Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 23.06.2020, Az.: 7 A 461/19

Benzodiazepin; Bindungswirkung; Fluninoc; Flunitrazepam; Strafbefehl; Strafrechtliche Verurteilung; Verletzung von Berufspflichten; Widerruf der Approbation als Arzt; Wiederherstellung der Würdigkeit; Wohlverhaltensphase

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
23.06.2020
Aktenzeichen
7 A 461/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71737
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Verletzung der Berufspflichten eines Arztes wegen des missbräuchlichen Verordnens des Medika-mentes Fluninoc (Wirkstoff Flunitrazepam, eine Substanz aus der Gruppe der Benzodiazepine) recht-fertigt den Widerruf seiner Approbation.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der im Jahr 1946 geborene Kläger, der seine ärztliche Tätigkeit als Hausarzt in eigener Praxis in B-Stadt, E. -Straße 18, ausübt, wendet sich gegen den Widerruf seiner ärztlichen Approbation durch den Beklagten mit Bescheid vom 7. Januar 2019.

Durch Strafbefehl vom 26. Januar 2016, rechtskräftig seit dem 17. Februar 2016, verurteilte das Amtsgericht B-Stadt den Kläger wegen Untreue in 101 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 100,00 € (Az. F. BA 1, Bl. 199).

Dem Strafbefehl lag zugrunde, dass der Kläger in der Zeit vom 2. Januar 2009 bis zum 28. März 2011 den bei der AOK Niedersachsen versicherten G., H. sowie I. das Medikament Fluninoc (Wirkstoff pro Tablette: 1 mg Flunitrazepam, eine Substanz aus der Gruppe der Benzodiazepine), auf deren Betreiben hin in einer Regelmäßigkeit und Dosierung verordnete, die medizinisch nicht indiziert war. Hierbei nahm der Kläger jedenfalls billigend in Kauf, dass bei den vorgenannten Personen entweder eine Abhängigkeit bestand oder die Tabletten unkontrolliert an Dritte weitergegeben wurden. Ihm war dabei bewusst, dass eine medizinische Indikation für die Verschreibung nicht bestand, die benannten Versicherten dadurch keinen Leistungsanspruch gegenüber der AOK Niedersachsen hatten und er die Krankenkasse durch die Verschreibung der Medikamente dennoch zur Kostenübernahme verpflichtete. Durch die medizinisch nicht indizierte Verordnung entstand der AOK Niedersachsen als Kostenträgerin ein Schaden von insgesamt 899,10 €.

Der Erlass des Strafbefehls beruhte maßgeblich auf der Initiative des damaligen Verteidigers des Klägers, der sich an die Staatsanwaltschaft B-Stadt wandte und sich aktiv um eine Erledigung des Strafverfahrens ohne Durchführung einer Hauptverhandlung bemühte (BA 1, Bl. 193). Einem Abschluss des Verfahrens durch Erlass eines Strafbefehls wurde mit Schriftsatz vom 21. Januar 2016 nochmals ausdrücklich gegenüber der Staatsanwaltschaft sowie dem Amtsgericht B-Stadt zugestimmt (BA 1, Bl. 195 f.).

Am 5. April 2016 kam es zu einer weiteren Anklage des Klägers durch die Staatsanwaltschaft B-Stadt vor dem Amtsgericht B-Stadt (Az. J.; BA 1, Bl. 205). Mit ihm gemeinsam wurde ein weiterer Hausarzt sowie fünf Patienten der beiden Mediziner angeklagt. Dem Kläger wurde vorgeworfen, sich in der Zeit vom 14. Januar 2013 bis zum 24. Februar 2015 durch die vielfache und medizinisch nicht indizierte Verschreibung der Medikamente Tramadol und Zopiclon zugunsten der bei der AOK Niedersachsen versicherten K. der Untreue in 32 Fällen schuldig gemacht zu haben. Aufgrund der ihm bekannten Krankengeschichte der Patientin und ihrem erheblichen Tablettenbedarf soll dem Kläger dabei bewusst gewesen sein, dass bei ihr entweder eine Medikamentenabhängigkeit bestanden habe oder aber zumindest ein Teil der Tabletten von ihr an Dritte weitergegeben worden sei. Die Verschreibungspraxis habe daher nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen, was der Kläger ebenso wie die daraus resultierende Schädigung der AOK Niedersachsen als Kostenträgerin billigend in Kauf genommen habe.

Nachdem das Amtsgericht B-Stadt die Anklage der Staatsanwaltschaft B-Stadt vom 5. April 2016 mit Beschluss vom 24. Oktober 2016 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hatte, wandte sich der damalige Verteidiger des Klägers an die Staatsanwaltschaft B-Stadt und bemühte sich abermals um eine Verfahrenserledigung durch den Erlass eines Strafbefehls und somit ohne die Teilnahme des Klägers an der Hauptverhandlung (BA 1, Bl. 250).

In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht B-Stadt am 10. November 2016 erschien in der Folge weder der Kläger noch sein Verteidiger. Daraufhin erging gegen den Kläger auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Strafbefehl in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 100,00 € (BA 1, Bl. 253).

Nach einem Wechsel seines Verteidigers legte der Kläger am 1. Dezember 2016 Einspruch gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts B-Stadt vom 10. November 2016 ein (BA 1, Bl. 256).

In der daraufhin durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht B-Stadt am 8. März 2018 wurde das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig unter der Auflage eingestellt, dass der Kläger innerhalb von sechs Monaten und in monatlichen Raten einen Betrag in Höhe von 1.500,00 € an die Staatskasse zahlt (Az. L.; BA 1, Bl. 261). Dieser Auflage kam der Kläger ordnungsgemäß nach, sodass das Verfahren durch Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 3. Juli 2018 endgültig eingestellt wurde (BA 1, Bl. 262).

Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 9. November 2018 (BA 1, Bl. 308) widerrief der Beklagte mit Bescheid vom 7. Januar 2019 die ärztliche Approbation des Klägers und forderte die ihm ausgestellte Approbationsurkunde zurück (BA 1, Bl. 314). Zur Begründung führte er den gegen den Kläger ergangenen Strafbefehl vom 26. Januar 2016 wegen Untreue in 101 Fällen (Az. M.) sowie die unter der Auflage der Zahlung eines Geldbetrags von 1.500,00 € erfolgte Einstellung des gegen ihn geführten Verfahrens wegen Untreue in 32 Fällen (Az. L.) gemäß § 153a Abs. 2 StPO an.

Insbesondere aus der Verurteilung wegen Untreue in 101 Fällen folge die Unwürdigkeit des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufs. Da die von ihm begangenen Straftaten in engem Zusammenhang mit seiner Berufsausübung stünden, seien diese geeignet, das Ansehen und Vertrauen in den ärztlichen Berufsstand zu zerstören. Durch die vielfache Verschreibung des Betäubungsmittels Fluninoc, einem in der Drogenszene sehr begehrten und gehandelten Benzodiazepin, habe der Kläger wiederholt und erheblich gegen seine Berufspflicht aus § 7 Abs. 8 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen (BOÄ) verstoßen, wonach Ärzte einer missbräuchlichen Verwendung ihrer Verschreibung keinen Vorschub leisten dürften. Gleichzeitig stünde die Verschreibung von Benzodiazepinen gegenüber möglicherweise Suchterkrankten ebenfalls der in § 1 Abs. 1 und Abs. 2 BOÄ niedergelegten Berufspflicht des Klägers entgegen, der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung zu dienen, das Leben zu erhalten sowie die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen. Da der Kläger in 101 Fällen gegen eine Hauptpflicht seiner ärztlichen Tätigkeit, in deren Einhaltung ein besonderes Vertrauen bestehe, verstoßen habe, sei die Zuwiderhandlung als schwerwiegend anzusehen.

Erschwerend sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Erlass des Strafbefehls erneut wegen Untreue in 32 Fällen im Zeitraum vom 14. Januar 2013 bis zum 24. Februar 2015 angeklagt worden sei. Dies zeige, dass der Kläger keine Einsicht in sein vorangegangenes Fehlverhalten habe. Auch wenn das spätere Verfahren (N.) nach § 153a Abs. 2 StPO unter einer Zahlungsauflage eingestellt worden sei, heiße dies nicht, dass der Kläger die angeklagte Straftat nicht begangen habe. Vielmehr sei es nur dann möglich, gemäß § 153a Abs. 2 StPO von einer Strafverfolgung unter Auflagen und/oder Weisungen abzusehen, wenn nach dem Verfahrensstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgegangen werden könne, da dem Angeklagten nur in diesem Fall die Übernahme besonderer Pflichten zuzumuten sei.

Die Tatsache, dass insgesamt ein vergleichsweise geringer wirtschaftlicher Schaden bei der AOK Niedersachsen entstanden sei, stehe einem Widerruf der Approbation nicht entgegen, da die durch die Taten zugleich verwirklichte Verletzung der beruflichen Hauptpflichten in derart vielen Fällen ungleich schwerer wöge.

Der Kläger habe die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs auch nicht schon wiedererlangt. Die Rückerlangung des für die Ausübung des ärztlichen Berufs notwendigen Ansehens und Vertrauens erfordere regelmäßig einen längeren inneren Reifeprozess. Dieser außerberufliche Bewährungszeitraum verlange bei gravierenden Verfehlungen im beruflichen Wirkungskreis einen Reifeprozess von regelmäßig mindestens acht Jahren, wobei solchen Zeiten, die unter dem Druck eines schwebenden behördlichen Verfahrens absolviert würden, grundsätzlich ein geringeres Gewicht beizumessen sei. Zusätzlich in die Gesamtwürdigung einzustellen seien hierneben Art, Schwere und Zahl der Verfehlungen, das Verhalten des Betreffenden nach der Aufgabe oder Aufdeckung der Verfehlungen, seine Einsicht in das verwirklichte Unrecht und seine Bemühungen um eine Wiedergutmachung entstandener Schäden sowie das Ausbleiben erneuter, mit Blick auf die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs relevanter Verfehlungen.

Nach Maßgabe dieser Kriterien sei im Falle des Klägers aufgrund der Schwere und Vielzahl der im ärztlichen Wirkungskreis begangenen Verfehlungen ein außerberuflicher Bewährungszeitraum von acht Jahren anzusetzen. Da der Kläger vom Zeitpunkt der letzten Tat im März 2011 bis zur Entscheidung des Amtsgerichts B-Stadt im Januar 2016 unter dem Eindruck des laufenden strafrechtlichen Verfahrens gestanden habe, sei diesem Zeitraum mit Blick auf den außerberuflichen Bewährungszeitraum allenfalls ein geringerer Wert – nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Höhe des Faktors 2/3 – beizumessen. Vorliegend komme jedoch selbst dies nicht in Betracht, da der Kläger in dieser Zeit erneut strafrechtlich in nahezu identischen Sachverhalten in Erscheinung getreten und ein innerlicher Reifeprozess daher nicht ansatzweise zu erkennen sei. Der für die Ermittlung des vorliegend bereits verstrichenen außerberuflichen Bewährungszeitraums maßgebliche Anfangszeitpunkt sei daher in dem Datum der letzten Tat im Februar 2015 zu sehen. Auch in dem Zeitraum ab der letzten Tat im Februar 2015 bis zur endgültigen Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO im Juli 2018 habe der Kläger dabei unter dem Eindruck des strafrechtlichen Verfahrens gestanden, weshalb auch diese Zeit nicht vollumfänglich angerechnet werden könne.

Gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2019, zugestellt am 9. Januar 2019 (BA 1, Bl. 323) hat der Kläger am 11. Februar 2019 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass der ergangene Strafbefehl den Widerruf der Approbation nicht rechtfertigen könne. Er bilde das tatsächliche Geschehen schon nicht korrekt ab, da die Rezepte eigenmächtig durch eine Mitarbeiterin der Praxis ausgestellt und unterschrieben worden seien. Unabhängig hiervon lasse sich mit dem Strafbefehl vom 26. Januar 2016 nicht die Unwürdigkeit des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufs begründen. Es sei demnach schon fraglich, ob es sich überhaupt um eine gravierende Verfehlung handele. Der wirtschaftliche Schaden, der durch die mit dem Strafbefehl geahndeten Taten des Klägers verursacht wurde, sei überschaubar gewesen. Er habe den Schaden zudem beglichen und auch die Geldstrafe gezahlt, die sich mit 90 Tagessätzen unterhalb dessen bewege, was in das Führungszeugnis einzutragen sei. Bei seinen Taten habe der Kläger darüber hinaus nicht – wie in anderen Fällen, die zum Widerruf der Approbation geführt hätten – gezielte Substitutionsbehandlungen durchgeführt, ohne über die entsprechende Ermächtigung hierfür zu verfügen.

Das nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellte Strafverfahren gegen den Kläger sei darüber hinaus für die Beurteilung von dessen Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs unbeachtlich. Durch die Verfahrenseinstellung lägen insbesondere keine Feststellungen vor, auf die der Beklagte sich nun stützen könnte. Die Verschreibung der Medikamente Tramadol und Zopiclon gegenüber der Patientin K., die ihm zum Vorwurf gemacht wurde, sei im Übrigen indiziert gewesen. Die Patientin habe im Jahr 2008 einen schweren Verkehrsunfall gehabt und leide seitdem unter starken Schmerzen im Hals- und Lendenwirbelbereich sowie an Schlaflosigkeit. Schon im Jahr 2009 habe er sie mit dem Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall in stationäre sowie fachärztliche und neurologische Behandlung überwiesen. Einer chirurgischen Behandlung habe die Patientin sich nach seinem Wissen jedoch erst im Frühjahr 2018 unterzogen. Der Kläger habe ihr daher die Medikamente verschrieben, um die Lebensqualität der Patientin einigermaßen aufrecht zu erhalten.

Der Kläger habe die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs aber jedenfalls wiedererlangt, da zwischen der letzten ihm vorwerfbaren Tat im März 2011 bis zum Erlass des Widerrufbescheides im Januar 2019 ein Zeitraum von annähernd acht Jahren liege. Dieser von der Rechtsprechung geprägte Zeitraum zur Wiedererlangung der Würdigkeit bei gravierenden Verfehlungen im beruflichen Wirkungskreis sei dabei im Übrigen nicht schematisch anzuwenden, sondern müsse die Umstände des Einzelfalles – vorliegend insbesondere die Bereitschaft des Klägers zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts – berücksichtigen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft der Beklagte seine Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid. In Bezug auf die Bestimmung des außerberuflichen Bewährungszeitraums ergänzt er seine Ausführungen dahingehend, dass der Kläger zudem seit Juli 2018 unter dem Eindruck des vorliegenden Widerrufsverfahrens stünde, weshalb der Zeitraum ab diesem Ereignis ebenfalls nicht vollumfänglich angerechnet werden könne. Dem Einwand der medizinischen Indikation der Verschreibungen gegenüber der Patientin K. tritt der Beklagte mit dem Einwand entgegen, dass der Kläger diese Tatsache schon im vorangegangenen strafrechtlichen Verfahren – insbesondere durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens – hätte nachweisen können; stattdessen habe der anwaltlich vertretene Kläger aktiv auf eine Erledigung durch Strafbefehl hingewirkt und am Ende eine Einstellung unter einer Zahlungsauflage erreicht. Aufgrund der anwaltlichen Vertretung habe er sich jedoch über berufsrechtliche Konsequenzen bewusst sein müssen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten (BA 1) sowie der Akten des Strafverfahrens zum Geschäftszeichen der Staatsanwaltschaft B-Stadt O. (BA 2 bis BA 8) sowie P. (BA 9 bis BA 26) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für den Widerruf der Approbation in Ziffer 1 des Bescheides ist § 5 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung (BÄO). Eine Approbation ist hiernach zu widerrufen, wenn der Arzt sich nachträglich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Zu den Anforderungen, die an die Annahme der Unwürdigkeit zur weiteren Ausübung des ärztlichen Berufs zu stellen sind, führt das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht aus:

„Ein Arzt ist zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig, wenn er durch sein Verhalten nicht mehr das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötige Vertrauen besitzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.4.1998 - BVerwG 3 B 95.97 -, NJW 1999, 3425; Senatsbeschl. v. 2.9.2009 - 8 LA 99/09 -, juris Rn. 2 jeweils m.w.N.). Die (Fortsetzung der) Ausübung des ärztlichen Berufs wird damit vom Vorliegen persönlicher Eigenschaften, auf deren Vorliegen der Arzt Einfluss nehmen kann, abhängig gemacht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.3.1985 - 1 BvR 1245/84 u.a. -, BVerfGE 69, 233, 244; Sachs, GG, 6. Aufl., Art. 12 Rn. 130 (Abhängigkeit des Berufszugangs von der Zuverlässigkeit des Berufsträgers als subjektive Berufszulassungsregelung)). Der mit einem Approbationsentzug wegen Unwürdigkeit als subjektiver Berufszulassungsregelung verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit kann daher schon dann gerechtfertigt sein, wenn ein überragendes Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll. Genau dies ist das Ziel des Entzugs der ärztlichen Approbation wegen Unwürdigkeit. Denn hierdurch soll nicht das bisherige Verhalten des Arztes sanktioniert, sondern das Ansehen der Ärzteschaft in den Augen der Öffentlichkeit geschützt werden; dies freilich nicht als Selbstzweck, sondern um das für jede Heilbehandlung unabdingbare Vertrauen der Patienten in die Integrität der Personen aufrecht zu erhalten, denen mit der Approbation die staatliche Erlaubnis zur selbständigen Ausübung der Heilkunde verliehen ist und in deren Behandlung sich die Patienten begeben. Dieses für das Arzt-Patienten-Verhältnis konstitutive und damit auch für das hochrangige Gemeinschaftsgut der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung (vgl. zu dem im Verfassungsrang stehenden Gemeinschaftswert der Volksgesundheit: BVerfG, Beschl. v. 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. -, BVerfGE 80, 1, 21; BVerwG, Urt. v. 18.5.1982 - BVerwG 7 C 24.81 -, BVerwGE 65, 323, 325) unerlässliche Vertrauen würde zerstört durch eine fortdauernde Berufstätigkeit von Ärzten, die ein Fehlverhalten gezeigt haben, das mit dem Berufsbild und den allgemeinen Vorstellungen von der Persönlichkeit eines Arztes schlechthin nicht zu vereinbaren ist. Dabei muss der Approbationsentzug wegen Unwürdigkeit in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit stehen.

Anlass für den Entzug der Approbation wegen Unwürdigkeit können daher nur gravierende Verfehlungen sein, die geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos, nachhaltig zu erschüttern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.1.2011 - BVerwG 3 B 63.10 -, NJW 2011, 1830, 1831; Senatsbeschl. v. 18.4.2012 - 8 LA 6/11 -, juris Rn. 30; Stollmann, Widerruf und Ruhen von Approbationen, in: MedR 2010, 682 f. jeweils m.w.N.). Es gilt ein objektiver Maßstab (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.3.2003 - BVerwG 3 B 10.03 -, juris Rn. 3, Senatsbeschl. v. 10.2.2015 - 8 LA 22/14 -, juris Rn. 10 m.w.N.).“

(OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 25 f.)

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der angegriffene Bescheid des Beklagten rechtmäßig. Das dem Kläger zum Vorwurf gemachte Verhalten stellt ein schweres Fehlverhalten dar, welches bei der gebotenen Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine weitere Berufsausübung als untragbar erscheinen lässt. Der Widerruf der Approbation war im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung aufgrund der Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig.

In tatsächlicher Hinsicht können für die Beurteilung der Unwürdigkeit des Klägers die dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts B-Stadt vom 26. Januar 2016 (Az. O.) zugrunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen herangezogen werden. Der Strafbefehl erging auf Grundlage einer tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch das Gericht, enthält einen strafrechtlichen Schuldspruch und setzt eine strafrechtliche Rechtsfolge gegen den Beschuldigten fest, sodass er die Wirkung eines rechtskräftigen Strafurteils erlangte und dadurch zur Grundlage der behördlichen Entscheidung gemacht werden durfte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6. März 2003 – 3 B 10/03 – juris, Rn. 2; BVerwG, Urt. v. 26. September 2002 – 3 C 37/01 – juris, Rn. 38). Mit Blick auf das approbationsrechtliche Widerrufsverfahren besteht für die Verwaltungsgerichte damit grundsätzlich keine Veranlassung, die tatsächlichen Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafurteil erneut zu überprüfen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen. Hierfür ist vorliegend – auch unter Berücksichtigung des Klägervortrags – nichts ersichtlich. Insbesondere die Behauptung des Klägers, seine damalige Mitarbeiterin Frau Q. habe die Rezepte ausgestellt und auch unterschrieben, wurde von ihm schon im Rahmen des Strafverfahrens vorgebracht und ist schon deshalb wenig glaubhaft, weil die Mitarbeiterin ausweislich der Aussage des Zeugen R. erst ab dem 1. Juni 2010 in der Praxis des Klägers arbeitete (BA 1, Bl. 72). Die vorliegend in Rede stehende Verschreibung des medizinisch nicht indizierten Medikaments erfolgte jedoch mehrheitlich bereits vor diesem Zeitpunkt (vgl. hierzu BA 1, Bl. 191).

Nach den Feststellungen des Strafbefehls hat der Kläger den Patienten G., H. und I. das Medikament Fluninoc in 101 Fällen in einer Regelmäßigkeit und Dosierung verordnet, die medizinisch nicht indiziert war. Über die fehlende medizinische Indikation war der Kläger sich dabei bewusst. Eine Abhängigkeit der Patienten nahm er ebenso billigend in Kauf wie die unkontrollierte Weitergabe des Medikaments an Dritte.

Die einem Arzt bei der Berufsausübung obliegenden Pflichten sind in der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen niedergelegt. Wesentliche Aufgabe des ärztlichen Heilberufs ist es hiernach, das Leben zu erhalten sowie die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen (§ 1 Abs. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen – BO – in der Fassung der Neubekanntmachung vom 1. Juni 2018). Der Arzt hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BO). Sein Handeln hat er dabei am Wohl der Patienten auszurichten (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BO). Schließlich darf der Arzt einer missbräuchlichen Verwendung seiner Verschreibung keinen Vorschub leisten (§ 7 Abs. 8 BO).

Gegen die genannten ärztlichen Pflichten hat der Kläger verstoßen.

Als Anhaltspunkt für die Grenzen der ärztlichen Behandlung im Rahmen der Therapiefreiheit lassen sich die einem Medikament vom Hersteller für den Patienten beigefügte Gebrauchsinformation sowie die an Fachkreise gerichtete Fachinformation heranziehen (OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 34). Nach der Gebrauchsinformation für das Medikament Fluninoc mit einem Wirkstoffgehalt von 1 mg Flunitrazepam pro Tablette handelt es sich um ein Schlafmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine, das zur kurzfristigen Behandlung von Schlafstörungen angewendet wird. Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 0,5 mg bis 1 mg, in Ausnahmefällen bei 2 mg. Die Dauer der Behandlung sollte im Allgemeinen wenige Tage bis zu zwei Wochen betragen und – einschließlich der schrittweisen Absetzphase – vier Wochen nicht übersteigen (OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 35).

In diesem Zusammenhang führt der Sachverständige Dr. med. S. in dem von ihm erstellten Gutachten zum Verfahren NZS T. ergänzend aus (BA 1, Bl. 154 f.):

„Gerade dort, wo der Einsatz von Schmerzmedikamenten und psychotropen Medikamenten geboten ist, sollten besondere Vorsichtsmaßnahmen bedacht werden.

Eine Indikationsstellung sollte mit großer Sorgfalt erfolgen und dokumentiert werden, eine Rezeptierung ist an einem klar definierten inhaltlichen Ziel auszurichten und der zeitliche Rahmen sollte klar ersichtlich abgesteckt sein.

Die ärztliche Aufklärung des Patienten über gebotene Diagnose- und Therapiemaßnahmen zählt dabei zu den Zentralpflichten des Arzt-/Patientenverhältnisses. Der Arzt ist dabei verpflichtet, jedem seiner Patienten bei der Arzneimittelversorgung Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen eingehend zu erklären und zu dokumentieren, insbesondere regelmäßig, rechtzeitig und vollständig Risiken, Nebenwirkungen, Unverträglichkeiten, Alternativen und Dosierung der Medikation festzuhalten. Gerade die Gefahr einer unkontrollierten Selbstmedikation oder die Weitergabe an dritte Personen sind zu berücksichtigen und ggf. zu thematisieren.

Diese Instruktionspflicht reicht um so weiter, je gefährlicher das jeweilige Arzneimittel ist. So ist bei der Verschreibung von Medikamenten mit Suchtpotential – vorrangig sind hier Benzodiazepine und ihre Analoga zu nennen – die Verschreibung besonders genau zu kontrollieren, insbesondere die Verschreibungsdauer und die verordneten Mengen aber auch der Umgang mit Wiederholungsrezepten und Doppelverordnungen. Dabei ist vorauszusetzen, dass die Verschreibungsdauer wegen der Abhängigkeitsgefahr so kurz wie möglich gehalten werden sollte.

Eine Medikamentenabhängigkeit entsteht z.B. im Fall der regelmäßigen Einnahme von Benzodiazepinen schon nach vier bis acht Wochen. Ist in dieser Zeit keine Symptomlinderung erreicht, so ist dies auch in der Folgezeit nicht zu erwarten und erfolgt eine weitere Einnahme, ist bereits eine Abhängigkeit eingetreten. […]

Aus der hohen Verantwortung niedergelassener Ärzte bei der Verschreibung von Medikamenten mit Suchtpotential ergibt sich zwangsläufig ein besonderes Arzt-/Patientenverhältnis, da eine kritische Verordnung unabdingbar ist. Kritischer wird die Situation bei solchen Patienten, bei denen bereits ein schädlicher oder abhängiger Gebrauch bekannt ist, insbesondere ist spezielle Aufmerksamkeit geboten, wenn Zeichen für eine aktuelle Suchterkrankung oder eine Suchterkrankung in der Vorgeschichte vorliegen. Bei der Behandlung gefährdeter oder abhängiger Patienten ist daher eine Kooperation mit einem Suchtexperten oder einer entsprechenden Einrichtung angeraten.“

Eine Umsetzung der dargelegten Anforderungen an einen gewissenhaften Umgang mit dem Medikament Fluninoc – d.h. insbesondere eine kurzzeitige, maßvolle und vor allem indizierte Verordnungspraxis – ist beim Kläger nicht zu erkennen. Er verschrieb das Medikament über erhebliche Zeiträume: Bei dem Patienten I. in 31 Fällen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr und acht Monaten, bei der Patientin G. in 44 Fällen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren und zwei Monaten sowie bei der Patientin H. in 26 Fällen über einen Zeitraum von knapp unter einem Jahr. Hierbei überstieg die verschriebene Menge des Medikaments bei allen drei Patienten – aufgrund der zeitlich eng gestaffelten Verschreibungspraxis des Klägers – die vom Hersteller empfohlene Tageshöchstdosis von 1 mg des in dem Medikament enthaltenen Wirkstoffes Flunitrazepam in beachtlicher Regelmäßigkeit (vgl. BA 1, Bl. 199 f.). Zur fehlenden medizinischen Indikation der Verordnungen, welche bereits im Strafbefehl vom 26. Januar 2016 festgestellt wurde, führt der Sachverständige Dr. med. S. aus (BA 1, Bl. 159 ff.):

„So bleibt völlig unverständlich, worauf das unkritische Verschreibungsverhalten des Kollegen Dr. A. zurückzuführen ist. Nicht nur aufgrund der absolut mangelhaften Dokumentation ist keine Kausalität in seinem Therapieregime nachvollziehbar, ebenso nicht im Bereich der gesetzlichen Grundlagen, auf die er seine Verordnungen beziehen musste. So kam es auch zu keiner Berücksichtigung der unterschiedlichen Aspekte im Umfeld der Verordnung von Arzneimitteln mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential. Nirgendwo ist in seinen Unterlagen dokumentiert, dass er seine Patientinnen und Patienten über eine potentielle Abhängigkeitsproblematik aufgeklärt hat, wobei bekannt ist, dass der Hinweis auf dem Beipackzettel ihn nicht von der Aufklärungspflicht entbindet. Der Hinweis auf eine mögliche Abhängigkeit bei fortgesetztem Gebrauch muss deutlich angesprochen, die Dauer der Verordnung muss begrenzt werden. Diese Begleitumstände sind nirgendwo auch nur annähernd dokumentiert. […]

Insofern sind für das völlig unkritische Verordnungsverhalten des Kollegen Dr. A. keine entlastenden Anhaltspunkte im Rahmen der ärztlichen Berufsausübung zu finden […], zumal auch kein Therapieregime z.B. im Rahmen einer Schmerztherapie mit angegebener Höchstmengenverordnung und Kontrollabständen zu den einzelnen Verordnungen erkennbar ist.“

Die Verordnungspraxis des Klägers begründet einen Verstoß in dessen Berufspflicht aus § 2 Abs. 2 Satz 1 BO, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Hierzu zählt insbesondere, dass der Arzt bei der Verschreibung von Medikamenten die Regeln der ärztlichen Kunst einhält. Dies verlangt danach, dass jede Verschreibung eines Medikaments einer dokumentierten medizinischen Begründung bedarf. Eine solche Begründung wurde vom Kläger nicht angeführt. Die Verschreibungspflicht soll verhindern, dass Arzneimittel mit Sucht- und Nebenwirkungspotenzial für jedermann frei zugänglich sind. Eine Verschreibung potenziell suchterzeugender Stoffe ohne eine nachvollziehbare medizinische Indikation ist mit den ärztlichen Berufspflichten nicht vereinbar. Insbesondere die etwaige Unterhaltung einer Sucht, die nach den Ausführungen des Sachverständigengutachtens bereits nach einer Einnahme von länger als vier bis acht Wochen eintritt, ist nicht als anerkennenswertes Behandlungskonzept einzustufen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 42).

Durch sein unkritisches Verordnungsverhalten hat der Kläger zudem gegen seine Pflicht aus § 7 Abs. 8 BO, einer missbräuchlichen Verwendung seiner Verschreibung keinen Vorschub zu leisten, verstoßen. Neben der Kenntnis von der fehlenden medizinischen Indikation der Verschreibungen hat er nach den Feststellungen des Strafbefehls vom 26. Januar 2016 eine Abhängigkeit der Patienten bzw. eine Weitergabe der von ihm verordneten Medikamente an Dritte billigend in Kauf genommen. Hierdurch wurde die nicht bestimmungsgemäße Anwendung des Medikaments allein als Suchtmittel ohne einen therapeutischen Zweck von ihm nicht nur gebilligt, sondern aktiv gefördert. Hierbei fand er sich damit ab, dass das Medikament dazu genutzt werden könnte, eine Abhängigkeit seiner Patienten aufrecht zu erhalten oder auch an Dritte weitergegeben bzw. weiterveräußert zu werden, damit diese das Medikament ebenfalls in unerlaubter Weise verwendeten. Hierbei musste ihm als Arzt der Umstand bekannt sein, dass sich das Medikament Fluninoc aufgrund des Wirkstoffes Flunitrazepam und des damit verbundenen Missbrauchspotenzials in bestimmten Kreisen großer Beliebtheit erfreut, gleichzeitig aber auch erhebliche Gefahren birgt. Das Verwaltungsgericht Hannover führt hierzu wie folgt aus:

„Flunitrazepam (enthalten auch in Rohypnol 1mg) ist wegen des schnellen Wirkungseintritts das mit am häufigsten von Drogenabhängigen als Ausweichmittel missbrauchte Präparat (Geschwinde, Rauschdrogen, 5. A., Rdnr. 2191). Es wird von Heroinabhängigen auch zur Verstärkung der Opioid-Wirkung verwendet. Infolge der sich dadurch verstärkenden atemdepressiven Effekte dieser Fremdstoffe ist der Wirkstoff Flunitrazepam für einen großen Teil der sog. „Drogentoten“ der 80er Jahre verantwortlich und bahnt zudem einem polytoxikomanen Suchtverhalten den Weg. Die zentral-dämpfend wirkenden Stoffe werden auch unwissentlich als k.o.-Tropfen verabreicht. (Geschwinde, a. a. O., Rdnrn. 2222, 2226 u. 2231). Weber (Kommentar zum BtMG, 3. A., 2009, § 5 BtMVV, Rdnr. 51) weist darauf hin, dass der Mischkonsum von Heroin und Flunitrazepam besonders gefährlich ist und hierauf eine erhebliche Zahl von Drogentodesfällen beruht. Rohypnol (Wirkstoff Flunitrazepam), vielfach in einer Mixtur mit Heroin, war mit einem hohen Anteil bei den Drogentoten vertreten (BR-Drs 881/97, S. 44, zitiert nach Weber, a.a.O., § 1 BtMG, Rdnr. 505; vgl. auch Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, Komm. 7. A., § 13, Rdnr. 84: Eine hohe Zahl von Drogentodesfällen beruht gerade auf dem Mischkonsum von Heroin und Rohypnol; Rdnr. 84: Das Missbrauchspotential von Flunitrazepam wird vielfach unterschätzt).“

(VG Hannover, Urt. v. 27. August 2014 – 5 A 2959/13 – juris, Rn. 25)

Auch in der insbesondere an die Ärzteschaft gerichteten Fachinformation zum Medikament Fluninoc 1 mg wird vor diesem Hintergrund – unter Hervorhebung durch eine schwarze Textumrandung – mitgeteilt, dass sich gezeigt habe, dass Flunitrazepam von Drogenabhängigen missbraucht werde. Es werde daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Flunitrazepam unter keinen Umständen Drogenabhängigen oder Patienten mit Abhängigkeitsanamnese verschrieben werden dürfe.

Aufgrund des besonderen Gefahren eines solchen multiplen Substanzgebrauchs unterfiel die Verschreibung des Wirkstoffes Flunitrazepam gegenüber betäubungsmittelabhängigen Patienten im vorliegend zu beurteilenden Verordnungszeitraum von Januar 2009 bis März 2011 dem Anwendungsbereich des Betäubungsmittelrechts (Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG a.F.).

In Ansehung des erheblichen Missbrauchspotenzials des Wirkstoffes Flunitrazepam sowie der Tatsache, dass die das Medikament Fluninoc missbräuchlich verwendenden Gruppen keinen Zugang hierzu hatten, hätte der Kläger sich möglicher Umgehungsstrategien in besonderer Weise bewusst sein müssen. Dennoch hat er das Medikament vielfach und ohne medizinische Indikation verschrieben. Mit der billigenden Inkaufnahme der Weitergabe des Medikaments an Dritte hat er sich jedenfalls auch mit der Möglichkeit eines multiplen Substanzgebrauchs und den damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben der Konsumenten durch etwaige Wechselwirkungen abgefunden.

Gleichzeitig musste der Kläger sich auch mit Blick auf die drei von ihm behandelten Patienten darüber bewusst sein, dass sich die ihnen gegenüber erfolgten Verschreibungen des Medikaments Fluninoc über einen langen Zeitraum erstreckten (von einem Jahr bis zu zwei Jahren und zwei Monaten), sodass bei diesen ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. S. durch die Überschreitung einer Einnahmedauer von bereits vier bis acht Wochen eine Abhängigkeit entstanden ist (BA 1, Bl. 154). Da es sich bei dem Wirkstoff Flunitrazepam ebenfalls um ein Betäubungsmittel handelt, unterfielen auch die drei Patienten, denen er das Medikament vielfach verschrieb, dem Begriff der betäubungsmittelabhängigen Personen in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Die Verschreibung von Medikamenten auch mit einem geringeren Wirkstoffanteil von 1 mg Flunitrazepam je abgeteilter Form (Tablette) richtete sich somit nach den Regelungen des Betäubungsmittelrechts (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 41), d.h. es bestand insbesondere das Erfordernis zur Verwendung von Betäubungsmittelrezepten gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BtMG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 MtMVV. Dies wurde vom Kläger nicht beachtet.

Vor diesem Hintergrund stellt es sich im vorliegenden Fall für die Kammer als vollkommen unverständlich und zugleich als schwerwiegendes Fehlverhalten dar, ein psychoaktives und missbrauchsgeneigtes Medikament in der vorliegend hohen Fallzahl ohne eine medizinische Indikation zu verordnen. Gerade die hohe Zahl an Verschreibungen über einen erheblichen Zeitraum lässt den in der mündlichen Verhandlung getätigten Vortrag des Klägers, dass es aufgrund eines von Seiten der Patienten oftmals behaupteten Untergangs der Rezepte (verloren, mitgewaschen) oder Verlustes der Medikamente zu einer (erneuten) Verschreibung gekommen sei, in diesem Zusammenhang wenig glaubhaft erscheinen. Als Verhalten in unmittelbarem beruflichen Wirkungskreis ist eine solche Verschreibungspraxis geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand der Ärzteschaft nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Die Öffentlichkeit erwartet von einem Arzt, dass dieser seinen Beruf gewissenhaft ausübt und insbesondere sein Handeln in den Dienst des Lebens und der Gesundheit seiner Patienten stellt. Dies verlangt, dass er sich des einzelnen Patienten mit der gebotenen Sorgfalt annimmt und ein geeignetes Therapiekonzept – gegebenenfalls auch in Form der Verschreibung von Medikamenten – auf Grundlage einer gründlichen ärztlichen Untersuchung bzw. Anamnese erstellt und durchführt. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass er einem von Seiten eines Patienten vorgetragenen Wunsch nach der Verschreibung eines bestimmten Medikaments kritisch entgegentritt und zunächst eigenverantwortlich überprüft, ob eine solche Verschreibung dem Wohl des Patienten dient und somit medizinisch indiziert ist. Der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung von Medikamenten soll so vorgebeugt werden. Die Pflicht zur kritischen Prüfung gilt dabei umso mehr für solche Medikamente, denen ein besonderes Missbrauchspotenzial inhärent ist und/oder deren Einnahme besondere Risiken oder Nebenwirkungen birgt. Die Öffentlichkeit erwartet gerade mit Blick auf diese Medikamente, dass ihre Verschreibung zuvor streng geprüft und eine Aushändigung nur an solche Personen veranlasst wird, bei denen tatsächlich auch ein entsprechender Bedarf besteht. Ein solcher Bedarf war mit Blick auf das vom Kläger verordnete Fluninoc – ein benzodiazepinhaltiges Medikament mit ganz beträchtlichem Missbrauchspotenzial – bei den von ihm behandelten Patienten nachweislich nicht gegeben. Da der Kläger sich über das Fehlen eines therapeutischen Zwecks seiner Verschreibungen bewusst gewesen sein musste, nahm er die nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Medikaments allein als Suchtmittel (jedenfalls) billigend in Kauf. Gleiches gilt für die Weitergabe des Medikaments an Dritte und die damit verbundenen Gefahren für Leben und Gesundheit, da dem Kläger als Arzt insbesondere bewusst sein musste, dass der Wirkstoff Flunitrazepam vor allem bei Betäubungsmittelabhängigen besonders beliebt und die Gefahr lebensgefährlicher Wechselwirkungen dadurch besonders hoch ist. Ein solches Verhalten ist gerade auch in Anbetracht der Vielzahl sowie der zeitlichen Erstreckung der Verfehlungen teilweise über mehrere Jahre geeignet, dem Ansehen des Berufsstandes des Arztes in der Öffentlichkeit erheblichen Schaden zuzufügen. Das für das Arzt-Patienten-Verhältnis schlechthin konstitutive Vertrauensverhältnis wird durch das Verhalten solcher Ärzte erschüttert, die dem Verlangen einzelner Patienten nach der Verordnung psychoaktiver Medikamente mit erheblichem Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial ohne das Bestehen einer medizinischen Indikation vorbehaltslos nachgeben. Die billigende Inkaufnahme einer missbräuchlichen Verwendung solcher Medikamente tangiert nicht nur den Glauben an den Lebens- und Gesundheitsschutz als Prämisse jeden ärztlichen Handelns, sondern begründet auch grundlegende Zweifel an der Integrität derjenigen Personen, die den Beruf des Arztes ausüben. Ein Verhalten, welches nicht mehr vom ärztlichen Heilauftrag geleitet wird, sondern durch welches sich der einzelne Mediziner in den Dienst desjenigen stellt, der ein verschreibungspflichtiges Medikament ganz offensichtlich nur als Suchtmittel einfordert, ist mit der Vorstellung von der Persönlichkeit eines Arztes und der Gewissenhaftigkeit seiner Berufsausübung schlechthin nicht zu vereinbaren.

Ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Klägers folgt zudem aber auch aus dem Umstand, dass er bei der Verschreibung des Medikaments Fluninoc gegenüber den drei Patienten ebenfalls seine Pflicht zur Verwendung von Betäubungsmittelrezepten missachtete. Dieser Verstoß gegen die ihm obliegenden Dokumentationspflichten verstärkt nochmals das Gewicht des ihm vorzuwerfenden Verhaltens. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht führt hierzu aus:

„Mit der Verwendung eines Betäubungsmittelrezeptes, dessen Vordruck beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte anzufordern ist, sind erhöhte Dokumentationspflichten verbunden, sodass eine verbesserte Möglichkeit der Nachprüfung besteht. Die Verwendung dieser speziellen Rezeptvordrucke führt auch dem Arzt die Bedeutung der Verordnung in jedem Einzelfall vor Augen. Bei Umgehung der formellen Anforderungen sowie bei der Verwendung von Privatrezepten anstelle von Kassenrezepten besteht dagegen keine effektive Möglichkeit, die Verordnungspraxis des Arztes zu kontrollieren oder auch nur nachzuvollziehen. Gerade die Verschreibung von Flunitrazepam an Abhängige sollte jedoch aufgrund der negativen Erfahrungen in der Vergangenheit nach der Intention des Gesetzgebers diesen erhöhten Anforderungen unterworfen werden, die im Übrigen mit der Streichung ausgenommener Zubereitungen (Art. 1 Nr. 3 Buchst. b) der 25. BtMÄndV vom 11.5.2011, BGBl. I, S. 821) sowie der Festsetzung von Verordnungshöchstmengen nach § 2 Abs. 1 Buchst. a) Nr. 7a BtMVV (eingefügt mit Wirkung zum 26.7.2012 durch Art. 2 Nr. 4 der 26. BtMÄndV v. 20.7.2012, BGBl. I, S. 1639) zwischenzeitlich weiter verschärft worden ist.“

(OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 54)

Das Fehlverhalten des Klägers ist darüber hinaus aber auch deshalb von bedeutendem Gewicht, weil er einzelne der drei Patienten, deren Forderung nach einer Verordnung er nach dem Eindruck der Kammer ohne erkennbare Vorbehalte nachgab, in grob fahrlässiger Weise ernsthaften Gesundheitsgefahren bis hin zur Lebensgefahr aussetzte (vgl. VG Hannover, Urt. v. 27. August 2014 – 5 A 2959/13 – juris, Rn. 22). Hierdurch steht sein Handeln ebenfalls in grundlegendem Widerspruch zu der Aufgabe, die Gesundheit seiner Patienten zu schützen (§ 1 Abs. 2 BO) sowie zu der sich hieraus ableitenden Berufspflicht, das ärztliche Handeln am Wohl der Patienten auszurichten (§ 2 Abs. 2 Satz 2 BO). Es bestand demnach nicht nur – wie durch den rechtskräftigen Strafbefehl sowie in den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. S. festgestellt – keine medizinische Indikation zur wiederholten Verordnung von Fluninoc als benzodiazepinhaltiges Medikament; mit Blick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles war sie stattdessen sogar zum Teil kontraindiziert und begründete eine Gefahr für Leben und Gesundheit einzelner Patienten.

Die besondere Gefährlichkeit von Benzodiazepinen liegt in der Kombination mit anderen Stoffen, insbesondere Alkohol und Opioiden, begründet. Die zentral dämpfende Wirkung der Substanzen wird in nicht vorhersehbarer Weise verstärkt, wodurch sich die Gefahr eines tödlichen Ausgangs erhöht (OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 45 m.w.N.). In der Gebrauchsinformation des Medikaments Fluninoc (BA 2, Bl. 146) wird unter Ziffer 2 wie auch in der Fachinformation unter Ziffer 4.4 davor gewarnt, dieses gleichzeitig mit Arzneimitteln mit dämpfender Wirkung auf das zentrale Nervensystem – worunter aufgrund ihrer vor allem schmerzlindernden Wirkung auch opioidhaltige Medikamente zu fassen sind – einzunehmen. Eine gleichzeitige Einnahme kann die Wirkung von Fluninoc verstärken und möglicherweise zu Bewusstlosigkeit und zu einer Abflachung der Herz-Kreislauf-Funktion und/oder der Atmung führen, die eine Notfallbehandlung erfordern. Auch in dem abschließenden Patientenhinweis der Gebrauchsinformation wird ausgeführt, dass das Medikament grundsätzlich nicht eingenommen werden darf, wenn eine Abhängigkeit von Alkohol, Arzneimitteln oder Drogen bestand oder noch besteht (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 45).

Vor diesem Hintergrund ist es in besonderer Weise zu beanstanden, dass der Kläger den Patienten G., H. sowie I. nicht nur regelmäßig das Medikament Fluninoc, sondern ihnen ausweislich der Krankenakten (BA 7, Bl. 5, 6 u. 7) sowie der Rezeptdokumentationen (BA 8, Bl. 18-66, Bl. 111-155 u. Bl. 156-200) in ähnlicher Regelmäßigkeit das Medikament DHC 120 mg Mundipharma verordnete. Hierbei handelt es sich um ein Schmerzmittel aus der Gruppe der Opiode, welches bei mittelstarken bis starken Schmerzen verschrieben wird und welches eine Schmerzlinderung durch die Wirkung an spezifischen Nervenzellen des Rückenmarks und des Gehirns (zentral wirkend) bewirkt. Häufig kam es sogar zu einer Verordnung von Fluninoc und DHC 120 mg Mundipharma auf ein und demselben Rezeptformular bzw. am gleichen Tag (vgl. für die Patientin U. Rezepte v. 15. Januar 2009 (BA 8, Bl. 31), v. 27. Februar 2009 (BA 8, Bl. 33), v. 14. April 2009 (BA 8, Bl. 35), v. 21. April 2009 (BA 8, Bl. 35), v. 4. Mai 2009 (BA 8, Bl. 35), v. 18. Mai 2009 (BA 8, Bl. 37), v. 2. Juni 2009 (BA 8, Bl. 38), v. 1. Februar 2010 (BA 8, Bl. 47), v. 15. Februar 2010 (BA 8, Bl. 49); v. 9. April 2009 (BA 8, Bl. 52), v. 23. April 2010 (BA 8, Bl. 52), v. 17. Juni 2010 (BA 8, Bl. 54), v. 23. Juli 2010 (BA 8, Bl. 55), v. 7. September 2010 (BA 8, Bl. 58), v. 25. Februar 2011 (BA 8, Bl. 65) und v. 28. März 2011 (BA 8, Bl. 66); für die Patientin H.: Rezepte v. 12. Januar 2009 (BA 8, Bl. 167), v. 29. Januar 2009 (BA 8, Bl. 168), v. 16. Februar 2009 (BA 8, Bl. 170), v. 27. Februar 2009 (BA 8, Bl. 172), v. 25. März 2009 (BA 8, Bl. 173), v. 31. März 2009 (BA 8, Bl. 173), v. 16. April 2009 (BA 8, Bl. 174), v. 4. Mai 2009 (BA 8, Bl. 176), v. 13. Mai 2009 (BA 8, Bl. 176), v. 22. Mai 2009 (BA 8, Bl. 177), v. 28. Mai 2009 (BA 8, Bl. 177), v. 5. Juni 2009 (BA 8, Bl. 177), v. 12. Juni 2009 (BA 8, Bl. 178) und v. 22. Januar 2010 (BA 8, Bl. 185); für den Patienten I.: Rezepte v. 16. Juni 2009 (BA 8, Bl. 122), v. 6. Oktober 2009 (BA 8, Bl. 133), v. 2. Februar 2010 (BA 8, Bl. 140), v. 15. Februar 2010 (BA 8, Bl. 141), v. 10. Mai 2010 (BA 8, Bl. 143), v. 20. Mai 2010 (BA 8, Bl. 144), v. 22. Juli 2010 (BA 8, Bl. 147), v. 2. August 2010 (BA 8, Bl. 148), v. 6. August 2010 (BA 8, Bl. 148), v. 2. September 2010 (BA 8, Bl. 150), v. 28. September 2010 (BA 8, Bl. 151), v. 22. Oktober 2010 (BA 8, Bl. 152), v. 22. Februar 2011 (BA 8, Bl. 154) und v. 7. März 2011 (BA 8, Bl. 154)). Auf die besonderen Gesundheitsgefahren einer kombinierten Einnahme weist auch die Gebrauchsinformation des Medikaments DHC 120 mg Mundipharma unter Ziffer 2 hin (Beeinträchtigung der Atmung, Atemdepression, BA 2, Bl. 147). Die Patientenunterlagen des Klägers lassen hingegen an keiner Stelle erkennen, dass dieser die drei Patienten über die spezifischen Wechselwirkungen beider Medikamente und die sich hieraus ergebenden, ernsten Gesundheitsrisiken aufgeklärt hat. Dies ist ihm gerade mit Blick auf den Patienten I. in besonderer Weise vorzuwerfen, da der Kläger in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung 21. September 2011 selbst angab, von dessen Tablettenabhängigkeit zu wissen (BA 1, Bl. 94). In der Krankenakte diagnostizierte der Kläger mehrmals einen Medikamentenabusus (BA 7, Bl. 5, Einträge v. 2. September 2010, v. 24. März 2011, v. 6. Juli 2011, v. 10. Januar 2012 und v. 28. März 2012) sowie einmalig eine Suchtstoffabhängigkeit gemäß ICD F19.2 (BA 7, Bl. 5, Eintrag v. 2. August 2010). Der Kläger musste mithin nicht nur grundsätzlich mit potenziell lebensbedrohlichen Wirkungsverstärkungen der von ihm regelmäßig verordneten, benzodiazepin- und opioidhaltigen Medikamente rechnen, sondern sich gerade im Falle des Patienten I. einer ganz besonderen Gefahrgeneigtheit bewusst sein. Dass der Kläger das Risiko derartiger Wechselwirkungen verschiedener Medikamente durch eine medizinisch nicht indizierte Verordnung des Medikamtents Fluninoc überhaupt erst begründete, ist für die Kammer in keiner Weise nachvollziehbar und dem Kläger in besonderer Weise anzulasten.

Vorzuwerfen ist dem Kläger darüber hinaus ebenfalls, dass er den Patienten H. und I. das Medikament Fluninoc verschrieb, obwohl ihm bekannt war, dass diese Patienten Drogen konsumierten. In der Krankenakte der H. wird ein Drogenabusus durch entsprechende Eintragungen mehrfach dokumentiert (BA 7, Bl. 6, Einträge v. 1. Dezember 2005, v. 11. April 2008, v. 2. Oktober 2008, v. 12. Januar 2009, v. 6. April 2009, v. 6. Juli 2009 und v. 5. Oktober 2009). Auch beim Patienten I. diagnostizierte der Kläger bereits am 9. April 2010 – und somit bevor er diesem weitere 15 Rezepte des Medikaments Fluninoc ausstellte – einen Drogenabusus (BA 7, Bl. 5, Eintrag v. 9. April 2010).

In der Gebrauchsinformation des Medikaments Fluninoc wird unter Ziffer 2 davor gewarnt, dass es bei einer Einnahme von Drogen zu schwerwiegenden Wechselwirkungen, namentlich einer Herabsetzung der Atemtätigkeit und dadurch lebensbedrohlichen Zuständen kommen kann (BA 2, Bl. 146). Einen entsprechenden Warnhinweis enthält die Fachinformation unter Ziffer 4.5. Obwohl der Kläger von einem Drogenkonsum zweier Patienten wusste, hat er ihnen dennoch das Medikament Fluninoc vielfach und regelmäßig verordnet. Hierbei kommt es nach der Auffassung der Kammer nicht darauf an, dass der Kläger in beiden Krankenakten ausschließlich einen Drogenabusus, nicht aber eine Abhängigkeit diagnostizierte. In der Gebrauchs- bzw. der Fachinformation wird vor dem Auftreten gefährlicher Wechselwirkungen nicht bei regelmäßigem, sondern bei gleichzeitigem Drogenkonsum gewarnt. Bereits der einmalig erfolgende, gleichzeitige Konsum einer Droge kann demnach genügen, um zusammen mit dem Medikament Fluninoc in Wechselwirkung zu treten und dadurch einen lebensbedrohlichen Zustand herbeizuführen. Dass es hierzu nicht gekommen ist, kann dem Kläger dabei nicht zugute gehalten werden; dieser verordnete das Medikament ohne medizinische Indikation, gab das Geschehen ansonsten aber vollständig aus der Hand.

Im Übrigen ist die Abgrenzung zwischen einem Abusus und einer Abhängigkeit – trotz des der Kammer bekannten Klassifikationssystems für medizinische Diagnosen (ICD) – nicht immer grenzscharf. Dies lässt sich vorliegend schon daran festmachen, dass der Kläger ausweislich der Krankenakte des Patienten I. bei diesem am 2. August 2010 eine Suchtstoffabhängigkeit diagnostizierte, um nur einen Monat später – am 2. September 2010 – (lediglich) einen Medikamentenabusus festzustellen.

Die Einschätzung des Klägers, dass bei dem Patienten I. ein Drogenabusus vorlag, dürfte im Übrigen auch nicht den Tatsachen entsprochen haben. Der Patient wurde demnach bereits zum Zeitpunkt der ersten Verordnungen des Medikaments Fluninoc bei einer anderen Ärztin mit L-Polamidon substituiert (vgl. Rezepte v. 18. Juni 2009 (BA 8, Bl. 123), v. 25. Juni 2009 (BA 8, Bl. 124), v. 29. Juni 2009 (BA 8, Bl. 125), v. 1. Juli 2009, (BA 8, Bl. 125), v. 7. Juli 2009 (BA 8, Bl. 126), v. 17. Juli 2009 (BA 8, Bl. 127), v. 18. Juli 2009 (BA 8, Bl. 127), v. 20. Juli 2009 (BA 8, Bl. 127), v. 27. Juli 2009 (BA 8, Bl. 128), v. 6. August 2009 (BA 8, Bl. 128), v. 13. August 2009 (BA 8, Bl. 129), v. 20. August 2009 (BA 8, Bl. 129), v. 27. August 2009 (BA 8, Bl. 130), v. 3. September 2009 (BA 8, Bl. 130), v. 10. September 2009 (BA 8, Bl. 131), v. 17. September 2009 (BA 8, Bl. 132), v. 24. September 2009 (BA 8, Bl. 132), v. 1. Oktober 2009 (BA 8, Bl. 132), v. 8. Oktober 2009 (BA 8, Bl. 133), v. 15. Oktober 2009 (BA 8, Bl. 134), v. 16. Oktober 2009 (BA 8, Bl. 134), v. 3. November 2009 (BA 8, Bl. 134), v. 11. November 2009 (BA 8, Bl. 135), v. 18. November 2009 (BA 8, Bl. 136), v. 2. Dezember 2009 (BA 8, Bl. 136), v. 8. Dezember 2009 (BA 8, Bl. 137), v. 16. Dezember 2009 (BA 8, Bl. 137) und v. 23. Dezember 2009 (BA 8, Bl. 138)). Hierbei handelt es sich ausweislich der Gebrauchsinformation des Herstellers um ein gegenüber dem Razemat Methadon doppelt so wirksames Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide, welches im Rahmen der Substitutionstherapie bei Opiat- bzw. Opioidabhängigkeit von Erwachsenen angewendet wird. Selbst wenn dem Kläger die Tatsache, dass eine solche Abhängigkeit des Patienten von harten Drogen bestand (vgl. auch BA 2, Bl. 152), nicht bekannt gewesen sein sollte, so ist ihm doch diese Unwissenheit vorzuwerfen. Da die Verordnung von Fluninoc nach den Feststellungen des Strafbefehls vom 26. Januar 2016 auf Betreiben der drei Patienten und zudem ohne eine medizinische Indikation erfolgte, hätte der Kläger in besonderer Weise gewarnt sein müssen. Um einer missbräuchlichen Verwendung – die nach Ansicht der Kammer bei Betrachtung sämtlicher Umstände mehr als nahe liegt – und einer hiermit unter Umständen einhergehenden Lebensgefahr vorzubeugen, hätte er eine umso gewissenhaftere Überprüfung des Gesundheitszustands der Patienten durch eine ausführliche Anamnese und gesundheitliche Untersuchungen durchführen müssen. Hierfür ist vorliegend jedoch nichts ersichtlich. Mögliche Risiken wurden durch ihn in keiner Weise ausgeschlossen. So stellt auch der Sachverständige Dr. med. S. in diesem Zusammenhang fest (BA 1, Bl. 161):

„Ärztliche Aufzeichnungen und Dokumentationen über den Gesundheitszustand bzw. über Beratungsanlässe und durchgeführte Erörterungen sind in den mir vorliegenden Krankenunterlagen nicht aufzufinden.“

Auch wenn nicht jeder Verstoß gegen berufsrechtliche Pflichten die Annahme der Unwürdigkeit eines Arztes zur weiteren Ausübung seines Berufs rechtfertigt (OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 50), so hat sich der Kläger im vorliegenden Fall eines beruflichen Fehlverhaltens schuldig gemacht, welches insgesamt geeignet ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig zu erschüttern. Nicht erforderlich ist, dass der Ansehens- und Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit konkret eingetreten ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 2. Mai 2012 – 8 LA 78/11 – juris, Rn. 16; BayVGH, Beschl. v. 7. Februar 2002 – 21 ZS 01.2890 – juris, Rn. 12). Auf Betreiben von drei Patienten, allesamt Mitglieder einer Familie, verordnete er diesen in 101 Fällen ein psychoaktives und (aufgrund möglicher Wechselwirkungen) potenziell lebensgefährliches Medikament, wofür mit Blick auf die Regelmäßigkeit und Dosis der Verschreibung keine medizinische Indikation bestand. Dabei unterließ er es, etwaige Risiken durch eine gewissenhafte ärztliche Untersuchung und eine gebotene Befragung der Patienten auszuschließen. Für einen fahrlässigen Behandlungsfehler oder ein Versehen des Klägers ist dabei schon aufgrund der hohen Zahl und der erheblichen Dauer der medizinisch nicht indizierten Verordnungen nichts ersichtlich. Der Kläger selbst war sich seines Fehlverhaltens stattdessen offensichtlich selbst bewusst, da in den Krankenakten mitunter Vermerke verzeichnet sind, wonach er die Patienten darauf hinwies, das Medikament künftig nicht mehr verschreiben zu wollen. Die Krankenakte der H. (BA 7, Bl. 6) enthält etwa folgenden Eintrag vom 6. Juli 2009: „ausdrücklich nochmal unter Zeugen darauf hingewiesen, dass das Fluninoc nicht mehr aufgeschrieben wird“. Trotz dieses Hinweises kam es ihr gegenüber bereits am 27. Juli 2009 zur nächsten Verordnung von Fluninoc und auch anschließend zu zahlreichen weiteren Verschreibungen des Medikaments. Indem der Kläger das Medikament somit ohne therapeutischen Zweck verordnete und dessen Verwendung als Suchtmittel durch die Patienten bzw. Dritte dadurch billigend in Kauf nahm, hat er in der vorliegend gebotenen Gesamtschau aller Umstände in gravierender Weise gegen seine Berufspflichten verstoßen.

Der Widerruf der Approbation ist im Übrigen verhältnismäßig.

Der Widerruf der Approbation ist im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG dann gerechtfertigt, wenn der mit dem Ausschluss des Betroffenen von einer weiteren Berufsausübung bezweckten Abwehr von Gefahren für das Gemeinwohl ein Gewicht zukommt, das in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere des damit verbundenen Grundrechtseingriffs steht. Andernfalls kommen nur unterhalb der Schwelle des Widerrufs liegende berufsrechtliche Maßnahmen in Betracht. Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen für den Widerruf der Approbation erfüllt, so dass sich die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs aus der vom Gesetzgeber selbst getroffenen Wertung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 28. April 2010 – 3 C 22/09 – juris, Rn. 16). Eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme folgt insbesondere nicht daraus, dass der Widerruf der ärztlichen Approbation im vorliegenden Fall aufgrund des Alters des Klägers unter Umständen einem endgültigen Berufsverbot gleichkommt und eine Abmilderung der Folgen des Eingriffs in die Berufsfreiheit durch eine spätere Wiedererteilung der Approbation faktisch nicht mehr in Betracht kommen könnte. Bei der Beurteilung der Unwürdigkeit eines Arztes für die weitere Berufsausübung kann bei älteren Ärzten kein anderer Maßstab angelegt werden als bei jüngeren Ärzten (OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Mai 2015 – 8 LC 123/14 – juris, Rn. 55 m.w.N.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 23. Juli 2014 – 8 LA 142/13 – juris, Rn. 40 m.w.N.).

Der Kläger hat die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs auch nicht bis zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung des Beklagten wiedererlangt.

Die Wiedererlangung der Würdigkeit setzt voraus, dass sich an der zum Widerruf führenden Sachlage nachweislich etwas zum Guten geändert hat, d.h. der Arzt das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen zurückerlangt hat. Dies verlangt regelmäßig nach einem längeren inneren Reifeprozess zur Kompensation der zu Tage getretenen charakterlichen Mängel. Die Dauer dieses Reifeprozesses beträgt bei gravierenden Verfehlungen im beruflichen Wirkungskreis – wie im vorliegenden Fall – regelmäßig mindestens acht Jahre. Maßgeblich für den Beginn des Reifeprozesses ist der Zeitpunkt, in dem das die Annahme der Unwürdigkeit begründende Handeln durch den Betreffenden eingestellt worden ist. Das Ende des Reifeprozesses bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, d.h. vorliegend der Widerrufsentscheidung des Beklagten (zu Vorstehendem vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29. Juli 2015 – 8 ME 33/15 – juris, Rn. 20-24 m.w.N.).

Die durch eine gravierende Verfehlung eingebüßte Berufswürdigkeit kann auch schon während des laufenden behördlichen Verfahrens über den Widerruf der Approbation wiedererlangt werden, wobei allerdings ein bloßer Zeitablauf allein für die Wiedererlangung der Würdigkeit nicht ausreichend ist. Insgesamt ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, in deren Rahmen zum einen die Dauer des Reifeprozesses einzustellen und zu gewichten ist. Zeiten der inneren Reifung, die unter dem Druck eines schwebenden behördlichen Verfahrens absolviert worden sind, kommt dabei regelmäßig kein besonderer Wert, sondern ein geringeres Gewicht zu. Darüber hinaus sind im Rahmen der Gesamtwürdigung insbesondere auch zu berücksichtigen die Art, Schwere und Anzahl der Verfehlungen, die zur Annahme der Unwürdigkeit geführt haben, und das Verhalten des Betreffenden nach der Aufgabe oder Aufdeckung der Verfehlungen, etwa seine Mitwirkung an der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, seine Einsicht in das verwirklichte Unrecht und seine Bemühungen um eine Wiedergutmachung entstandener Schäden sowie das Ausbleiben erneuter, mit Blick auf die Würdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs relevanter Verfehlungen (zu Vorstehendem OVG Lüneburg, Beschl. v. 29. Juli 2015 – 8 ME 33/15 – juris, Rn. 25 m.w.N.).

Gemessen hieran lag die Unwürdigkeit des Klägers zur Berufsausübung noch im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung des Beklagten vor. Das letzte vom Strafbefehl vom 26. Januar 2016 erfasste Fehlverhalten des Klägers erfolgte am 28. März 2011. Der Widerruf der ärztlichen Approbation wurde mit Bescheid vom 7. Januar 2019 durch den Beklagten ausgesprochen. Der zwischen diesen beiden Ereignissen liegende Zeitraum von etwa sieben Jahren und zehn Monaten ist bei einer Gesamtwürdigung nicht geeignet, die durch das gravierende Fehlverhalten greifbar gewordenen charakterlichen Mängel des Klägers als kompensiert anzusehen. Der Kläger stand einen erheblichen Teil dieser Zeit unter dem Eindruck verschiedener behördlicher Verfahren. Von dem ersten gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren (V.) erlangte er jedenfalls durch seine Beschuldigtenvernehmung am 21. September 2011 Kenntnis (BA 1, Bl. 92); das anschließend durchgeführte Hauptverfahren endete am 26. Januar 2016 mit dem Erlass eines Strafbefehls und dem anschließenden Eintritt der Rechtskraft am 17. Februar 2016. Auch von dem zweiten Ermittlungsverfahren (Az. W.) erfuhr der Kläger spätestens durch seine Vernehmung als Beschuldigter am 20. April 2015 (vgl. BA 9, Bl. 187). Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens wurde das Verfahren letztlich durch die endgültige Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO am 3. Juli 2018 (BA 1, Bl. 262) beendet. Am 13. November 2018 wurde dem Kläger zudem das Anhörungsschreiben zum beabsichtigten Widerruf seiner Approbation zugestellt, (BA 1, Bl. 313), sodass er schließlich ab diesem Tag Kenntnis von dem approbationsrechtlichen Verfahren erhalten hat. Von den insgesamt verstrichenen sieben Jahren und zehn Monaten war er somit mehr als fünf Jahre und elf Monate dem Druck schwebender behördlicher Verfahren ausgesetzt. Dieser Zeitraum ist nur zum Teil im Rahmen der Bestimmung des vom Kläger bereits absolvierten außerberuflichen Bewährungszeitraums zu berücksichtigen. Es sind demnach lediglich vier Jahre auf den von ihm bereits absolvierten außerberuflichen Bewährungszeitraum anzurechnen, sodass dieser sich insgesamt – d.h. unter Addition des Zeitraums, in welchem sich die Wohlverhaltenspflicht des Klägers nicht von einem schwebenden behördlichen Verfahren begleitet wurde – auf fünf Jahre und neun Monate beläuft.

Selbst wenn man – wie schon bei der Beurteilung der Unwürdigkeit des Klägers – das zweite gegen den Kläger geführte und zuletzt gemäß § 153a Abs. 2 StPO unter Geldzahlungsauflage eingestellte Verfahren nicht als lediglich eingeschränkt auf die außerberufliche Bewährungszeit anrechenbaren Zeitraum eines schwebenden behördlichen Verfahrens berücksichtigt und stattdessen in vollem Umfang einbezieht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der bis zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides verstrichene Zeitraum beliefe sich auch unter diesen Umständen auf lediglich sechs Jahre und sechs Monate.

Es ist überdies kein Grund ersichtlich, vorliegend von der regelmäßig gebotenen Dauer des außerberuflichen Bewährungszeitraums von acht Jahren aufgrund der übrigen Umstände des konkreten Falls abzuweichen. Insbesondere der vom Kläger geltend gemachte geringe wirtschaftliche Schaden sowie die Tatsache, dass dieser von ihm bereits beglichen wurde, sind zur Rechtfertigung eines kürzeren Bewährungszeitraums nicht geeignet, da der Schwerpunkt des dem Kläger vorzuwerfenden Fehlverhaltens vorliegend ersichtlich nicht auf wirtschaftlicher Seite zu verorten ist. Auch mit der Anzahl der ihm durch den Strafbefehl auferlegten Tagessätze lässt sich ein verkürzter Bewährungszeitraum nicht begründen, da das Fehlverhalten des Klägers hier ebenfalls lediglich von vermögensrechtlicher Seite (Untreue gemäß § 266 StGB) beurteilt und geahndet wurde. Überdies vermag auch der Einwand des Klägers, er habe bei der Aufklärung des Sachverhalts in besonderer Weise mitgewirkt, nicht zu überzeugen. Stattdessen bemühte er sich in beiden strafgerichtlichen Verfahren darum, eine mündliche Verhandlung durch den Erlass eines Strafbefehls zu vermeiden. Die Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls vom 26. Januar 2016 werden nunmehr im Nachhinein von ihm als inhaltlich unzutreffend bestritten, sodass er gerade nicht dazu beigetragen hat, den Sachverhalt aufzuklären. Stattdessen ist im vorliegenden Fall insbesondere deshalb an dem regelmäßig gebotenen außerberuflichen Bewährungszeitraum von acht Jahren festzuhalten, da eine Einsicht des Klägers in das von ihm über mehrere Jahre verwirklichte Unrecht nicht erkennbar ist. Er bestreitet vielmehr weiterhin – auch in der Klagebegründung vom 8. Juli 2019 (GA, Bl. 41, 46) – für die vielfache Verordnung des Medikaments Fluninoc selbst verantwortlich zu sein, sodass schon deshalb nicht angenommen werden kann, dass sich etwas „zum Guten hin“ geändert hat.

Soweit der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid ergänzend auf die Einstellung eines zweiten gegen den Kläger geführten strafgerichtlichen Verfahrens gemäß § 153a Abs. 2 StPO wegen des Vorwurfs des der Untreue in weiteren 32 Fällen durch die Verschreibung der Medikamente Tramadol und Zopiclon gegenüber der Patientin K. Bezug nimmt, kommt es hierauf schon nicht an. Auch ohne Berücksichtigung dieses Sachverhalts ist ein gravierendes Fehlverhalten des Klägers gegeben und der außerberufliche Bewährungszeitraum im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung noch nicht verstrichen gewesen. Bedeutung dürfte diesem Verfahren daher vor allem im Rahmen eines etwaig zu erwartenden Antrags des Klägers auf Wiedererteilung der Approbation zukommen, da sich der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Beginns des außerberuflichen Bewährungszeitraums durch ein weiteres Fehlverhalten nochmals verschieben würde. Es wäre aus diesem Grund Aufgabe des Beklagten, den Vorwurf, welcher dem Kläger im Rahmen des nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrens gemacht wurde, bei der Entscheidung über eine Wiedererteilung der Approbation zu berücksichtigen. Die Kammer weist bereits an dieser Stelle darauf hin, dass es hierbei nicht genügen dürfte, dass der Beklagte sich einzig auf den Umstand der Verfahrenseinstellung gemäß § 153a Abs. 2 StPO und die hieraus folgende hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zurückzieht. Stattdessen dürfte es die Feststellung eines Fehlverhaltens in der Weise erfordern, dass die Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsorgane selbst ausgewertet und einer eigenständigen, nachvollziehbaren – gegebenenfalls sachverständigen – Bewertung unterzogen werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 4. Mai 2012 – 8 ME 218/11 – juris, Rn. 5).

Die Aufforderung zur Rückgabe der Approbationsurkunde nach Bestandskraft des Approbationswiderrufs in Ziffer 2 des Bescheides ist ebenfalls rechtmäßig erfolgt und beruht auf § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 52 Satz 1 VwVfG.

Die dem Kläger in Ziffer 3 des Bescheides auferlegte Tragung der Kosten des approbationsrechtlichen Verfahrens in Höhe von insgesamt 398,22 € findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 5 Abs. 1 Satz 1, 6, 7, 9 und 13 NVwKostG sowie § 3 NVwKostG i.V.m. Ziffer 7.1.4 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen – Allgemeine Gebührenordnung (AllGO). Die Festsetzung ist rechtmäßig, insbesondere sind Fehler bei der Festsetzung der Rahmengebühr nach dem Maß des Verwaltungsaufwandes nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Ziffer 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).