Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 21.01.2016, Az.: 8 A 48/15

Kapazitätsberechnung; Kohortenprinzip; NC-Verfahren; Numerus Clausus; ZZ VO

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
21.01.2016
Aktenzeichen
8 A 48/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43173
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird im Hauptsacheverfahren festgestellt, dass die in der Zulassungszahlenverordnung festgesetzte Zulassungszahl wegen Verstoßes gegen die KapVO nichtig ist, so sind auf der Grundlage des Berechnungsergebnisses nach der KapVO auch Indizien zu berücksichtigen, die auf das Bestehen einer höheren oder niedrigeren Kapazität schließen lassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur endgültigen Zulassung auf einem Studienplatz im Studiengang Humanmedizin außerhalb oder innerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014.

Der Kläger bewarb sich bei der Beklagten mit Schriftsatz vom 17.03.2014 zum Sommersemester 2014 um einen außerkapazitären oder innerkapazitären Vollstudienplatz, hilfsweise Teilstudienplatz, im ersten Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin. Ferner bat er, über diesen Antrag erst nach der Durchführung eines einstweiligen Anordnungsverfahrens zu entscheiden. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (8 C 191/14) blieb er erfolglos (VG Göttingen, Beschluss vom 29.04.2014 -8 C 2/14 u.a.-). Seine außerkapazitäre Bewerbung wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 18.01.2016 abgelehnt. In Bezug auf den Vornamen des Klägers berichtigte die Beklagte diesen Bescheid durch weiteren Bescheid vom 20.01.2016. Seinen Antrag auf innerkapazitäre Zulassung sowie auf eine Zulassung im Auswahlverfahren der Hochschule (AdH) auf einem Studienplatz innerhalb der festgesetzten Kapazität lehnte die Stiftung für Hochschulzulassung namens und im Auftrag der Beklagten durch Bescheide vom 14.02.2014 und vom 24.03.2014 ab. Der Kläger griff diese beiden Bescheide nicht mit einem Rechtsbehelf an.

Am 25.03.2015 hat der Kläger Klage erhoben, in die er den Bescheid vom 18.01.2016 durch Erklärung vom selben Tag einbezogen hat.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Ausbildungskapazitäten der Beklagten seien für das Sommersemester 2014 nicht ausgeschöpft worden. Zweifelhaft sei, ob die Beklagte Teilstudienplätze nachbesetzt hätte, welche durch einen Wechsel des Studienplatzinhabers auf einen Vollstudienplatz oder durch Exmatrikulationen frei geworden wären. Bei der Berechnung der vorklinischen Kapazität habe die Beklagte die Lehrnachfrage der Vorklinik rechtswidrig zu hoch berechnet. Für die klinische Ausbildungskapazität fehle die personalbezogene Alternativberechnung. Die ZZ-VO 2013/ 2014 sei unwirksam; die Aufnahmekapazität der Beklagten werde daher nur durch die absolute Belastungsgrenze bestimmt.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Bescheid vom 18.01.2016 in der Fassung der Berichtigung vom 20.01.2016 aufzuheben und

die Beklagte zu verpflichten, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Vollstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Teilstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen,

nachrangig hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014 innerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Vollstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen,

äußerst hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014 innerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen auf einem Teilstudienplatz im 1. Fachsemester des Studiengangs Humanmedizin zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Alle Studienkapazitäten im Fach Humanmedizin im Sommersemester 2014 seien ausgeschöpft worden. Die auch dem Nds. OVG im Beschwerdeverfahren vorgelegte Immatrikuliertenliste enthalte 134 Personen auf Vollstudienplätzen, von denen 4 (lfd. Nrn. 5, 20, 53 und 99) wegen Exmatrikulationen kurz nach Semesterbeginn nicht zu berücksichtigen sein.

Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Einzelrichter übertragen. Die Beteiligten haben durch Schriftsätze vom 08.08.2015 und vom 20.01. 2016 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen, die im Verfahren 8 A 46/15 vorgelegten Immatrikulationslisten sowie den Beschluss der Kammer vom 29.04. 2014 - 8 C 2/14 u.a. - Bezug genommen; diese Unterlagen sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Einzelrichter gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist mit dem Hauptantrag zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18.01.2016 in der Fassung der Berichtigung vom 20.01.2016, mit dem der außerkapazitäre Zulassungsantrag des Klägers vom 17.03.2014 abgelehnt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger, der einen Anspruch auf die begehrte Zulassung hat, in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Klage ist mit dem Hauptantrag nicht deshalb unzulässig, weil das rechtshängige Verpflichtungsbegehren unmittelbar auf die außerkapazitäre Zulassung auf einem Vollstudienplatz gerichtet ist. Die Kammer hat die Verfahrensweise bei der Vergabe nicht besetzter Studienplätze für das Sommersemester 2014 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Beschluss vom 29.04.2014, aaO.) nicht durch die Festlegung einer Nachrücker-Rangliste der Studienkohorte abschließend geregelt, weil sie keine unbesetzten außerkapazitären Studienplätze aufgefunden hat. Rechtspositionen von Studienplatzbewerbern, die einer Zulassung des Klägers vorgehen könnten, bestehen deswegen nicht.

Die auf eine außerkapazitäre Zulassung gerichtete Untätigkeitsklage ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zulassung auf einem Vollstudienplatz zum 1. Fachsemester nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2014.

Die Zahl der bei der Beklagten im Studiengang Humanmedizin zu vergebenden Studienplätze ist vom Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur für das Sommersemester 2014 im 1. Fachsemester auf 215 Studienplätze (129 Voll- und 86 Teilstudienplätze) festgesetzt worden (§§ 1 Abs. 1, 2 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. Anl. 1, Abschn. I B, Universität F., und Abschn. II B, Universität F., der Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2013/2014 und zum Sommersemester 2014 vom 10.06.2013, Nds. GVBl. S. 136 ff.). Besetzt hatte die Beklagte ausweislich ihrer Studierendenstatistik 134 Vollstudienplätze im 1. Fachsemester, von denen sie vier Plätze wegen Exmatrikulationen für nachbesetzbar hält, so dass die festgesetzte Kapazität nach ihren Angaben ausgeschöpft und sogar um einen Studierenden übererfüllt ist.

Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil die festgesetzte Zulassungszahl von 129 Vollstudienplätzen die Kapazität nicht erschöpft und daher nichtig ist. Die Kapazitätsberechnung der Kammer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat 131 Vollstudienplätze im 1. Fachsemester des Sommersemesters 2014 ergeben (Beschluss vom 29.04.2014, aaO., S. 18). Das Nds. OVG (Beschluss vom 25.02.2015 - 2 NB 171/14 u.a. -, S. 11) hat sich zu den Vollstudienplätzen ausdrücklich nicht geäußert. Weder liegen neue Erkenntnisse vor, die eine Überprüfung des Ergebnisses der Kammer erfordern könnten, noch haben die Beteiligten die Berechnung in Frage gestellt, so dass für das vorliegende Verfahren darauf Bezug genommen wird. Dies gilt auch für die Frage, ob die Privatpatienten bei der Mitternachtszählung zu berücksichtigen sind. Das Nds. OVG (Beschlüsse vom 09.09.2015 - 2 NB 368/14 u.a.-, S. 10ff, und vom 17.09. 2015 - 2 NB 237/15 u.a. -, S. 5ff) hat wiederholt (sinngemäß) entschieden, dass Privatpatienten erst ab der Kapazitätsberechnung für das Studienjahr 2014/15 in die Gesamtzahl der tagesbelegten Betten gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KapVO einzubeziehen sind. Der Einzelrichter folgt der so verstandenen Auffassung für das Sommersemester 2014, so dass sie im maßgeblichen Stichtag (§ 5 Abs. 1 KapVO) - dem 01.02.2013 - noch nicht zu berücksichtigen waren.

Aus der daraus resultierenden Teilnichtigkeit der ZZ-VO 2013/2014 in Bezug auf diese Zulassungszahl und der Verpflichtung der staatlichen Hochschulen in Niedersachsen zur erschöpfenden Nutzung der Ausbildungskapazitäten (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 HSchulZulStVtr, § 1 Abs. 1 Satz 1 KapVO) folgt allerdings nicht, dass jeder Studienbewerber einen einklagbaren Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Kapazitäten oder auf unbegrenzten Zugang zu einem NC-Studiengang hat. Sein Teilhaberecht steht stets unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann (BVerfG, Urteil vom 18.07.1972, 1 BvL 32/71 und 25/71 -, BVerfGE 33, S. 303, 333 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.01.2014 - 7 CE 13.10366 -, juris, Rn 7; OVG NRW, Beschluss vom 02.09.2013 - 13 A 1429/12 -, juris, Rn 26ff). Bei der Bestimmung dessen, was der Hochschule möglich ist, muss beachtet werden, dass die grundrechtlichen Institute der Wissenschafts- und der Berufsausbildungsfreiheit, die ohne einen geordneten Studienbetrieb nicht zu verwirklichen und deshalb unter den Bedingungen des harten Numerus clausus ohne Zulassungsbeschränkungen nicht gewährleistet sind, einer Aufnahme sämtlicher Bewerber ohne Rücksicht auf deren Anzahl entgegenstehen; sie lassen die volle Öffnung der Beklagten als Folge der nichtigen Zulassungsregelung nicht zu und bedingen die Anwendung des geltenden Kapazitätsrechts (BVerwG, Urteil vom 26.09.1986 - 7 C 64.84 -, juris, Rn 122; Nds. OVG, Beschluss vom 15.04.2014, aaO., S. 8f, sub 5.).

Ausgangspunkt der Betrachtung, wie viele Vollstudienplätze im Studiengang Humanmedizin im 1. Semester des Sommersemesters 2014 zur Verfügung gestanden haben, ist mithin die Berechnung nach der KapVO, welche im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Kapazität von 131 Vollstudienplätzen ergeben hat (VG Göttingen, Beschluss vom 29.04.2014, aaO., S. 18). Der Einzelrichter hielte es jedoch für verfehlt, das Berechnungsergebnis nach der KapVO ohne weiteres mit der vorstehend dargelegten Aufnahmegrenze gleichzusetzen. Die KapVO richtet sich an Verwaltungsbehörden und schreibt diesen die Berechnungsmodalitäten vor. Die Aufgabe des Gerichts ist es, die Vereinbarkeit der Festsetzungen der ZZ-VO mit dem höherrangigen Recht, zu dem nach der Rechtsprechung der Kammer auch die KapVO zählt, zu überprüfen, nicht aber, seine Überprüfungsergebnisse von Zulassungszahlen an die Stelle der rechtswidrig verordneten zu setzen. Denn damit würde nicht beachtet, dass es nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung allein Aufgabe des Verordnungsgebers ist zu entscheiden, ob, wann, mit welchem Inhalt und mit welcher Rückwirkung er eine nichtige Rechtsverordnung ersetzen will. Überdies räumen §§ 14, 15 Abs. 2, 17 Abs. 1 Satz 2, letzter HS und 20 KapVO Ermessensspielräume ein, die sich kapazitätserhöhend oder -verringernd auswirken können und die einer gerichtlichen Überprüfung und ersetzenden Bewertung weitgehend entzogen sind. Ohne in diese Ermessensbereiche eindringen zu dürfen, wird ein Verwaltungsgericht kaum zu einer rechtmäßigen eigenen Festlegung der Höchst- und gleichzeitigen Mindestzahl an Studienplätzen gelangen können. Selbst wenn also das Gericht die damalige Kapazität mit der üblichen rechnerischen Genauigkeit von 4 Stellen hinter dem Komma berechnet hat, fehlt die Kompetenz, das eigene Berechnungsergebnis als die einzig richtige Kapazität an die Stelle der unwirksam festgesetzten Zulassungszahl zu setzen und damit die Rechtsfolge der Unwirksamkeit, nämlich das Fehlen einer Zulassungszahl, faktisch zu beseitigen.

Auch aus praktischen Erwägungen besteht keine Veranlassung, durch eine Gerichtsentscheidung eine unwirksame Zulassungszahl zu ersetzen. Wie der Verordnungsgeber erst jüngst gezeigt hat (Nds. GVBl. 2014, 471), ist er sehr wohl in der Lage, Änderungen der ZZ-VO - auf Antrag der Beklagten - kurzfristig im laufenden Studienjahr vorzunehmen. Wenn dies nicht geschieht, obwohl der Beklagten und dem Verordnungsgeber (vgl. §§ 51, 62 Abs. 1 Satz 1 NHG) seit Längerem bekannt ist, dass sowohl das Fehlen von Übergangsvorschriften als auch die Berechnung einzelner Zulassungszahlen in der Rechtsprechung beanstandet werden, und trotzdem die ZZ-VO nicht angepasst wird, so haben sie die Unanwendbarkeit der ZZ-VO als Folge der Untätigkeit zu tragen. Unabhängig davon, dass keine Rechtsgrundlage für die geltungserhaltende Änderung einer Rechtsverordnung durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil existiert, würde die „neue“ Zulassungszahl mangels Veröffentlichung im Nds. GVBl. nur inter partes gelten und auch in dieser Hinsicht die unwirksame Festsetzung der ZZ-VO nicht allgemein ersetzen können. Die Pflicht des Verordnungsgebers nach § 4 Abs. 1 Satz 1, letzte Alt. NHZG, wirksame Zulassungszahlen festzusetzen und unwirksame zu ersetzen, wird mit einer Teilersetzung durch ein Urteil nicht erfüllt, sondern besteht auch nach einer gerichtlichen Entscheidung unverändert fort. Von daher besteht keine Veranlassung für die Rechtsprechung, durch eine „Reparatur“ einer nichtigen Zulassungszahl in das Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Beteiligten zugunsten der Beklagten einzugreifen, um sie vor den Folgen der Untätigkeit des Verordnungsgebers zu bewahren, und sich dadurch dem Vorwurf der Parteilichkeit auszusetzen.

Wenn der 2. Senat die Berücksichtigung von Indizien über das mathematische Ergebnis nach der KapVO hinaus im Klageverfahren als „Sicherheitszuschlag“ bezeichnet (Nds. OVG, Beschluss vom 17.09.2015 - 2 NB 237/15 u.a. -, S. 4 unten; insoweit zweifelhaft Beschluss vom 09.09.2015 - 2 NB 368/14 u.a. -, S. 10 Mitte, wonach möglicherweise doch Indizien für versteckte Kapazitäten zu berücksichtigen sind) und eine normative Vorgabe hierfür vermisst, ignoriert er, dass ein Sicherheitszuschlag nur im Eilverfahren eingesetzt wird, um der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm, deren Verwerfung und Nichtanwendung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich ist, angemessen Rechnung tragen zu können. Eine vergleichbare Situation liegt im Klageverfahren nicht vor, und damit besteht auch kein Bedarf für die Anwendung eines Sicherheitszuschlags. Vielmehr wird die Grenze dessen gesucht, was die betroffene Hochschule in dem Studiengang ausbilden kann, und bei deren Überschreitung ein geordneter Lehrbetrieb nicht mehr möglich wäre. Die vermisste Rechtsgrundlage dafür ist Art. 12 Abs. 1 GG und das daraus vom BVerfG (aaO., S. 303, 329) hergeleitete Gebot zur völligen Erschöpfung der Ausbildungskapazität. Dass die Aufnahmekapazität als das mathematische Ergebnis der Kapazitätsberechnung nach der KapVO diesem Gebot nicht gleichzusetzen ist, zeigt § 4 Abs. 3 NHZG, wonach die in der ZZ-VO festgesetzte Zulassungszahl die (nach KapVO berechnete) Aufnahmekapazität unter bestimmten Voraussetzungen vorüber gehend um bis zu 15 % übersteigen darf. Dies wäre gar nicht möglich, wenn unmittelbar jenseits der errechneten Aufnahmekapazität bereits der Zusammenbruch der geordneten Lehre im betroffenen Studiengang eintreten würde. Dasselbe gilt für die regelmäßig festzustellenden Überbuchungen der festgesetzten Kapazitäten durch die Beklagte auf Voll- und Teilstudienplätzen; besonders bei letzteren hat die Beklagte wiederholt Überbuchungen in zweistelligen Prozentsätzen bewältigt, ohne dass negative Folgen für die Lehre bekannt geworden wären.

Inkonsequent setzt 2. Senat seine Ansicht, anstelle einer rechtswidrig festgesetzten Zulassungszahl sei allein das Ergebnis einer eigenen Berechnung nach der KapVO maßgeblich, für sämtliche höheren Fachsemester nicht um. Bei der eigenen Berechnung müsste er nämlich berücksichtigen, dass er die Zulassungszahl für das erste Fachsemester um einen Schwundaufschlag nach § 16 KapVO erhöht hat, und müsste daher die Studienplatzzahlen der nachfolgenden höheren Fachsemester um den bereits verbrauchten Teil des Schwundfaktors der Kohorte verringern. Dies hat der Senat jedoch bisher nicht getan, sondern die für das 1. Fachsemester errechnete Studienplatzzahl einschließlich des Schwundaufschlags als Basiszahl auf § 2 Satz 2 ZZ-VO angewendet (vgl. im Einzelnen Beschluss der Kammer vom 29.10.2015 - 8 C 317/15 u.a. -, sub 2.3.11.1, S. 58). Damit überträgt der Senat die Studienplatzzahl des 1. Fachsemesters linear und ungemindert auf sämtliche höheren Fachsemester. Er wendet dabei nicht - gemäß seiner eigenen Forderung - die KapVO an, sondern (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.09.2015 - 2 NB 342/14 u.a. -, S. 3) eine „abweichende Lösung“ (als Auffüllsystem), und geht damit bei den höheren Fachsemestern regelmäßig über die nach den Vorgaben der KapVO rechnerisch zutreffende Studienplatzzahl hinaus; eine Rechtsgrundlage für diese Kapazitätserhöhung ist nicht ersichtlich, es sei denn, sie würde ebenfalls aus dem Gebot der vollständigen Kapazitätsausschöpfung hergeleitet.

Würde die Auffassung des Senats zutreffen, dass die Verwaltungsgerichte das eigene Berechnungsergebnis nach der KapVO an die Stelle einer als nichtig erkannten Zulassungszahl setzen müssten, so müsste dies zum einen doch wohl auch gelten, wenn sich aus den vorgelegten Kapazitätsunterlagen ergibt, dass der Verordnungsgeber im Rahmen des ihm durch Normen der KapVO eingeräumten Ermessens vom Berechnungsergebnis abgewichen ist, und gleichzeitig - wie im vorliegenden Fall - das Berechnungsergebnis gegen die KapVO verstößt. Denn wenn die Ermessensausübung auf einer falschen Berechnungsgrundlage/Tatsachenbasis erfolgt wäre, so läge ein Ermessensfehler vor, der die Erhöhung oder Verringerung der Studienplatzzahl ebenfalls rechtswidrig machen würde; besonders im letzteren Fall könnte eine Festlegung auf das Berechnungsergebnis eine Überlastung des Studiengangs zur Folge haben. Eine Wertung, ob die erfolgte, rechtswidrige Ermessensbetätigung auch auf der Grundlage eines rechtmäßigen Berechnungsergebnisses in derselben Weise erfolgt wäre, ist dem Gericht jedoch nicht gestattet. Zum anderen müsste dies auch für Studiengänge gelten, in denen der Verordnungsgeber zwar keine Zulassungszahl (z.B. für höhere Semester) festgesetzt hat, sich eine beklagte Hochschule jedoch im Zulassungsprozess auf eine Erschöpfung ihrer Ausbildungskapazität berufen würde. Denn in beiden Fällen fehlt eine die Zulassung begrenzende Schranke gemäß § 4 Abs. 1 NHZG, und der Verordnungsgeber hätte die Möglichkeit, eine Zulassungszahl rückwirkend festzusetzen. Solange dies aber nicht geschehen ist und keine prüfbaren Berechnungsunterlagen vorgelegt werden, bestände für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, für ein bisher nicht zulassungsbeschränktes höheres Semester eine Zulassungszahl selbst zu berechnen. Schließlich wäre der Senat nach § 88 1. HS VwGO nicht berechtigt, sein eigenes Berechnungsergebnis an die Stelle einer festgesetzten Zulassungszahl zu setzen, wenn in einem Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO gegen eine festgesetzte Zulassungszahl ausschließlich die Feststellung der Nichtigkeit einer zahlenförmigen Rechtsnorm beantragt würde. Ein rechtlicher Grund, aus dem der Fall einer rechtswidrig festgesetzten Zulassungszahl anders zu behandeln wäre als die anderen dargelegten Beispiele, ist nicht zu erkennen. Dies gilt besonders dann, wenn beim Senat zur Kapazitätsberechnung desselben Semesters Beschwerde- und Normenkontrollverfahren parallel zu entscheiden wären. Das Gericht hat deshalb nicht nur eine Kapazitätsberechnung nach der KapVO zu erstellen und deren mathematisches Ergebnis umzusetzen, sondern die Grenze der Aufnahmefähigkeit im fraglichen Studiengang zu untersuchen und dabei alle verfügbaren Umstände einzubeziehen. Ausgehend von dem Berechnungsergebnis nach der KapVO sind deshalb auch Indizien zu berücksichtigen, aus denen auf das Bestehen einer höheren oder einer niedrigeren tatsächlichen Kapazität zu schließen ist.

Vorliegend kommt es dabei noch nicht einmal auf die Rechtsprechung der Kammer an, nach der die berechnete Kapazität am Maßstab der tatsächlich aufgenommenen Studierendenzahlen der vergangenen Jahre überprüft wird (vgl. zuletzt Urteil vom 06.08. 2015 - 8 A 420/15 -, S. 11f). Denn der Verordnungsgeber hat in der Anlage II der aktuellen ZZ-VO 2015/2016 (Nds. GVBl. 2015, 105,117) für sämtliche höheren Semester des Studiengangs Humanmedizin an der Beklagten dieselbe Zulassungszahl von 144 Vollstudienplätzen festgesetzt, die er auch für das 1. Fachsemester der Anfängerkohorte des Wintersemesters 2015/16 bestimmt hat. Damit hat er auch die Studienplatzzahl der Studienkohorte, die im Sommersemester 2014 ihr Medizinstudium aufgenommen hat, die sich aktuell  im 4. Fachsemester befindet und nach deren Rechtsverhältnissen der Kläger einen Studienplatz begehrt, von ursprünglich 129 auf nunmehr 144 Vollstudienplätze erweitert. Der Grund hierfür ist die Einbeziehung der Privatpatienten (zum Stichtag 01.02.2014!) in die Ermittlung der tagesbelegten Bettenzahl bei der Kapazitätsberechnung für das nachfolgende Studienjahr 2014/15. In Bezug auf die Kohorte des 4. Fachsemesters ist die Erhöhung der Zulassungszahl weder das Ergebnis einer (Neu-) Berechnung nach der KapVO, noch gab es eine Rechtspflicht des Verordnungsgebers, wegen einer auch für das Studienjahr 2013/14 zu beachtenden Änderung der Rechtsprechung des Nds. OVG die Studienplatzzahl zu verändern. Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Kapazitätsausweitung um knapp 12 % auf § 4 Abs. 3 NHZG oder auf einer Neubewertung von ermessensbildenden Faktoren nach §§ 14 Abs. 3, 16, 17, 18 Abs. 1 KapVO beruhen würde. Vielmehr wird sie allein dadurch verursacht, dass der Verordnungsgeber der ZZ-VO aus der ihm von der Beklagten vorgelegten Kapazitätsberechnung nach dem Kohortenprinzip linear-studienjahrsbezogen Zulassungszahlen für die höheren Fachsemester herleitet, wozu er nach der - vom erkennenden Gericht nicht geteilten - Auffassung des Nds. OVG berechtigt sein soll (vgl. hierzu VG Göttingen, Urteil vom 06.08.2015, aaO., S. 10). Wenn der Verordnungsgeber aber nun die Zulassungszahl erheblich erhöht, ohne dass hinsichtlich der Studienanfängerkohorte des Sommersemesters 2014 eine Änderung der Ausbildungskapazität eingetreten wäre, ohne dass die Beklagte auch nur einen dokumentierten Versuch unternommen hätte, diese Erhöhung als Überlastung zu verhindern, und ohne dass es mehr als nur einen Studienplatzbewerber gäbe, der die Voraussetzungen für eine (vorläufige) Zulassung im 4. Fachsemester erfüllt hätte (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 29.10.2015, 8 C 317/15 u.a. -, S. 73, sub 2.3.13.) und damit diese neu geschaffene Kapazität nutzen könnte, muss der Einzelrichter davon ausgehen, dass die Kapazität von (mindestens) 144 Vollstudienplätzen für die Studienanfängerkohorte des Sommersemesters 2014 in verdeckter, also nicht allein nach der KapVO zu ermittelnder, Form bereits von Anfang an bestanden hat. Auf die genaue Zahl kommt es vorliegend nicht an, weil (einschließlich des von der Kammer vorläufig zugelassenen Antragstellers im Verfahren 8 C 808/15) allenfalls 131 Vollstudienplätze als besetzt angesehen werden können, so dass für jeden der drei verbliebenen Kläger zum Sommersemester 2014 ein freier, besetzbarer Studienplatz zur Verfügung steht. Deshalb ist auch der Vergleich der tatsächlichen Studierendenzahlen mit den Festsetzungen der ZZ-VOen der vergangenen Studienjahre vorliegend verzichtbar.

Für eine Entscheidung über die Hilfsanträge ist nach den vorstehenden Ausführungen kein Raum mehr. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.