Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.04.2008, Az.: 1 A 370/06

Rechtmäßigkeit eines Kostenersatzanspruchs für einen Feuerwehreinsatz wegen des Entfernens eines Baumes von einer Eisenbahnbrücke; § 26 Abs. 2 S. 1 Nidersächsisches Brandschutzgesetz (NBrandSchG) i.V.m. § 2 a) der Feuerwehrsatzung als Rechtsgrundlage für einen Kostenbescheid; Ansehung größerer Schadensereignisse aller Art als Unglücksfälle; Möglichkeit einer Aufteilung der Vorhaltekosten nur nach dem Verhältnis der Jahresstunden zur einzelnen Einsatzstunde (1: (24x365))

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
09.04.2008
Aktenzeichen
1 A 370/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 13862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2008:0409.1A370.06.0A

Verfahrensgegenstand

Kosten für einen Feuerwehreinsatz

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 2008
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts D.,
den Richter am Verwaltungsgericht E.,
die Richterin am Verwaltungsgericht F. sowie
die ehrenamtlichen Richter G. und H.
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 28.08.2006 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Kostenersatzanspruch der Beklagten für einen Feuerwehreinsatz.

2

Am 03.06.2005 entfernte die Freiwillige Feuerwehr der Beklagten in der Zeit von 22:40 Uhr bis 23:00 Uhr einen Baum von der Bundesstraße 80 (B 80) in der Höhe der Eisenbahnbrücke bei der Ortschaft Laubach.

3

Mit Bescheid vom 28.08.2006 stellte die Beklagte der Klägerin für den Feuerwehreinsatz 436,50 Euro in Rechnung und führte zur Begründung aus, die Feuerwehr sei im Rahmen der Gefahrenabwehr für die Klägerin tätig geworden. Die Klägerin sei für den Zustand der Straße verantwortlich und damit nach der "Satzung (der Beklagten, Anmerkung des Gerichts) über die Erhebung von Kostenersatz und Gebühren für Sachleistungen der Freiwilligen Feuerwehr...außerhalb der unentgeltlich zu erfüllenden Pflichtaufgaben" (im folgenden Feuerwehrsatzung) kostenerstattungspflichtig. Im einzelnen machte die Beklagte Personalkosten für fünf Feuerwehrmänner mit jeweils 0,5 Einsatzstunde (insgesamt 145,00 Euro bei einem Stundensatz von 58,00 Euro) sowie Fahrzeugkosten (LF 8/6) in Höhe von 291,50 Euro für 0,5 Einsatzstunde (bei einem Stundensatz von 583,00 Euro), insgesamt 436,50 Euro geltend.

4

Die Klägerin hat am 29.06.2006 Klage erhoben.

5

Sie ist der Auffassung, es hätte vorrangig die Straßenmeisterei Göttingen verständigt werden müssen, um den Baum zu entfernen. Mitarbeiter der Straßenmeisterei Göttingen seien auch nach Dienstschluss erreichbar. Darüber hinaus hält sie die geltend gemachten Kosten für unangemessen hoch. Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe die Stundensätze nicht korrekt ermittelt. Es dürften zwar die gesamten Vorhaltekosten berücksichtigt werden, diese müssten aber durch die Jahresstunden dividiert werden und nicht - wie die Beklagte es getan habe - durch die tatsächlichen Einsatzstunden.

6

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28.08.2006 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie bestreitet, dass die Straßenmeisterei Göttingen außerhalb ihrer Dienstzeiten erreichbar gewesen sei. Sie ist ferner der Auffassung, sie habe die Gebührensätze in ihrer Feuerwehrsatzung korrekt berechnet. Insbesondere sei sie berechtigt, entsprechend § 5 NKAG ihre Stundensätze kostendeckend zu kalkulieren. Insofern sei nicht zu beanstanden, dass sie ihre gesamten Vorhaltekosten auf alle - voraussichtlichen - Einsätze verteilt habe.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.

11

Der Bescheid der Beklagten vom 28.08.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er ist deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall überhaupt eine Zuständigkeit der Feuerwehr nach dem NBrandSchG gegeben war oder ob nach § 34 NBrandSchG vorrangig die Klägerin als Trägerin der Verkehrssicherungspflicht für die B 80 (§ 10 Abs. 1 NStrG i.V.m. Art. 90 Abs. 2 GG) hätte tätig werden müssen und dürfen. Ein Kostenersatzanspruch der Beklagten scheidet bereits aus einem anderen Grunde aus.

13

Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid ist grundsätzlich § 26 Abs. 2 Satz 1 NBrandSchG i.V.m. § 2 a) der Feuerwehrsatzung. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 NBrandSchG können die Träger der Feuerwehr für andere als die in Absatz 1 genannten Leistungen Kostenersatz nach Maßgabe einer Satzung verlangen. Die in Absatz 1 aufgeführten Leistungen betreffen den Einsatz der Feuerwehren bei Bränden, Notständen durch Naturereignisse und bei Hilfeleistungen zur Rettung von Menschen aus akuter Lebensgefahr. Sie sind unentgeltlich und deshalb einer Kostenersatzregelung nach Absatz 2 nicht zugänglich. Dementsprechend hat die Beklagte in dem hier einschlägigen § 2 ihrer Feuerwehrsatzung (entgeltliche Pflichtaufgaben) geregelt, dass Leistungen der Feuerwehr bei Unglücksfällen und in sonstigen Bedarfsfällen, wenn Menschenleben nicht oder nicht mehr in Gefahr sind, kostenersatzpflichtig sind (§ 2 a) Feuerwehrsatzung).

14

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 a) Feuerwehrsatzung sind hier auch erfüllt.

15

Zunächst liegt kein Fall des § 26 Abs. 1 Satz 1 NBrandSchG vor. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich ein Verkehrsteilnehmer in akuter Lebensgefahr befand, weil ein Baum auf der Fahrbahn der B 80 lag. Die Feuerwehr ist vielmehr im Rahmen ihrer Pflicht zur Hilfeleistung nach § 1 NBrandSchG tätig geworden, ohne dass eine akute Lebensgefahr für Menschen bestand. Unter Hilfeleistung im Sinne des NBrandSchG versteht man die Hilfeleistung bei Unglücksfällen sowie bei Notständen (§ 1 Abs. 1 NBrandSchG). Im vorliegenden Fall geht es um eine Hilfeleistung bei einem Unglücksfall. Unter Unglücksfällen sind größere Schadensereignisse aller Art zu verstehen. Es muss sich um die plötzliche Verschlechterung eines Zustandes handeln, verbunden mit bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden erheblichen Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum, ohne dass bereits die Merkmale eines Notstandes oder einer Katastrophe erfüllt sind (Scholz/Runge/Thomas, Kommentar zum NBrandSchG, 6. Auflage, § 2 (Seite 35)). Der auf der Fahrbahn der B 80 liegende Baum stellte eine Unfallgefahr für Verkehrsteilnehmer dar. Insofern lag ein Unglücksfall im Sinne des § 1 Abs. 1 NBrandSchG vor.

16

Die Klägerin wäre auch die richtige Kostenschuldnerin (sofern sie nicht selbst vorrangig zuständig gewesen wäre). Nach § 4 Abs. 1, 1. Spiegelstrich der Feuerwehrsatzung bestimmt sich der Kostenschuldner bei Leistungen nach § 2 a) der Satzung nach § 26 Abs. 4 NBrandSchG. Kostenerstattungspflichtig ist danach u.a. derjenige, in dessen Auftrag oder in dessen Interesse die Leistungen erbracht werden (§ 26 Abs. 4 Nr. 3 NBrandSchG). Die Entfernung des Baumes lag im Interesse der Klägerin, da sie Trägerin der Verkehrssicherungspflicht für die Bundesfernstraße ist (§ 10 Abs. 1 NStrG i.V.m. Art. 90 Abs. 2 GG).

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Dem Kostenersatzanspruch der Beklagten fehlt aber eine wirksame satzungsrechtliche Grundlage, soweit es um die Höhe der geltend gemachten Kosten geht. Zwar durfte die Beklagte in ihrer Feuerwehrsatzung nach § 26 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz NBrandSchG Pauschalen für die nach § 26 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz zu erstattenden Kosten festlegen. Jedoch sind die in dem Kosten- und Gebührentarif der Feuerwehrsatzung unter 1.1.1 (Personal der Freiwilligen Feuerwehr - Grundbetrag -) und 2.7.6 (Gerätewagen - Nachschub) festgesetzten Erstattungsbeträge materiell-rechtlich unwirksam, da die zugrunde gelegten Kosten nicht in dieser Höhe in die Berechnung der Pauschalen einbezogen werden durften.

18

Bei der Festsetzung der Pauschalbeträge nach § 26 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz NBrandSchG können nicht die betriebswirtschaftlich ermittelten Jahreskosten der gesamten Feuerwehr zugrunde gelegt werden. Dies hat die Beklagte aber getan. Sie hat bei ihrer Kalkulation sämtliche im Jahr anfallenden Vorhaltekosten - das sind die Kosten, die allein dadurch entstehen, dass die Feuerwehr mit ihrem Personal und ihren Einsatzgeräten bereit gehalten wird, ohne dass es bereits zu Einsätzen gekommen ist - lediglich auf die - voraussichtlichen - Jahreseinsatzstunden anstatt auf die gesamten Jahresstunden umgelegt hat. Deshalb enthalten die Pauschalbeträge auch diejenigen Vorhaltekosten, die außerhalb des konkret abgerechneten Einsatzes angefallen sind.

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Unzutreffend ist die Ansicht der Beklagten, ihre Berechnungsmethode sei durch § 5 Abs. 1 Satz 2 NKAG gedeckt. § 5 NKAG regelt die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen. Nach Abs. 1 Satz 2 soll das Gebührenaufkommen die Kosten der jeweiligen Einrichtungen decken. Für die öffentliche Einrichtung Feuerwehr gilt dieser Kostendeckungsgrundsatz jedoch nicht. § 26 Abs. 2 Satz 1 NBrandSchG berechtigt nicht zur Erhebung von Gebühren, sondern zur Geltendmachung eines Kostenersatzanspruches. § 1 NKAG stellt ausdrücklich klar, dass dieses Gesetz nur für Steuern, Gebühren und Beiträge gilt. Eine entsprechende Anwendung auf Kostenersatzansprüche ist nicht vorgesehen. Dem Kostenersatz nach § 26 Abs. 2 Satz 1 NBrandSchG unterfallen daher nur die tatsächlich angefallenen Kosten eines konkreten Feuerwehreinsatzes. Vorhaltekosten können lediglich insoweit Berücksichtigung finden, als das Feuerwehrpersonal und die Feuerwehrgeräte in der konkreten Einsatzzeit nicht für andere Aufgaben zur Verfügung gestanden haben.

20

Dies folgt unmittelbar aus dem NBrandSchG und den dort getroffenen Regelungen über die Kosten der Feuerwehren. Nach den §§ 1, 2 und 25 NBrandSchG haben grundsätzlich die örtlichen Aufgabenträger die Kosten der Einsätze ihrer Feuerwehr zu tragen. Ausnahmen hiervon sind ausdrücklich normiert (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 2 NBrandSchG). Für Dritte ist der Einsatz der Feuerwehr nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen kostenpflichtig.

21

So gibt es neben § 26 Abs. 2 Satz 1 NBrandSchG weitere Kostenersatzvorschriften.

22

§ 2 Abs. 2 Satz 2 NBrandSchG verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen eine benachbarte Gemeinde zum Kostenersatz, wenn sie von einer anderen Gemeinde Nachbarschaftshilfe erhalten hat. Ferner kann eine Erstattung bei einer Sicherheitswache (§ 28 Abs. 1 Satz 4 NBrandSchG) verlangt werden. § 26 Abs. 1 Satz 2 NBrandSchG gewährt unter bestimmten Voraussetzungen Aufwendungsersatzansprüche bei der Gefahrenbekämpfung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 NBrandSchG. Aus dieser selektiven Regelung von Erstattungsansprüchen, die jeweils eine besondere Zurechnung des Einsatzes oder die Erforderlichkeit der Vorhaltung mit der Kostenerstattungspflicht verbinden, folgt die Finanzierung der allgemeinen Vorhaltung der Feuerwehr aus den Mitteln des Aufgabenträgers (§ 25 Abs. 1 NBrandSchG). Da die Feuerwehr ihre Aufgaben nach § 1 Abs. 1 NBrandSchG zum großen Teil unentgeltlich erbringt (§ 26 Abs. 1 Satz 1 NBrandSchG), können die Vorhaltekosten nur insoweit Berücksichtigung finden, als das Personal und die Feuerwehrgeräte in der konkreten Einsatzzeit nicht für andere Aufgaben zur Verfügung gestanden haben. Hieraus folgt zugleich, dass eine Aufteilung der Vorhaltekosten nur nach dem Verhältnis der Jahresstunden zur einzelnen Einsatzstunde (1: (24x365)) in Betracht kommen kann, und eine Umlegung dieser Kosten nur auf die tatsächlichen Einsatzstunden - wie es die Beklagte getan hat - unzulässig ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.10.1994 - 9 A 780/93 -; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.12.2004 - 12 A 1382/04-; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 22.08.2007 - 5 UE 1734/06 - (sämtliche Urteile veröffentlicht bei [...]).

23

Nur die erstgenannte Berechnungsweise führt auch zu einer gerechten Abrechnung der Kosten, die der Leistungsstärke und den tatsächlich anfallenden Betriebskosten der jeweiligen Fahrzeuge gerecht wird. Denn die Höhe des Stundentarifs eines Fahrzeugs darf nicht von der Häufigkeit seines Einsatzes abhängen, sondern muss entscheidend auf den durch den Einsatz konkret entstehenden Kosten basieren. Ansonsten kann es zu dem unbilligen Ergebnis kommen, dass der Stundentarif für ein größeres und teureres Fahrzeug niedriger sein kann als für ein leistungsschwächeres, das nur wenige Male im Jahr eingesetzt wird.

24

Bei einer Aufteilung der Vorhaltekosten im Verhältnis 1 : (24 x 365) der Jahreskosten des von der Beklagten in Rechnung gestellten Feuerwehrfahrzeuges und der in Rechnung gestellten fünf Feuerwehrmänner ergäbe sich ein Betrag, der um ein Vielfaches niedriger wäre, als die in Rechnung gestellten Stundensätze von 583,00 Euro bzw. 58,00 Euro. Eine Reduzierung der Stundensätze auf das noch zulässige Maß scheidet hier aus, da nicht die Kammer, sondern nur der Rat der Beklagten befugt ist, den Kostentarif für den Einsatz des Feuerwehrfahrzeuges und der Feuerwehrmänner durch eine neue Satzung festzulegen.

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Dem Klageantrag war danach in vollem Umfang zu entsprechen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

27

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.