Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 30.09.2014, Az.: 10 A 2935/13

Optionspflicht; Staatsangehörigkeit; Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
30.09.2014
Aktenzeichen
10 A 2935/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42557
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die persönliche Optionspflicht i. S. d. § 29 Abs. 1 StAG tritt auch dann ein, wenn der Hinweis nach § 29 Abs. 5 StAG nicht unverzüglich nach Vollendung des 18. Lebensjahres versandt wird.
2. Ob dem Betroffenen eine infolge des verspäteten Hinweises unterlassene oder verspätet abgegebene Optionserklärung zum Verlust der Staatsangehörigkeit nach § 29 Abs. 2 Satz 2 StAG führt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung der Beklagten, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe.

Er wurde am E. als Kind zweier serbischer Staatsangehöriger im Bundesgebiet geboren und hatte durch Abstammung die serbische Staatsangehörigkeit inne. Am 12. März 2001 wurde er durch die Beklagte aufgrund von § 40 b StAG unter Beibehaltung der serbischen Staatsangehörigkeit in den deutschen Staatsverband eingebürgert.

Mit Schreiben vom 4. Juli 2008, zugestellt am 5. Juli 2008, wies die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf § 29 StAG auf seine Verpflichtung hin, spätestens bis zum 14. März 2013 zu erklären, ob er die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wolle. Der Kläger äußerte sich darauf nicht.

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2008 und vom 14. Januar 2009 erinnerte die Beklagte den Kläger an seine Optionspflicht. Mit Schreiben vom 15. März 2011 teilte sie mit, dass der Kläger nach Vollendung seines 21. Lebensjahres nicht mehr die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit gem. § 29 Abs. 3 StAG beantragen könne. Zuletzt mit Schreiben vom 25. Januar 2012 erinnerte die Beklagte den Kläger nochmals an die Ausübung der Optionspflicht.

Eine entsprechende Erklärung gab der Kläger bis zum 14. März 2013 nicht ab.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. März 2013 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger am 15. März 2013 deshalb die deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe. Er sei unter dem 4. Juli 2008, dem 24. Oktober 2008, dem 14. Januar 2009, dem 15. März 2011 und dem 25. Januar 2012 auf die Verpflichtung zur Abgabe einer Optionserklärung hingewiesen worden, ohne sich zu äußern.

Der Kläger hat am 19. April 2013 Klage erhoben. Er hält die Feststellung der Beklagten für rechtswidrig, weil ein Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht eingetreten sei. Er habe lediglich ein Schreiben durch Zustellung erhalten; darin sei er nicht auf seine gesetzlichen Verpflichtungen hingewiesen worden. Die nach den § 29 Abs. 2 bis 4 StAG erforderlichen Hinweise seien ebenfalls nicht gegeben worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18. März 2013 festzustellen, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Der Kläger sei infolge des Hinweises vom 4. Juli 2008 options- und erklärungspflichtig geworden und sei dieser Pflicht nicht binnen der gesetzlichen Frist nachgekommen. Der Verlust der Staatsangehörigkeit sei dadurch von Gesetzes wegen eingetreten.

Auf den Hinweis des Gerichts, dass der Hinweis vom 4. Juli 2008 dem Kläger drei Monate, zwei Wochen und sechs Tage nach Vollendung seines 18. Lebensjahres zugestellt worden sei, führte die Beklagte weiter aus, dass die Städte und Gemeinden im Zuständigkeitsbereich der Beklagten erst im Oktober 2007 über die Verpflichtung zur Übermittlung der für die Durchführung des Optionsverfahrens erforderlichen Daten an die Einbürgerungsbehörden informiert worden seien. Im Januar 2008 sei dieser Hinweis durch ein weiteres Schreiben konkretisiert worden. Die entsprechende Mitteilung der Meldebehörden über die Optionspflicht des Klägers sei der Beklagten erst am 14. März 2008 zugegangen.

Erst im Januar 2008 seien zudem durch das zuständige Ministerium erste Musterschreiben für den Hinweis auf die Optionspflicht bereitgestellt worden. Die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundes zum Staatsangehörigkeitsgesetz seien in Niedersachsen noch nicht in Kraft gewesen; die entsprechenden niedersächsischen Verwaltungsvorschriften seien erst am 25. Juni 2008 in Kraft getreten. Die dort enthaltenen Hinweise seien dann in die zur Durchführung des Optionsverfahrens erarbeiteten Entwürfe eingearbeitet worden. Der Anfang Juli 2008 an den Kläger versandte Hinweis sei angesichts dessen unverzüglich ergangen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 30. September 2014 zur Entscheidung übertragen hat, und im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

I. Die als Anfechtungs- und negative Feststellungsklage statthafte Klage ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren. Der Bescheid, mit dem die Beklagte den Verlust feststellt, erweist sich deshalb als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger gehört aufgrund seiner nach dem 31. Dezember 1999 und aufgrund von § 40 b StAG erfolgten Einbürgerung unter Beibehaltung einer ausländischen Staatsangehörigkeit unstreitig zu dem Kreis derjenigen Personen, die nach § 29 Abs. 1 StAG dem Grunde nach verpflichtet sein sollen, nach Erreichen der Volljährigkeit eine Erklärung abzugeben, ob sie die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wollen.

Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 StAG geht die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nur bei der Option für eine ausländische Staatsangehörigkeit verloren, sondern auch dann, wenn bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres keine Erklärung abgegeben wird. Dass der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt keine solche Erklärung abgegeben hat, ist zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig.

Voraussetzung des Verlustes der Staatsangehörigkeit nach § 29 Abs. 2 Satz 2 StAG ist allerdings das Entstehen der persönlichen Options- und Erklärungspflicht. Diese wird nicht schon durch die abstrakte Zugehörigkeit zu dem im Gesetz genannten Personenkreis begründet, sondern entsteht nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 Satz 1 StAG erst mit Erreichen der Volljährigkeit und nach Hinweis gemäß Absatz 5. Während mit dem 18. Geburtstag des Klägers am 15. März 2008 die erste dieser Voraussetzungen eingetreten ist, sollte der Hinweis nach § 29 Abs. 5 StAG unverzüglich nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers zugestellt werden.

Dem Kläger wurde dieser Hinweis am 5. Juli 2008 und damit 3 Monate, 2 Wochen und 6 Tage nach Vollendung seines 18. Lebensjahres zugestellt. Eine „unverzügliche“ Zustellung im Sinne des § 29 Abs. 5 StAG liegt darin nicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff „unverzüglich“ bedeutet regelmäßig eine Bearbeitung ohne schuldhaftes Zögern. Verzögerungen innerhalb der Verwaltung, die durch verwaltungsinterne Willensbildung, Handhabungshinweise oder innerdienstliche Weisungen eintreten, sind dabei der Behörde zuzurechnen und können dadurch eingetretene Verzögerungen nicht entschuldigen.

Dass der Hinweis an den Kläger nicht unverzüglich zugestellt worden ist, hat jedoch nicht zur Folge, dass die Optionspflicht als solche nicht entstanden wäre. Nach § 29 Abs. 1 StAG muss der betroffene Ausländer „nach Erreichen der Volljährigkeit und nach Hinweis gemäß Absatz 5“ erklären, für welche Staatsangehörigkeit er optiert. Dass auch ein verspäteter, aber inhaltlich einwandfreier Hinweis die Optionspflicht begründen kann, schließt diese Formulierung nicht aus (vgl. Berlit, in: GK-StAR 08/2009, Rn. 131 zu § 29 StAG.).

Dass der Hinweis gem. § 29 Abs. 5 StAG unverzüglich nach Vollendung des 18. Lebensjahres zu erfolgen hat, soll dem Betroffenen genügend Zeit für die Entscheidung und die notwendigen Schritte zur Entlassung aus einer ausländischen Staatsangehörigkeit geben. Ob ein verspäteter Hinweis diesen Zweck noch erfüllen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Führt der verspätete Hinweis dazu, dass der Betroffene die Frist zur Antragstellung für eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 29 Abs. 3 Satz 3 StAG oder die Frist für die Abgabe der Optionserklärung nicht wahren kann, kann ihm seine Säumnis insofern nicht vorgehalten werden (vgl. Berlit, a. a. O., Rn. 132.).

Ein solcher Kausalzusammenhang zwischen dem verspäteten Hinweis und der nicht abgegebenen Erklärung des Klägers ist hier nicht zu erkennen. Denn der Kläger hat, auch nachdem er den Hinweis erhalten hatte, weder eine Beibehaltungsgenehmigung beantragt noch Schritte zur Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit unternommen. Auch auf mehrere Erinnerungsschreiben der Beklagten hat sich der Kläger nicht geäußert. Neben dem verspäteten Hinweis der Beklagten setzt damit das Verhalten des Klägers eine weitere Ursache für den Verlust der Staatsangehörigkeit, die den Kausalbeitrag der Beklagten überlagert.

Auch die mit der Klage erhobenen inhaltlichen Einwände des Klägers gegen den Hinweis vom 4. Juli 2008 greifen nicht durch. Soweit er bemängelt, er habe nur ein Schreiben durch Zustellung erhalten, genügt die Zustellung eines einzigen Hinweises den Anforderungen des § 29 Abs. 5 Satz 1 StAG. Dass die Beklagte darüber hinaus den Kläger mehrfach formlos angeschrieben hat, ist von Gesetzes wegen nicht erforderlich. Dass der Kläger diese weiteren Schreiben nicht erhalten haben will, steht der gesetzlichen Folge des § 29 Abs. 2 Satz 2 StAG nicht entgegen.

Der Einwand des Klägers, in dem an ihn zugestellten Schreiben sei weder auf die Verpflichtungen des Klägers noch auf die gem. § 29 Abs. 4 bis 4 StAG eintretenden Rechtsfolgen hingewiesen worden, geht schon in tatsächlicher Hinsicht fehl. In dem Schreiben vom 4. Juli 2008, das dem Kläger als einziges durch Zustellung bekanntgegeben worden ist, heißt es:

„Durch die Vollendung des 18. Lebensjahres besteht für Sie die Verpflichtung, sich entweder für die deutsche Staatsangehörigkeit oder für die ausländische Staatsangehörigkeit zu entscheiden und dies mir gegenüber zu erklären (Erklärungs- oder Optionspflicht).“ ... „Sie sind verpflichtet, sich mir gegenüber zu entscheiden, ob Sie die deutsche oder die ausländische(n) Staatsangehörigkeit(en) behalten wollen. Die Erklärung muss bis spätestens zum 14.03.2013 bei mir vorliegen.“

Damit sind die Pflichten des Klägers unmissverständlich bezeichnet. Gleiches gilt für die Rechtsfolgen des § 29 Abs. 2 bis 4 StAG, die wie folgt beschrieben sind:

„Entscheiden Sie sich, die deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten, sind Sie verpflichtet auf Ihre ausländische(n) Staatsangehörigkeit(en) zu verzichten. Sie müssen mir den Verlust dieser Staatsangehörigkeit(en) durch die Vorlage von Urkunden bis spätestens zum 14.03.2013 nachweisen.

Kommen Sie diesen Pflichten nicht nach, verlieren Sie am 15.03.2013 die deutsche Staatsangehörigkeit Kraft Gesetz.

Erklären Sie mir gegenüber, die ausländische(n) Staatsangehörigkeit(en) behalten zu wollen, geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, sobald mir diese Erklärung vorliegt. Ihren deutschen Ausweis und Pass müssen Sie dann abgeben.

Es besteht jedoch die Möglichkeit, die ausländische Staatsangehörigkeit neben der deutschen zu behalten. In diesem Fall müssen Sie bei mir bis zum 14.03.2011 eine Beibehaltungsgenehmigung beantragen, die Ihnen bei Vorliegen der Voraussetzungen kostenfrei ausgestellt wird. ...

Wird die Beibehaltungsgenehmigung abgelehnt und tritt die Rechtskraft dieser Entscheidung nach der Vollendung Ihres 23. Lebensjahres ein, verlieren Sie am Tag der Rechtskraft die deutsche Staatsangehörigkeit.“

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe, gemäß § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4, § 124 a Abs. 1 VwGO die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Weder hat der Rechtsstreit über die konkrete Einzelfallkonstellation hinaus grundsätzliche Bedeutung, noch weicht das Gericht von der Rechtsprechung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte ab.