Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.06.2023, Az.: 7 K 254/20

Investmentsteuergesetz; Investmentsteuerreform; Rechtmäßigkeit der Besteuerung fiktiver Übergangsgewinne durch Investmentsteuerreform

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.06.2023
Aktenzeichen
7 K 254/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 29239
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0614.7K254.20.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: VIII R 22/23

Fundstellen

  • DStRE 2024, 890
  • ErbStB 2023, 352-353

Amtlicher Leitsatz

Die Besteuerung fiktiver Übergangsgewinne durch die Investmentsteuerreform nach § 56 InvStG ist rechtmäßig.

Tatbestand

Streitig ist die Ermittlung der kapitalertragsteuerpflichtigen Kapitalerträge aus der Veräußerung von Investmentanteilen nach den Vorschriften des Investmentsteuergesetzes 2018 (InvStG).

Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit sowie Kapitaleinkünfte.

Der Kläger erwarb am XX.XX.2015, am XX.XX.2015, am XX.XX.2015 sowie am XX.XX.2016 in Summe 386 Fondsanteile an dem Fonds mit der ISIN ... (Fondsanteile) für insgesamt 39.303,64 €. Zum 31. Dezember 2017 betrug der Rücknahmepreis/ Marktpreis für diese Fondanteile 47.258,40 € und lag damit 7.954,76 € über den Anschaffungskosten.

Am XX.XX.2018 veräußert der Kläger die Fondsanteile für insgesamt 39.819,76 €. Für den Verkauf erhob die Depotbank) eine Provisionsgebühr in Höhe von 69,90 €.

Die Bemessungsgrundlage für die kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge wurde von der Depotbank ausweislich der eingereichten Steuerbescheinigung wie folgt ermittelt.

Veräußerungsverlust nach Differenzmethode-7.508,54 €
abzgl. 30% Teilfreistellung-2.252,57 €
Veräußerungsergebnis nach Teilfreistellung-5.255,97 €
zzgl. fiktiver Veräußerungsgewinn zum 31. Dezember 20177.954,76 €
KapSt-pflichtiger Kapitalertrag2.698,79 €
Bemessungsgrundlage für KapSt2.698,79 €

Die Bank behielt bei der Auszahlung 674,40 € Kapitalertragsteuer und 37,10 € Solidaritätszuschlag ein.

Die Kläger reichten ihre Steuererklärung für das Streitjahr am XX.XX.2019 elektronisch beim Beklagten ein und beantragten in einem Begleitanschreiben eine Reduzierung der Kapitalerträge um 2.253 €, da der tatsächliche Gewinn nach der Differenzmethode lediglich 446,22 € betrage und nicht wie von der Bank ausgewiesen 2.698,79 €. Diese Abweichung zu den Beträgen laut Steuerbescheinigungen trugen die Kläger auch in der Anlage KAP des Klägers ein.

Der Beklagte berücksichtigte bei der Veranlagung die Kapitalerträge in der von der Depotbank bescheinigten Höhe und veranlagte die Kläger mit Bescheid vom XX.XX2019.

Gegen den Bescheid legten die Kläger unter dem XX.XX.2019 Einspruch ein. Der im Rahmen der Steuererklärung geltend gemachte Korrekturbetrag lasse sich auf eine einzige Wertpapiertransaktion zurückführen. Der Gewinn beim Verkauf der Fondanteile betrage nach der Differenzmethode lediglich 446,22 € und nicht wie ausgewiesen 2.698,79 €. Der ihrer Ansicht nach falsch ausgewiesene Betrag sei durch die einseitige Teilfreistellung in Höhe von 30% nur auf die Kursverluste entstanden. Dies haben den Effekt, dass auf 446,22 € Gewinn 674,70 € Kapitalertragsteuer und 37,10 € Solidaritätsbeitrag (in Summe 711,80 €) abgeführt worden seien. Damit betrage der Steuersatz von 159,50 % und es seien somit höhere Steuern abgezogen worden, als überhaupt Gewinn angefallen sei. Der Steuerabzug sei nicht zu rechtfertigen und wiederspreche wesentlichen Grundsätzen des Steuerrechts und der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Die korrekte Besteuerung sei auf eine Bemessungsgrundlage von 446,22 € vorzunehmen, so dass sich ein Kapitalertragsteuerabzug in Höhe von 111,55 € zzgl. 6,13 € Solidaritätsbeitrag ergebe.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom XX.XX.2020 als unbegründet zurück.

Der Beklagte führte aus, der von der Bank ermittelte Kapitalertrag in Höhe von 2.698,79 € unterliege zu Recht der Besteuerung. Der Bescheid enthalte keine Rechenfehler. Bei dem teilweise freigestellten Veräußerungsverlust aus dem Verkauf 2018 und dem fiktiven Veräußerungsgewinn zum 31. Dezember 2017 handle es sich um unabhängig voneinander zu ermittelnde Besteuerungsgrundlagen nach zwei völlig verschiedenen Besteuerungssystemen. Weder könne hinsichtlich der in 2018 erzielten Erträge auf die Freistellung verzichtet werden, noch sei die Teilfreistellung gem. § 20 InvStG auf den fiktiven Veräußerungsgewinn gem. § 56 InvStG anzuwenden. Dass durch die Teilfreistellung des Verlustes hier ein höherer Betrag zu versteuern sei, habe der Gesetzgeber typisierend in Kauf genommen, genauso wie den umgekehrten Fall, dass einem zum 31. Dezember 2017 entstanden Verlust nur anteilige Gewinne im Jahr 2018 gegenüberstehen würden. In diesem Fall könne ein Anleger einen höheren Verlust vortragen.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Kläger halten daran fest, dass die Teilfreistellung des im Jahr 2018 angefallenen Buchverlustes i.H.v. 7.508,54 € nach § 20 Abs. 1 InvStG sie in ihren Rechten verletze. Die Bemessungsgrundlage für die nach § 32d Einkommensteuergesetz (EStG) zu besteuernden Einkünfte sei um 2.253,00 € zu mindern.

Bei den in Rede stehenden Fondsanteilen handle es sich um Anteile an Investmentfonds. Die Besteuerung von deren Anlegern sei im InvStG 2018 geregelt. Grundsätzlich führe die Veräußerung von Anteilen an Investmentfonds zu einer Besteuerung nach § 19 InvStG. Die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung sei hierbei gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 InvStG nach der Systematik des § 20 Abs. 4 EStG zu ermitteln, sofern die Anteile nicht zu einem Betriebsvermögen gehörten. Dies wiederum fordere eine Gegenüberstellung des Veräußerungserlöses abzüglich etwaiger Anschaffungskosten.

Diese Differenz betrage unstreitig 516,12 €. Sie stelle damit auch die Vermögensmehrung bei ihnen dar, die nach dem Willen des Gesetzgebers die Basis einer Besteuerung darstellen solle. Demgegenüber vertrete der Beklagte die Auffassung, dass das InvStG so zu interpretieren sei, dass die Steuerbelastung von 711,80 € (inkl. SolZ) höher als der tatsächliche Ertrag aus dem Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang sein könne.

Bei den veräußerten Fondsanteilen handle es sich um vor der Novellierung des InvStG angeschaffte Anteile. Diese würden nach § 56 Abs. 2 InvStG zum 31. Dezember 2017 als veräußert und zum 1. Januar 2018 als angeschafft gelten. Als Veräußerungserlös und Anschaffungskosten dieser beiden, rein fiktiven, Vorgänge gelte dabei der letzte Rücknahmepreis am Stichtag.

Die Besteuerung des fiktiven Vorganges werde indes bis zu einer tatsächlichen Veräußerung des Fonds-Anteils hinausgeschoben (§ 56 Abs. 3 InvStG). Sie unterliege erst bei tatsächlicher Veräußerung dem Kapitalertragsteuerabzug nach § 43 EStG.

Durch das Absinken des Kurswertes nach dem 31. Dezember 2017 bis zum Zeitpunkt der Veräußerung sei nunmehr streitig, ob dieser Verlust i.H.v. 7.508,54 € vorrangig nach § 20 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 14 InvStG zu 30% von der Steuer freizustellen sei oder ob zuerst eine vollständige Verrechnung der fiktiven Gewinne nach § 56 Abs. 2 InvStG mit den Verlusten im Jahr 2018 zu erfolgen habe. Das InvStG selbst enthalte hierzu keine wortwörtliche Formulierung. Die Frage sei daher durch Auslegung zu klären.

Die Gesetzesbegründung treffe weder in den Ausführungen zu § 19 InvStG noch zu § 56 InvStG Regelungen zum Umgang mit Verlusten nach dem 31. Dezember 2017 aus den fiktiv veräußerten Anteilen. In den Ausführungen zum § 19 Abs. 1 InvStG sei geregelt, dass eine Überbesteuerung durch den Abzug von Vorabpauschalen vermieden werden solle. Zu einer Überbesteuerung bei Verlusten nach dem 31. Dezember 2017 enthalte die Gesetzesbegründung keine Aussage. Es liegt daher eine (planwidrige) Regelungslücke vor, die im Wege der Analogie durch das Gericht auszufüllen sei.

Hierzu könne insbesondere auf die Regelungen der Wegzugsbesteuerung (§ 6 Außensteuergesetz [AStG]) in der für das Streitjahr 2018 geltenden Fassung verwiesen werden. Diese ordne, vergleichbar mit dem § 56 InvStG, eine lediglich fiktive Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften zum Teilwert im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht des Gesellschafters an. Erfolge der Wegzug dabei durch einen Bürger der europäischen Union von Deutschland in ein anderes Land der Union oder ein Land welches Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum sei, so sei die Steuer, welche auf den Wegzug anfalle, zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden (§ 6 Abs. 5 AStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung). Die Stundung erfolge dabei bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile oder der Verwirklichung von Ersatztatbeständen (§ 6 Abs. 5 S. 4 AStG). Ohne tatsächliche Veräußerung komme es nicht zu Zahlungspflichten des Inhabers der Anteile. Sei im Fall der tatsächlichen Veräußerung der Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der Stundung niedriger als der Vermögenszuwachs im Zeitpunkt der Wegzugsbesteuerung und werde die Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt, so sei der ursprüngliche Steuerbescheid insoweit aufzuheben oder zu ändern (§ 6 Abs. 6 Satz 1 AStG). Mit anderen Worten sei die tatsächlich realisierte Wertminderung in einem Änderungsbescheid der Wertzuwachsbesteuerung zugrunde zu legen.

Es werde damit dem allgemeinen Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Rechnung getragen. Es sei nicht ersichtlich, warum im vorliegenden Fall, der wirtschaftlich vergleichbar sei, ein anderes Ergebnis eintreten solle.

Eine derartige Systemwidrigkeit lasse sich des Weiteren auch aus der Regelung des § 3 Nr. 40 lit. a Satz 2 EStG ableiten. Diese Vorschrift sei durch den Gesetzgeber im Zuge des Überganges vom Anrechnungsverfahren zum Teileinkünfteverfahren hinsichtlich der Besteuerung von Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 9 EStG in das Gesetz eingefügt worden. Sie würde für vor der Systemänderung vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren erworbene und steuerwirksam abgeschriebene Anteile an Kapitalgesellschaften gelten. Mit Einführung der § 3 Nr. 40 EStG sowie des § 3c EStG seien Abschreibungen nur noch teilweise steuerwirksam. Gleichzeitig seien Zuschreibungen oder Veräußerungsgewinne teilweise von der Besteuerung befreit. Die Vorschrift sei damit in ihrer Systematik mit der Teilfreistellung von Gewinnen oder Verlusten i.S.d. § 20 InvStG vergleichbar. Sinn des § 3 Nr. 40 lit. a Satz 2 EStG sei es, nach "altem" Recht voll steuerwirksam erfolgte Abschreibungen auf Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Falle einer Zuschreibung entgegen der teilweisen Freistellung nach "neuem" Recht dennoch der Besteuerung zu unterwerfen. Für vor dem 31. Dezember 2001 angeschaffte und steuerwirksam abgeschriebene Anteile an Kapitalgesellschaften werde damit eine teilweise steuerfreie Zuschreibung nach neuem Recht vermieden. Die Vorschrift schließe damit eine sonst entstehende systemwidrige Besteuerungslücke. Wende man diese Vorschrift nun analog auf den hier vorliegenden Fall an, sei der bis zum 31. Dezember 2017 entstandene und voll der Besteuerung unterliegende fiktive Gewinn in voller Höhe mit Wertminderungen bis zum Veräußerungsstichtag zu verrechnen. Eine "Teilfreistellung" des Verlustes würde zu einer systemwidrigen Überbesteuerung führen, welche der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung habe ausdrücklich vermeiden wollen.

Nach all dem Vorstehenden stehe die Lesart der Finanzverwaltung, wonach Wertzuwächse bis zum 31. Dezember 2017 voll der Besteuerung unterliegen würden, nach dem 31. Dezember 2017 erfolgte Wertminderungen indes nur zu 70% abziehbar seien, offenkundig im Widerspruch zur steuerlichen Grundsystematik.

In anderen, vergleichbaren, Konstellationen würden Wertänderungen nach einer entweder fiktiven Veräußerung (Wegzugsbesteuerung) oder eines Wechsels des Besteuerungssystems (Übergang vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren) nach dem Übergang steuerlich voll wirksam auf den Wert zum Tag der fiktiven Veräußerung bzw. auf den Wert zum Tag des Systemwechsels zurückbezogen. Warum dies in den Fällen des InvStG anders sein solle, sei nicht erkennbar. Die entgegenstehende Lesart des Beklagten sei offenkundig systemwidrig. Die angegriffenen Bescheide seien im Sinne des Klageantrags zu ändern.

Entgegen der Ansicht des Beklagten hätten sie zum 31. Dezember 2017 keinen Gewinn realisiert. Der Beklagte verkenne bei seiner Argumentation zudem, dass für die Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG der Zuflusszeitpunkt der Einkünfte grundsätzlich nach § 11 EStG zu bestimmen sei. Demnach seien ihnen Einkünfte im Jahr 2018 zugeflossen. Ein Zufluss und damit eine Realisation habe im Jahr 2017 nicht vorgelegen.

Schließlich sei noch anzumerken, dass die Rechtsauffassung des Beklagten als eine nicht gerechtfertigte Übermaßbesteuerung anzusehen sei, die gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoße.

Die Kläger beantragen,

die Festsetzung der Einkommensteuer 2018 und des Solidaritätszuschlages vom XX.XX.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom XX.XX.2020 aufzuheben und die Einkommensteuer sowie den Solidaritätszuschlag 2018 neu festzusetzen. Hierbei sind die nach § 32d des Einkommensteuergesetzes zu besteuernden Einkünfte aus Kapitalvermögen auf 16.364 € festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner im Vorverfahren vertretenen Auffassung fest und verweist zur Begründung vollumfänglich auf die entsprechenden Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Neben dem zum 31. Dezember 2017 realisierten Veräußerungsgewinn sei der teilweise freigestellte Verlust aus der tatsächlichen Veräußerung zu erfassen. Die Schlechterstellung ergebe sich allein aus der Teilfreistellung und damit Verringerung des Veräußerungsverlustes nach § 20 InvStG.

Ebenso sei kein Verstoß gegen Art. 3, 14 und 20 Grundgesetz erkennbar. Im Hinblick auf die Typisierung bestünden auch im Schrifttum keine Bedenken. Der Gesetzgeber dürfte gleich geartete Lebenssachverhalte grundsätzlich normativ zusammenfassen und tatsächliche Besonderheiten zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit generalisierend vernachlässigen. Die mit der Teilfreistellung verbundene Typisierung bilde auf Basis wissenschaftlicher Studien die Realität grundsätzlich sachgerecht ab. Das Ausmaß der Ungleichbehandlung im Einzelfall stehe in angemessenem Verhältnis zum Zweck der Vereinfachung und der Reduzierung der Gestaltungsanfälligkeit.

Die Auffassung der Kläger lasse außer Acht, dass es sich bei den hier zu beurteilenden Besteuerungsgrundlagen um zwei voneinander unabhängig zu ermittelnde Besteuerungsgrundlagen nach zwei völlig verschiedenen Besteuerungssystemen handle.

Der zum 31. Dezember 2017 festgeschriebene Veräußerungsgewinn sei entgegen der Ansicht der Kläger realisiert worden. Dieser Veräußerungsgewinn fließe dem Anleger bei tatsächlicher Veräußerung der Alt-Anlage zu. Nicht realisierte Gewinnen würden hier nicht versteuert. Die Schlechterstellung der Kläger ergebe sich allein aus der Teilfreistellung und damit der Verringerung des Veräußerungsverlustes gem. § 20 InvStG. Gegen die Vereinbarkeit des § 20 InvStG mit Verfassungsrecht bestünden keine Bedenken.

Es gelte im Steuerrecht das Grundprinzip, dass positive Einkünfte und Verluste gleichbehandelt würden. Wenn die positiven Einkünfte ganz oder teilweise von der Besteuerung freigestellt würden, bedeute dies umgekehrt, dass Verluste auch ganz oder teilweise steuerlich nicht berücksichtigt würden. Dies gelte auch für die Teilfreistellung von Investmenterträgen. Da die Teilfreistellung erst mit dem Investmentsteuergesetz 2018 eingeführt worden sei, könne sie folglich auch nur bei der Versteuerung des Veräußerungsgewinns nach neuem Recht, also in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2018 und der tatsächlichen Veräußerung, berücksichtigt werden. Ein Veräußerungsgewinn nach altem Recht sei deshalb, wie im Streitfall, ohne Berücksichtigung der Teilfreistellung voll zu versteuern. Wenn anschließend ein Verlust aus der Veräußerung nach neuem Recht entstehe, sei auf diesen Veräußerungsverlust die Teilfreistellung anzuwenden, so dass eine Berücksichtigung des Verlustes nur teilweise möglich sei. Umgekehrt bedeute das jedoch auch, dass ein Veräußerungsverlust nach altem Recht in voller Höhe mit anderen Kapitaleinkünften verrechnet werden könne. Wenn anschließend ein Gewinn aus der Veräußerung nach neuem Recht entstehe, unterliege dieser Veräußerungsgewinn der Teilfreistellung, was insgesamt zu einem geringeren zu versteuernden Gewinn führe. Gerade die Anwendung der Teilfreistellung auch auf Verluste garantiere eine verfassungsmäßige Gleichbehandlung der Anleger.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die Besteuerung gesetzeskonform und rechnerisch zutreffend durchgeführt (2.). Der Senat ist auch nicht von einer Verfassungswidrigkeit überzeugt, so dass keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. § 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz erfolgt (3.).

1. Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 der FGO ohne mündliche Verhandlung. Dies ist auch zweckmäßig, da es sich im vorliegenden Verfahren um eine Rechtsfrage handelt und im Rahmen einer mündlichen Verhandlung kein weiterer Sachverhalt aufzuklären ist.

2. Die Festsetzung der Steuer erfolgte entsprechend den gesetzlichen Regelungen des InvStG und rechnerisch zutreffend. Der Beklagte hat die Höhe der kapitalertragsteuerpflichtigen Kapitalerträge im Rahmen der von den Klägern beantragten Antragsveranlagung (§ 32d Abs. 4 EStG) dem Grunde und der Höhe nach zutreffend der Besteuerung zu Grunde gelegt.

a) Die Veräußerung der Fondanteile erfolgte am 20. November 2018, so dass gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 InvStG das InvStG in seiner Fassung vom 19. Juli 2016 anzuwenden ist.

aa) Die Erträge aus Investmentanteilen sind als Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 3 EStG i.V.m. § 16 InvStG zu versteuern. Zu den Investmenterträgen zählen gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 InvStG auch Gewinne aus der Veräußerung von Investmentanteilen nach § 19 InvStG. Es gilt der gesonderte Steuertarif nach § 32d EStG und die Erträge unterliegen dem Kapitalertragssteuerabzug gem. § 43 Abs. 1 Nr. 5 EStG bzw. § 43 Abs. 1 Nr. 9 EStG.

Für die Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung von Investmentanteilen im Privatvermögen ist § 20 Abs. 4 EStG entsprechend anzuwenden (§ 19 Abs. 1 Satz 1 InvStG). Der Gewinnbegriff umfasst auch Verluste aus einem Rechtsgeschäft (§ 2 Nr. 14 InvStG). Gewinn ist damit der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten; bei nicht in Euro getätigten Geschäften sind die Einnahmen im Zeitpunkt der Veräußerung und die Anschaffungskosten im Zeitpunkt der Anschaffung in Euro umzurechnen.

Zum Ausgleich der Besteuerung der Gewinne eines Fonds bereits auf Fondsebene mit Körperschaftsteuer nach neuem Recht, wird den Anlegern eine teilweise Freistellung der Erträge in Abhängigkeit des überwiegenden Fondsgeschäfts gem. § 20 InvStG gewährt. Die hier zu berücksichtigende Teilfreistellung von 30% ist gem. § 43a Abs. 2 Satz 1 EStG bereits beim Kapitalertragssteuerabzug zu berücksichtigen.

bb) Gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 InvStG gelten Anteile an Investmentfonds, die zum 1. Januar 2018 erstmals in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen (Alt-Anteile), mit Ablauf des 31. Dezember 2017 als veräußert und mit Beginn des 1. Januar 2018 als angeschafft. Als Veräußerungserlös und Anschaffungskosten ist der letzte im Kalenderjahr 2017 festgesetzte Rücknahmepreis anzusetzen. Der Rücknahmepreis zum 31. Dezember 2017 gilt damit als Anschaffungskosten nach dem neuen Recht. Die Bemessungsgrundlage des fiktiven Veräußerungsgewinns ist nach den am 31. Dezember 2017 geltenden Regelungen zu ermitteln. Dabei sind auch § 3 Nummer 40 EStG und § 8b KStG in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung zu berücksichtigen (BT-Drucksache 18/8045, S. 124).

Der nach den am 31. Dezember 2017 geltenden Vorschriften ermittelte Gewinn aus der fiktiven Veräußerung nach Absatz 2 Satz 1 einschließlich außerbilanzieller Hinzurechnungen und Abrechnungen ist zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem der Alt-Anteil tatsächlich veräußert wird (§ 56 Abs. 3 InvStG). Zu diesem Zeitpunkt unterliegt der Gewinn aus der fiktiven Veräußerung dem Steuerabzug nach § 43 Absatz 1 Satz 1 Nummer 9 EStG (§ 56 Abs. 3 Satz 3 InvStG).

b) In Anwendung dieser Grundsätze war zum Zeitpunkt der Veräußerung auf den 20. November 2018 folgender Gewinn nach § 19 InvStG i.V.m. § 20 Abs. 4 EStG zu ermitteln. Auf den so ermittelten Veräußerungsgewinn bzw. -verlust für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2018 und der tatsächlichen Veräußerung ist anschließend die Teilfreistellung gemäß § 20 InvStG zu gewähren.

Verkaufspreis (Kurswert 20. November 2018)39.819,06 €
Anschaffungskosten (Kurswert zum 31. Dezember 2017)- 47.258,40
Provision- 69,90 €
Verlust- 7.508,54 €
verbleiben nach Teilfreistellung (30%)- 5.255,97 €

c) Zusätzlich hatten die Kläger nach § 56 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 InvStG im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung einen Ertrag aus einer fiktiven Veräußerung auf den 31. Dezember 2017 zu versteuern. Der Gewinn aus der fiktiven Veräußerung errechnete sich wie folgt:

Anschaffungskosten39.303,64 €
Kurswert (31. Dezember 2017)47.258,40 €
Gewinn7.954,76 €

Dieser Gewinn wurde materiell-rechtlich zutreffend in voller Höhe, d.h. ohne Teilfreistellung, angesetzt. Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b KStG kam nicht in Betracht, da der Kläger die Investmentanteile im Privatvermögen hielt.

d) Durch volle Berücksichtigung eines fiktiv ermittelten Veräußerungsgewinns (basierend auf einem Rücknahmepreis per 31. Dezember 2017) und eines modifiziert ermittelten Veräußerungsverlustes (mit Teilabzugsverbot; basierend auf einem tatsächlich erhaltenen Rücknahmepreis bei Veräußerung im November 2018) ergab sich in Höhe des Differenzbetrags ein der Abgeltungsteuer unterliegender Überschuss in Höhe von 2.698,79 €, so dass der von der Depotbank vorgenommene und in der Steuerbescheinigung ausgewiesene Kapitalertragsteuerabzug entsprechend der gesetzlichen Regelung und somit zutreffend vorgenommen wurde.

e) Der Senat sieht keine Notwendigkeit für eine anderweitige "verfassungskonforme Auslegung" im Sinne der Kläger. Nach ständiger Rechtsprechung ist es ausgeschlossen, ein Gesetz gegen seinen ausdrücklichen Wortlaut und gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verfassungskonform auszulegen (z.B. BFH, Beschluss vom 15. Februar 2012 I B 7/11, BStBl. II 2012, 751 m.w.N). Der Wortlaut des § 56 InvStG gibt die Berechnungsmethodik für den fiktiven Gewinn eindeutig vor. Auch aus der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass Wertveränderungen des Investmentanteils oder von Ausschüttungen ab dem Jahr 2018 für den fiktiven Veräußerungsgewinn (einschließlich der zum Stichtag ermittelten Aktien- und Abkommensgewinne) unbeachtlich sein sollen (BT-Drucksache 18/8045, S. 124). Investmentanteil ist der Anteil an einem Investmentfonds, unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Anteils oder des Investmentfonds (§ 2 Nr. 4 InvStG). Eine verfassungskonforme Auslegung kam daher rechtsmethodisch nicht in Betracht.

3. Der Senat ist auch nicht der Ansicht, dass der Gesetzgeber den ihm bei einer Umgestaltung komplexer Regelungssysteme zustehenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 29. September 2015 2 BvR 2683/11, BStBl.?II 2016, 310 m.w.N.) in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise verlassen hat (vgl. ebenso FG Köln, Urteil vom 8. September 2022 15 K 2594/20, EFG 2022, 1931). Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kam daher nicht in Betracht.

a) Muss der Gesetzgeber komplexe Regelungssysteme umgestalten, steht ihm grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. z.B. BVerfG, Urteile vom 6. März 2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 und vom 28. April 1999 1 BvL 32-95 u. 1 BvR 2105-95. BVerfGE 100, 1 m.w.N.). Eine erhebliche Ungleichbehandlung, die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom Gesetzgeber angestrebten Regelungsziele auch unter Vermeidung der ungleichen Behandlung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile erreicht werden können, braucht von den Betroffenen jedoch nicht hingenommen zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1). Eine solche Benachteiligung der Kläger in dem vorstehend beschriebenen Sinn kann der Senat im Streitfall jedoch nicht erkennen.

b) Die Neufassung des InvStG 2018 stellt eine Zäsur und umfassende Neukonzeption der Besteuerung der Investmentbesteuerung dar. Für Publikumsfonds wurde insbesondere das System der intransparenten Besteuerung - ergänzt um eine Teilfreistellung - eingeführt. Das InvStG 2004 prägte hingegen das Prinzip der steuerlichen Transparenz bzw. Semi-Transparenz. Erträge, die der Anleger aus den über einen Investmentfonds gehaltenen Vermögensgegenständen erhielt, sollten so versteuert werden, als wenn der Anleger diese Gegenstände selbst halten würde. Der Fonds selbst unterlag nicht der Besteuerung. Ein Nebeneinander der Besteuerungsregime hielt der Gesetzgeber für praktisch nicht administrierbar (BT-Drs. 18/1212, S. 67). Es bedurfte daher einer klaren Stichtagsregelung, die der Gesetzgeber in § 56 InvStG eingeführt hat, die - vereinfacht dargestellt - darauf beruht, dass Anteile aus entsprechenden Investmentfonds als mit Ablauf des 31. Dezember 2017 als veräußert und mit Beginn des 1. Januar 2018 als angeschafft gelten (§ 56 Abs. 2 S. 1 InvStG). Für den der alten Rechtslage unterfallenden (fiktiven) Veräußerungsvorgang gilt dabei keine wie im neuen Recht vorgesehene Teilfreistellung gemäß § 20 InvStG, so dass jener Gewinn oder Verlust (bei einer Anschaffung nach dem 31. Dezember 2008; Abgrenzung zur Rechtslage vor Einführung der Abgeltungsteuer) in voller Höhe bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen anzusetzen ist. Gleichwohl gelten für die Steuerfreistellungen des § 3 Nr. 40 EStG und § 8b KStG. Bei der Besteuerung des nach "neuem" Recht ermittelten Gewinns oder Verlustes gelten dagegen pauschalierte Prozentsätze für eine Teilfreistellung (bei Veräußerungsgewinnen) bzw. ein Teilabzugsverbot (bei Veräußerungsverlusten).

aa) Diese Übergangsregelung kann sich zu Lasten als auch zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Kursverlauf (hoher fiktiver Veräußerungsgewinn per 31. Dezember 2017; wegen Kursverfall in 2018 oder später sodann tatsächlich niedrigerer Veräußerungsgewinn oder Veräußerungsverlust) kann dies dazu führen, dass ein Veräußerungsgewinn bei wirtschaftlicher Betrachtung überproportional mit Einkommensteuer belastet oder gar ein Veräußerungsverlust wie ein Gewinn besteuert wird (s. hierzu auch Rechenbeispiel in der Fachinformation des LfSt Bayern vom 2. Juni 2022 - S 1908.1.1-116, BeckVerw 571779 sowie FG Köln, Urteil vom 8. September 2022 15 K 2594/20, EFG 2022, 1931). Umgekehrt kann es auch zu einer Nichtversteuerung oder im Vergleich zum Regelsteuersatz geringeren Versteuerung eines tatsächlich erzielten Gewinns kommen.

bb) Das für die Reformierung des InvStG gewählte Typisierungsmodell kann zwar zu Abweichungen (zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen) gegenüber einer anderweitigen Gewinn- oder Verlustermittlung (bspw. durch Ermittlung eines einheitlichen Veräußerungsgewinns oder -verlustes, welcher dann zeitanteilig nach verschiedenen Rechtslagen besteuert wird, einer vollständigen Versteuerung nach neuem Recht o.ä.) führen. Dies ist nach Ansicht des Senats aber insbesondere durch die gesetzgeberisch verfolgten Besteuerungs- und Vereinfachungszwecke und die klare zeitliche Abgrenzung gerechtfertigt. Die Übergangsregelung soll die unterschiedlich anwendbaren Besteuerungssysteme für die entstandenen Erträge voneinander abgrenzen und insbesondere auf Anlegerebene einen einheitlichen Übergang auf das neue Recht gewährleisten (BT-Drucksache 18/8045, S. 124).

cc) Insofern unterscheidet sich die Regelung auch vom Regelungssystem der Wegzugsbesteuerung, das die Kläger angeführt haben. Dort erfolgt die Abgrenzung nicht in zeitlicher Hinsicht zwischen zwei Besteuerungsregimen, sondern hinsichtlich der Besteuerungsrechte der involvierten Staaten. Gleichzeitig kommt eine Wegzugsbesteuerung nur in Betracht, wenn der gemeine Wert der Anteile zu dem für die Besteuerung maßgebenden Zeitpunkt (Wegzug) die Anschaffungskosten übersteigt. Die gesetzgeberischen Ziele zwischen den Übergangsregelungen des InvStG und der Wegzugbesteuerung unterscheiden sich somit.

dd) Vielmehr ist die gesetzliche Stichtagsregelung in § 56 InvStG mit dem im Rahmen der Einführung der Abgeltungssteuer eingeführten Werbungskostenabzugsbeschränkung ab dem 1. Januar 2009 vergleichbar (§ 20 Abs. 9 EStG i.V.m. § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG a.F.), in deren Zusammenhang der Gesetzgeber auch den Übergang zwischen zwei Besteuerungsregimen regeln musste. Der Bundesfinanzhof hat keine Zweifel an dem seit Einführung der Abgeltungsteuer geltenden Abzugsverbot für Werbungskosten (BFH, Urteile vom 1. Juli 2014 VIII R 53/12 BStBl II 2014, 975; vom 21. Oktober 2014 VIII R 48/12, BStBl II 15, 270) und sieht insbesondere auch keinen Anlass in bestimmten Sondersituationen (z.B. Finanzierungskosten, die nach dem 31. Dezember 2008 abfließen, aber im Zusammenhang mit Kapitaleinnahmen im Zusammenhang stehen, die vor dem 1. Januar 2009 zugeflossen sind) das umfassende gesetzlichen Abzugsverbots einzuschränken (vgl. BFH, Urteil vom 28. Februar 2018 VIII R 41/175, BStBl. II 2018, 478). Vor dem Hintergrund sieht der Senat eine weitere Bestätigung, dass dem Gesetzgeber insbesondere beim Übergang von Besteuerungsregimen ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, den er durch die streitgegenständlichen Regelungen eingehalten hat.

ee) Es liegt nach Auffassung des Senats in den Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit, die während der alten Rechtslage entstandenen Wertveränderungen nach dem damaligen Besteuerungsregime zu berechnen (ohne Teilfreistellungen/Teilabzugsverbote). Die Veräußerungsfiktion zum 31. Dezember 2017 und die Anschaffungsfiktion zum 1. Januar 2018 sind hierzu ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel, insbesondere, weil die hieraus resultierende Steuer erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung berücksichtigt wird (§ 56 Abs. 3 Satz 1 InvStG). Damit wird auch dem Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit ausreichend Rechnung getragen. Zum 31. Dezember 2017 ist der Kläger aufgrund des zu diesem Zeitpunkt bestehenden Kurswertes in Höhe des fiktiven Veräußerungsgewinns leistungsfähig gewesen. Da der Gewinn aus der fiktiven Veräußerung erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Veräußerung des Fondsanteils dem Kapitalertragssteuerabzug unterliegt, erhält der Steuerpflichtige wirtschaftlich eine Stundung der Kapitalertragsteuer, die ebenfalls dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Rechnung trägt.

ff) Anders als in anderen in der verfassungsrechtlichen Judikatur entschiedenen Fällen (vgl. etwa BVerfG-Beschluss vom 17. November 2009, 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1 zum Übergang vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren) drängt sich für den Senat kein auch anderweitiges Regelungssystem auf, welches gleichsam praktikabel gewesen wäre. Da das InvStG 2004 und das InvStG in wesentlichen Teilen auf zwei unterschiedlichen Besteuerungssystemen fußen, kann die Teilfreistellung nach § 20 InvStG insbesondere nicht ohne weiteres auf den nach dem InvStG 2004 ermittelten fiktiven Veräußerungsgewinn angewendet werden. Zudem wäre es ebenfalls systemwidrig, die Teilfreistellung nicht auf den tatsächlichen Veräußerungsgewinn anzuwenden, da hierdurch ja gerade die Vorbelastung mit Körperschaftsteuer und die fehlende Anrechenbarkeit ausländischer Steuern kompensiert werden soll (vgl. Widera, DStR, 2023, S. 494). Derartige Verkomplizierungen wären mit dem durch die Stichtagsregelung beabsichtigen einheitlichen Übergang auf das neue Recht auch nicht zu vereinbaren. Danach war die Klage abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Kläger haben als unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen, da die in § 56 Abs. 2, 3 InvStG normierte Übergangsregelung aufgrund der aufschiebend bedingten Besteuerung auch in Zukunft Auswirkungen für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen haben wird. Zur streitgegenständlichen Thematik liegt bislang keine Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor, zudem ist ein Revisionsverfahren (VIII R 15/22) anhängig.