Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.02.2016, Az.: 8 A 472/15

außerkapazitär; KapVO; Kohortenprinzip; Teilstudienplatzklage; Vollstudienplatz; ZZ VO

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.02.2016
Aktenzeichen
8 A 472/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43205
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird die Nichtigkeit einer festgesetzten Zulassungszahl festgestellt, so ist die Kapazität des Studiengangs ausgehend von der Berechnung nach der Kapazitätsverordnung unter Berücksichtigung aller Indizien zu bestimmen, die für oder gegen eine höhere Studienplatzzahl sprechen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur endgültigen Zulassung auf einem Voll-, hilfsweise Teilstudienplatz, im Studiengang Humanmedizin außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2014/15.

Der Kläger bewarb sich bei der Beklagten mit Schriftsatz vom 11.06.2014 zum Wintersemester 2014/15 um einen außerkapazitären Vollstudienplatz, hilfsweise Teilstudienplatz, im ersten Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin. Dieser Antrag wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 22.06.2015 abgelehnt.

Am 27.07.2015 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Ausbildungskapazitäten der Beklagten seien für das Wintersemester 2014/15 nicht ausgeschöpft worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.2015 zu verpflichten, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2014/15 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Vollstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen,

hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06. 2015 zu verpflichten, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2014/15 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Teilstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Alle Studienkapazitäten im Fach Humanmedizin im Wintersemester 2014/15 seien ausgeschöpft worden.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen sowie den Beschluss der Kammer vom 30.10.2014 - 8 C 329/14 u.a. - Bezug genommen; diese Unterlagen sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.06.2015, mit dem der außerkapazitäre Zulassungsantrag des Klägers abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger, der keinen Anspruch auf die begehrte Zulassung hat, nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Zahl der bei der Beklagten im Studiengang Humanmedizin zu vergebenden Studienplätze ist vom Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur für das Wintersemester 2014/15 im 1. Fachsemester auf 218 Studienplätze (135 Voll- und 83 Teilstudienplätze) festgesetzt worden (§§ 1 Abs. 1, 2 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. Anl. 1, Abschn. I B, Universität Göttingen, und Abschn. II B, Universität Göttingen, der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2014/2015 und zum Sommersemester 2015 vom 03.07.2014, Nds. GVBl. S. 180 ff.). Besetzt hatte die Beklagte ausweislich ihrer Studierendenstatistik 143 Vollstudienplätze im 1. Fachsemester, von denen sie drei Plätze wegen Exmatrikulationen für nachbesetzbar hält, so dass die festgesetzte Kapazität nach ihren Angaben ausgeschöpft und sogar um 5 Studierende übererfüllt ist. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ermittelte die Kammer durch Beschluss vom 30.10.2014 (- 8 C 329/14 u.a. -, S. 27) eine Kapazität einschließlich eines Sicherheitszuschlags wegen Nichtigkeit der ZZ-VO von 140 Vollstudienplätzen. Bei den Teilstudienplätzen akzeptierte die Kammer durch denselben Beschluss 86 Plätze als besetzt und erhöhte die Studienplatzzahl durch einen Sicherheitszuschlag auf 90 (aaO., S. 50). Mit Rechtsverordnung vom 08.12.2014 (Nds. GVBl. S. 471) verringerte der Verordnungsgeber die Kapazität für das nachfolgende Sommersemester 2015 auf 131 Vollstudienplätze und beließ die Festsetzung der ZZ-VO für das Wintersemester 2014/15 auf 135 Vollstudienplätzen. Das Nds. OVG (Beschluss vom 09.09. 2015 - 2 NB 395 /14 -) verwarf zwar den Sicherheitszuschlag der Kammer, erhöhte jedoch die Kapazität wegen der erstmaligen Berücksichtigung der Privatpatienten bei der Ermittlung der patientenbezogenen Kapazität auf 146 Vollstudienplätze (aaO., S. 22) und besetzte die zusätzlich aufgefundenen freien Plätze vorläufig. Die weitere Berechnung (aaO., S. 34ff, 39) ergab 71 bzw. 72 Teilstudienplätze.

Der Hauptantrag hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Die festgesetzte Zulassungszahl von 135 Vollstudienplätzen erschöpft die Kapazität nicht und ist daher nichtig. Weder liegen neue Erkenntnisse vor, die eine Überprüfung des Ergebnisses des Nds. OVG erfordern könnten, noch haben die Beteiligten die Berechnung in Frage gestellt, so dass für das vorliegende Verfahren darauf Bezug genommen wird. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob die Privatpatienten bei der Mitternachtszählung zu berücksichtigen sind. Das Nds. OVG (Beschlüsse vom 09.09.2015 - 2 NB 368/14 u.a.-, S. 10ff, und vom 17.09.2015 - 2 NB 237/15 u.a. -, S. 5ff) hat wiederholt (sinngemäß) entschieden, dass Privatpatienten ab der Kapazitätsberechnung für das Studienjahr 2014/15 in die Gesamtzahl der tagesbelegten Betten gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO einzubeziehen sind. Der Einzelrichter folgt der so verstandenen Auffassung für das Wintersemester 2014/15, so dass sie am maßgeblichen Stichtag (§ 5 Abs. 1 KapVO) - dem 01.02.2014 - zu berücksichtigen waren.

Aus der daraus resultierenden Teilnichtigkeit der ZZ-VO 2014/2015 in Bezug auf diese Zulassungszahl und der Verpflichtung der staatlichen Hochschulen in Niedersachsen zur erschöpfenden Nutzung der Ausbildungskapazitäten (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 HSchulZulStVtr, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapVO) folgt allerdings nicht, dass jeder Studienbewerber einen einklagbaren Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Kapazitäten oder auf unbegrenzten Zugang zu einem NC-Studiengang hat. Sein Teilhaberecht steht stets unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann (BVerfG, Urteil vom 18.07.1972, 1 BvL 32/71 und 25/71 -, BVerfGE 33, S. 303, 333 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.01.2014 - 7 CE 13.10366 -, juris, Rn 7; OVG NRW, Beschluss vom 02.09.2013 - 13 A 1429/12 -, juris, Rn 26ff). Bei der Bestimmung dessen, was der Hochschule möglich ist, muss beachtet werden, dass die grundrechtlichen Institute der Wissenschafts- und der Berufsausbildungsfreiheit, die ohne einen geordneten Studienbetrieb nicht zu verwirklichen und deshalb unter den Bedingungen des harten Numerus clausus ohne Zulassungsbeschränkungen nicht gewährleistet sind, einer Aufnahme sämtlicher Bewerber ohne Rücksicht auf deren Anzahl entgegenstehen; sie lassen die volle Öffnung der Beklagten als Folge der nichtigen Zulassungsregelung nicht zu und bedingen die Anwendung des geltenden Kapazitätsrechts (BVerwG, Urteil vom 26.09.1986 - 7 C 64.84 -, juris, Rn 122; Nds. OVG, Beschluss vom 15.04.2014, aaO., S. 8f, sub 5).

Ausgangspunkt der Betrachtung, wie viele Vollstudienplätze im Studiengang Humanmedizin im 1. Semester des Wintersemesters 2014/15 zur Verfügung gestanden haben, ist mithin die Berechnung nach der KapVO, welche im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Kapazität von 146 Vollstudienplätzen ergeben hat (Nds. OVG, aaO.). Der Einzelrichter hielte es jedoch für verfehlt, das Berechnungsergebnis nach der KapVO ohne weiteres mit der vorstehend dargelegten Aufnahmegrenze gleichzusetzen. Die KapVO richtet sich an Verwaltungsbehörden und schreibt diesen die Berechnungsmodalitäten vor. Die Aufgabe des Gerichts ist es, die Vereinbarkeit der Festsetzungen der ZZ-VO mit dem höherrangigen Recht, zu dem nach der Rechtsprechung der Kammer auch die KapVO zählt, zu überprüfen, nicht aber, seine Überprüfungsergebnisse von Zulassungszahlen an die Stelle der verordneten zu setzen. Denn damit würde nicht beachtet, dass es nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung allein Aufgabe des Verordnungsgebers ist zu entscheiden, ob, wann, mit welchem Inhalt und mit welcher Rückwirkung er eine nichtige Rechtsverordnung ersetzen will. Überdies räumen §§ 14, 15 Abs. 2, 17 Abs. 1 Satz 2, letzter HS und 20 KapVO Ermessensspielräume ein, die sich kapazitätserhöhend oder -verringernd auswirken können und die einer gerichtlichen Überprüfung und ersetzenden Bewertung weitgehend entzogen sind. Ohne in diese Ermessensbereiche eindringen zu dürfen, wird ein Verwaltungsgericht kaum zu einer rechtmäßigen eigenen Festlegung der Höchst- und gleichzeitigen Mindestzahl an Studienplätzen gelangen können. Selbst wenn also das Gericht die damalige Kapazität mit der üblichen rechnerischen Genauigkeit von 4 Stellen hinter dem Komma berechnet hat, fehlt die Kompetenz, das eigene Berechnungsergebnis als die einzig richtige Kapazität an die Stelle der unwirksam festgesetzten Zulassungszahl zu setzen und damit die Rechtsfolge der Unwirksamkeit, nämlich das Fehlen einer Zulassungszahl, faktisch zu beseitigen.

Auch aus praktischen Erwägungen besteht keine Veranlassung, durch eine Gerichtsentscheidung eine unwirksame Zulassungszahl zu ersetzen. Wie der Verordnungsgeber kürzlich zum Sommersemester 2015 gezeigt hat (Nds. GVBl. 2014, 471), ist er sehr wohl in der Lage, Änderungen der ZZ-VO - auf Antrag der Beklagten - kurzfristig im laufenden Studienjahr vorzunehmen. Wenn dies nicht oder nur unzureichend geschieht, obwohl der Beklagten und dem Verordnungsgeber (vgl. §§ 51, 62 Abs. 1 Satz 1 NHG) seit Längerem bekannt ist, dass sowohl das Fehlen von Übergangsvorschriften als auch die Berechnung einzelner Zulassungszahlen in der Rechtsprechung beanstandet werden, und trotzdem die ZZ-VO nicht angepasst wird, so haben sie die Unanwendbarkeit der ZZ-VO als Folge der Untätigkeit zu tragen. Unabhängig davon, dass keine Rechtsgrundlage für die geltungserhaltende Änderung einer Rechtsverordnung durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil existiert, würde die „neue“ Zulassungszahl mangels Veröffentlichung im Nds. GVBl. nur inter partes gelten und auch in dieser Hinsicht die unwirksame Festsetzung der ZZ-VO nicht allgemein ersetzen können. Die Pflicht des Verordnungsgebers, nach § 4 Abs. 1 Satz 1, letzte Alt. NHZG wirksame Zulassungszahlen festzusetzen und unwirksame zu ersetzen, würde mit einer Teilersetzung durch ein Urteil nicht erfüllt. Von daher besteht keine Veranlassung für die Rechtsprechung, durch eine „Reparatur“ einer nichtigen Zulassungszahl in das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten zugunsten der Beklagten einzugreifen, um sie vor den Folgen der Untätigkeit des Verordnungsgebers zu bewahren, und sich dadurch dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen.

Wenn der 2. Senat des Nds. OVG die Berücksichtigung von Indizien über das mathematische Ergebnis nach der KapVO hinaus als „Sicherheitszuschlag“ bezeichnet und eine normative Vorgabe hierfür vermisst (Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2015 - 2 NB 237/15 u.a. -, S. 4 unten), ignoriert er, dass ein Sicherheitszuschlag nur im Eilverfahren eingesetzt wird, um der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm, deren Verwerfung und Nichtanwendung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich ist, angemessen Rechnung tragen zu können. Eine vergleichbare Situation liegt im Klageverfahren nicht vor, und damit besteht auch kein Bedarf für die Anwendung eines Sicherheitszuschlags. Vielmehr wird die Grenze dessen gesucht, was die betroffene Hochschule in dem Studiengang ausbilden kann, und bei deren Überschreitung ein geordneter Lehrbetrieb nicht mehr möglich wäre. Die vermisste Rechtsgrundlage dafür ist Art. 12 Abs. 1 GG und das daraus vom BVerfG (aaO., S. 303, 329) hergeleitete Gebot zur völligen Erschöpfung der Ausbildungskapazität. Dass die Aufnahmekapazität als das mathematische Ergebnis der Kapazitätsberechnung nach der KapVO diesem Gebot nicht gleichzusetzen ist, zeigt § 4 Abs. 3 NHZG, wonach die in der ZZ-VO festgesetzte Zulassungszahl die (nach KapVO berechnete) Aufnahmekapazität unter bestimmten Voraussetzungen vorüber gehend um bis zu 15 % übersteigen darf. Dies wäre gar nicht möglich, wenn unmittelbar jenseits der errechneten Aufnahmekapazität bereits der Zusammenbruch der geordneten Lehre im betroffenen Studiengang eintreten würde. Dasselbe gilt für die regelmäßig festzustellenden Überbuchungen der festgesetzten Kapazitäten durch die Beklagte auf Voll- und Teilstudienplätzen; besonders bei letzteren hat die Beklagte wiederholt Überbuchungen in zweistelligen Prozentsätzen bewältigt, ohne dass negative Folgen für die Lehre bekannt geworden wären.

Inkonsequent setzt 2. Senat seine Ansicht, anstelle einer rechtswidrig festgesetzten Zulassungszahl sei allein das Ergebnis einer eigenen Berechnung nach der KapVO maßgeblich, für sämtliche höheren Fachsemester nicht um. Bei der eigenen Berechnung müsste er nämlich berücksichtigen, dass er die Zulassungszahl für das erste Fachsemester um einen Schwundaufschlag nach § 16 KapVO erhöht hat, und müsste daher die Studienplatzzahlen der nachfolgenden höheren Fachsemester um den bereits verbrauchten Teil des Schwundfaktors der Kohorte verringern. Dies hat der Senat jedoch bisher nicht getan, sondern die für das 1. Fachsemester errechnete Studienplatzzahl einschließlich des Schwundaufschlags als Basiszahl auf § 2 Satz 2 ZZ-VO angewendet (vgl. im Einzelnen Beschluss der Kammer vom 29.10.2015 - 8 C 317/15 u.a. -, sub 2.3.11.1, S. 58). Damit überträgt der Senat die Studienplatzzahl des 1. Fachsemesters linear und ungemindert auf sämtliche höheren Fachsemester. Er wendet dabei nicht - gemäß seiner eigenen Forderung - die KapVO an, sondern (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.09.2015 - 2 NB 342/14 u.a. -, S. 3) eine „abweichende Lösung“ (als Auffüllsystem), und geht damit bei den höheren Fachsemestern regelmäßig über die nach den Vorgaben der KapVO rechnerisch zutreffende Studienplatzzahl hinaus; eine Rechtsgrundlage für diese Kapazitätserhöhung ist nicht ersichtlich, es sei denn, sie würde ebenfalls aus dem Gebot der vollständigen Kapazitätsausschöpfung hergeleitet.

Würde die Auffassung des Senats zutreffen, dass die Verwaltungsgerichte das eigene Berechnungsergebnis nach der KapVO an die Stelle einer als nichtig erkannten Zulassungszahl setzen müssten, so müsste dies zum einen doch wohl auch gelten, wenn sich aus den vorgelegten Kapazitätsunterlagen ergibt, dass der Verordnungsgeber im Rahmen des ihm durch Normen der KapVO eingeräumten Ermessens vom Berechnungsergebnis abgewichen ist, und gleichzeitig - wie im vorliegenden Fall - das Berechnungsergebnis gegen die KapVO verstößt. Denn wenn die Ermessensausübung auf einer falschen Berechnungsgrundlage/Tatsachenbasis erfolgt wäre, so läge ein Ermessensfehler vor, der die Erhöhung oder Verringerung der Studienplatzzahl ebenfalls rechtswidrig machen würde; besonders im letzteren Fall könnte eine Festlegung auf das Berechnungsergebnis eine Überlastung des Studiengangs zur Folge haben. Eine Wertung, ob die erfolgte, rechtswidrige Ermessensbetätigung auch auf einer rechtmäßigen Berechnungsgrundlage in derselben Weise erfolgt wäre, ist dem Gericht jedoch nicht gestattet. Zum anderen müsste dies auch für Studiengänge gelten, in denen der Verordnungsgeber zwar keine Zulassungszahl (z.B. für höhere Semester) festgesetzt hat, sich eine beklagte Hochschule jedoch im Zulassungsprozess auf eine Erschöpfung ihrer Ausbildungskapazität berufen würde. Denn in beiden Fällen fehlt eine die Zulassung begrenzende Schranke gemäß § 4 Abs. 1 NHZG, und der Verordnungsgeber hätte die Möglichkeit, eine Zulassungszahl rückwirkend festzusetzen. Solange dies aber nicht geschehen ist und keine prüfbaren Berechnungsunterlagen vorgelegt werden, bestände für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, für ein bisher nicht zulassungsbeschränktes höheres Semester eine Zulassungszahl selbst zu berechnen. Schließlich wäre der Senat nach § 88 1. HS VwGO nicht berechtigt, sein eigenes Berechnungsergebnis an die Stelle einer festgesetzten Zulassungszahl zu setzen, wenn in einem Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO gegen eine festgesetzte Zulassungszahl ausschließlich die Feststellung der Nichtigkeit einer zahlenförmigen Rechtsnorm beantragt würde. Ein rechtlicher Grund, aus dem der Fall einer rechtswidrig festgesetzten Zulassungszahl anders zu behandeln wäre als die anderen dargelegten Beispiele, ist nicht zu erkennen. Das Gericht hat deshalb nicht nur eine Kapazitätsberechnung nach der KapVO zu erstellen und deren mathematisches Ergebnis umzusetzen, sondern die Grenze der Aufnahmefähigkeit im fraglichen Studiengang zu untersuchen und dabei alle verfügbaren Umstände einzubeziehen. Ausgehend von dem Berechnungsergebnis nach der KapVO sind deshalb auch Indizien zu berücksichtigen, aus denen auf das Bestehen einer höheren oder einer niedrigeren tatsächlichen Kapazität zu schließen ist.

Derartige Anhaltspunkte liegen in Bezug auf die Vollstudienplätze der Anfängerkohorte des Wintersemesters 2014/15 jedoch nicht vor. Die vom Nds. OVG unter Einbeziehung der Privatpatienten errechnete Zahl von 146 Vollstudienplätzen wurde in den vergangenen 5 Jahren von keinem der Anfängersemester auch nur annähernd erreicht (vgl. z.B. Beschluss der Kammer vom 30.04.2015 - 8 C 13/15 u.a. -, S. 19). Die in der Vergangenheit tatsächlich aufgenommenen Studierendenzahlen (vgl. zuletzt Urteil vom 06.08.2015 - 8 A 420/15 -, S. 11f) indizieren deshalb eine Kapazitätserschöpfung der Beklagten eher unterhalb des Berechnungsergebnisses. Allerdings hat der Verordnungsgeber in der Anlage II der aktuellen ZZ-VO 2015/2016 (Nds. GVBl. 2015, 105, 117) für sämtliche höheren Semester des Studiengangs Humanmedizin an der Beklagten dieselbe Zulassungszahl von 144 Vollstudienplätzen festgesetzt, die er auch für das 1. Fachsemester der Anfängerkohorte des Wintersemesters 2015/16 bestimmt hat. Damit hat er auch die Studienplatzzahl beispielsweise der Studienkohorte, die im Wintersemester 2013/14 ihr Medizinstudium aufgenommen hat, die sich aktuell  im 5. Fachsemester befindet, von ursprünglich 130 auf nunmehr 144 Vollstudienplätze erweitert. Der Grund hierfür ist die Einbeziehung der Privatpatienten in die Ermittlung der tagesbelegten Bettenzahl bei der Kapazitätsberechnung für das Studienjahr 2014/15. In Bezug auf die Kohorte des 5. Fachsemesters ist die Erhöhung der Zulassungszahl weder das Ergebnis einer (Neu-) Berechnung nach der KapVO, noch gab es eine Rechtspflicht des Verordnungsgebers, wegen einer auch für die Studienanfänger des Studienjahrs 2013/14 zu beachtenden Änderung der Rechtsprechung des Nds. OVG die Studienplatzzahl zu verändern. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Kapazitätsausweitung auf § 4 Abs. 3 NHZG oder auf einer Neubewertung von ermessensbildenden Faktoren nach §§ 14 Abs. 3, 16, 17, 18 Abs. 1 KapVO beruhen würde. Vielmehr wird sie allein dadurch verursacht, dass der Verordnungsgeber der ZZ-VO aus der ihm von der Beklagten vorgelegten (rechtswidrigen) Kapazitätsberechnung nach dem Kohortenprinzip linear-studienjahrsbezogen Zulassungszahlen für die höheren Fachsemester herleitet, wozu er nach der - vom erkennenden Gericht nicht geteilten - Auffassung des Nds. OVG berechtigt sein soll (vgl. hierzu VG Göttingen, Urteil vom 06.08. 2015, aaO., S. 10). Wenn der Verordnungsgeber aber nun die Zulassungszahl erheblich erhöht, ohne dass hinsichtlich der Studienanfängerkohorte des Wintersemesters 2013/14 eine Änderung der Ausbildungskapazität eingetreten wäre, und ohne dass die Beklagte auch nur einen dokumentierten Versuch unternommen hätte, diese Erhöhung als Überlastung zu verhindern, muss der Einzelrichter davon ausgehen, dass die Kapazität von (mindestens) 144 Vollstudienplätzen für alle Kohorten und damit auch für die Studienanfängerkohorte des Wintersemesters 2014/15 in verdeckter, also nicht allein nach der KapVO zu ermittelnder, Form bereits von Anfang an bestanden hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die 144 Vollstudienplätze, welche in der aktuellen ZZ-VO für die inzwischen in das 3. vorklinische Fachsemester aufgerückte Anfängerkohorte des Wintersemesters 2014/15 festgesetzt worden sind, bereits den Schwund von 2 Semestern erlitten haben. Weil der für Vollstudienplätze im Wintersemester 2014/15 berechnete Schwundfaktor von 1,0109 für das gesamte Studienjahr 2014/15 zu einer Kapazitätserhöhung um (gerundet) drei Studienplätze in den beiden 1. Fachsemestern führt (vgl. Beschluss der Kammer vom 30.10.2014, aaO., S. 20), von denen die Hälfte dem Wintersemester zuzurechnen ist, liegen im Ergebnis keine Indizien vor, die eine Abweichung vom dem rechnerischen Ergebnis von 146 Vollstudienplätzen erfordern könnten.

Die Beklagte hat für die Studienanfängerkohorte des Wintersemesters 2014/15 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Immatrikuliertenliste mit 143 Studierenden vorgelegt. Die Kammer hat diese Liste eingehend überprüft und dazu ausgeführt (Beschluss vom 30.10.2014, aaO., sub 2.2.6., S. 26ff, 28):

„In Anwendung dieser Grundsätze auf die 19 Studierenden der vorgelegten Liste, deren Matrikelnummern nicht mit 214 beginnen, gilt Folgendes:

Die lfd. Nrn. 49, 52, 55, 58, 59, 68, 70, 76, 82, 100, 102, 115, 116, 117, 118, 124, 139 und 145 begannen ihr Studium an der Beklagten in anderen Studiengängen oder auf Teilstudienplätzen und erhielten durch die Stiftung für Hochschulzulassung für das Wintersemester 2014/15 jeweils eine Zulassung auf einem Vollstudienplatz des 1. Fachsemesters im Studiengang Humanmedizin. Alle 18 Studienplätze sind belegt.

Die lfd. Nr. 28 wurde zum Sommersemester 2014 auf einem Teilstudienplatz des 1. Fachsemesters immatrikuliert und im laufenden Wintersemester 2014/15 am 22.10.2014 beurlaubt. Dieser Studierende zählt weiterhin zur Kohorte des Sommersemesters 2014 und belegt daher keinen Studienplatz im 1. Fachsemester, sondern ist dem 2. Fachsemester zuzuordnen.

Die lfd. Nrn. 5 und 83 wurden zum Wintersemester  2014/15 immatrikuliert; ihre Immatrikulationen wurden jeweils am 08.09.2014 zurückgenommen. Sie waren daher an keinem Tag des laufenden Semesters immatrikuliert; diese Studienplätze sind ebenfalls nicht belegt.

Auf Vollstudienplätzen des 1. Fachsemesters sind mithin 140 Studierende bei der Antragsgegnerin immatrikuliert.“

Daran ist mangels neuer Erkenntnisse festzuhalten. Nach dem Beschluss der Kammer eventuell erfolgte Exmatrikulationen wären irrelevant, weil sie beim Schwund zu berücksichtigen wären. Hinzugerechnet werden müssen dagegen die sechs weiteren Vollstudienplätze, welche das Nds. OVG durch Beschlüsse vom 09.09.2015 - 2 NB 368/14 u.a. -, S. 32f, und andere) nach dem Ergebnis einer Verlosung vorläufig besetzt hat. Denn auf diesen Studienplätzen werden Ausbildungsleistungen der Beklagten abgerufen, selbst wenn die Besetzung bislang noch nicht endgültig erfolgt sein sollte. Damit sind an der Beklagten nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2014/15 insgesamt 146 Vollstudienplätze als besetzt anzusehen, womit die Kapazität erschöpft ist.

Auch der mit der Klage erhobene Hilfsantrag bleibt erfolglos.

Bei den Teilstudienplätzen hat die Kammer im Beschluss vom 30.10.2014 (aaO., sub 2.3.8., S. 48) für das Wintersemester 2014/15 abweichend von der festgesetzten Zulassungszahl eine halbjährliche Ausbildungskapazität von 81 Plätzen errechnet, welche sie durch einen Sicherheitszuschlag wegen Nichtigkeit der ZZ-VO und indiziert durch die Anfängerzahlen der vergangenen Studienjahre auf 90 Teilstudienplätze angehoben hat (aaO., sub 2.3.9., S. 48ff). Das Nds. OVG (Beschluss vom 09.09.2015 - 2 NB 368/14 u.a. -, S. 33ff, 39) hat wegen des halbjährlichen Abzugs von 9 weiteren Vollstudienplätzen von der personalbezogenen Gesamtkapazität lediglich „71 bzw. 72 Studienplätze“ als Ergebnis gefunden.

Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten Immatrikulationsliste hat die Kammer im 1. Fachsemester 86 Teilstudienplätze als besetzt angesehen, deren Inhaber ausweislich der Matrikelnummern sämtlich ihr Studium zum Wintersemester 2014/15 aufgenommen haben (Beschluss vom 30.10.2014, aaO., S. 50). Die Kammer hat vier weitere Studierende vorläufig zugelassen. Das Nds. OVG hat aufgrund einer eigenen Prüfung ebenfalls 86 Teilstudienplätze als besetzt angesehen und diese vier vorläufigen Zulassungen wieder aufgehoben (Beschluss vom 09.09. 2015, aaO., S. 39). Dem Senat ist jedenfalls darin zuzustimmen, dass die von ihm nachträglich ausgesprochenen sechs vorläufigen Zulassungen auf Vollstudienplätzen die Ausbildungskapazität der Beklagten auf Teilstudienplätzen um dieselbe Anzahl verringern. Auch wenn der Einzelrichter, der Rechtsprechung der Kammer im Beschluss vom 30.10.2014 weiterhin folgend, von der Berechtigung des im Eilverfahren vorgenommenen Sicherheitszuschlags ausgeht und diese zusätzlichen 9 Teilstudienplätze auch im vorliegenden Klageverfahren für die vollständige Kapazitätserschöpfung als notwendig ansieht, müssen dennoch die sechs vorläufigen Zulassungen im Beschwerdeverfahren von der nach KapVO errechneten Zulassungszahl abgezogen werden, so dass bei der Beklagten lediglich 84 Teilstudienplätze zur Verfügung stehen. Diese sind mit 86 Studierenden vollständig besetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.