Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 12.09.2014, Az.: 6 B 11677/14
Losverfahren für die Aufnahme in die Gesamtschule
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 12.09.2014
- Aktenzeichen
- 6 B 11677/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 38224
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2014:0912.6B11677.14.0A
Rechtsgrundlagen
- SchulG § 54
- § 59a Abs 1 S 3 SchulG ND
- § 59 Abs 1 S 1 SchulG ND
Fundstelle
- SchuR 2016, 169-170
Amtlicher Leitsatz
Kein Anspruch auf Berücksichtigung von Auswahlkriterien im Losverfahren, die in § 59 a Abs. 1 Satz 3 NSchG nicht vorgesehen sind (hier: krankheits- oder behinderungsbedingte Beeinträchtigungen).
Gründe
Der Antragsteller beansprucht einstweiligen Rechtsschutz zur vorläufigen Aufnahme in den 5. Jahrgang der Antragsgegnerin, einer in diesem Jahrgang achtzügig geführten Integrierten Gesamtschule.
Sein Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung bis zur Bestands- oder Rechtskraft einer Entscheidung im Widerspruchs- oder Klageverfahren zu verpflichten, ihn vorläufig in den fünften Schuljahrgang der Integrierten Gesamtschule C. einzuschulen,
ist nicht begründet.
Im Verfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis treffen, wenn und soweit diese Regelung insbesondere zur Abwendung wesentlicher und durch eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr auszugleichende Nachteile für die Antragsteller nötig erscheint. Mit dem Antrag sind das vorläufig zu sichernde materielle Recht der Antragsteller (der Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung (der Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Danach ist der Antrag abzulehnen, denn der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm das öffentliche Schulrecht einen materiell-rechtlichen Anspruch auf vorläufige Aufnahme in den 5. Jahrgang der von seinen Eltern zur Fortsetzung des Bildungsweges im Schuljahr 2014/2015 ausgewählten Integrierten Gesamtschule vermittelt.
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 20.1.2009 - 6 A 443/08 - m.w.N., Langtext) vermittelt das in Art. 4 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung (NV) gewährleistete und in § 54 Abs. 1 und 7 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) hervorgehobenen Recht auf Bildung grundsätzlich keinen Anspruch auf Besuch einer bestimmten öffentlichen Schule. Entsprechendes gilt für das Erziehungsgrundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), welches grundsätzlich nur die freie Wahl zwischen den verschiedenen vom Staat in der Schule zur Verfügung gestellten Bildungswegen (BVerfG, Urteil vom 06.12.1972 - 1 BvR 230/70 u.a. - BVerfGE 34, 165 [BVerfG 06.12.1972 - 1 BvR 95/71]) umfasst (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG). Insoweit findet jede Forderung, als Schülerin oder Schüler in eine bestimmte öffentliche Schule aufgenommen zu werden, naturgemäß ihre Grenze in der tatsächlichen Ausbildungskapazität der gewählten Schule.
Für Gesamtschulen hat der Gesetzgeber dies in § 59 a Abs. 1 Satz 1 NSchG ausdrücklich normiert und eine Aufnahmebeschränkung für den Fall eingeführt, dass die tatsächliche Aufnahmekapazität der Schule nach Maßgabe des § 59 a Abs. 5 NSchG überschritten wird. Die gesetzliche Aufnahmebeschränkung macht die Vergabe freier Schülerplätze ausschließlich vom Ausgang des in § 59 a Abs. 1 Satz 2 und 3 NSchG vorgesehenen Losverfahren abhängig und ist daher maßgebend von dem Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG geprägt. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin sein daraus resultierendes Recht auf eine nach Maßgabe des § 59 a NSchG rechtmäßige Vergabeentscheidung verletzt hätte. Da der Antragsteller ausdrücklich begehrt, dass die gerichtliche Entscheidung im Hinblick auf die heute anstehende Einschulung ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin ergehen soll, ließe sich der diesbezügliche Sachverhalt mit den Einzelheiten des von der Schule durchgeführten Auswahl- und Nachrückverfahrens ohnehin nicht mehr von Amts wegen aufklären. Nicht mehr aufklären lässt sich in der Kürze der Zeit auch, ob innerhalb der vorhandenen Aufnahmekapazität nach Abschluss des Los- und Nachrückverfahrens inzwischen wieder mindestens ein Schülerplatz im 5. Schuljahrgang, der an den Antragsteller vergeben werden könnte, frei geworden ist.
Angesichts der von dem Antragsteller geltend gemachten Eilbedürftigkeit lässt sich nur abwägen, ob angesichts der von ihm selbst geltend gemachten Gründe ein auf die vorläufige Aufnahme in die Gesamtschule gerichteter Anordnungsanspruch bestehen kann. Dies ist nicht der Fall. Das in § 59 a Abs. 1 Satz 2 und 3 NSchG als alleiniges Aufnahmekriterium normierte Ergebnis des Losverfahrens bindet auch den Antragsteller in seinen Rechten. Dies folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem von der Schule zu beachtenden Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), welches verlangt, dass die Grundsätze der Durchführung des Losverfahrens generelle Geltung haben, also für jede Bewerberin und jeden Bewerber um die Aufnahme gleichermaßen gelten und eingehalten werden. Danach muss jede angemeldete Schülerin und jeder angemeldete Schüler dieselbe Aufnahmechance haben. Eine getrennte Auslosung nach bestimmten Auswahlkriterien, die in § 59 a Abs. 1 Satz 3 NSchG nicht vorgesehen sind (wie z. B. Geschlecht, Religion, Wohnort, Staatsangehörigkeit, musische Interessen usw.), findet nicht statt. Das gilt auch für krankheits- oder behinderungsbedingte Beeinträchtigungen einer Schülerin oder eines Schülers. Sie gewinnen bei der Entscheidung über die Aufnahme in den 5. Schuljahrgang einer an ihre Kapazitätsgrenze stoßenden Gesamtschule keine Bedeutung. Das Niedersächsisches Schulgesetz sieht deshalb in § 59a Abs. 1 auch keine allgemeine Härteregelung vor, wie sie sich etwa in § 59a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 NSchG in Bezug auf die berufsbildenden Schulen findet. Behinderungs- und krankheitsbedingten Einschränkungen der Zumutbarkeit des täglichen Schulwegs trägt der Gesetzgeber vielmehr in den Regelungen über die Schülerbeförderung in § 114 NSchG Rechnung. Demzufolge bestimmt § 1 Abs. 3 der Satzung über die Schülerbeförderung in F. (Schülerbeförderungssatzung), dass ohne Berücksichtigung der Mindestentfernung von mehr als zwei Kilometern in jedem Fall ein Anspruch auf Schülerbeförderung oder Kostenerstattung für den Schulweg besteht, soweit die Schülerin oder der Schüler nach Maßgabe einer amtsärztlichen Bescheinigung aufgrund einer dauernden oder vorübergehenden Behinderung befördert werden muss.
Unabhängig davon weist das Gericht auf folgendes hin:
Sind im Verfahren nach § 59a Abs. 1 NSchG alle verfügbaren Schülerplätze vergeben, können Schülerinnen und Schüler etwaige Ansprüche auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über ihre Aufnahme in die Gesamtschule nur noch mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der auf das vorläufige Freihalten eines wieder frei werdenden Schülerplatzes (Sperrung des Nachrückens) gerichtet ist, verfolgen. Einen hierauf gerichteten Antrag hat der Antragsteller, dessen erkennbares Interesse es nur ist, unmittelbar mit Unterrichtsbeginn in die Gesamtschule aufgenommen zu werden, aber nicht gestellt. Dass im gegenwärtigen Stadium des Aufnahmeverfahrens nur noch die Sicherung eines Nachrückerplatzes in Betracht käme, ergibt sich aus folgenden Gründen:
Wären der Antragsgegnerin tatsächlich im Auswahlverfahren Rechtsfehler unterlaufen und wären alle zu besetzenden Schülerplätze weiterhin vergeben, könnten etwaige Rechtsfehler jetzt nicht mehr das Recht des Antragstellers auf eine fehlerfreie Vergabeentscheidung verletzen. Wie bereits ausgeführt findet der Anspruch von Schülerinnen und Schülern auf Zugang zu dem öffentlichen Schulwesen in Niedersachsen seine Grenze in der Kapazität der jeweiligen Schule (Nds. OVG, Beschluss vom 8.10.2003 - 13 ME 342/03 -, Langtext).
Daraus folgt, dass etwaige Rechtsfehler im Auswahlverfahren die als Ergebnis des Losverfahrens nach § 59 a Abs. 1 Satz 2 NSchG unberücksichtigt gebliebenen Schülerinnen und Schüler nicht mehr in ihren Teilhaberechten verletzen können, sobald die aufnahmebeschränkte Schule alle verfügbaren Schülerplätze vergeben und damit ihre Aufnahmekapazität ausgeschöpft hat. In diesem Fall stünde die Tatbestandswirkung der Bescheide der Schule, mit denen den ausgelosten oder vorrangig aufgenommenen Schülerinnen und Schülern die Vergabe eines Schülerplatzes bekannt gegeben wird, einer Fortsetzung oder Wiederholung des Losverfahrens entgegen. Mit ihrer Aufnahme genießen diese Schülerinnen und Schüler eine Rechtsposition, in der sie auf den Fortbestand des Schulverhältnisses vertrauen können (Nds. OVG, Beschluss vom 18.12.2008 - 2 ME 569/08 -, NVwZ-RR 2009 S. 372 ff. = NdsVBl. 2009 S. 113 ff.), denn das NSchG sieht eine Schulentlassung oder den erzwungenen Wechsel von einer öffentlichen Schule auf eine andere nur vor, wenn in der Person der Schülerin oder des Schülers liegende Gründe eine entsprechende Regelung des Bildungsweges erforderlich machen (vgl. §§ 59 Abs. 4 Sätze 3 bis 6, 61 Abs. 3 Nr. 2, 61 a, 64 Abs. 2, 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG). Im Übrigen ist das durch die Aufnahme Schulpflichtiger in eine öffentliche Schule begründete Schulverhältnis auf Dauer angelegt, und Fehler des Losverfahrens, die allein von der aufnahmebeschränkten Gesamtschule zu vertreten sind, lassen sich nicht den bereits aufgenommenen Schülerinnen und Schülern oder deren Erziehungsberechtigten anlasten (Urteil der Kammer vom 20.1.2009, a.a.O.).