Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.05.2023, Az.: 10 K 41/22

Anspruch auf Kindergeld für den Sohn neben einer Vollzeiterwerbstätigkeit unter dem Aspekt der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
25.05.2023
Aktenzeichen
10 K 41/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 54670
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2023:0525.10K41.22.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: III R 13/24

Amtlicher Leitsatz

Die Vollzeiterwerbstätigkeit in der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten einer einheitlichen erstmaligen Ausbildung ist für den Kindergeldanspruch unschädlich, wenn die Berufstätigkeit lediglich der Überbrückung dient und nicht Voraussetzung für die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts ist (Rev. III R 13/24).

Tatbestand

Streitig ist, ob für den Sohn des Klägers neben einer Vollzeiterwerbstätigkeit ein Anspruch auf Kindergeld unter dem Aspekt der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 Nr. 2 c) EStG) besteht oder ob dem Anspruch ein dreimonatiger Lehrgang des Sohnes als Rettungssanitäter als abgeschlossene Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entgegensteht.

Der am 9. Oktober 1998 geborene Sohn des Klägers (N), durchlief nach der Beendigung der Schulzeit in 2016 zunächst verschiedene Praktika und absolvierte von Dezember 2016 bis Mai 2018 einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) als Rettungssanitäter. Im Rahmen des BFD nahm N zunächst an einem rd. einwöchigen Lehrgang zum Sanitätshelfer teil und absolvierte zwischen Oktober 2017 und Juli 2018 einen insgesamt rd. dreimonatigen Lehrgang zum Rettungssanitäter.

Seit September 2018 war N im Krankentransport zunächst für ein Universitätsklinikum und anschließend bei einem Rettungsdienst berufstätig in Vollzeit.

N bewarb sich seit März 2018 durchgehend für die Ausbildung als Notfallsanitäter. Zum 1. September 2022 nahm er die Ausbildung zum Notfallsanitäter auf.

Der Kläger erhielt für N im Hinblick auf die laufenden Bewerbungen für die Ausbildung zum Notfallsanitäter durch das seinerzeit zuständige NLBV weiterhin Kindergeld. Die Beklagte gewährte ebenfalls im Hinblick auf die Bewerbungsbemühungen zunächst weiterhin Kindergeld.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2021 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes ab November 2021 auf. Einen erneuten Antrag des Klägers vom 9. Oktober 2021 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. November 2021 ab. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass der Kläger zwar ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht habe, dass N sein Berufsziel "Notfallsanitäter" noch nicht erreicht habe und sich ausreichend um die Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht habe. Es liege eine mehraktige Berufsausbildung vor. Der enge zeitliche Zusammenhang bleibe durch die ausreichend nachgewiesenen Bewerbungsbemühungen bestehen.

Schädlich sei jedoch die neben den Bewerbungsbemühungen aufgenommene Vollzeiterwerbstätigkeit, in der N im erlernten Beruf Vollzeit beschäftigt gewesen sei. Damit stehe die Berufstätigkeit im Vordergrund, die Übergangszeit könne nicht mehr als Ausbildungszeit im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung berücksichtigt werden.

Gegen den Ablehnungsbescheid wendet sich der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der vorliegenden Klage.

Er vertritt die Auffassung, der Kindergeldanspruch ergebe sich auch im Streitzeitraum aus § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG, weil N sich zwar nicht in Ausbildung befunden habe, aber nach wie vor intensiv auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz für die Ausbildung zum Notfallsanitäter gewesen sei.

Dem Bemühen um einen Ausbildungsplatz stehe die Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht entgegen. Die Berufstätigkeit im Krankentransport als Rettungssanitäter sei unschädlich, weil N zuvor noch keine Berufsausbildung abgeschlossen habe. Die dreimonatige Ausbildung zum Rettungssanitäter sei keine Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes. Für die Definition des Begriffs der Berufsausbildung könne auf § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG abgestellt werden, wonach eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten erforderlich sei.

N habe sich nach wie vor hartnäckig um einen Ausbildungsplatz bemüht. Die Berufstätigkeit im Krankentransport beeinträchtige die Bewerbungsbemühungen nicht. Vielmehr erhöhten sich dadurch die Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Zwischen den Ausbildungsabschnitten bestehe ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang, den die Beklagte auch nicht in Abrede stelle.

Zwar habe der BFH in seinem "Sanitäter-Urteil" vom 27. Oktober 2011 (VI R 52/10, BStBl II 2012, 825) für das Jahr 2005 entschieden, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter als erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 12 Nr. 5 EStG anzusehen sei und der Begriff der erstmaligen Berufsausbildung keine bestimmte Ausbildungsdauer erfordere. Diese Entscheidung habe, wie das spätere Flugbegleiterin-Urteil vom 28. Februar 2013 (VI R 6/12) den Abzug von Werbungskosten betroffen. Die zugrundeliegende Rechtslage sei durch die Änderung des § 9 Abs. 6 EStG mit Wirkung ab 1. Januar 2015 dahingehend geändert worden, dass eine Berufsausbildung als Erstausbildung nur vorliegt, wenn eine geordnete Ausbildung mit einer Mindestdauer von 12 Monaten bei vollzeitiger Ausbildung mit einer Abschlussprüfung durchgeführt wird.

Zudem habe der BFH einen Gleichklang zwischen Kindergeldrecht und Werbungskostenrecht durchbrochen. Die Begriffe Erstausbildung und erstmalige Berufsausbildung seien verschieden auszulegen. Eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei bei einer mehraktigen Ausbildung nach der Rechtsprechung des BFH erst abgeschlossen, wenn das Kind sein endgültiges Berufsziel erreicht habe und die verschiedenen Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stünden.

Vorliegend habe N sein angestrebtes Berufsziel noch nicht erreicht, die Ausbildung zum Rettungssanitäter sei nur ein erster Teilakt zum endgültig angestrebten Berufsziel.

Das FG Münster habe mit rechtskräftigem Urteil vom 17. Oktober 2022 (7 K 591/22 Kg) bestätigt, dass die Ausbildung eines Rettungssanitäters zum Notfallsanitäter als einheitliche Ausbildung anzusehen sei, wenn sich das Kind bereits während der Ausbildung zum Rettungssanitäter und im unmittelbaren Anschluss daran um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat. Die vorübergehende Vollzeittätigkeit als Rettungssanitäter diene dann lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. November 2021 und der Einspruchsentscheidung vom 6. Januar 2022 zu verpflichten, dem Kläger für die Monate November 2021 bis Januar 2022 Kindergeld für das N zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung weist sie darauf hin, dass der Kläger die Rechtsprechung zur mehraktigen Ausbildung verkenne. Seit dem BFH-Urteil vom 11. Dezember 2018 (III R 26/18, BStBl II 2019, 765) sei nach einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss für die Frage, ob eine Tätigkeit zu einer mehraktigen Erstausbildung gehöre, auch zu prüfen, ob währenddessen der Ausbildungs- oder Erwerbscharakter im Vordergrund stehe.

Die Wartezeit/Übergangszeit sei zwar grundsätzlich in die Wertung des weiteren Ausbildungsschritts einbezogen. Dies gelte jedoch nicht, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung der Übergangs- bzw. Wartezeit rechtfertigen.

Solche besonderen Umstände lägen vor, wenn das Kind während der Übergangszeit vollzeitig in dem durch den ersten Abschluss eröffneten Beruf berufstätig sei und dies im Rahmen der anschließenden Ausbildungsmaßnahme nicht der Fall wäre. Davon sei vorliegend auszugehen, da die anschließende Ausbildung eine wöchentliche Ausbildungszeit von 48 Stunden betrage und dementsprechend eine volle Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung nicht zu erwarten sei.

Bei dem angeführten Urteil des FG Münster handele sich um eine Einzelfallentscheidung, die von der Beklagten mangels Veröffentlichung im Bundessteuerblatt nicht über den Einzelfall hinaus angewendet werden könne.

Entscheidungsgründe

I. Der Senat kann im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. Die Klage ist begründet. Der Ablehnungsbescheid vom 18. November 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Januar 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ihm steht ein Kindergeldanspruch für N für die Monate November 2021 bis Januar 2022 zu.

1. N ist nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG als Kind ohne Ausbildungsplatz zu berücksichtigen.

a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG ist ein Kind zu berücksichtigen, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Das Kind muss sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemühen und diese Bemühungen nachweisen. Grundsätzlich ist jeder Ausbildungswunsch des Kindes zu berücksichtigen; seine Verwirklichung darf jedoch nicht an den persönlichen Verhältnissen des Kindes scheitern (BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 71/99, BFH/NV 2004, 473).

b) N erfüllt diese Voraussetzungen. Er hat sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz als Notfallsanitäter bemüht. Der Kläger hat die Bewerbungsbemühungen durch die Vorlage zahlreicher Bewerbungsschreiben nebst Reaktionen der Ausbildungsbetriebe nachgewiesen. Ausreichende Bewerbungsbemühungen sind zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Verwirklichung der angestrebten Ausbildung scheitert nicht an den persönlichen Verhältnissen des Sohnes. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er die objektiven Anforderungen an die Ausbildung zum Notfallsanitäter nicht erfüllt. Die tatsächliche Aufnahme der Ausbildung im September 2022 indiziert die generelle Eignung des N für die Ausbildung zum Notfallsanitäter.

2. Der Kindergeldanspruch ist nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG ausgeschlossen.

a) Nach diesen Regelungen wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind unschädlich.

Bis zum Abschluss einer Erstausbildung steht eine Vollzeiterwerbstätigkeit der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG generell nicht entgegen (vgl. Loschelder in Schmidt EStG, 42. Auflage, § 32 Rz. 36, 60 m.w.N.).

b) N ging im Streitzeitraum einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach. Er hatte jedoch noch keine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG abgeschlossen.

aa) Zwar sah der BFH im Anwendungsbereich des § 12 Nr. 5 EStG a.F. sowohl die Ausbildung zum Rettungssanitäter, als auch die Ausbildung zum Rettungshelfer als eine erstmalige Berufsausbildung i.S.d. § 12 Nr. 5 EStG a.F. an (BFH-Urteile vom 27. Oktober 2011 VI R 52/10, BStBl II 2012, 825 und vom 12. Januar 2023, VI R 41/20, n.v., juris).

§ 9 Abs. 6 Satz 2 EStG in der ab Veranlagungszeitraum 2015 geltenden Fassung fordert allerdings nunmehr eine Mindestdauer der Erstausbildung von zwölf Monaten, so dass die Ausbildungen keine erstmalige Ausbildung i.S.d. § § 9 Abs. 6 Satz 2 EStG darstellen. Ob diese Definition der Berufsausbildung als Erstausbildung auch auf den Begriff der erstmaligen Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzuwenden ist (so FG Nürnberg, Urteil vom 9. Januar 2023, 3 K 782/22, juris, NZB eingelegt), ist für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.

bb) Die Rechtsprechung des BFH zu § 32 Abs. 4 Sätze 2, 3 EStG geht für die Definition der erstmaligen Berufsausbildung von eigenen Grundsätzen aus. Danach ist das endgültige Berufsziel des Kindes zu berücksichtigen mit der Folge, dass nicht jeder für sich genommen als Berufsausbildung in Betracht kommende Abschluss bereits das Ende der Erstausbildung markiert.

(1) Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinanderstehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil vom 19. Februar 2020, III R 28/19, BStBl II 2020, 562).

Am erforderlichen zeitlichen Zusammenhang fehlt es, wenn das Kind nach Erlangung eines ersten - objektiv berufsqualifizierenden - Abschlusses den weiteren Ausbildungsabschnitt nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit aufnimmt, obwohl es diesen früher hätte beginnen können (BFH-Urteil vom 11. April 2018 III R 18/17, BStBl II 2018, 548). Auch führt die vor dem Beginn des zweiten Ausbildungsabschnitts erforderliche Berufstätigkeit zu einem Einschnitt, der den notwendigen engen Zusammenhang entfallen lässt. Das Gleiche gilt, wenn ein Kind eine weitere Ausbildung erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginnt, die nicht der zeitlichen Überbrückung dient, weil es mit der weiterführenden Ausbildung früher hätte beginnen können. Wird somit eine Berufstätigkeit zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten aufgenommen, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient, können die einzelnen Ausbildungsabschnitte regelmäßig nicht mehr integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung sein (BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615).

(2) Der BFH hat diese Rechtsprechungsgrundsätze für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist, fortentwickelt. Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2018 III R 26/18, BStBl II 2019, 765). Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden (BFH-Urteil vom 17. Januar 2019 III R 8/18, BFH/NV 2019, 815).

(3) In Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG gilt das Ergebnis der vorgenannten Gesamtabwägung auch für die vor Beginn des weitergehenden Ausbildungsabschnitts liegende Übergangs- oder Wartezeit, sofern nicht besondere Umstände ersichtlich werden, die eine abweichende Beurteilung der Übergangszeit und des zweiten Ausbildungsabschnitts rechtfertigen (BFH-Urteile vom 21. März 2019 III R 12/18, BFH/NV 2019, 1082 und vom 21. März 2019 III R 56/18, BFH/NV 2019, 918).

cc) Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist der Kindergeldanspruch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG ausgeschlossen.

(1) Die Ausbildungen zum Sanitätshelfer, zum Rettungssanitäter und die von N inzwischen begonnene Ausbildung zum Notfallsanitäter stellen, sofern sie für sich genommen überhaupt als eigenständige Berufsausbildung anzusehen sind (dagegen FG Nürnberg, Urteil vom 9. Januar 2023, 3 K 782/22, a.a.O.), jedenfalls eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung dar.

Ein enger sachlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass sämtliche Ausbildungen im Bereich der notfallmedizinischen Versorgung und des Transports von Patienten angesiedelt sind.

Ein enger zeitlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass N die Ausbildungen zum Sanitätshelfer und zum Rettungssanitäter in engem zeitlichen Zusammenhang im Rahmen seines BFD absolviert hat und sich im unmittelbaren Anschluss daran ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat. Auch führt die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter zu keiner Zäsur, da die Ausbildung zum Notfallsanitäter keine derartige berufspraktische Tätigkeit voraussetzt und N die Erwerbstätigkeit aufgegeben hat, nachdem er eine Ausbildungsstelle zum Notfallsanitäter gefunden hatte.

Damit diente die Erwerbstätigkeit lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt. Hiervon geht auch die Beklagte aus.

(2) Darauf, dass die Erwerbstätigkeit während dieser Übergangsphase den Schwerpunkt darstellte, kommt es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht an. Die Schwerpunktprüfung findet indes nur statt, wenn die Erwerbstätigkeit neben dem weitergehenden Ausbildungsabschnitt ausgeübt wird. Für die vorangehende Wartezeit i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG ist die Schwerpunktprüfung lediglich insoweit relevant, als ein Kindergeldanspruch nur dann besteht, wenn die angestrebte Ausbildungsmaßnahme zukünftig neben der Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehen wird (vgl. FG Münster, Urteil vom 17. Oktober 2022, 7 K 591/22 Kg, juris,). Dies ist vorliegend, wie auch von der Beklagten selbst dargelegt, der Fall. Nach dem Ausbildungsvertrag beträgt die durchschnittliche wöchentliche Ausbildungszeit 48 Stunden.

Der Einschätzung des Beklagten, bei der Vollzeiterwerbstätigkeit handele es sich um besondere Umstände, die eine abweichende Beurteilung der Übergangszeit rechtfertigen, folgt der Senat nicht. Sie widerspricht den zuvor dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen des BFH, nach denen es auf die Vollzeiterwerbstätigkeit erst nach Abschluss der ggf. mehraktigen Erstausbildung ankommt.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.