Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 30.01.2004, Az.: 13 A 4136/01

Hilfe zur Arbeit; Kostenerstattung; Kürzung der Sozialhilfe; Umfang der Kostenerstattung; Verpflichtung zur Arbeit; Wechsel der örtlichen Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
30.01.2004
Aktenzeichen
13 A 4136/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50483
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Anspruch auf Kostenerstattung entfällt, wenn der Erstattung begehrende Träger Leistungen entgegen § 25 Abs. 1 BSHG gewährt.

Tatbestand:

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Die Klägerin verlangt von der Beklagten Erstattung der Kosten, die ihr durch die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an Herrn ...in der Zeit vom 29. April 1997 bis 24. April 1999 entstanden sind.

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Der am 1. Juni 1946 geborene ...war in der Zeit vor 1996 in Wilhelmshaven als selbständiger Kaufmann tätig. Nachdem das Amtsgericht Wilhelmshaven mit Beschluss vom 12. April 1996 (Az.: 10 N 10/96) die Sequestration des Geschäftsbetriebes angeordnet hatte, wies es mit Beschluss vom 22. September 1997 den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des ...ab, weil sich eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Masse nach dem Bericht des eingesetzten Sequesters und den weiteren Ermittlungen des Gerichts nicht feststellen ließ. Noch vor Ergehen dieses Beschlusses zog Herr ...im April 1997 von Wilhelmshaven nach Hamburg um. Dort lebte er zunächst bei seinem Bruder und Bekannten. Ab dem 29. April 1997 erhielt er Hilfe zum Lebensunterhalt von der Klägerin. Mit Hilfe des Landessozialamtes der Klägerin gelang es Herrn ..., zum 1. April 1998 eine Wohnung im Haus ...in Hamburg anzumieten. Ab diesem Zeitpunkt gewährte ihm die Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Kosten für diese Unterkunft. Weiter gewährte die Klägerin Herrn ...verschiedene einmalige Beihilfen. In einem Vermerk eines Mitarbeiters der Klägerin vom 28. Mai 1998 heißt es, Herr ...habe sich nunmehr für den ...gemeldet, habe aber noch keinen Personalausweis. Weiter wird in diesem Vermerk ausgeführt:

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„Ai hat keine Arbeitssuche nachgewiesen. Er hat sich nur der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt.“

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Die Frage der Herrn ...zumutbaren Arbeitsbemühungen wird auch im Vermerk vom 29. September 1998 aufgegriffen. In diesem Vermerk, der die Bezeichnung „keine Arbeitsvermittlung möglich“ trägt, heißt es:

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Mit Herrn .... wurde sich bereits mehrfach über die sonst übliche Zeit unterhalten, um festzustellen, ob eine Vermittlungsmöglichkeit besteht. Zuletzt am 29.09.1998 über ca. 1,5 Stunden. Herr ...war lange Jahre selbständig und schwebt in den Regionen von vorgestern. Er hat nach seinen Angaben ca. 250.000,00 Schulden, der Gerichtsvollzieher geht bei ihm ein und aus. Eidesstattliche Versicherung wurde abgegeben. Fragen, die er gestellt hat und ihm beantwortet sind, hat er nach kurzer Zeit vergessen und stellt die Fragen erneut. Er träumt immer noch von der Selbständigkeit, er hält sich für einen „Macher“. Durch sein Auftreten wird kein Arbeitgeber ihn mit der Vorgeschichte einstellen und HAB will er nicht. Gezw . werden kann er nicht, da freiw. vorausgesetzt.“

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Während der weiteren Gewährung von Hilfe findet sich hinsichtlich der Bemühungen, Herrn ...in Arbeit zu bringen unter dem 31. August 1999 der Vermerk, dass ihm ein Vermittlungsnachweis ausgehändigt wurde und - am 7. September 1999 - die Notiz, dass der Vermittlungsnachweis vorliege, Herr ...aber nicht vermittelbar sei. Im September 2000 wurde Herrn ...von der Klägerin mitgeteilt, es sei die Agentur „Zeitwerk“ als Kooperationspartner beauftragt, für ihn einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden; zugleich wurde Herr ...aufgefordert, dort vorzusprechen und sich zu informieren. Dieser Aufforderung kam Herr ...nicht nach, worauf die Klägerin bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt im Monat November 2000 seinen Regelsatz um 25 % kürzte. Rechtsmittel des Herrn ...blieben erfolglos. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2000 wies das Verwaltungsgericht Hamburg (Az.: 21 VG 4291/2000) einen von ihm gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

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Bereits etwa zweieinhalb Jahre zuvor bat die Klägerin mit Schreiben vom 10. März 1998 die Beklagte die Pflicht zur Erstattung der Aufwendungen für Herrn ...anzuerkennen. Mit Schreiben vom 30. Juli 1998 erkannte die von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch an, „soweit eine Erstattungsverpflichtung gegeben sei“. Außerdem bat sie die Klägerin, ihr die Leistungsakte zur Einsicht zu übersenden. Die Klägerin übersandte daraufhin eine Kostenaufstellung über die Aufwendungen für Herrn ...in der Zeit vom 29. April 1997 bis 31. August 1997 sowie einen „Sachstandsausdruck“ aus der (elektronisch geführten) Akte des Bezirksamts Wandsbek. Nachdem die Beklagte eine weitere Aufstellung erbeten und um Auskunft ersucht hatte, was gegenüber Herrn ...gefordert oder unternommen worden sei, um ihn zur Arbeitsaufnahme zu bewegen, teilte ihr die Klägerin unter Übersendung einer Einzelaufstellung mit, sie verfahre bezüglich einer Arbeitsaufnahme gemäß § 18 BSHG „nach den gesetzlichen Bestimmungen“. Auf weitere Nachfragen der Beklagten teilte die Klägerin schließlich mit, Herr ...habe sich vierteljährlich bei Arbeitsamt Hamburg der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt. Eine Vermittlung sei jedoch in Anbetracht seiner bekannten wirtschaftlichen Situation schwierig. Unabhängig davon stelle die Klägerin gemäß § 19 BSHG keine Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung. Zu bedenken sei, dass im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes auch keine Verpflichtung des Trägers der Sozialhilfe bestehe, Arbeitsgelegenheiten zu beschaffen. Die Hamburger Arbeitsbeschäftigungsgesellschaft (HAB) nehme nur motivierte Sozialhilfeempfänger in ihr Beschäftigungsprogramm auf. Herr ...sei hoch verschuldet und dementsprechend unmotiviert. Eine Arbeitsmöglichkeit bei der HAB habe er abgelehnt. Im übrigen habe der Sachbearbeiter sich länger mit ihm wegen einer Vermittlungsmöglichkeit unterhalten und ihn als nicht vermittelbar eingestuft. Nachdem die Beklagte auch im Hinblick auf diese Mitteilungen nicht bereit war, Kostenerstattung zu leisten, hat die Klägerin mit einem am 12. Dezember 2001 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben.

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Sie ist der Auffassung, ihr stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Kostenerstattung aus § 107 BSHG zu. Herr ...habe sich regelmäßig beim Arbeitsamt gemeldet. Darüber hinaus hätten Mitarbeiter ihres Landessozialamtes und ihres Bezirksamtes Wandsbek mehrfach Gespräche mit Herrn ...über eine Arbeitsaufnahme und über seine Vermittlungsfähigkeit geführt. Dabei habe sich ergeben, dass er nicht vermittlungsfähig gewesen sei. Herr ...habe auch die Vermittlung einer Arbeitsstelle, die ihm die HAB angeboten habe, abgelehnt. Aus welchem Grunde keine Kürzung des Regelsatzes durchgeführt worden sei, sei nicht bekannt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass in den Jahren 1997 und 1998 es in ihrem Gebiet als einzigen Träger von Maßnahmen nach § 19 BSHG die HAB gegeben habe. Zwar seien weitere Modelle der Vermittlung in Arbeit geprüft worden, deren Ziel sei es jedoch gewesen, die Hilfeempfänger auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, ihr 10.980,53 € für die in der Zeit vom 29. April 1997 bis 24. April 1999 aufgewandte Hilfe zum Lebensunterhalt für ...zu erstatten sowie 4 % Prozesszinsen auf 10.980,53 € zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, die Klägerin habe bei der Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt an Herrn ...ihre Sorgfaltspflichten vernachlässigt. Die Klägerin habe alles zu tun, um den erstattungsfähigen Aufwand so niedrig wie möglich zu halten. Insbesondere hätte sie Herrn ...veranlassen müssen, seine Arbeitskraft zur Beschaffung seines Lebensunterhaltes einzusetzen. Dies erschöpfe sich nicht in der Meldung beim Arbeitsamt als Arbeitssuchender. Diese habe die Klägerin offenbar für ausreichend erachtet. Auch sei die Entscheidung, Herrn ...als nicht vermittelbar einzustufen, nicht nachvollziehbar. Eine hohe Verschuldung sei kein Grund, der gegen eine Arbeitsaufnahme spreche. Dies habe auch das Verwaltungsgericht Hamburg in dem in einem Verfahren des Herrn ...ergangenen Beschluss vom 20. Oktober 2000 ausgeführt. Im übrigen habe die Klägerin nicht einmal versucht, die von ihrem Sachbearbeiter angenommenen psychischen Probleme des Herrn ...durch den Amtsarzt überprüfen zu lassen. Unabhängig davon sei zu berücksichtigen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts Hilfeempfänger in Hamburg in kürzerer Zeit - wenn auch nur geringfügigere - Erwerbstätigkeiten finden könnten und daher jederzeit auf diese Arbeitsmöglichkeiten zu verweisen seien. Die Klägerin habe es versäumt, Herrn ...dazu zu veranlassen, auch kurzfristige Beschäftigungen oder Teilzeitbeschäftigungen aufzunehmen und Konsequenzen daraus zu ziehen, dass Herr ...eine Arbeitsmöglichkeit bei der Hamburgischen Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaft abgelehnt habe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstande wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat nur teilweise Erfolg.

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Der Klägerin steht die Beklagte ein Anspruch aus § 107 Abs. 1 BSHG auf Erstattung von 7.135,53 € im Hinblick auf die in der Zeit vom 29. April 1997 bis 30. September 1998 an Herrn ...geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt zu.

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Nach § 107 Abs. 1 BSHG ist, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verzieht, der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderliche werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsels der Hilfe bedarf. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen, worüber die Beteiligten nicht streiten, vor. Herr ...ist im Laufe des Monats April 1997 aus dem Zuständigkeitsgebiet der Beklagten in das der Klägerin verzogen. Seit dem 29. April 1997 hat ihm die Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Krankenhilfe bewilligt. Die Hilfegewährung ist auch innerhalb von zwei Jahren nach dem Umzug des Herrn ...nach Hamburg nicht unterbrochen worden oder gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten entfallen. Für den somit dem Grunde nach bestehenden Erstattungsanspruch der Klägerin ist allein entscheidend, ob die aufgewendeten Kosten erstattungsfähig sind. Dies ist gemäß § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG insoweit der Fall, als die Hilfe den Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes entspricht. § 111 Abs. 1 Satz 2 BSHG bestimmt ergänzend, dass die Grundsätze für die Gewährung von Sozialhilfe, die am Aufenthaltsort des Hilfeempfängers zur Zeit der Hilfegewährung bestehen, Geltung beanspruchen.

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Die Klägerin bewilligte Herrn ...in der Zeit vom 29. April 1997 bis Ende September 1998 Hilfe zum Lebensunterhalt und Krankenhilfe in Höhe von 7.135,53 € (= 13.955,88 DM). Davon entfallen 964,67 DM auf den Monat September 1998, 12.991,21 DM auf die Zeit bis einschließlich 31. August 1998. Diese Leistungen entsprachen den Regelungen des BSHG, insbesondere den §§ 18, 19 BSHG.

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Nach § 18 Abs. 1 BSHG muss jeder Hilfesuchende seine Arbeitskraft zur Beschaffung seines Lebensunterhalts einsetzen. Daraus folgt, dass der Hilfesuchende, der keine Arbeit hat, verpflichtet ist, sich beim Arbeitsamt als arbeitssuchend zu melden und eine ihm von einem Arbeitgeber angebotene oder vom Arbeitsamt, dem Sozialhilfeträger oder einem Dritten nachgewiesene zumutbare und konkret zur Verfügung stehende Erwerbstätigkeit aufzunehmen (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 - Az.: 5 C 20.93 -, BVerwGE, 98, 203, 206). Dazu gehören eine sozialversicherungspflichtige Voll- und Teilzeitarbeit, eine geringfügig entlohnte Beschäftigung (§ 8 SGB IV) sowie Urlaubsvertretungen, Aushilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten jeglicher Art (OVG Hamburg, FEVS 49, 44; Berlit, NDV 1997 S. 177, 178). Unabhängig von den Bemühungen des Arbeitsamtes oder des Sozialamtes hat sich der Hilfeempfänger auch selbst auf dem für ihn zugänglichen Arbeitsmarkt um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Dabei verletzen fehlende oder unzureichende eigene Bemühungen die Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft nur dann, wenn diese nach der örtlichen und regionalen Lage auf dem Arbeitsmarkt konkrete Erfolgsaussichten besitzt (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995, a.a.O.). Daneben trifft Hilfesuchende eine Pflicht zur Annahme von Arbeitsgelegenheiten, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese mit arbeitsmarktüblichen Vertragsbedingungen angeboten werden oder ob es sich dabei um gemeinnützige und zusätzliche Arbeit nach § 19 Abs. 2 BSHG handelt. Entscheidend ist lediglich, ob dem Hilfesuchenden eine Arbeit oder Arbeitsgelegenheit im Sinne des § 18 Abs. 3 BSHG zugemutet werden kann. Nach Aktenlage lässt sich nicht genau feststellen, in welchem Umfang Herr ...diesen Verpflichtungen nachgekommen ist. Aus dem Vermerk im Verwaltungsvorgang der Klägerin vom 28. Mai 1998 ergibt sich aber immerhin, dass er sich „der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt“ hat, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich Herr ...beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet und dort entsprechend vorgesprochen hat. Über weitere Aktivitäten, etwa eine Arbeitssuche, ein Versuch von Herrn ..., Teilzeitjobs oder eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen, ergibt sich aus dem Verwaltungsvorgang nichts.

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Daraus folgt jedoch noch nicht, dass die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an Herrn ...nicht den Vorschriften des BSHG entsprochen hätte. Dabei kann offen bleiben, ob die Einschätzung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 14. April 1998 - 4 BS 138/98 -, NDV-RD 1998, S. 120 [OVG Hamburg 14.04.1998 - 4 Bs 131/98] = FEVS 49, S. 44) zutrifft, dass ein Hilfesuchender in Hamburg „innerhalb kürzester Zeit eine - wenn auch nur gering vergütete - Erwerbstätigkeit finden“ könne, „da die Tagesjobs - Vermittlung des Arbeitsamtes und zahlreiche Zeitarbeitsfirmen selbst für ungelernte Kräfte laufend kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten“ anböten. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob diese - zumindest in der veröffentlichten Entscheidung - nicht auf nachprüfbares statistisches Material gestützte Einschätzung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts noch auf Personen zutrifft, die 50 Jahre oder älter sind. Entgegen der in der genannten Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vertretenen Ansicht entfällt die im Hinblick auf § 2 Abs. 1 BSHG der Anspruch eines Hilfesuchenden oder Hilfeempfängers nicht schon dann, wenn möglicherweise im Wege der Selbsthilfe Arbeitsmöglichkeiten zu erlangen sind. Vielmehr greifen die §§ 18 bis 20, 25 Abs. 1 BSHG ein, die ein abgestuftes und differenziertes System der Reaktionen auf die Verletzung der sozialhilferechtlichen Pflicht, die Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhaltes einzusetzen, bereitstellen (OVG Münster - Beschluss vom 9. Januar 2001 - 22 B 1425/00 -, FEVS 52, 327, 328). Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften über die Hilfe zur Arbeit und die Kürzungsregelung des § 25 Abs. 1 BSHG die besondere Lebenslage, die bei einer Arbeitsverweigerung oder Verletzung der Pflicht, zumutbare Arbeit zu leisten, besteht und daher die gegenüber dem Nachranggrundsatz spezielleren Rechtsgrundlagen darstellen (VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Dezember 2000 - 7 S 2137/00 - NDV-RD 2001, 36 [VGH Baden-Württemberg 11.12.2000 - 7 S 2137/00] -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. Februar 2000 - Az.: 12 M 483/00 -, V.n.b.). Anhaltspunkte dafür, dass Herrn ...ihm angebotene oder für ihn ohne weiteres erreichbare Beschäftigungen nicht aufgenommen hätte, bestehen nicht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang weiter, dass nach der Einschätzung des für Herrn ...zuständigen Sachbearbeiters er aufgrund seines persönlichen Schicksals und aufgrund seines Auftretens wohl keine Chancen auf dem Freien Arbeitsmarkt hatte.

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Dem Erstattungsanspruch, soweit er die Erstattung von Herrn ...gewährten Leistungen bis einschließlich 30. September 1998 betrifft, lässt sich auch nicht entgegen halten, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung, Herrn ...Hilfe zur Arbeit zu leisten, nicht nachgekommen ist. Dabei ist der Beklagten einzuräumen, dass sich aus dem Verwaltungsvorgang der Klägerin lediglich entnehmen lässt, dass diese durch Gespräche des Sachbearbeiters mit Herrn ...entsprechend § 18 Abs. 2 Satz 1 BSHG darauf hingewirkt hat, dass sich Herr ... um Arbeit bemüht und Arbeit findet. Zu diesem „Hinwirken“, das dem Träger der Sozialhilfe obliegt, gehört es, den Hilfeempfänger aufzufordern und anzuhalten, sich um Arbeitsmöglichkeiten zu bemühen und ihn durch persönliche Hilfe oder andere Leistungen nach § 8 BSHG bei Aktivitäten zur Arbeitsaufnahme zu unterstützen (Kunst in Oestreicher, Kommentar, BSHG, § 28 Rdnr. 10; Fasselt in Fichtner, Kommentar BSHG, § 18 Rdnr. 3). Allerdings räumt das Gesetz sowohl in § 18 Abs. 2 Satz 1 BSHG als auch in § 19 Abs. 1 Satz 1 BSHG, wonach für Hilfesuchende, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden sollen, dem jeweils zuständigen Träger der Sozialhilfe einen relativ weiten Handlungsspielraum ein und überlässt ihm die Entscheidung, ob und welche Maßnahmen er wann und mit welcher Zielrichtung ergreifen will. Hierbei steht es dem Träger frei, Tätigkeitsschwerpunkte zu bilden und Zielrichtungen zu definieren sowie an lokale Besonderheiten, vorhandene Organisationen und Initiativen anzuknüpfen. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Klägerin - außer gelegentlichen beratenden Gesprächen durch Mitarbeiter des Sozialamtes - nicht weiter auf Herrn ...eingewirkt hat, seiner Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft nachzukommen und für ihn auch - zunächst - keine Arbeitsgelegenheit im Sinne des § 19 BSHG geschaffen hat. Zunächst ist nachvollziehbar, dass von derartigen Aktivitäten für die Zeit abgesehen wurde, in der Herr ... keine eigene Wohnung hatte und bei seinem Bruder oder bei anderen Bekannten im Bereich der Klägerin übergangsweise gelebt hat. Auch für die Zeit nach dem 1. April 1998 ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger sowohl nach dem Eindruck, den die Sachbearbeiter der Sozialbehörde der Klägerin von ihm gewonnen hatten, als auch im Hinblick auf sein Alter sich nicht für eine besondere Förderung von Arbeitsaktivitäten anbot. Insoweit ist in Rechnung zu stellen, dass nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BSHG „insbesondere für junge Menschen Arbeitsgelegenheiten“ geschaffen werden sollen. Allerdings hat der Beklagte - wie der Vermerk vom 29. September 1998 zeigt - die Notwendigkeit gesehen, mit dem Kläger über seine Vermittlungsmöglichkeiten und seine Verpflichtung zur Arbeit zu sprechen. Aus dem gleichen Vermerk ergibt sich, dass der Kläger in diesem Gespräch oder zuvor das Angebot einer Arbeitsgelegenheit bei der Hamburger Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaft (HAB), anzunehmen, abgelehnt hat. Anhaltspunkte, dass diese Arbeitsgelegenheit Herrn ...nicht zumutbar i.S. des § 18 Abs. 3 BSHG gewesen sein sollte, bestehen nicht.

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Damit war der Klägerin ab diesem Zeitraum bekannt, dass sich Herr ... weigerte, zumutbaren Maßnahmen nach dem § 19 BSHG nachzukommen. Hierauf hat die Klägerin nicht reagiert und auch die zwingende Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG, wonach die Hilfe in einer ersten Stufe um mindestens 25 v. H. des maßgeblichen Regelsatzes zu kürzen ist, nicht beachtet. Die Klägerin hat vielmehr Herrn ... weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt und erst im Jahr 2000 erneut versucht, seine Arbeitsverpflichtung - unter anderem durch Einschaltung eines privaten Vermittlungspartners - durchzusetzen und - als der Kläger keine Anstalten machte, seiner Arbeitsverpflichtung nachzukommen, dessen Regelsatz gekürzt.

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Die Gewährung von Sozialhilfe an Herrn ...in der Zeit ab Oktober 1998 bis einschließlich 29. April 1999 entspricht somit nicht den Regelungen des Bundessozialhilfegesetzes, so dass die Klage, soweit für diesen Zeitraum Erstattung begehrt wird, abzuweisen ist. Die weitere Gewährung ungekürzter Hilfe hat nicht berücksichtigt, dass nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG derjenige, der sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten oder zumutbaren Maßnahmen nach den §§ 19 und 20 BSHG nachzukommen, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass - im Hinblick auf den Charakter des § 25 Abs. 1 BSHG als Hilfenorm - damit der Hilfeempfänger aus der Betreuung des Trägers der Sozialhilfe entlassen wird. Durch den Wegfall des Anspruchs auf Hilfe wird der Träger vielmehr bei der Gestaltung der Hilfe und ihrer Anpassung der Besonderheiten des Einzelfalles freier gestellt und hat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe weiterhin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erbracht werden sollten (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 - 5 C 20/93 -, BVerwGE 98, 203). Dieses Ermessen hat der Gesetzgeber dadurch eingeschränkt, dass nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG die Hilfe in einer ersten Stufe um mindestens 25 v. H. des maßgebenden Regelsatzes zu kürzen ist. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift zeigt, dass der Träger der Sozialhilfe im Einzelfall auch berechtigt ist, eine über 25 v. H. hinausgehende Kürzung des maßgebenden Regelsatzes vorzunehmen (VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Dezember 2000 - 7 S 2137/00 -, NDV-RD 2001, 36 [VGH Baden-Württemberg 11.12.2000 - 7 S 2137/00]). Zu berücksichtigen ist weiter, dass dann, wenn die Kürzung der ersten Stufe keine Änderung des Verhaltens des Hilfeempfängers bewirkt, der Träger der Sozialhilfe unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes weiter kürzen und letztlich auch die Gewährung von Sozialhilfe ganz einstellen kann. In Anbetracht dieses weiten Handlungsspielraums der Klägerin lässt sich nicht bestimmen, in welcher Höhe die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an Herrn ...in der Zeit ab Oktober 1998 im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem Gesetz entspricht. Dies geht zu Lasten der Klägerin, zumal die Gewährung weiterer laufender Hilfe ohne jede Reaktion auf die Weigerung, zumutbaren Maßnahmen nachzukommen, auch gegen den Interessenwahrungsgrundsatz verstieß. Dieser besagt, dass der hilfegewährende Träger die Pflicht hat, alle nach Lage des Einzelfalles rechtlich gebotenen und zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um den Zielrichtungen des Bundessozialhilfegesetzes gerecht zu werden sowie die erstattungsfähigen Kosten niedrig zu halten. Diese Pflicht ist hier dadurch verletzt, dass die Klägerin entgegen der zwingenden Vorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG gehandelt und entgegen dieser Regelung angenommen hat, Maßnahmen der Hilfe nach § 25 BSHG kämen deshalb nicht in Betracht, weil die Aufnahme einer Arbeitsgelegenheit eine „freiwillige Entscheidung“ des Hilfeempfängers voraussetzten. Dem steht nicht entgegen, dass Mitarbeiter der Klägerin, die für Herrn ...zuständig waren, angenommen haben, Herr ...sei nur sehr schwer vermittlungsfähig, da er immer noch von seiner Selbständigkeit „träume“. Dies verkennt, dass die §§ 18, 19 BSHG gerade die Unterstützung des Hilfeempfängers im Hinblick auf eine Eingliederung in das Arbeitsleben zum Ziel haben und dadurch eine Wiedergewöhnung an Arbeitstätigkeit und Belastbarkeit des Hilfeempfängers erreicht werden soll. Vor diesem Hintergrund steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Erstattungsanspruch der für ...aufgewandten Sozialhilfeleistungen in der Zeit ab 1. September 1998 auch nicht teilweise zu. Es lässt sich nämlich nicht absehen, wie sich die Gewährung von Sozialhilfe an Herrn ...bei der gebotenen Anwendung des § 25 Abs. 1 BSHG weiter entwickelt hätte und ob die Anwendung dieser Vorschrift nicht dazu geführt hätte, dass Herr ...eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätte, die geeignet war, seinen Lebensunterhalt ganz oder teilweise zu bestreiten.

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Die Entscheidung hinsichtlich der Zinsen folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB a. F. (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 - Az.: 5 C 34/00 - NVwZ 2001, 1057).