Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 20.07.2006, Az.: 4 A 243/03

Billigkeit; Erlass; Hochschule; Hochschulzulassung; Härte; Langzeitstudiengebühr; Qualifikation; Studiengebühr; Studium; Unbilligkeit; Wissenschaft; Zweitstudium

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
20.07.2006
Aktenzeichen
4 A 243/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53312
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Einziehung von Studiengebühren für ein Zweitstudium stellt auch bei einer herausragenden wissenschaftlichen Qualifikation und einem zielstrebig durchgeführten Erststudium keine unbillige Härte i.S.d. § 14 Abs. 2 S.1 NHG dar.

Tatbestand:

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Die Klägerin begehrt den Erlass der Studiengebühren für das Sommersemester 2003.

2

Die 1963 geborene Klägerin studierte vom Wintersemester 1982/1983 bis zum Wintersemester 1983/1984 Geographie. Daneben nahm sie im Wintersemester 1983/1984 das Studium der Biologie auf, das sie als alleiniges Studium bis zum Wintersemester 1989/1990 fortführte und mit dem Diplom abschloss. Vom Sommersemester 1990 bis zum Wintersemester 1994/1995 promovierte sie am Institut für Humangenetik der Beklagten. Daneben war sie als wissenschaftliche Angestellte am Institut beschäftigt. Diese Tätigkeit setzte die Klägerin nach der Promotion an verschiedenen humangenetischen bzw. molekularmedizinischen Instituten im Bundesgebiet fort. Im Sommersemester 2000 nahm die Klägerin das Studium der Humanmedizin an der Beklagten auf. Insgesamt hatte sie mit Ablauf des Wintersemesters 2002/2003 31 Hochschulsemester absolviert.

3

Mit Bescheid vom 10.2.2003 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin ihr Studienguthaben von 17 Semestern verbraucht hat und setzte für das Sommersemester 2003 sowie für jedes weitere Semester, für das die Rückmeldung bei der Beklagten erfolgt, Studiengebühren in Höhe von jeweils 500 Euro fest. Die gegen diesen Bescheid sowie gegen den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid erhobene Klage (4 A 77/03) nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.12.2003 zurück.

4

Bereits mit Schreiben vom 10.10.2002 hatte die Klägerin bei der Beklagten beantragt, sie von den Studiengebühren zu befreien. Sie habe sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit zunehmend auf den Bereich der Humangenetik konzentriert. Als promovierte Biologin sei ihr jedoch eine patientenorientierte Arbeit nicht möglich. Das Studium der Humanmedizin und eine anschließende Ausbildung zur Fachärztin für Humangenetik sei deshalb für ihre weitere wissenschaftliche Arbeit sinnvoll und für ihr berufliches Fortkommen unerlässlich.

5

Mit Bescheid vom 14.10.2003 lehnte die Beklagte den Erlass der Studiengebühren für das Sommersemester 2003 ab. Der Gesetzgeber sei grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein Zweitstudium gebührenpflichtig sei und habe die Ausnahmen hiervon abschließend geregelt. Weitere Ausnahmen aus Billigkeitsgründen seien deshalb nicht möglich. Auch ein Vergleich mit den Regelungen des § 14 Abs. 2 S. 2 NHG ergebe, dass keine unbillige Härte vorliege.

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Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Bescheid vom 19.11.2003 zurück.

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Mit ihrer am 20.12.2003 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sinn und Zweck der Studiengebühren sei es, die Studierenden zu einem konzentrierten und zügigen Studium anzuhalten. Sie habe ihr bisheriges Studium jedoch innerhalb der Regelstudienzeit abgeschlossen und sei in herausragender Weise wissenschaftlich tätig gewesen. Sie entspreche deshalb nicht dem Bild einer typischen Langzeitstudentin. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Humangenetik komme ihre Ausbildung zudem der Allgemeinheit zugute. Zumindest müsse die Beklagte ihr die Studiengebühren für den Zeitraum erlassen, in dem sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin Studierende unterrichtet und betreut habe.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 14.10.2003 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 19.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Studiengebühren in Höhe von 500 Euro für das Sommersemester 2003 zu erlassen,

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hilfsweise,

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den Bescheid der Beklagten vom 14.10.2003 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 19.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über ihren Antrag vom 10.10.2002 auf Erlass der Studiengebühren in Höhe von 500 Euro für das Sommersemester 2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie wiederholt und vertieft die Argumente ihres Widerspruchsbescheides.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Verfahren 4 A 77/03 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erlass der Studiengebühren noch auf Neubescheidung ihres Antrags.

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Rechtsgrundlage der Entscheidung über den Antrag auf Erlass der Studiengebühren ist der für das Sommersemester 2003 geltende § 14 Abs. 2 des Nds. Hochschulgesetzes - NHG - vom 24.06.2002 (Nds. GVBl. S. 286). Danach kann die Studiengebühr auf Antrag im Einzelfall teilweise oder ganz erlassen werden, wenn die Einziehung der Gebühr zu einer unbilligen Härte führen würde.

18

Einer der gesetzlich geregelten Fälle des Vorliegens einer unbilligen Härte (§ 14 Abs. 2 S. 2 NHG) liegt unstreitig nicht vor. Eine sonstige „unbillige Härte“ i.S.d. § 14 Abs. 2 S. 1 NHG ist gegeben, wenn es sich um einen atypischen, vom Gesetzgeber so nicht vorhergesehenen Fall handelt, in dem durch die Einziehung der Gebühr für den Betroffenen außergewöhnlich schwerwiegende Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung der Gebühr hinausgehen, so dass es zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit geboten ist, von der Gebühreneinziehung abzusehen (VG Lüneburg, Beschluss vom 8.7.2003 - 1 B 30/03 -, VG Hannover, Beschluss vom 2.5.2003 - 6 B 1526/03 -).

19

Eine unbillige Härte liegt bei der Klägerin danach nicht vor. Es ist bereits nicht erkennbar, dass ihr durch die Einziehung der Gebühr schwerwiegende Nachteile entstehen. Die Klägerin hat zwar in ihrem Erlassantrag angegeben, dass die Belastung mit der Studiengebühr die Fortführung ihres Studiums gefährde. Ausführungen zu einer etwaigen wirtschaftlichen Notlage erfolgten jedoch nicht. Die Klägerin hat in dem folgenden Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren ihr Studium zudem trotz der Verpflichtung zur Entrichtung von Studiengebühren, der sie offenbar gefolgt ist, fortgesetzt.

20

Die Situation, in der sich die Klägerin befindet, stellt auch keinen atypischen, vom Gesetzgeber so nicht vorhergesehenen Fall dar. Die Klägerin befindet sich in einem Zweitstudium, das der Gesetzgeber im Hinblick auf die Gebührenpflicht geregelt hat. Danach ist ein Zweitstudium nur dann im gleichen Umfang wie ein erstes berufsqualifizierendes Studium gebührenfrei, wenn es für die Erlangung des erstrebten Berufsabschlusses rechtlich erforderlich ist (§ 11 Abs. 2 S. 2 NHG) oder es sich um einen Master-, Aufbau-, Zusatz- oder Ergänzungsstudiengang handelt (§ 11 Abs. 1 S. 2 NHG). Dass diese Voraussetzungen bei der Klägerin nicht vorliegen, ist durch den Studiengebührenbescheid vom 10.2.2003 bestandskräftig festgestellt worden.

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Die vorgenannten Regelungen zum Zweitstudium zeigen, dass der Gesetzgeber mit den Studiengebühren nicht lediglich eine überlange Studiendauer sanktionieren wollte, sondern angesichts knapper Haushaltsmittel grundsätzlich nur noch ein erstes, zur Erlangung eines Berufsabschlusses erforderliches Studium gebührenfrei stellen wollte. Der Einwand der Klägerin, sie sei keine typische Langzeitstudentin, so dass der Gesetzeszweck, Studierende zu einem zielstrebigen Studium anzuhalten, bei ihr nicht greife, verfängt deshalb nicht.

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Die Klägerin kann sich zur Begründung einer unbilligen Härte auch nicht darauf berufen, sie habe ihr Erststudium zielstrebig betrieben und innerhalb der Regelstudienzeit abgeschlossen. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, ein zügig abgeschlossenes Erststudium nur insoweit zu honorieren als ein nicht verbrauchtes Studienguthaben aus dem Erststudium für ein (beliebiges) Zweitstudium eingesetzt werden kann (§ 11 Abs. 1 S. 3 NHG). Dies schließt eine vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene Regelungslücke aus.

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Ein atypischer, vom Gesetzgeber nicht vorhersehbarer Fall ist auch nicht in der herausragenden wissenschaftlichen Qualifikation der Klägerin und in der gestiegenen Bedeutung der Humangenetik zu sehen. Die Zahl derjenigen, die ihr Studium mit einer herausragenden Note und mit einem besonderen wissenschaftlichen Engagement abschließen, ist zwar gering. Es handelt sich aber nicht um ein vom Gesetzgeber nicht voraussehbares Phänomen. Vielmehr lebt der Universitätsbetrieb davon, dass ein Teil der Studierenden sich nicht lediglich auf eine Tätigkeit in der Praxis vorbereitet, sondern eine vertiefte wissenschaftliche Qualifikation anstrebt. Dennoch hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses lediglich Doktorandinnen und Doktoranden, die nicht zusätzlich ein grundständiges Studium absolvieren, von der Studiengebühr freizustellen (§ 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NHG). Auch der zeitweilig besondere Bedarf an Absolventen eines bestimmten Studienfachs oder einer bestimmten Studienausrichtung und die damit gestiegene Bedeutung eines Studienfaches für die Allgemeinheit ist nicht selten und deshalb kein für den Gesetzgeber unvorhersehbares Ereignis. Zudem stehen dem Nachteil der Gebührenpflicht in diesen Fällen regelmäßig erhöhte Chancen auf dem Arbeitsmarkt und verbesserte Verdienstmöglichkeiten gegenüber.

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Schließlich vermag auch die Tätigkeit der Klägerin als wissenschaftliche Angestellte während des Promotionsstudiums keine unbillige Härte zu begründen. Es ist durchaus üblich, dass Doktorandinnen und Doktoranden zur Finanzierung ihrer Promotion und zur eigenen Weiterbildung an der Universität beschäftigt sind und im Rahmen dieser Tätigkeit auch Studierende unterrichten und betreuen.

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Da eine unbillige Härte nicht vorliegt, hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Bescheidung ihres Erlassantrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

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Als Unterliegende hat die Klägerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe, die Berufung zuzulassen, bestehen nicht.