Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 19.08.2009, Az.: 1 A 90/09
Feststellungsinteresse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage aufgrund der Teilnahme an einem angeordneten Aufbaukurs; Berechtigtes Interesse an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Anordnung zum Besuch eines Aufbauseminars aufgrund des daraus bei einem weiteren Verkehrsverstoß resultierenden Fahrerlaubnisentzuges
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 19.08.2009
- Aktenzeichen
- 1 A 90/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 33154
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2009:0819.1A90.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Nr. 3 StVG
- § 4 Abs. 5 S. 2 StVG
Fundstelle
- zfs 2009, 659
Amtlicher Leitsatz
Für eine Fortsetzungsfeststellungsklage besteht das erforderliche Feststellungsinteresse nach Teilnahme des Betroffenen an dem angeordneten Aufbaukurs
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbaukurs.
Mit Bescheid vom 04.03.2009, zugestellt am 05.03.2009, hat der Beklagte den Kläger zur Teilnahme an einem Aufbaukurs aufgefordert, weil sich für ihn im Verkehrszentralregister insgesamt 15 Punkte ergaben. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurden Gebühren in Höhe von 28,11 Euro festgesetzt.
Folgende Ordnungswidrigkeiten und Maßnahmen waren im Zentralregister des Kraftfahrt -Bundesamtes für den Kläger eingetragen:
Ordnungswidrigkeit (Tatzeit) | Rechtskraft der Bußgeldentscheidung | Punkte | Tilgung |
---|---|---|---|
25.05.2004 | 14.08.2004 | 3 | 14.08.2006 |
05.08.2004 | 16.10.2004 | 4 | 16.10.2006 |
13.03.2006 | 25.05.2006 | 2 | 25.05.2008 |
Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG vom 27.07.2006 | |||
01.08.2006 | 19.01.2007 | 3 | 19.01.2009 |
31.10.2008 | 30.01.2009 | 3 | 30.01.2011 |
Am 06.04.2009, einem Montag, hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben und einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gestellt, der durch rechtskräftigen Beschluss vom 12.05.2009 (1 B 104/09) abgelehnt wurde. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich an einem Aufbauseminar teilgenommen hat, hat er seine ursprünglich erhobene Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Er ist der Auffassung, dass bei der Eintragung in das Verkehrszentralregister nicht auf die Rechtskraft der Entscheidung der Bußgeldbehörde, sondern auf die Tatzeit abzustellen sei. Auf diese Weise sei am Besten sichergestellt, dass die Warnfunktion des Punktesystems den Betroffenen erreicht und er die Möglichkeit hat, sein Verhalten zu ändern. Bei Berücksichtigung des Tattag-Prinzips lägen zwischen der Ordnungswidrigkeit am 01.08.2006 und der am 31.10.2008 mehr als zwei Jahre mit der Folge, dass sie nicht mehr zu berücksichtigen sei und die eingetragenen 15 Punkte nicht zugrunde zu legen wären.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbaukurs durch Bescheid vom 04.03.2009 sowie der Gebührenbescheid vom 04.03.2009 rechtswidrig waren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers fehle. Es sei ungewiss, ob in Zukunft noch einmal ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen würde, da sich der Punktestand im Zentralregister aus unterschiedlichsten Gründen verändert. Im Übrigen sei auf die Rechtskraft der Entscheidung der Bußgeldbehörde abzustellen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheidet, hat keinen Erfolg.
Sie ist zwar zulässig, insbesondere liegt das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor, aber unbegründet.
Die Klage gegen die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Die am 06.04.2009 erhobene zulässige Anfechtungsklage gegen die Sachanordnung hat sich durch die Teilnahme des Klägers an einem Aufbauseminar erledigt. Im Bescheid vom 04.03.2009 wurde von dem Kläger eine einmalige Teilnahme verlangt. Diese Anordnung hat sich mit dem Besuch des Seminars erschöpft, die Befolgung des Verwaltungsakts ist nicht mehr rückgängig zu machen. Auch sonst hat die Anordnung - mit Ausnahme der Kosten - für den Kläger keine fortdauernden Auswirkungen mehr (BayVGH vom 26.7.1995, BayVBl 1995, 758; vom 15.3.1999, BayVBl 2000, 149 [BVerfG 11.11.1999 - 2 BvF 2/98]).
Ein besonderes Interesse des Klägers, die Rechtmäßigkeit der ihm gegenüber getroffenen Anordnung zum Besuch eines Aufbauseminars zu überprüfen, liegt vor. Es ist darin begründet, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse daran hat, ob ihm bei einem weiteren Verkehrsverstoß, der zu einem Punktestand von 18 oder mehr Punkten führt, die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG sofort zu entziehen oder sein Punktestand gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 zu reduzieren ist. Ist die Anordnung zu Recht erfolgt, hat die Behörde bei weiteren Auffälligkeiten des Klägers die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, wenn sei Punktestand 18 oder mehr Punkte erreicht. Wird dagegen festgestellt, dass die Anordnung rechtswidrig war, so wird der Kläger bei weiteren Verkehrsverstößen, die zu 18 oder mehr Punkten führen, so behandelt als ob er noch nicht an einem Aufbaukurs teilgenommen hat. Es gilt dann § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG mit der Folge, dass seine Punkte auf 17 zu reduzieren sind und er erneut an einem Aufbaukurs teilnehmen kann bzw. muss. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse folgt auch unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes. Bei erneuter Auffälligkeit wird die Rechtmäßigkeit der vorangegangenen bestandskräftigen Anordnung nicht überprüft. Eine Prüfung, ob der Bescheidserlass zu Recht erfolgt ist, kann nach Seminarteilnahme nur noch über eine Fortsetzungsfeststellungsklage erfolgen.
Die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbaukurs war allerdings rechtmäßig.
Der Bescheid vom 04.03.2009 ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil die nach § 28 Abs. 1 VwVfG notwendige Anhörung unterblieben ist. Dieser Mangel ist nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 VwVfG durch die umfangreich begründete Klage geheilt. Der Kläger hat damit Gelegenheit gehabt, seine Argumente ausreichend darzulegen.
Der Beklagte hat auf der Grundlage des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG dem Kläger zu Recht die Teilnahme an einem Aufbaukurs aufgegeben, da dieser zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung einen Punktestand von 15 Punkten im Verkehrszentralregister erreicht hatte. Damit hat die Fahrerlaubnisbehörde zwingend die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen. Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch alle Eintragungen, insbesondere der Verstoß vom 01.08.2006, zu berücksichtigen. Denn der Kläger hat vor Ablauf der Tilgungsfrist von zwei Jahren für den Verkehrsverstoß vom 01.08.2006 eine neue Verkehrsordnungswidrigkeit, nämlich am 31.10.2008, begangen, die innerhalb der Überliegefrist des § 29 Abs. 7 StVG zu einer weiteren Eintragung geführt hat. Dabei ist auf die Rechtskraft der Entscheidungen der Bußgeldbehörde und nicht auf den Tattag abzustellen. Die Kammer schließt sich insoweit der ständigen Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 26.7.2002 - 12 ME 556/02 -, 21.12.2003 - 12 ME 810/02 -, NJW 2003, 1472 f; 20.3.2003 - 12 ME 80/03; - vom 12.2.2004 - 12 ME 53/04 - und 24.01.2007 - 12 ME 384/06 -, NJW 2007, 1300 ; ebenso: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6.12.2005 - 4 MB 107/05 -, DAR 2006, 174; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. 2007, § 4 StVG, Rn. 2, 20) an. In dem Beschluss vom 24.01.2007 hat das Nds. Oberverwaltungsgericht dazu Folgendes ausgeführt:
"Zwar hat der Gesetzgeber innerhalb des dreistufigen Maßnahmenkatalogs des § 4 Abs. 3 StVG den früh einsetzenden Maßnahmen - der Verwarnung, dem Aufbauseminar und der verkehrspsychologischen Beratung - besondere Bedeutung beigemessen. Dabei liegt die Funktion der in § 4 Abs. 5 StVO vorgesehenen Punktereduzierung darin, in Fällen, in denen auf atypische Weise - gleichsam auf einen Schlag - 14 oder 18 Punkte erreicht oder überschritten werden, durch eine entsprechende Verminderung des Punktestandes sicherzustellen, dass keine der in § 4 Abs. 3 StVG vorgesehenen drei Eingriffsstufen übersprungen wird...
Andererseits ist das Punktesystems insgesamt auf eine Vereinheitlichung der Behandlung von Mehrfachtätern angelegt. Dem dient die in § 4 Abs. 2 Satz 1 StVG normierte Anknüpfung an die nach § 28 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 StVG zu erfassenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach der Schwere der Zuwiderhandlungen und ihren Folgen. Dabei setzt die Erfassung im Verkehrszentralregister wiederum die Rechtskraft der strafgerichtlichen Entscheidungen bzw. Bußgeldbescheide voraus. Entsprechend ordnet§ 4 Abs. 3 Satz 2 StVG ausdrücklich an, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei der Verhängung der in § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG vorgesehenen abgestuften Maßnahmen an die jeweils rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden ist.
Dieser Bezug des Punktesystems nach § 4 StVG auf die Rechtskraft der jeweils zu Grunde liegenden strafgerichtlichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahmen ist grundlegend und prägend und dient nicht zuletzt dem Schutz der Betroffenen, die durch die Einlegung von Rechtsbehelfen die Aufhebung der strafgerichtlichen bzw. ordnungsbehördlichen Entscheidungen erreichen bzw. auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft erheblich Einfluss nehmen können. Wenn diese Systematik in Einzelfällen dazu führt, dass eine der Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG vorgeschaltete Maßnahme des in § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG enthaltenen Katalogs ihre Wirkkraft auch unter Anwendung der Regelungen des § 4 Abs. 5 StVG nicht voll entfalten kann, ist dies im Hinblick auf den Vereinheitlichungszweck des Punktsystems und vorbehaltlich einer - bisher in § 74 FeV nicht erfolgten - Regelung auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 Nr. 1 w StVG hinzunehmen... und rechtfertigt nicht, von den gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen abzusehen oder die insoweit im Wortlaut eindeutigen Regelungen einer teleologisch reduzierten Auslegung zuzuführen.
Der in Teilen der Rechtsprechung (Thür. OVG, Beschluss vom 12.3.2003 - 2 EO 688/02 -, NJW 2003, 2770 f [OVG Thüringen 12.03.2003 - 2 EO 688/02]; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18.7.2003 - 12 B 10921/03 -, DAR 2003, 576 [OVG Rheinland-Pfalz 18.07.2003 - 7 B 10921/03] f; Bay.VGH, Beschlüsse vom 14.12.2005 - 11 CS 05.1677 -, DAR 2006, 169 ff und vom 11.8.2006 - 11 CS 05.2735 -, [...] sowie Sächs. OVG, Beschluss vom 15.8.2006 - 3 BS 241/05 -, NJW 2007, 168 f) vertretenen und von dem Antragsgegner geteilten Ansicht, für die Bestimmung der Punkte im Rahmen des Punktsystems des § 4 StVG gelte das Prinzip des Tattages, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Vorteile, die durch eine Anwendung des Tattagsprinzips im Hinblick auf den Zweck des Punktsystems, eine Verhaltensänderung der auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmer zu fördern, erreicht werden könnten, würden durch die mit der Anwendung dieses Prinzips verbundenen Nachteile in Gestalt von Unsicherheiten bezüglich des aktuellen Punktestandes und insgesamt des Verlustes an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wieder zunichte gemacht. Auch der Hinweis des Antragsgegners auf die Maßgeblichkeit des Tattagsprinzips im Rahmen des § 2 a Abs. 2 Satz 1 und des § 29 Abs. 6 und 7 StVG überzeugt nicht, denn in diesen Vorschriften ist - anders als in § 4 Abs. 3 und 4 StVG - ausdrücklich geregelt, dass bei ihrer Anwendung auf den Zeitpunkt der Tatbegehung abzustellen ist (vgl. insoweit zu § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG auch: Urteil des beschließenden Senats vom 28.1.1993 - 12 L 3173/92 -, DAR 1993, 308 f)."
Dem hat das Gericht nichts hinzuzufügen. Da damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG erfüllt sind, erfolgte zu Recht die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar.
Der Gebührenbescheid vom 04.03.2009 in Höhe von 28,11 Euro ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach § 1 Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) i.V.m. Nr. 210 Gebührentarif für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebTSt) hat der Kläger eine Gebühr von 25,60 Euro zuzüglich Zustellkosten von 2,51 Euro (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt) zu zahlen.