehen kann, vom Finanzamt unbemerkt bleibt und sich deshalb bei dem Erlass eines Steuerverwaltungsakts "fortsetzt". Die fehlende Aufdeckung der offenbaren Unrichtigkeit durch den Sachbearbeiter des Finanzamts stellt dann das mechanische Versehen in der Sphäre des Finanzamts dar. Dies vorausgesetzt, kann sich aber ein mechanisches Versehen des Steuerpflichtigen nur dann bei Erlass des Steuerbescheids "fortsetzen", soweit die in der Sphäre des Steuerpflichtigen entstandene Unrichtigkeit vom Sachbearbeiter des Finanzamts erkennbar ist und zumindest die Möglichkeit besteht, dass der Sachbearbeiter die Unrichtigkeit aufdecken kann. Verzichtet das Finanzamt hingegen - wie im Streitfall - bewusst auf eine Überprüfung von bestimmten Angaben des Steuerpflichtigen, so kann sich eine hierin enthaltene Unrichtigkeit nicht in der Sphäre des Finanzamts "fortsetzen".

(b) Diese Auslegung wird durch die Gesetzesbegründung zu § 173a AO gestützt.

Der Gesetzgeber hat § 173a AO im Hinblick auf die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens eingeführt. Nach der Gesetzesbegründung ergänzt § 173a AO die fehlende Änderungsmöglichkeit eines bestandskräftigen Steuerbescheids, wenn dem Steuerpflichtigen bei Erklärungserstellung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen und eine Berichtigung nach § 129 AO ausscheidet, weil das Finanzamt den Fehler nicht erkennen und ihn sich deshalb auch nicht zu eigen machen kann (vgl. BT-Drs. 18/7457, S. 87). Diese Situation kann nach der Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere auftreten, wenn eine Steuererklärung elektronisch übermittelt wird und dem Finanzamt daneben keine ergänzenden Unterlagen oder Berechnungen übersandt werden (vgl. BT-Drs. 18/7457, S. 87). Mit der Einführung des § 173a AO hat der Gesetzgeber damit auf den Umstand reagiert, dass sich die Finanzbehörde einen vom Steuerpflichtigen verursachten Fehler nicht zu eigen machen kann, wenn es einer formellen oder materiellen Übernahme der vom Steuerpflichtigen übermittelten Daten durch einen Sachbearbeiter nicht bedarf (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 162. Lfg. 9/2020, § 173a AO Rn. 2; Bruschke, StB 2020, 8, 8f.).

Der Senat schließt sich dieser Begründung des historischen Gesetzgebers an und leitet hieraus ab, dass es an einem "Zu-Eigen-Machen" eines Fehlers des Steuerpflichtigen in den Fällen des teilautomatischen Bescheiderlasses mangelt, soweit die ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte vom Risikomanagementsystem nicht ausgesteuert werden. Insoweit ist eine Überprüfung der vom Steuerpflichtigen übermittelten Daten - wie auch die vom Beklagten angeführte Verfügung der Oberfinanzdirektion Niedersachsen vom ... 2017 (Az. ...) sowie die für das Streitjahr gültige Verfügung vom ... 2015 zeigen - nicht vorgesehen. Ist eine Überprüfung von vornherein ausgeschlossen, sind etwaige Unrichtigkeiten des Steuerpflichtigen für den handelnden Amtsträger weder erkennbar, noch können sie als eigene Unrichtigkeit übernommen werden. Demnach kann auch bei einer teilautomatischen Bearbeitung eines Steuerfalls - wie sie im Streitfall vorgenommen wurde - bezüglich solcher Sachverhalte, die von der Prüfung des Steuerfalls aufgrund des Risikomanagements ausgeschlossen sind, kein Übernahmefehler angenommen werden. Da die Frage der bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfassenden Umsatzsteuererstattungen nicht zu den prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalten gehörte, erging der Einkommensteuerbescheid insoweit automatisiert.

Entsprechendes dürfte erst Recht für den hier nicht zu entscheidenden Fall des vollständig automationsgestützten Erlasses des Steuerbescheides (§ 155 Abs. 4 Satz 4 AO) gelten.

2. Darüber hinaus wäre eine angenommene Unrichtigkeit auch nicht offenbar.

a) Eine Unrichtigkeit ist dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (vgl. BFH, Urteile vom 4. Juni 2008 X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801; vom 6. November 2012 VIII R 15/10, BFHE 239, 296, BStBl II 2013, 307; und vom 27. August 2013 VIII R 9/11, BFHE 242, 302, BStBl II 2014, 439). Sie müssen sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen oder in den elektronisch gespeicherten Daten (zum Beispiel festsetzungsnahe Daten) für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben (vgl. BFH, Urteile vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233; vom 16. September 2015 IX R 37/14, BFHE 250, 332, BStBl II 2015, 1040; vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 956 [BFH 29.11.2006 - I R 46/05]). Soweit das Finanzamt auf Akten der Vorjahre zurückgreifen muss, liegt grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vor (vgl. BFH, Urteile vom 31. Juli 1990 I R 116/88, BFHE 162, 115, BStBl II 1991, 22; und vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233). Auf die Erkennbarkeit für den zuständigen Bearbeiter des Finanzamts kommt es ebenso nicht an (vgl. BFH, Urteil vom 26. Oktober 2016 X R 1/14, BFH/NV 2017, 257).

b) Nach diesen Grundsätzen war die Höhe der als Einnahmen bei den Einkünften des Klägers aus Vermietung und Verpachtung anzusetzenden Umsatzsteuererstattungen einem objektiv Dritten nicht als offenbare Unrichtigkeit klar und eindeutig erkennbar.

Aus der Einkommensteuererklärung selbst ergab sich zwar, dass der Kläger das Vermietungsobjekt umsatzsteuerpflichtig vermietete, weil die Kläger im Sachbereich 25 (Vermietung und Verpachtung) sowohl vereinnahmte Umsatzsteuer als auch Vorsteuerbeträge erklärten. Hieraus ließ sich aber nicht der Schluss ziehen, dass die Vorsteuerüberhänge aus den Jahren 2014 und 2015 im Streitzeitraum erstattet worden waren.

Der Vorheftung der Einkommensteuerakte war ferner zu entnehmen, dass der Kläger das Grundstück erworben und bebaut sowie für die Besteuerungszeiträume 2014 und 2015 erhebliche Vorsteuerbeträge (18.976,53 € für 2014 und 4.049,00 € für 2015) geltend gemacht hatte. Dass diese Vorsteuerbeträge im Jahr 2016 ausgezahlt worden waren, ließ sich der Vorheftung hingegen ebenfalls nicht entnehmen.

Um die unrichtige Höhe der im Veranlagungszeitraum erstatteten Umsatzsteuerbeträge feststellen zu können, hätten die Sachbearbeiterin oder ein objektiver Dritter vielmehr einen Abgleich des erklärten Erstattungsbetrags mit allen im Kalenderjahr 2016 erstatteten Umsatzsteuerbeträgen vornehmen müssen. In einer solchen, weitere Sachaufklärungsmaßnahmen des Finanzamts notwendig machenden Situation ist die betreffende Unrichtigkeit aber nicht mehr offenbar (vgl. ähnlich gelagert: BFH, Urteil vom 3. Mai 2017 X R 4/16, BFH/NV 2017, 1415 zum Abgleich von Umsatzsteuervorauszahlungen).

Unmittelbar erkennbar wäre die Höhe der Umsatzsteuererstattung daneben aus den sich in der Umsatzsteuerakte befindlichen Umsatzsteuerbescheiden für 2014 und 2015 gewesen. Der BFH fordert für eine offenbare Unrichtigkeit jedoch, dass sich die Unrichtigkeit aus den in der Akte befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergibt (vgl. BFH, Urteile vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BFHE 226, 8, BStBl II 2009, 946; und vom 26. Mai 2020 IX R 30/19, BFH/NV 2020, 1233). Im Streitfall wäre dementsprechend ein schädlicher Rückgriff auf die Aktenvorgänge für 2014 und 2015 erforderlich geworden, wobei es auf die Frage, ob für das betreffende Vorjahr ein gesonderter Aktenband geführt wird oder nicht, nach der Rechtsprechung des BFH nicht ankommt (vgl. BFH, Urteile vom 31. Juli 1990 I R 116/88, BFHE 162, 115, BStBl II 1991, 22; und vom 14. Februar 1995 IX R 101/93, BFH/NV 1995, 1033).

c) Auf die weitere, vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Mitarbeiter der Prozessbevollmächtigten bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2016 und der Ermittlung der erstatteten Vorsteuerbeträge ein Verschulden trifft, kommt es im Anwendungsbereich des § 129 AO nicht an (vgl. BFH, Urteile vom 22. Mai 2019 XI R 9/18, BFHE 264, 393; vom 7. November 2013 IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657; und vom 16. Januar 2018 VI R 38/16, BFH/NV 2018, 513).

V. Weitere Änderungsnormen sind weder einschlägig noch ersichtlich.

Der Beklagte war dementsprechend nach der Rechtsauffassung des Senats nicht befugt, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 2016 zu korrigieren. Diese Rechtsfolge wäre nach Auffassung des Senats nur durch eine personelle oder automatisierte Überprüfung der Umsatzsteuerzahlungen im Veranlagungsverfahren zu vermeiden gewesen. Eine solche Überprüfung nahm der Beklagte für die Umsatzsteuerzahlungen der Klägerin aus ihrer gewerblichen Tätigkeit - wenngleich ebenfalls nach Abschluss der Veranlagung - auch tatsächlich vor. Die Veranlagungsdienststellen sind nach der Überzeugung des Senats gehalten, sämtliche Erkenntnisse ihres eigenen Verantwortungsbereichs bei der Veranlagung zu verwerten. Dies betrifft insbesondere den Zahlungsverkehr für die Steuern, die von der Dienststelle veranlagt werden.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

C. Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zu.

Die Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die dem Steuerpflichtigen bei Erstellung seiner Steuererklärung unterlaufen, nach Einführung des Risikomanagementsystems in der Finanzverwaltung noch nach den Vorschriften der § 129 AO und § 173 AO geändert bzw. berichtigt werden können, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist in der Zwischenzeit zwar höchstrichterlich geklärt, dass die mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens neu eingeführte Korrekturnorm des § 173a AO nur bei Schreib- und Rechenfehlern, nicht hingegen bei ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten Anwendung findet. Hieraus resultiert jedoch die sich im Streitfall weiter ergebende Rechtsfrage, ob und inwieweit die ursprünglich für offenbare Unrichtigkeiten herangezogene Berichtigungsvorschrift des § 129 AO bei der Veranlagung mit automatisierten Systemen noch anwendbar bleibt. Gleichzeitig ist bei einem Nebeneinander der "hergebrachten" Änderungsvorschriften und der neuen Änderungsvorschrift zu klären, ob es für die Kenntnis im Sinne des § 173 AO sowie für die Erkennbarkeit des Übernahmefehlers im Sinne des § 129 AO nur auf die Kenntnis des Sachbearbeiters, der Dienststelle sowie den Inhalt der Papierakten oder möglicherweise auch auf die Kenntnis des Datenverarbeitungssystems samt der elektronisch angelegten Daten, wie zum Beispiel festsetzungsnahe Daten, Steuererhebungskonten, usw. ankommt.