Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.05.2023, Az.: 8 K 10/23

Formgerechte Klageerhebung bei Verletzung der Pflicht zur Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs durch Nutzung des Telefaxes

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.05.2023
Aktenzeichen
8 K 10/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 54668
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0523.8K10.23.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 17.04.2024 - AZ: X B 69/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Nach der Finanzgerichtsordnung vertretungsberechtigte Personen müssen dem Gericht Schriftsätze und deren Anlagen als elektronisches Dokument übermitteln, wenn ihnen dafür ein sicherer Übertragungsweg zur Verfügung steht.

  2. 2.

    Steuerberatern steht seit dem 01.01.2023 durch das besondere elektronische Steuerberaterpostfach ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung.

  3. 3.

    Der verspätete richterliche Hinweis auf die Verpflichtung zur Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs rechtfertigt allein nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klage formgerecht erhoben worden ist.

Nachdem der Beklagte in Abweichung zur Einkommensteuererklärung 2020 den Anteil der privaten Kfz-Nutzung nach der 1 %-Regelung bestimmt und dem Einkommensteuerbescheid 2020 zugrundgelegt hatte, legte der Prozessbevollmächtigte hiergegen Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 07.12.2022 als unbegründet zurückwies.

Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte mit Telefax vom 10.01.2023 (16.06 Uhr) Klage, deren Eingang das Gericht mit Verfügung vom 18.01.2023 bestätigte.

Mit Schreiben vom 27.02.2023 wies das Gericht darauf hin, dass Steuerberater seit dem 01.01.2023 gem. §§ 52d Satz 1 und 2, 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §§ 86d, 86e und 157e des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) dazu verpflichtet seien, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln und insoweit eine Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfaches als sicherem Übermittlungsweg i.S.v. §§ 52d Satz 2, 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO bestehe. Sofern vorbereitende Schriftsätze nach dem 01.01.2023 nicht in der durch § 52d Satz 1 und 2 FGO vorgeschriebenen elektronischen Form bei Gericht eingehen würden, seien diese sowie, sofern es sich um bestimmende Schriftsätze handelt, mit ihnen verbundene Prozesshandlungen unwirksam und schlössen damit eine Fristwahrung aus.

Unter dem 28.02.2023 beantragte der Prozessbevollmächtigte über das elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter erneuter Klageeinreichung. Dem Prozessbevollmächtigten habe zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch kein beSt zur Verfügung gestanden. Daher sei eine formgerechte Übermittlung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich gewesen.

Der Prozessbevollmächtigte habe am sog. "fast-lane"-Verfahren der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) für die entsprechende Registrierung teilgenommen. Die Mitteilung des Registrierungscodes durch die BStBK sei mit Schreiben vom 26.12.2022 (Weihnachtsfeiertag) erfolgt. Aufgrund der Postlaufzeiten über den Jahreswechsel und die erforderliche Aktivierung des beSt sei eine fristgerechte Klageerhebung über das beSt technisch nicht umsetzbar gewesen. Auch habe die BStBK die Finanzgerichte ausdrücklich darum gebeten, von einer Klageabweisung abzusehen. Es dürfe bezweifelt werden, dass der Gesetzgeber diese Rechtsfolgen habe herbeiführen wollen. Eine Wiedereinsetzung erscheine geboten.

Der Prozessbevollmächtigte führte ergänzend aus, dass die Zustellung des Registrierungsbriefes an die Zweigstelle in D... erfolgt sei. Dieses Büro sei über den Jahreswechsel nicht besetzt gewesen. Daher sei das Schreiben der BStBK erst in der 1. Kalenderwoche des Jahres 2023 in der Zweigstelle zur Kenntnis genommen und an den Unternehmenssitz in Oldenburg weitergegeben worden. Eine Nutzung des beSt im Rahmen der Kanzleisoftware sei im Januar 2023 softwareseitig noch nicht möglich gewesen. Das beSt habe außerhalb der Kanzleisoftware eingerichtet werden müssen und sei erst am 20.01.2023 einsatzbereit gewesen. Daher sei die Klageerhebung am 10.01.2023 per Fax erfolgt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid für 2020 vom 29.04.2022 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 07.12.2022 dahingehend zu ändern, dass die private PKW-Nutzung mit dem erklärten Wert in Höhe von ...€ -netto- (vorsteuerbelastet: ...€; vorsteuerunbelastet: ...€; wobei der Betrag i.H.v. ...€ je zur Hälfte der Umsatzsteuer zu 19 % und der Umsatzsteuer zu 16 % unterliegt) angesetzt und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat in mündlicher Verhandlung am 23.05.2023 um 10:30 Uhr und nach Wartezeit um 10.55 Uhr in der Sache verhandelt. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23.05.2023 verwiesen. Kurz nach Verkündung des Urteils am 23.05.2023 um 11:00 Uhr ist der Kläger mit seinem Prozessbevollmächtigten staubedingt verspätet erschienen. Der Prozessbevollmächtigte hatte sich zuvor bei der Geschäftsstelle des 8. Senates des Niedersächsischen Finanzgerichts telefonisch gemeldet und seine Verspätung mitgeteilt. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des 8. Senates des Niedersächsischen Finanzgerichts hatte den Prozessbevollmächtigten jedoch mit einer anderen Person verwechselt und dem erkennenden Senat eine fehlerhafte Auskunft dahingehend erteilt, dass nicht der Prozessbevollmächtigte, sondern eine andere Person im Stau stehen und sich verspäten werde.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist unzulässig.

1. Da der Prozessbevollmächtigte die Klage nicht innerhalb der Klagefrist des § 47 FGO von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form gemäß § 52a FGO i.V.m. § 52d FGO, sondern lediglich per Telefax, erhoben hat, ist die Klagefrist gemäß § 47 Abs. 1 FGO nicht gewahrt. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit und schließt damit insbesondere auch eine Fristwahrung aus (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 28.04.2023, XI B 101/22, DB 2023, 1201 m.w.N.).

a. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind nach § 52d Satz 1 FGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach der FGO vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 4 FGO zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Halbsatz 1 oder Nr. 2 FGO vertretungsbefugte Personen.

b. Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater steht seit dem 01.01.2023 ein sicherer Übermittlungsweg i.S. des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung; denn seit dem 01.01.2023 (§ 157e des Steuerberatungsgesetzes -StBerG-) richtet die Bundessteuerberaterkammer über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach empfangsbereit ein (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG). Steuerberater sind mit der Einrichtung des Postfachs, spätestens aber ab diesem Zeitpunkt, nach § 52d Satz 2 FGO nutzungspflichtig (vgl. BFH-Beschluss vom 27.04.2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057, Rn. 9; s.a. Brandis in Tipke/Kruse, § 52d FGO Rn. 1; Schallmoser in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, § 52d FGO Rn. 15; Rauch, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2022, 949, 951; Peters, juris PraxisReport Steuerrecht 45/2022 Anm. 2; Pohl, Die Steuerberatung 2022, 426, 429). Dies ist vorliegend nicht geschehen, so dass das Telefax die erforderliche Form nicht eingehalten und damit auch die Klagefrist nicht gewahrt hat.

Insoweit kommt es nicht darauf an, ob ggfs. der Registrierungsbrief erst später beim Prozessbevollmächtigten eingegangen ist oder seine tatsächliche Erstanmeldung ggfs. erst später erfolgt ist. Dies ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung (vgl. hierzu ausführlich: Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20.03.2023, 7 K 183/22, juris m.w.N.).

2. Eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist kommt nicht in Betracht.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Innerhalb dieser Antragsfrist ist auch die versäumte Rechtshandlung nachzuholen, § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO.

a. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er bzw. sein Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden daran gehindert war, die Klagefrist einzuhalten.

Es ist die Pflicht des Prozessbevollmächtigten gewesen, sich über die gesetzlichen Regelungen zu informieren. Da der Bevollmächtigte die Klage nach der Registrierung im Rahmen der "Fast-Lane" erhoben hatte, hätte er sich rechtzeitig um die umgehende Einbindung des beSt in die Kanzleisoftware kümmern müssen. Der Prozessbevollmächtigte hätte dafür Sorge tragen müssen, dass sein beSt kurz nach Eingang des Registrierungsbriefes der BStBK im Rahmen der Kanzleisoftware einsatzbereit ist. Dass die Einsatzbereitschaft des beSt erst am 20.01.2023 gegeben war, vermag ein entsprechendes Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht entschuldigen.

Die (möglicherweise) verzögerte Übersendung des Registrierungsbriefs durch die BStBK vermag sein Verschulden nicht zu entschuldigen, da er mit der "Fast-Lane" die Möglichkeit hatte, ab dem 01.01.2023 seine Erstanmeldung vorzunehmen.

Auch die Äußerungen der BStBK vermögen sein Verschulden nicht zu entschuldigen, da durch die Rechtsprechung des BFH und der Literatur frühzeitig widersprochen wurde (Beschluss des BFH vom 27.04.2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057; Pohl, Stbg 2022, 426).

Aufgrund des Beschlusses des BFH vom 27.04.2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057, Rz 9 (zum besonderen Anwaltspostfach) musste dem Prozessbevollmächtigten zudem bewusst sein, dass er ab dem 01.01.2023 gemäß § 52d Satz 2 FGO zur aktiven elektronischen Kommunikation mit den Finanzgerichten verpflichtet ist.

b. Der formgerecht eingereichte Wiedereinsetzungsantrag vom 28.02.2023 ist zudem nicht innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt und die versäumte Rechtshandlung nicht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO innerhalb dieser Frist nachgeholt worden.

Die versäumte Rechtshandlung (Klageerhebung per beSt) ist nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt worden. Vorliegend erfolgte die Klageerhebung per beSt -ausweislich des Prüfprotokolls- erst am 28.02.2023 (16:31 Uhr). Das beSt war in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten aber bereits -nach dem eigenen Vortrag- am 20.01.2023 einsatzbereit gewesen. Damit ist die versäumte Rechtshandlung nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses am 20.01.2023 nachgeholt worden.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Wiedereinsetzungsfrist ist zudem nicht zu gewähren, weil für den Senat keine Entschuldigungsgründe dafür ersichtlich sind, aus welchen Grund der Prozessbevollmächtigten nicht sofort ab dem 20.01.2023 die versäumte Rechtshandlung nachgeholt hat, sondern erst am 28.02.2023.

Der lediglich auf die geltende Rechtslage hinweisende Richterbrief vom 27.02.2023 ändert hieran nichts, weil der Prozessbevollmächtigte aufgrund des Beschlusses des BFH vom 27.04.2022, XI B 8/22, BFH/NV 2022, 1057, Rz 9 (zum besonderen Anwaltspostfach) hätte wissen müssen, dass er bereits ab dem 01.01.2023 gemäß § 52d Satz 2 FGO zur aktiven elektronischen Kommunikation mit den Finanzgerichten verpflichtet ist (zum Verschulden bei Nichtbeachtung der elektronischen Übermittlung vgl. Beschluss des BFH vom 28.04.2023, XI B 101/22, DB 2023, 1201).

II. Das Gericht konnte in der Sache entscheiden, obwohl der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen war, da zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Gründe vorgetragen waren, die sein Fehlen bzw. das Fehlen des Prozessbevollmächtigten hinreichend entschuldigten, und auf die Zulässigkeit einer Entscheidung trotz seines Ausbleibens in der Ladung hingewiesen worden war (§ 91 Abs. 2 FGO).

III. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 135 Abs. 1 FGO.