Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 29.09.2014, Az.: 10 B 10961/14

Aufenthaltsverbot; Gefahrenprognose; Verbotszone

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.09.2014
Aktenzeichen
10 B 10961/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 42559
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die strafprozessuale Unschuldsvermutung steht polizeilichen Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht entgegen.
2. Das Grundrecht auf Freizügigkeit wird durch ein Aufenthaltsverbot für bestimmte Innenstadtbereiche und bestimmte Tage und Tagesstunden nicht berührt.
3. Zur Verhältnismäßigkeit eines Aufenthaltsverbots.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen ein polizeiliches Aufenthaltsverbot für den Bereich der sog. Verbotszonen „Innenstadt (1)“ und „Oststadt (1)“ im Stadtgebiet der Landeshauptstadt Hannover.

Am 16. März 2014 wurde der Antragsteller in der F. von Polizeibeamten aufgegriffen und vorläufig festgenommen. Zuvor war der Leitstelle über Notruf mitgeteilt worden, dass es vor der Diskothek G. in der H. in Hannover zu einer Bedrohung mit einem Messer gekommen sei. Nach den Feststellungen der eingesetzten Beamten kam ihnen der Antragsteller mit zwei Begleitern entgegengerannt und wurde dabei von drei Türstehern des I. verfolgt. Diese hatten Reizstoffsprühgeräte, einen Baseballschläger und einen Totschläger dabei. Die Gegenstände wurden sichergestellt; wegen des Totschlägers wurde gegen dessen Besitzer ein Ermittlungsverfahren wegen Straftaten nach dem Waffengesetz eingeleitet.

Eine Beamtin der Bundespolizei berichtete den Beamten, dass sie in der Gruppe des Antragstellers einen Beteiligten einen Gegenstand habe wegwerfen sehen und ein metallisches Geräusch gehört habe. An dem von ihr gezeigten Ort fanden die Beamten ein Springmesser mit Blutanhaftungen an der Klinge. Bei dem Antragsteller wurde eine Verletzung an der Hand festgestellt.

Bei ihrer anschließenden Vernehmung gaben die Türsteher des G. an, der Antragsteller und seine Begleiter hätten den G. ohne Kontrolle betreten wollen. Der Zeuge J. gab an, er habe den größeren Beteiligten mit dem Arm aufgehalten und seinen Kollegen gefragt, ob er die Beteiligten kenne. Das habe der Kollege verneint und gesagt, er solle die Gruppe nicht einlassen. Er habe dann ein Klacken gehört und gesehen, dass der „Kleine“ – gemeint ist der Antragsteller – sofort auf Bauchhöhe in Richtung des Zeugen K. gestochen habe. Dieser habe einen Schritt zurück gemacht, ohne den er getroffen worden wäre, und sich mit Pfefferspray zur Wehr gesetzt. Er selbst sei in den Club gerannt und habe einen Baseballschläger geholt. Die drei Angreifer seien dann zu einem Auto gerannt und hätten versucht, die Türen zu öffnen. Der Antragsteller sei noch über einen Blumenkübel gestürzt. Er und seine Kollegen hätten die Polizei gerufen und die Verfolgung aufgenommen. Sie hätten Angst gehabt, dass die Angreifer bewaffnet wieder zurückkommen könnten und hätten die Gruppe mit Abstand verfolgt, um sie nicht aus den Augen zu lassen.

Am 3. Mai 2014 wurde eine Zivilstreife der Antragsgegnerin zu einem Vorfall vor einem Jugendzentrum in der L. gerufen. Dort gab der Zeuge M., der Bruder des Zeugen K., zu Protokoll, er sei am Rande einer Boxveranstaltung angesprochen und von fünf Personen umringt worden. Er sei gefragt worden, ob er „das gewesen sei am N.“ und habe unmittelbar darauf einen Faustschlag ins Gesicht bekommen. Einer der Beteiligten sei mit einem weißen Mercedes mit dem Kennzeichen O. davon gefahren. Als Halter des Fahrzeugs hat die Polizei den Antragsteller ermittelt.

Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat der Zeuge M. auf einem Lichtbild den Antragsteller als den Mann identifiziert, der mit dem weißen Mercedes weggefahren ist. Der Mann, der ihn geschlagen habe, sei auf dem Lichtbild ganz rechts. Dabei soll es sich um den Bruder des Antragstellers handeln.

Der Zeuge K. gab bei seiner Vernehmung am 12. Mai 2014 zunächst an, ein oder zwei Wochen nach dem Vorfall sei ein Mann an der Tür des G. erschienen, den er flüchtig kenne. Er halte ihn für einen Tschetschenen. Der Mann habe ihm gesagt, sie – er und seine am 16. März 2014 beteiligten Kollegen – müssten mit dem Antragsteller reden und sich die Hand geben. Er selbst sei eigentlich davon ausgegangen, dass die Sache längst erledigt sei. Dann sei die Geschichte mit seinem Bruder passiert. Er habe sich daraufhin die Nummer des Antragstellers besorgt und ihn angerufen. Der Antragsteller habe ihm gesagt, dass er auf so eine Situation gewartet habe. Er – der Zeuge K. – habe ihn in seiner Ehre verletzt. Bei dem Vorfall am 3. Mai habe er ja wohl den Falschen erwischt. Der Antragsteller habe dabei nicht den Eindruck erweckt, dass ihm die Verwechslung leid tue. Er – der Zeuge K. – gehe davon aus, dass der Antragsteller die Sache immer noch nicht als erledigt betrachte und rechne damit, dass es wieder Ärger mit dem Antragsteller gebe.

Auf Anregung der Polizeiinspektion Mitte prüfte die Antragsgegnerin sodann den Erlass eines befristeten Aufenthaltsverbots für den Bereich der Innenstadt und den angrenzenden Teilbereich der Oststadt.

Die Antragsgegnerin wertete das polizeiliche Auskunftssystem aus. Darin sind in Zusammenhang mit dem Antragsteller folgende Sachverhalte gespeichert:

Am 31. Juli 2011 habe der Antragsteller einen anderen im Rahmen einer zunächst verbalen Auseinandersetzung mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen (Vorgangsnummer P. –Q., Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung).

Am 9. Juni 2012 habe der Antragsteller einen Verkehrsteilnehmer aufgefordert, mit seinem Fahrzeug aus einer Parklücke herauszufahren. Als der Fahrer der Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe er die Tür des Autos aufgerissen, ihm ein Messer vor die Brust gehalten und ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzt (Vorgangsnummer R., Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung).

Am 18. September 2012 habe der Antragsteller bei einer Verkehrskontrolle die Tür eines Streifenwagens aufgerissen und der eingesetzten Beamtin die Ausweisdokumente seiner Frau entrissen. Er habe außerdem die Beamten beleidigt und bedroht mit den Worten „Fotze, Hurensohn, ich ficke Deine Mutter“ und „Wenn ich Dich sehe, mach ich Dich alle“ und sei auf die Beamten losgegangen (Vorgangsnummern S., Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung und Widerstands gegen Polizeivollzugsbeamte).

Am 18. Dezember 2012 sei der Antragsteller Beteiligter eines Raubes in der T. gewesen (Vorgangsnummer U.).

Am 23. Dezember 2012 habe der Antragsteller in der V. einen Platzverweis erhalten, dem er nur widerwillig nachgekommen sei. Dabei habe er einen Polizeibeamten mehrmals als „Fotze“ bezeichnet und ihm angekündigt, ihn „in der Luft zu zerbrechen“ (Vorgangsnummer W.).

Am 15. Mai 2013 habe der Antragsteller bei einer Polizeikontrolle geäußert, er werde einem bestimmten Angehörigen der Verfügungseinheit Mitte „aufs Maul hauen“, sollte dieser ihn noch einmal kontrollieren. Bei dem Antragsteller wurde ein Messer gefunden, das ihm nach waffenrechtlicher Prüfung wieder ausgehändigt wurde.

Am 6. April 2013 habe der Antragsteller in Garbsen Polizeivollzugsbeamte bei einer Verkehrskontrolle bedroht, er suche sich einen von ihnen aus und breche ihm die Nase. Es sei ihm egal, ob er dafür eine Anzeige bekomme (Vorgangsnummer X.).

Am 9. Juni 2013 sei der Antragsteller an einer Messerstecherei im Mambo-Club beteiligt gewesen. Dabei habe er dem mutmaßlichen Tatverdächtigen bei der Tatausführung mehrere Faustschläge an den Kopf versetzt und danach einen Standaschenbecher hinterhergeworfen (Vorgangsnummmern Y., Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung).

Am 18. August 2013 habe der Antragsteller bei einer Verkehrskontrolle die eingesetzten Beamten als Wichser, Hurensöhne u. ä. beschimpft und bedroht („ich ficke Deine Frau und töte Deine Kinder“) und sei schließlich in Gewahrsam genommen worden. Dabei habe er aktiven Widerstand geleistet und unter anderem versucht, einem der Beamten einen gezielten Kopfstoß zu versetzen. Auf der Wache habe er einen Spiegel zerschlagen (Vorgangsnummer Z., Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung).

Wegen des Vorfalls am 23. Dezember 2012 hatte die Antragsgegnerin bereits gegen den Antragsteller ein dreimaliges Aufenthaltsverbot erlassen. Wegen zweier festgestellter Verstöße gegen das Verbot wurden gegen ihn jeweils Zwangsgelder verhängt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Juni 2014 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller sodann ein Aufenthaltsverbot für die Verbotszonen „Innenstadt (1)“ und „Oststadt (1)“ für die Dauer von sechs Monaten aber der Bekanntgabe der Verfügung an den Wochentagen Freitag und Sonnabend und den 2. Oktober 2014, den 24. Dezember 2014, den 25. Dezember 2014 und den 31. Dezember 2014 jeweils von 20.00 Uhr bis 08.00 Uhr des Folgetages.

Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben – Az. AA. –, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

Er hält das Aufenthaltsverbot für rechtswidrig. Es lägen keine Tatsachen vor, die den Verdacht rechtfertigten, dass er im Bereich der Verbotszone künftig Straftaten begehen werde. Er sei bei dem Vorfall am 16. März 2014 das Opfer gewesen.  Er sei an jenem Abend von den Türstehern des Mambo-Clubs grundlos abgewiesen worden. Als er den Grund habe erfragen wollen, hätten diese ihn unvermittelt mit Pfefferspray angegriffen und ihn, nachdem er fluchtartig davongelaufen sei, verfolgt. Das wegen des Vorfalls eingeleitete Ermittlungsverfahren dauere noch an. Es liege auf der Hand, dass die Aussagen der Türsteher reine Schutzbehauptungen seien, die keinen hinreichenden Tatverdacht gegen ihn begründeten. Bei dem Vorfall im G. am 9. Juni 2013 habe er lediglich in strafloser Nothilfe zugunsten des Opfers der Messerstecherei gehandelt.

Durch das Aufenthaltsverbot werde er ungerechtfertigt in seinen Grundrechten verletzt. Innerhalb der Verbotszone befinde sich das Zentrum des sozialen Lebens in der Landeshauptstadt Hannover. Freunde, Familie und Bekannte von ihm wohnten innerhalb der Verbotszone. Ihm drohe die soziale Vereinsamung. Die Verfügung verletzte sein Grundrecht auf Freizügigkeit. Insofern fehle es schon an der Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers für den Erlass der Ermächtigungsnorm.

Das Aufenthaltsverbot sei zudem übermäßig, soweit es sich auf den Zeitraum von 20 Uhr bis 8 Uhr morgens erstrecke. Die ihm vorgeworfenen Taten sollten sich zwischen zwei und drei Uhr nachts abgespielt haben, so dass das Aufenthaltsverbot auf diesen Zeitraum zu beschränken sei, wenn tatsächlich eine Wiederholung solcher Taten befürchtet werde.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 31. Juli 2014 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Der Antragsteller sei schon mehrmals wegen Rohheitsdelikten polizeilich in Erscheinung getreten. Er gelte als aggressiv und gewaltbereit. Dies und der Vorfall am 16. März 2014 in Zusammenschau mit dem Vorfall am 3. Mai 2014 trage aufgrund kriminalistischer Erfahrung die polizeiliche Prognose, dass er auch künftig innerhalb der Verbotszone durch Rohheitsdelikte auffällig werde.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. August 2014 zur Entscheidung übertragen hat.

Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.

Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung genügt (noch) den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung wird bereits genügt, wenn überhaupt eine schriftliche – einzelfallbezogene und nicht lediglich formelhafte – Begründung vorhanden ist, die die von der Behörde getroffene Interessenabwägung erkennen lässt. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung damit begründet, dass die mit dem Aufenthalt des Antragstellers im Geltungsbereich des Aufenthaltsverbots verbundenen Gefahren für Leib und Leben Unbeteiligter so schwerwiegend und gegenwärtig sind, dass sein privates Interesse (am Betreten des örtlich und zeitlich erfassten Bereichs) hinter den öffentlichen Interessen zurücktreten muss und der Ablauf eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - das mitunter erst nach Ablauf des Aufenthaltsverbots beendet wäre - nicht abgewartet werden kann.

Die sodann vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache einzubeziehen sind. Bei nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechendem Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist. Ergibt eine summarische Einschätzung des Gerichts, dass Widerspruch oder Anfechtungsklage offensichtlich erfolglos bleiben werden, reicht dies zwar allein noch nicht aus, die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr ein über den Erlass des Grundverwaltungsaktes hinausgehendes öffentliches Interesse. Hierfür ist allerdings kein besonders gewichtiges oder qualifiziertes öffentliches Interesse zu verlangen; notwendig und ausreichend ist vielmehr, dass überhaupt ein öffentliches Vollzugsinteresse vorliegt. Bei einem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt reichen daher auch Vollzugsinteressen minderen Gewichts für die gerichtliche Bestätigung der Vollzugsanordnung aus. In offenkundigen Eilfällen, in denen Gefahren von der Allgemeinheit abgewehrt werden sollen, können sich ausnahmsweise die Gründe, die den Sofortvollzug tragen, mit den Gründen decken, die den Grundverwaltungsakt rechtfertigen.

Ausgehend von diesen Abwägungsgrundsätzen überwiegt hier das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Aufenthaltsverbots das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, weil sich die angefochtene Verfügung voraussichtlich als vollumfänglich rechtmäßig erweisen wird.

Rechtsgrundlage für das dem Antragsteller gegenüber verhängte Aufenthaltsverbot für die Verbotszonen „Innenstadt“ und „Oststadt“ in Hannover ist § 17 Abs. 4 Nds. SOG. Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG kann einer Person für eine bestimmte Zeit verboten werden, einen bestimmten örtlichen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person in dem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen werde. Nach Satz 2 der vorgenannten Vorschrift ist örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet.

Weitere Voraussetzung nach § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG ist das Vorliegen von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigten, dass der Antragsteller in den Verbotszonen „Innenstadt“ und „Oststadt“ in Hannover künftig Straftaten begehen werde. Diese Annahme darf sich nicht lediglich auf allgemeine Erfahrungssätze, vage Vermutungen oder unzureichende Anhaltspunkte gründen, sondern bedarf weiterer Tatsachenfeststellungen, etwa über ein besonders aggressives Verhalten der Person, das Mitführen von Waffen oder Werkzeugen oder über frühere Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit gleichartigen Situationen oder Veranstaltungen (vgl. Böhrenz/Unger/Siefken, Nds. SOG, 8. Auflage, § 17, Erl. 14). Dabei ist die polizeiliche Gefahrenprognose daran zu messen, ob sie aus Ex-ante-Sicht, das heißt nach den Verhältnissen und dem möglichen Erkenntnisstand zur Zeit des Erlasses der präventiv-polizeilichen Maßnahme, vertretbar ist (vgl. VG Göttingen, Urteil vom 19.1.2012, 1 A 94/10 m.w.N., juris).

Nach diesem Maßstab spricht aus Sicht des Gerichts Überwiegendes dafür, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Aufenthaltsverbots gegeben sind. Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die im Zuge der Ermittlungen wegen des Vorfalls am 16. März 2014 gegen den Antragsteller getroffenen Feststellungen und die übrigen polizeilichen Erkenntnisse eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Annahme, dass der Antragsteller auch künftig Straftaten im Geltungsbereich des Aufenthaltsverbots begehen werde.

Die in dem gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen bieten gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller am Morgen des 16. März 2014 versucht hat, sich gegen den Willen der Türsteher Zutritt zu dem G. zu verschaffen und dabei ein Messer gezogen und gegen den Zeugen K. gerichtet hat. Das ergibt sich zum einen aus den Aussagen der Zeugen K. und J. und zum anderen aus den Feststellungen der vor Ort eingesetzten Beamten, insbesondere den Umstand, dass der Antragsteller und seine Begleiter dabei beobachtet worden sind, einen Gegenstand wegzuwerfen und an jener Stelle ein Messer mit frischen Blutanhaftungen gefunden worden ist, während der Antragsteller zugleich als – soweit ersichtlich – einziger Beteiligter eine frische Wunde an der Hand hatte.

Soweit der Antragsteller unter Verweis auf das laufende Ermittlungsverfahren auf die strafprozessuale Unschuldsvermutung verweist, verhilft das dem Antrag nicht zum Erfolg. Das Gebot der Unschuldsvermutung schützt als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und kraft Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zugleich Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland den Beschuldigten zwar vor Nachteilen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung vorausgegangen ist. Die hier unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr erfolgte Verwertung und Würdigung von Ermittlungsergebnissen stellt jedoch keine durch die Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder Schuldzuweisung dar. Polizeiliche Feststellungen zu Straftaten, die zum Anlass zur vorbeugenden Gefahrenabwehr genommen werden, sind etwas substantiell anderes als eine Schuldfeststellung (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom  16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 –, juris Rn. 8 ff; VG Arnsberg, Beschluss vom 5.11.2008 – 3 L 772/08 –, juris Rn. 15 ff.). Angesichts dessen sind präventiv-polizeiliche Maßnahmen auch nicht erst dann rechtmäßig, wenn ein hinreichender Tatverdacht im strafprozessualen Sinn besteht. Ausreichend ist vielmehr ein Gefahrenverdacht im polizeirechtlichen Sinne.

Die dem Antragsteller vorgeworfene Tat begründet einen solchen Gefahrenverdacht insbesondere dahingehend, dass er auch künftig spontane Rohheitsdelikte innerhalb der Verbotszone begehen wird. So geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller zumindest am Abend des 16. März 2014 den G. nicht mit dem einzigen Ziel aufgesucht hat, dort Straftaten zu begehen, sondern dort die Nacht verbringen wollte wie andere Jugendliche und junge Erwachsene aus der ganzen Region Hannover in anderen Clubs, Diskotheken und Kneipen. Dass er dabei nach den Feststellungen der Einsatzkräfte vor Ort und den Aussagen der Zeugen – wie auch bei einem Vorfall am 15. Mai 2013 – ein Messer bei sich führte, begründet die Annahme, dass er etwaigen Konfrontationen nicht aus dem Weg gehen wollte, wenn er sie nicht sogar gesucht hat. Eher für die letztere Vermutung spricht, dass der an dem Vorfall beteiligte Zeuge K. später berichtet hat, dass ihm ausgerichtet worden sei, er müsse sich mit dem Antragsteller aussprechen und dass der Zeuge M. berichtet, der Antragsteller habe ihm unter Bezugnahme auf den Vorfall am 16. März 2014 ins Gesicht geschlagen. Diese Schilderungen geben hinreichenden Grund zu der Annahme, dass der Antragsteller den Vorfall noch nicht als erledigt erachtet und weiter die Konfrontation sucht, zumal er jede schuldhafte Beteiligung an dem Vorfall bestreitet.

Anders als der Antragsteller hält das Gericht die Aussagen der Zeugen AB. und J. keineswegs für Schutzbehauptungen, mit denen diese ihre eigene Beteiligung an dem Vorfall relativieren oder verschleiern wollen. Diese Einschätzung trifft eher auf die Schilderung des Antragstellers zu. Weshalb die Zeugen K. und J. ihn ohne erkennbaren Grund mit Pfefferspray angegriffen und mit einem Baseballschläger verfolgt haben sollen, erschließt sich nicht. Als Türsteher hielten sie sich nicht zur Freizeitgestaltung vor dem G. auf, sondern hatten dessen Eingang zu bewachen. Es ist angesichts dessen kaum vorstellbar, dass sie ohne erkennbaren Grund ca. 400 m bis in die F. hinter dem Antragsteller hergelaufen sein sollten. Nach der Darstellung des Antragstellers wäre auch nicht nachvollziehbar, dass die Türsteher zur Unterstützung ihres grundlosen Angriffs auf den Antragsteller die Polizei herbeigerufen haben, zumal sie sich dadurch selbst einem Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes ausgesetzt haben.

Unterstützt wird die Gefahrenprognose durch die übrigen polizeilichen Erkenntnisse, die die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung herangezogen und ausgewertet hat. Insbesondere die ihm vorgeworfenen Beleidigungen und Widerstandshandlungen zum Nachteil von Polizeibeamten zeichnen ein Bild von der Persönlichkeit des Antragstellers, das kaum Zweifel lässt an dessen hohem Aggressionspotenzial, einer offenkundig hohen Gewaltbereitschaft und einer mangelnden Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols. Dieser Eindruck wird weiter bestärkt durch den Umstand, dass sich der Antragsteller in wenigstens zwei Fällen auch nicht an ein früher gegen ihn verhängtes Aufenthaltsverbot gehalten hat.

Angesichts dessen ist auch die Ermessensausübung der Antragsgegnerin bei der Bemessung der örtlichen und zeitlichen Geltung des Aufenthaltsverbots nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller meint, das Aufenthaltsverbot könne allenfalls auf den Nahbereich des I. beschränkt werden, spricht dagegen schon der Vorfall vor dem Jugendzentrum in der AC.. Dieser begründet den Verdacht, dass der Antragsteller (auch weiterhin) nicht nur im Nahbereich des G. die Auseinandersetzung insbesondere mit dem Zeugen K. sucht. Entsprechendes gilt für den Einwand des Antragstellers, die zeitliche Geltung müsse im Wesentlichen auf die Uhrzeit des Vorfalls am 16. März 2014 beschränkt werden.

Auch die polizeilichen Erkenntnisse über frühere Vorfälle innerhalb der Verbotszone (AD. am 9. Juni 2012, AE. am 18. September 2012 und SAF. am 23. Dezember 2012) konnte die Antragsgegnerin ungeachtet des zwischenzeitlich gegen ihn verhängten dreimonatigen Aufenthaltsverbots heranziehen, zumal der Antragsteller dieses nicht durchgehend befolgt hat und er seitdem wieder innerhalb der Verbotszone auffällig geworden ist.

Soweit der Antragsteller schließlich die Verhältnismäßigkeit der Verfügung mit dem Einwand rügt, dass er von einem zentralen Treffpunkt des gesellschaftlichen Lebens gänzlich ausgeschlossen werde und ihm die soziale Vereinsamung drohe, wird dem entgegenstehen, dass sich das Aufenthaltsverbot auf die Wochenenden und nur wenige Werktage beschränkt. An den übrigen Tagen kann der Antragsteller seine Familie und seine Freunde im Bereich der Verbotszone – mit den in dem Bescheid aufgeführten Ausnahmen – aufsuchen.

Schließlich greift auch der Einwand des Antragstellers, das Aufenthaltsverbot verletze ihn in seinem Grundrecht auf Freizügigkeit, nicht durch. Das Aufenthaltsverbot berührt schon nicht den Schutzbereich des Grundrechts auf Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Freizügigkeit bedeutet das Recht, unbehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnung zu nehmen. Hierzu gehört auch der freie Zug von Land zu Land, von Gemeinde zu Gemeinde und innerhalb einer Gemeinde. Der eigenständige Schrankenvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG, der Beschränkungen nur aus besonders gewichtigen Anlässen erlaubt, indiziert, dass Art. 11 Abs. 1 GG nur Verhaltensweisen erfasst, die sich als Fortbewegung im Sinne eines Ortswechsels qualifizieren lassen und dadurch eine über die insbesondere durch Art. 2 GG geschützte körperliche Bewegungsfreiheit hinausgehende Bedeutung für die räumlich gebundene Gestaltung des alltäglichen Lebenskreises haben (vgl. zum Schutzgehalt etwa Randelzhofer, in: BK, Art. 11, Rn. 28; Gusy, in: v. Mangoldt u.a., GG, Art. 11, Rn. 28; Durner, in: Maunz/Dürig, GG (Stand Juni 2007), Art. 11, Rn. 77 ff.; Ziekow, in: Berliner Kommentar (4. Ergänzungslieferung, Stand 2002), Art. 11, Rn. 38 ff.; Grabitz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. (2001), § 130, Rn. 9; Jarass: in: Jarass/Pieroth, GG, 8. Aufl. (2006), Art. 11, Rn. 2; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. (2000), Art. 11, Rn. 13; wohl auch Hailbronner, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. (2001), § 131, Rn. 25; weiter Pernice, in: Dreier, GG, 2. Aufl. (2004), Art. 11, Rn. 14). Der Antragsteller hat sich gegen das Aufenthaltsverbot nur unter Hinweis darauf gewandt, dass es ihn daran hindere, sich zur Freizeitgestaltung und zu alltäglichen Verrichtungen in die Verbotszone zu begeben, die Innenstadt also für eine begrenzte Zeit aufsuchen zu können, um danach an seinen Wohnsitz außerhalb der Verbotszone zurückzukehren. Diese durch das Aufenthaltsverbot beeinträchtigten Verhaltensweisen bedürfen des besonderen Schutzes aus Art. 11 GG nicht (vgl. zum Ganzen BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.3.2008 – 1 BvR 1548/02 –, juris Rn. 26). Entsprechend geht auch der Einwand fehl, dem Landesgesetzgeber fehle die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass der hier maßgeblichen Eingriffsermächtigung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Streitwerts im Eilverfahren ist nicht angezeigt, weil durch die Entscheidung im Eilverfahren die Entscheidung in der Hauptsache im Wesentlichen vorweggenommen wird.