Landgericht Verden
Urt. v. 07.08.2019, Az.: 7 O 383/18

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
07.08.2019
Aktenzeichen
7 O 383/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69568
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die klagende Partei 271.228,62 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit 15.01.2019 zu zahlen.

2. Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu

vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die klagende Partei begehrt aus abgetretenem Recht die Zahlung von Restwerklohnforderung und zwar der noch offenen Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 271.228,62 €.

Sie hat sich von den Firmen R. GmbH & Co. KG, B1 GmbH, B2 GmbH, T. GmbH, D. GmbH, A.H., O. GmbH & Co. KG und S. GmbH & Co. KG deren Ansprüche gegenüber der Beklagten abtreten lassen.

Das Unternehmen D. GmbH ist Kommanditistin der Beklagten. Herr D. ist auch Geschäftsführer der Beklagten. Die B1 GmbH, B2 GmbH, T. GmbH sind ebenfalls Kommanditisten der Beklagten. Der Geschäftsführer der B1 GmbH, Herr W., war im Jahr 2014 ebenfalls Geschäftsführer der Beklagten.

Konkret werden die folgenden Forderungen geltend gemacht:

Zedentin

Höhe der Forderung
(nur Umsatzsteuer)

Zahlungsfrist

Anlagen

Datum der Abtretung

R. GmbH & Co. KG

6.623,02 €

18.10.2018

K1 - K6

11.09.2018

B1 GmbH (GF W.)

24.479,90 €

12.12.2018

K7 –K8

31.08.2018/
16.11.2018

B2 GmbH (GF St.)

9.492,22 €

12.12.2018

K9 – K12
Anlage Bl. 71 f. d. A.

26.10.18/
22.11.18

T. GmbH (GF T.)

19.000,- €
36.480,- €
= 55.480,- €

12.12.2018

K 13   

26.10.18/
22.11.18

D. GmbH (GF D. = der der Beklagten)

161.241,90 €

12.12.2018

K 14 – K22

27./22.11.18

A.H.   

197,18 €

11.12.2018

K 23 – K24

23.02./25.03.15

O. GmbH & Co. KG

10.295,49 € (Teilbetrag von 11.301,13 €)

7.7.2017

K 25 – K27

19.04./
02.05.16

S. GmbH & Co. KG

3.418,91 €

20.4.2018

K 28 – K29

14.12.18/
17.12.18

Gesamt

271.228,62 €

Diese sind der Höhe nach auch unstreitig.

Die Zedenten sind allesamt Firmen, die von der Beklagten, als Bauträgerin, mit der Ausführung von Gewerken beauftragt waren. Die Zedenten hatten der Beklagten zunächst mit den ursprünglichen Rechnungen jeweils nur den Nettolohn in Rechnung gestellt, da man davon ausging, dass § 13b UStG greife und die Beklagte somit als Leistungsempfänger Steuerschuldnerin ist. Die Beklagte führte daher die Umsatzsteuer an das Finanzamt ab.

Nachdem der BFH mit Urteil vom 22.08.2013 entschieden hat, dass der Bauträger nicht unter die Regelung des § 13b UStG falle, wurde die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG eingeführt. Danach konnte rückwirkend gegen den Leistenden (hier: die Zedenten) die Steuer festgesetzt werden, wenn der Leistungsempfänger (hier: die Beklagte) die Erstattung der Steuer fordert.

Am 06.05.2014 hat die Beklagte beantragt, ihr die angeführte Umsatzsteuer in Höhe von 272.234,70 € zu erstatten. Das Guthaben wurde ihr daraufhin am 14.08.2015 auch wieder ausgezahlt.

Die Umsatzsteuer wurde nunmehr im Jahr 2015 durch das Finanzamt gegenüber den Zedenten geltend gemacht. Diese haben daraufhin die Umsatzsteuer in korrigierten Rechnungen gegenüber der Beklagten ausgewiesen und die Forderungen gegen die Beklagte an das Finanzamt abgetreten.

Das Finanzamt Verden teilte der Beklagten die Abtretungen mit Schreiben vom 18.09.2018 mit und forderte zur Zahlung auf. Sie wies darin auch darauf hin, dass eine Zahlung an die bisherigen Gläubiger keine schuldbefreiende Wirkung mehr habe.

Die Beklagte lehnte die Zahlung mit Schreiben vom 24.09.2018 ab.

Auf ein Schreiben der Klagepartei vom 01.10.2018 mit Fristsetzung bis zum 18.10.2018 leistete die Beklagte ebenfalls keine Zahlung.

Die klagende Partei ist der Ansicht, dass die Forderungen nicht verjährt seien, da ein direkter Zahlungsanspruch der Zedenten frühestens 2014 entstanden und fällig geworden sei, da die Beklagte erst im Mai 2014 den Antrag auf Erstattung gestellt hat und die Zedenten erst ab Anfang 2015 und später auf Ausgleichung vom Finanzamt in Anspruch genommen worden seien. Die Zedenten seien erst im Jahr 2015 von dem Antrag der Beklagten informiert worden. Eine Information bereits 2014 sei schon deshalb auszuschließen, da allein die Klärung der Frage für welchen Rechnungen tatsächlich Erstattung beantragt wird, und ob die Voraussetzungen vorliegen, sich bis zum 14.08.2015 (Tag der Entscheidung durch das Finanzamt) gezogen habe. Auch sei die Steuerberatungskanzlei der Beklagten mit der Klärung der Fragen beauftragt gewesen. Der Geschäftsführer der Beklagten sei nicht beteiligt gewesen. In dem Antrag vom 06.05.2014 seien auch nur pauschal Summen genannt worden, ohne dass auf konkrete Rechnungen Bezug genommen worden sei. Dies habe auch dazu geführt, dass das Finanzamt mit Schreiben vom 04.08.2014 zur Präzisierung aufgefordert hat, was mit Schreiben vom 24.10.2014 erfolgt sei. Die Bauleistenden seien durch das Finanzamt dann erst mit Schreiben vom 27.01.2015 angeschrieben worden. Die Firma R. habe dem Kläger auch mitgeteilt, dass eine Kenntnis im Jahr 2014 nicht gegeben war (Schreiben vom 23.04.2019, Bl. 81 f. d. A.). Auch die übrigen Zedenten hätten Erklärungen dahingehend abgegeben (Bl. 83 – 84 d. A.). Auch die Kommanditisten hätten mitgeteilt, dass es konkrete Absprachen nicht gegeben hätte (Bl. 85 – 86 d. A.). Diese seien zwar grundsätzlich von der geänderten Rechtsprechung informiert gewesen und davon, dass ein Erstattungsanspruch eingereicht werden sollte, aber es seien keine Details bekannt gewesen. Es habe in der Tat eine Abstimmung stattgefunden, allerdings erst im Jahr 2015. Die Vorlage des Protokolls vom 29.04.2014 sei auch nicht ausreichend, um eine Kenntnis zu begründen. Es hätten schon nicht sämtliche Geschäftsführer teilgenommen. Daneben sei auch kein endgültiger Beschluss gefasst worden, sondern nur eine Absichtserklärung abgegeben worden. Auch weiche der tatsächlich gestellte Antrag von den Erklärungen im Protokoll ab.

Es sei auch nicht auf die Kenntnis des Geschäftsführers D. abzustellen, da sich dieser in einem Interessenkonflikt befunden habe.

Die Beklagte habe versucht, auf die Kommanditisten Einfluss zu nehmen. Dies folge etwa aus einem Schreiben vom 26.02.2015 (Bl. 77 d. A.). Die Beklagte verhalte sich deshalb auch rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich vorliegend auf die Einrede der Verjährung berufe.

Die Beklagte könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, was aus der Entscheidung des BFH v. 23.02.2017 (V R 16 24/16) folge.

Der Kläger sei auch berechtigt, Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten zu verlangen, da die Forderungen nach ihrer Auffassung erst mit der Präzisierung des Erstattungsantrages und somit nach dem 29.07.2014 entstanden seien.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 271.228,62 € nebst 9 % Zinsen über dem

Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wendet ein, dass die Ansprüche verjährt seien. Die Zedenten hätten bereits seit dem Jahr 2014 Kenntnis von dem Antrag der Beklagten. Die Geschäftsführer der B1 GmbH, B2 GmbH, T. GmbH, D. GmbH würden gemeinsam mit den Kommanditisten der Beklagten die geschäftlichen Entscheidungen abstimmen. Man habe sich gemeinsam mit den Geschäftsführern im Frühjahr 2014 beraten, ob ein Erstattungsantrag gestellt werden solle und dieser wurde dann letztlich unstreitig am 06.05.2014 gestellt. Dies folge aus dem Protokoll vom 29.04.2014 (Anlage B1). Auch die Firmen A.H., O. GmbH & Co. KG und S. GmbH & Co. KG R. GmbH & Co. KG hätten nicht erst im Jahr 2015 von dem Erstattungsantrag erfahren. Der Geschäftsführer der R. GmbH & Co. KG und A.H. seien im Jahr 2014 mündlich über den Antrag informiert worden. Der Geschäftsführer der O. GmbH & Co. KG sei telefonisch im Jahr 2014 über den dort zuständigen Sachbearbeiter Herrn K. informiert worden. Auch die S. GmbH sei telefonisch im Jahr 2014 informiert worden. Es sei bereits am 06.05.2015 klar gewesen, dass für sämtliche Ansprüche aus den Jahren 2010 – 2012 Erstattung verlangt werden sollte. Spätestens aber mit Schreiben der Beklagten an das Finanzamt vom 24.10.2014 und damit noch im Jahr 2014 sei klar gewesen, auf welche Rechnungen sich der Antrag bezieht. Die anspruchsbegründenden Tatsachen seien jedenfalls grob fahrlässig unbekannt geblieben. Es komme auf das Wissen der organschaftlichen Vertreter an. Die Beklagte sei berechtigt, gemäß § 404 BGB die Einrede auch dem Kläger entgegenzuhalten.

Der Kläger sei auch allenfalls berechtigt, Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten geltend zu machen, da die vor dem 20.07.2014 geltende Regelung heranzuziehen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll v. 19.06.2019 (Bl. 107 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

I.

Die klagende Partei hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung in Höhe von insgesamt 250.694,01 € bzgl. der Forderungen der B1 GmbH, B2 GmbH, T. GmbH und D. GmbH.

1.

Die klagende Partei ist unstreitig berechtigt, nach wirksamer Abtretung die streitgegenständlichen Forderungen geltend zu machen.

2.

Die Zedenten haben vorliegend auch einen Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung der Umsatzsteuer.

a)

Sind ein Bauunternehmer und ein Bauträger bei einem zwischen ihnen vor Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) abgeschlossenen und durchgeführten Bauvertrag übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 UStG 2011 ausgegangen und hat der Bauträger die auf die erbrachten Leistungen des Bauunternehmers entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, steht dem Bauunternehmer aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung ein Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrags zu, wenn der Bauträger Erstattung der Steuer verlangt und deshalb für den Bauunternehmer die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gemäß § 27 Abs. 19 UStG die Umsatzsteuer abführen zu müssen (BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 –, juris, im Einzelnen Rn. 23). Die Voraussetzungen liegen unstreitig vor.

b)

Die Forderungen sind auch der Höhe nach unstreitig und rechnerisch nachvollziehbar.

3.

Die Ansprüche sind auch nicht verjährt.

Der Lauf der hier maßgeblichen regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Die Verjährung des vorliegenden Anspruchs beginnt somit gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Erstattungsantrag gestellt ist und der Bauunternehmer davon Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste (BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 –, Rn. 38, juris).

a)

Der Erstattungsanspruch wurde vorliegend unstreitig am 06.05.2014 gestellt.

Hiervon macht der BGH die Entstehung des Anspruchs maßgeblich abhängig. Ist der Antrag gestellt, folgert er hieraus sodann, dass damit schon für die Unternehmen die Gefahr bestünde, als Steuerschuldner gemäß § 27 Abs. 19 UStG herangezogen werden zu müssen (BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 –, juris, im Einzelnen Rn. 23).

Der Anspruch ist damit jedenfalls bereits im Jahr 2014 entstanden, selbst wenn man erst auf Oktober 2014, also den Zeitpunkt zu dem die Unterlagen nachgereicht worden sind, abstellt.

b)

Zwischen den Parteien ist dann weiter streitig, wann die jeweiligen Zedenten von der Antragsstellung Kenntnis erlangt haben oder hätten erlangen müssen und auf wen es hierbei ankam.

Der Bundesgerichtshof stellt in seinem Urteil vom 17.05.2018 dabei auf die Frage ab, wann das Unternehmen von der Antragstellung Kenntnis erlangt hat. Für die einzelnen Unternehmen ergibt sich damit Folgendes:

(1) B1 GmbH

Der Anspruch ist noch nicht verjährt.

(a)

Die Beklagte behauptet insoweit, dass die B1 bereits 2014 Kenntnis vom Antrag gehabt habe, weil es sich um die Kommanditistin der Beklagten handele und man sich im Frühjahr 2014 abgestimmt habe. Dieses Vorbringen ist nach Ansicht der Kammer zu unsubstantiiert.

(b)

Soweit die Beklagte mit der Duplik konkret von einer Besprechung am 29.04.2014 spricht und das Protokoll als Anlage B1 vorlegt, ergibt sich daraus bereits nicht, dass der Geschäftsführer Herr W. an der Besprechung überhaupt teilgenommen hat. Auch haben die Gesellschafter offensichtlich nicht teilgenommen. Insoweit fehlt es auch an Vortrag, wer überhaupt Gesellschafter der B1 ist.

Es kommt an dieser Stelle aber auch nicht streitentscheidend darauf an, ob die Gesellschafter – so die Auffassung der Klägerseite - Kenntnis erlangen mussten, denn unabhängig davon hat die Besprechung auch vor Stellung des Antrags am 06.05.2014 stattgefunden. Inhalt des Gespräches konnte also nicht sein, dass ein Antrag in der konkreten Form schon tatsächlich gestellt worden ist. Es sind nach Auffassung der Kammer allenfalls Absichtserklärungen abgegeben worden. Aus dem Protokoll (Anlage B1) ergibt sich nämlich nur, dass einstimmig beschlossen wurde, die anderen Gesellschafter vom <Beklagte> darüber zu informieren, dass man vorhat, die Gelder vom Finanzamt für die letzten 4 Jahre einzufordern und dies dazu führen wird, dass sich das Finanzamt an die Handwerker wenden wird und die Beträge zurückfordert. Abgesehen davon weicht der später gestellte Antrag auch hiervon ab, da lediglich Rechnungen für den Zeitraum 2010-2012 geltend gemacht wurden. Konkrete Rechnungen wurden ausweislich des Protokolls noch nicht festgelegt. Dies erforderte offensichtlich noch weitere Rücksprachen.

(c)

Dass die Gesellschaft zu einem späteren Zeitpunkt noch im Jahr 2014 nach dem 29.04.2014, nach Antragsstellung und vor dem Schreiben des Finanzamtes vom 27.01.2015 Kenntnis von der Antragstellung und zwar über den Inhalt des tatsächlich gestellten Antrages, also Summen, Zeiträume und Rechnungen erlangt hat, hat die Beklagte schon nicht unter Beweisantritt dargelegt.

(d)

Darüber hinaus hat der Kläger ein Schreiben der B1 GmbH vom 24.04.2019 (Bl. 85 d. A.) vorgelegt, woraus sich ergibt, dass die Gesellschafter nur einen groben Überblick gehabt hätten. Auch dies spricht eher gegen eine Kenntnis und führt im Ergebnis auch dazu, dass die Substantiierungslast der Beklagten erhöht wird (§ 138 Abs. 2 ZPO). Die Beklagte ist diesem Vorbringen im Schriftsatz vom 11.06.2019 jedoch nicht weiter entgegengetreten.

(e)

Für eine Kenntnis des Herrn W. spricht jedoch, dass er im Jahr 2014 auch Geschäftsführer der Beklagten war. Bei pflichtgemäßer Ausübung seiner Pflichten hätte er Kenntnis erhalten müssen.

(aa)

Auf seine Kenntnis kommt es auch an.

Bei juristischen Personen ist grundsätzlich die subjektive Situation desjenigen Organs maßgebend, dem die Vertretung im Prozess obliegt. Bei Personenhandelsgesellschaften kommt es dementsprechend – ebenfalls grundsätzlich – auf die zur Vertretung und Geschäftsführung befugten Komplementäre an. Doch muss sich die Gesellschaft auch das Wissen oder grob fahrlässige Nichtwissen derjenigen Personen zurechnen lassen, von denen bei ordnungsgemäßer Organisation der unternehmensinternen Kommunikation eine Information des Vertretungsorgans erwartet werden konnte. Dieses von der Rspr. unter Abkehr von der früher vertretenen Organtheorie entwickelte Prinzip der Wissensverantwortung juristischer Personen und anderer arbeitsteiliger Organisationsformen gründet die informationsbezogenen Organisationspflichten zwar in erster Linie auf Verkehrsschutzgesichtspunkte. Ihrer sinngemäßen Übertragung auf das subjektive Moment iSv § 199 Abs. 1 Nr. 2 steht dies jedoch nicht entgegen. Denn der Gedanke, dass das Risiko aus der Wissensaufspaltung im Unternehmen im Verhältnis zu Dritten derjenige zu tragen hat, der sie veranlasst hat und durch zweckmäßige Organisation beherrschen kann, hat gerade auch bei der Verjährung, die ihrerseits Elemente des Vertrauensschutzes enthält, seine Berechtigung. Auch der Schuldner darf erwarten, dass die Gesellschaft in Bezug auf solche Informationen, die für die Geltendmachung von Ansprüchen von wesentlicher Bedeutung sind, sich so organisiert, dass ihre Weiterleitung an das hierfür zuständige Organ gewährleistet ist. (Grothe, Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2018 Rn. 36 zu § 199 BGB).

Eine Wissenszurechnung scheidet auch nicht aus, weil nicht dieser Schuldner der Forderung ist, sondern die Beklagte als Gesellschaft (Palandt, § 199 BGB, Rn. 25).

(bb)

Es mag an dieser Stelle jedoch offenbleiben, ob Herr W. Kenntnis hatte oder nicht, da, selbst wenn man davon ausginge, das Verhalten der Beklagten, sich nunmehr auf die Verjährung zu berufen, jedenfalls rechtsmissbräuchlich wäre.

Der Schuldner ist gemäß § 242 BGB verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Das heißt, dass auch die treuwidrige Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage missbräuchlich und unzulässig ist. Wann ein solcher Rechtsmissbrauch vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalles. Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit, ist nicht erforderlich. Der Grundsatz von Treu und Glauben als Gebot der Redlichkeit und allgemeine Schranke der Rechtsausübung beschränkt neben subjektiven Rechten auch Rechtsinstitute und Rechtsnormen. Die sich aus letzteren ergebenden Rechtsfolgen müssen daher zurücktreten, wenn sie zu einem mit Treu und Glauben unvereinbaren, schlechthin untragbaren Ergebnis führen würden (Palandt BGB, § 242, Rn. 38 - 40).

Die B1 hat ihre Forderung gegen die Beklagte im Jahr 2018, also zu einer Zeit, als diese nach Auffassung der Beklagten bereits verjährt war, an das Finanzamt abgetreten. Diese Abtretung wirkt gemäß § 27 Abs. 19 S. 4 UStG auch erfüllungshalber, da die dort genannten Voraussetzungen Nr. 1 – Nr. 3 erfüllt sind und die Kammer hinsichtlich Nr. 4 jedenfalls keine entgegenstehenden Anhaltspunkte hat. Es war damit klar, dass das Finanzamt nicht mehr an die B1 wird herantreten können, sollte sie die Forderung gegen die Beklagte nicht durchsetzen können.

(cc)

Vor diesem Hintergrund erscheint es der Kammer unbillig und führt zu einem untragbaren Ergebnis, dass die Beklagte nunmehr, nachdem die B1 und ihr Geschäftsführer W., der zeitgleich Geschäftsführer der Beklagten war, die Forderung zunächst erfüllungshalber abgetreten haben, sich nunmehr auf die Verjährung beruft, sodass das Finanzamt auch ihr gegenüber die Forderung nicht mehr durchsetzen kann.

(2) B2 GmbH

Auch hinsichtlich der B2 GmbH ist die Forderung nicht verjährt.

Deren Geschäftsführer St. war am 24.04.2014 zwar anwesend. Aus dem Protokoll (Anlage B1) ergibt sich jedoch nur, dass einstimmig beschlossen wurde, die anderen Gesellschafter vom <Beklagte> darüber zu informieren, dass man vorhat, die Gelder vom Finanzamt für die letzten 4 Jahre einzufordern und dies dazu führen wird, dass sich das Finanzamt an die Handwerker wenden wird und die Beträge zurückfordert. Der Geschäftsführer hat auch nur dies mit E-Mail vom 26.04.2019 (Bl. 86 d. A.) gegenüber der Klägerseite bestätigt.

Da die Besprechung vor Stellung des Antrags am 29.04.2014 stattgefunden und allenfalls Absichtserklärungen abgegeben worden sind, genügt die Vorlage des Protokolls nicht, um nachzuweisen, dass das Unternehmen Kenntnis von der Antragstellung noch im Jahr 2014 erlangt hat. Dass es sich um eine bloßes Absichtserklärung gehandelt hat, wird auch gestützt durch die Tatsache, dass sich der tatsächlich gestellte Antrag nicht auf die letzten vier Jahre, also 2010 – 2014 bezog, sondern lediglich einen Zeitraum bis 2012 umfasste.

Es kommt daher auch hier nicht darauf an, wer Kenntnis erlangen musste. Da die GmbH im Prozess durch den oder die Geschäftsführer vertreten wird (§ 35 I 1 GmbHG) wäre aber auf dessen Wissen abzustellen (vgl. hierzu (4) (b)).

(3) T. GmbH

Auch diese Forderung ist nicht verjährt. Es gilt das zu (1) (a) – (d) und (2) Gesagte entsprechend.

(4) D. GmbH

Die Forderung ist nach Ansicht der Kammer ebenfalls nicht verjährt.

(a)

Auch hier gilt grundsätzlich zunächst das zu (2) Gesagte entsprechend.

Für die Kenntnis des Geschäftsführers D. spricht jedoch, dass der Geschäftsführer Herr D. ebenfalls Geschäftsführer der Beklagten ist und daher jedenfalls im Jahr 2014 noch von der Antragstellung Kenntnis erlangt haben muss bzw. hätte erlangen müssen, wenn er seine Aufgaben als Geschäftsführer ordnungsgemäß erfüllt hat.

(b)

Auf seine Kenntnis kommt es auch an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hier auf die Ausführungen zu (1) (e) (aa) verwiesen.

(c)

Es liegt aber auch hier ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten vor, da sie sich auf die Einrede der Verjährung beruft, obwohl der Geschäftsführer, Herr D. im Jahr 2018, als die Forderung nach Ansicht der Beklagten bereits verjährt war, erfüllungshalber an das Finanzamt abgetreten hat. Es wird insoweit auf die Ausführungen zu (1) (e) (bb) und (cc) verwiesen.

II.

Die klagende Partei hat auch einen Anspruch bzgl. der Forderungen der Firmen A.H., O. GmbH & Co. KG, S. GmbH & Co. KG und R. GmbH & Co. KG in Höhe von insgesamt 20.534,61 €.

1.

Der Kläger ist auch insoweit unstreitig berechtigt nach wirksamer Abtretung die streitgegenständlichen Forderungen geltend zu machen. Diese sind auch der Höhe nach unstreitig.

2.

Es gilt das zu I. Ziff. 2 Gesagte entsprechend.

3.

Zunächst gilt das zur Verjährung unter I Ziff. 3 Gesagte entsprechend.

a)

Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass diese Unternehmen Kenntnis von der Antragstellung in der konkreten Form hatten. Sie legt schon nicht dar, wer auf Seiten der Beklagten mit den jeweiligen Unternehmen, wann gesprochen hat, insbesondere aber auch nicht, was konkret Inhalt dieses Gespräches gewesen ist. Es bleibt unklar, ob die Gespräche vor oder nach Antragstellung stattgefunden haben. Hinsichtlich der Firma O. & Co. KG wird schon nur behauptet, dass mit dem zuständigen Sachbearbeiter gesprochen wurde und dieser die Information weiterleiten wollte.

Auf die fehlende Substanz hat die Klägerseite bereits hingewiesen (Bl. 61 d. A.). Die Kammer hat im Termin vom 19.06.2019 erneut darauf hingewiesen. Die Beklagtenseite hat keinen Schriftsatznachlass beantragt und trägt auch mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 25.06.2019 hierzu nichts weiter vor.

b)

Des Weiteren hat die Klägerseite auch insoweit Schreiben vorgelegt (vgl. Bl. 81 ff. d. A.), wonach eine konkrete Kenntnis nicht schon 2014 bestand und die benannten Zeugen bereits mitgeteilt haben, dass es 2014 keine Gespräche mit der Beklagten gegeben habe, in denen sie über die Antragstellung informiert worden seien.

Jedenfalls im Hinblick hierauf hätte die Beklagte gemäß § 138 Abs. 2 ZPO weiter vortragen müssen, in welchem Rahmen und wann in etwa (z. B. Sommer) die behaupteten Gespräche oder Telefonate stattgefunden haben, um ihrer Substantiierungslast zu entsprechen. Dies hat sie aber nicht getan.

c)

Eine Beweisaufnahme war daher nicht durchzuführen, da sie nach Ansicht der Kammer einer unzulässigen Ausforschung gleichgekommen wäre. Die Zeugen hätte auf Vorhalt der konkreten Behauptung der Beklagten hin allenfalls mit „Ja“ oder „Nein“ antworten können, sodass die Kammer gehalten gewesen wäre weitere Nachfragen zu Ort, Zeit, Anlass und beteiligten Personen zu stellen. Dies entspricht dem Ausforschungsbeweis.

III.

Die klagende Partei hat gemäß §§ 288 II, 291 BGB auch Anspruch auf Zinsen ab Rechtshängigkeit, jedoch nur in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz. Voraussetzung für den Zinsanspruch ist, dass der Anspruch fällig und durchsetzbar ist (Palandt, § 291 BGB, En. 5). Für die Höhe des für Prozesszinsen geltenden Zinssatzes verweist § 291 BGB auf § 288 BGB. Hierzu gibt es in Art. 229 § 34 EGBGB eine einschlägige Übergangsvorschrift, wonach die §§ 271a, 286, 288, 308 und 310 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit dem 29. Juli 2014 geltenden Fassung nur auf ein Schuldverhältnis anzuwenden ist, das nach dem 28. Juli 2014 entstanden ist. Hiermit ist die Entstehung der zu verzinsenden Geldschuld und nicht der Zinsanspruch gemeint (vgl. BGH Urt. v. 25.01.2013 – V ZR 118/11, juris-Rn. 26). Der vorliegende Anspruch ist mit Eintritt der Gefahr entstanden, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner die Umsatzsteuer abzuführen (BGH, Urt. v. 17.05.18 – VII ZR 157/17, juris- Rn. 38). Diese Gefahr ist mit Stellung des Antrags am 06.05.2014 entstanden (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.18 – VII ZR 157/17, juris-Rn. 38). Auf die Entscheidungsreife, wie es die klagende Partei vorträgt, kommt es hingegen nicht an. Es ist daher § 288 Abs. 2 BGB in der Form vor dem 28.07.2014 anzuwenden.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.