Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.04.2003, Az.: 8 U 154/02

Eintritt der Leistungsfreiheit einer Haftpflichtversicherung nach erfolgter Kündigung durch den Versicherungsnehmer; Erlöschen des Rechts zur selbstständigen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag mit wirksamer Kündigung; Übertragbarkeit der zugunsten des Verkehrsopfers angeordneten Nachhaftung auf das Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherer; Priorisierung des Schutzbedürfnisses des Opfers im Verhältnis zur Notwendigkeit der sozialen Absicherung des Schädigers; Eintritt des Versicherungsfalls nach Wirksamwerden der Kündigung des Versicherungsnehmers

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.04.2003
Aktenzeichen
8 U 154/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33851
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:0430.8U154.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 10.05.2002 - AZ: 13 O 5798/01

Fundstellen

  • IVH 2003, 137
  • VersR 2003, 1390 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......,
den Richter am Oberlandesgericht ....... sowie
die Richterin am Oberlandesgericht .......
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10. Mai 2002 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover, geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits, sowie die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages vorläufig abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Beschwer des Klägers: 18.754,86 EUR.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.754,86 EUR festgesetzt.

Gründe

1

1.

Der Kläger begehrt mit der gegen die Beklagte (als Kraftfahrthaftpflichtversichererin eines vom Kläger geführten unfallbeteiligten LKW) erhobenen Klage die Feststellung, dass diese ihn von, gegen ihn nach einem Verkehrsunfall durch Sozialversicherungsträger (aus übergegangenem Recht) erhobenen, Schadensersatzansprüchen freizustellen habe.

2

Er verursachte als Fahrer eines LKW, der bei der Beklagten haftpflichtversichert gewesen war, dessen Haftpflichtversicherung jedoch schon zum 31.12.1996 von dem Versicherungsnehmer gekündigt worden war, am 28.08.1998 einen Verkehrsunfall. Dabei geriet er mit dem von ihm geführten LKW auf den für ihn linken Fahrstreifen; dort kam es zu einem Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Kleintransporter, wobei der Fahrer getötet wurde. Dieser hinterließ seine Ehefrau und zwei Kinder. Das Erlöschen der Haftpflichtversicherung war der Straßenverkehrsbehörde nicht angezeigt worden. Die Beklagte wurde deshalb aufgrund der bestehenden Nachhaftung (§ 3 Nr. 5, 6 PflVG, § 29 c StVZO) auf Schadensersatzleistung in Anspruch genommen. Wegen der an die Hinterbliebenen von Sozialversicherungsträgern erbrachten Leistungen nahmen diese u.a. auch den Kläger aus übergegangenem Recht als Gesamtschuldner in Regress. Die Beklagte lehnte die darauf vom Kläger geforderte Freistellung von den gegen ihn erhobenen Schadensersatzansprüchen ab. Sie vertrat u.a. die Ansicht, sie sei nicht gehindert, ihm ihre durch Kündigung des Versicherungsverhältnisses eingetretene Leistungsfreiheit entgegen zu halten (§ 158 i VVG).

3

Hinsichtlich der erstinstanzlich getroffenen tatsächlichen Feststellungen sowie der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 10.05.2002 Bezug genommen.

4

Das Landgericht hat der auf Feststellung der Freistellungsverpflichtung der Beklagten gerichteten Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt, der Kläger sei als Arbeitnehmer und berechtigter Fahrer mitversichert gewesen. Die Beklagte habe ihr jetziges Bestreiten nicht hinreichend erläutert, dieses weiche von ihrem früheren Vortrag in dem Rechtsstreit 20 O 3293/99 LG Hannover ab. Dem Kläger könne die Leistungsfreiheit der Beklagten gegenüber dem Versicherungsnehmer nach § 158 i VVG nicht entgegen gehalten werden, da ihm diese ohne grobe Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sei. Dies gelte auch bei bereits beendetem Versicherungsverhältnis und entspreche dem mit der Novellierung der bis zum 31.12.1990 geltenden Gesetzesfassung verfolgten Gedanken einer sozialen Risikoabsicherung Mitversicherter. Die Auslegung der Kammer sei auch interessengerecht, weil die Beklagte durch Anzeige des Erlöschens des Versicherungsverhältnisses leicht die Abmeldung oder Stilllegung des Fahrzeuges habe herbeiführen können, während dem Kläger als Arbeitnehmer die Überprüfung, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß haftpflichtversichert gewesen sei, kaum möglich und zumutbar gewesen sei.

5

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tenor und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

6

Mit ihrem dagegen gerichteten zulässigen Rechtsmittel verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Verteidigungsvorbringen weiter. Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrages ergänzend vor:

7

Der Kläger sei nicht berechtigter und daher mitversicherter Fahrer gewesen. Er sei selbständiger Subunternehmer des Versicherungsnehmers N. gewesen und habe den LKW gegen dessen Willen benutzt. Sie meint, nicht im Widerspruch zu ihrem Vorbringen in dem früheren Verfahren sondern aufgrund neuerer Erkenntnisse vorgetragen zu haben. Das Landgericht habe es insofern versäumt, auf den zunächst fehlenden (nunmehr in der Berufungsinstanz nachgeholten) Beweisantritt hinzuweisen.

8

Der Kläger habe von dem fehlenden Versicherungsschutz gewusst oder diesen grobfahrlässig nicht gekannt.

9

Sei meint, die vom Landgericht vertretene Rechtsansicht sei unzutreffend, ein Anspruch es Klägers komme nach § 158 i VVG nur bei noch bestehenden Versicherungsverhältnis in Betracht. Hinsichtlich der weiteren Rechtsausführungen wird auf die Berufungsschrift (S. 5 ff.) Bezug genommen.

10

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 10.05.2002 verkündeten Urteils des Landgerichts Hannover - 13 O 5798/01 - die Klage abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft und ergänzt seinen bisherigen Vortrag. Hinsichtlich der dazu vorgetragenen Rechtsausführungen wird auf den Schriftsatz vom 20.12.2002 (S. 6. ff) Bezug genommen.

13

2.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

14

Der Rechtsauffassung des Landgerichts, die teilweise auch in der Literatur vertreten wird (vgl. Prölss-Knappmann VVG, 26. Auflage 1998, Rn. 4 zu § 158 i VVG und Römer-Langheld, 2. Aufl. 2003, Rn. 8 zu § 158 i VVG) ist nicht zu folgen. Die Beklagte ist schon nach dem Wortlaut des § 158 i VVG nicht gehindert, dem Kläger die durch Kündigung der Versicherungsnehmerin eingetretene Leistungsfreiheit entgegen zu halten, weil die Vorschrift ein noch bestehendes Versicherungsverhältnis voraussetzt ("Ist bei der Versicherung für fremde Rechnung der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber von der Verpflichtung zur Leistung frei, so kann er dies einem Versicherten, der zur selbständigen Geltendmachung seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrag befugt ist, nur dann entgegen halten, wenn..."), woran es hier infolge der Kündigung jedoch fehlte. Die Vorschrift sieht somit auch nach ihrer Novellierung nur dann eine Haftungserweiterung des Versicherers (bei lediglich vom Versicherungsnehmer zu vertretenden Obliegenheitsverletzungen oder Rechtsverletzungen) vor, wenn das Versicherungsverhältnis noch besteht. Gegen eine analoge Ausdehnung der ausnahmsweise gesetzlich angeordneten Haftungserweiterung auch auf den Fall der Kündigung des Versicherungsverhältnisses durch den Versicherungsnehmer, wegen der in diesem Falle vergleichbaren Schutzbedürftigkeit des mitversicherten Fahrers, spricht der erklärte Willen des Gesetzgebers. In der amtlichen Begründung der Gesetzesnovellierung (Drucksache 11/ 6341, S. 36) wird ausdrücklich ausgeführt, dass das Recht zur selbständigen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag mit der wirksamen Kündigung erlösche. Die in § 3 Nr. 5 PflVG zugunsten des Verkehrsopfers angeordnete Nachhaftung könne nicht auf das Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherer übertragen werden, weil ein versicherungsrechtlicher Deckungsanspruch begriffsnotwendig an einen bestehenden Versicherungsvertrag anknüpfen müsse. Es dürfe auch nicht verkannt werden, dass das Schutzbedürfnis des Opfers regelmäßig höher zu bewerten sei als die Notwendigkeit der sozialen Absicherung des Schädigers.

15

Eine gesetzliche Lücke, die im Wege der Analogie ausgefüllt werden könnte, liegt daher nicht vor. Eine nicht mit dem Wortlaut und dem Willen des historischen Gesetzgebers ein Einklang stehende analoge Gesetzesanwendung kommt regelmäßig nicht in Betracht (BGH VersR 1988, 362 für die vergleichbare Problematik der erweiternden Auslegung des § 158 i VVG a.F. auf - über Obliegenheitsverletzungen hinausgehende - Rechtsverletzungen des Versicherungsnehmers, insbesondere bei Verzug mit der Prämienzahlung; wie hier im Übrigen BK Hübsch, 1998, Rn. 12 zu § 158 i VVG, Anm. Biela VersR 1993, 1390 ff., Stiefel-Hofmann, Rn. 15 zu § 3 PflVG, für den Fall der Kündigung auch Johannsen VersR 1991, 500, 502).

16

Die Klage war daher abzuweisen, weil der in Betracht zu ziehende Versicherungsfall erst nach Wirksamwerden der Kündigung der Versicherungsnehmerin eingetreten ist, die Beklagte somit bereits leistungsfrei war und ein Fall gesetzlicher Haftungserweiterung der Beklagten nicht gegeben ist.

17

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestehen im Hinblick auf eine zu erwägende Ungleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhalte (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht, weil es nicht willkürlich erscheint, wenn der Fall des Nichtbestehens eines Versicherungsverhältnisses den Fällen der Leistungsfreiheit nicht gleichgestellt und die Haftungserweiterung nicht auf alle Fälle sozialer Schutzbedürftigkeit, zu Lasten des Versicherers, ausgedehnt wird.

18

Der Senat hat jedoch insofern die Revision zugelassen, weil streitige Rechtsfragen entscheidungserheblich sind, die - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden worden sind (§ 543 Abs. 2 ZPO).

19

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen bezüglich der Kosten auf §§ 91, 92 ZPO, hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit und der Sicherheitsleistung auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO n. F i.V.m. § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO und wegen der Beschwer auf § 26 Nr. 8 EGZPO.