Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 01.08.2006, Az.: 2 A 70/05
Anwendung; Düsseldorf; Düsseldorfer Tabelle; Eingliederungshilfe; Eltern; Höhe; Jugendhilfe; Jugendlicher; Kind ; Kinderhilfe; Kostenbeitrag; Tabelle; Trennung
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 01.08.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 70/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53313
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 35a SGB 8
- § 91 Abs 1 Nr 5b SGB 8
- § 94 Abs 2 SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der in Anwendung der Düsseldorfer Tabelle errechnete besondere Kostenbeitrag erhöht sich nicht, wenn sich die Eltern des Kindes / Jugendlichen nach Beginn der Jugendhilfemaßnahme trennen.
Tatbestand:
Der Kläger wehrt sich gegen die Höhe eines Kostenbeitrags, den er im Hinblick auf die Unterbringung seines am … geborenen Sohnes K. L. durch den Beklagten als Träger der Jugendhilfe erbringen soll.
Der Beklagte gewährt K. L. mit Bescheid vom 22.08.2002 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form der Unterbringung in einem Internat für Hochbegabte. Insoweit entstehen dem Beklagten monatliche Kosten in Höhe von 2.500,00 bis 3.000,00 Euro. Vor Beginn der Maßnahme lebte K. L. im gemeinsamen Haushalt seiner Eltern in E.. Mit Bescheid vom 11.11.2002 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 277,00 Euro fest, wobei er das Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro, welches in diesem Betrag enthalten war, abzweigte. Mit Bescheid vom 25.11.2003 erhöhte der Beklagte den Kostenbeitrag mit Wirkung ab Januar 2004 auf monatlich 295,00 Euro; es blieb bei der Abzweigung des Kindergeldes.
Mitte 2003 trennten sich der Kläger und seine damalige Ehefrau, die Mutter von K. L.. Der Kläger benachrichtigte den Beklagten im Januar 2004 von diesem Umstand. Daraufhin erließ der Beklagte am 12.10.2004 getrennte Kostenbeitragsbescheide an den Kläger und seine damalige Ehefrau. Er verlangte nunmehr von dem Kläger ab August 2003 149,00 Euro monatlich und von seiner damaligen Ehefrau 163,00 Euro monatlich. Zusätzlich blieb das Kindergeld für K. L. abgezweigt.
Am 04.11.2004 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 12.10.2004 Widerspruch ein. Er führte darin aus: Der insgesamt von ihm und seiner Ehefrau zu zahlende Kostenbeitrag habe sich nach der Trennung der Eheleute mehr als verdoppelt, obwohl sich das gemeinsame Nettoeinkommen verringert habe; während er - der Kläger - in eine kleine Mietwohnung gezogen sei, habe seine Ehefrau das bisher von ihnen gemeinsam bewohnte Einfamilienhaus übernommen; es würden nun doppelte Nebenkosten entstehen; nach der Gruppe 9 der Düsseldorfer Tabelle ergebe sich ein zu zahlender Kostenbeitrag in Höhe von 524,00 Euro; abzüglich der von dem Beklagten abgezogenen 30 % sowie des Kindergeldes errechne sich ein Betrag von 212,80 Euro, das heißt für den Kläger und seine damalige Ehefrau jeweils einen Kostenbeitrag von 106,40 Euro; der Kläger bitte darum, den Kostenbeitragsbescheid dahingehend abzufassen, dass er noch monatlich 106,40 Euro für seinen Sohn zu zahlen habe.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.12.2004 als unbegründet zurück. Er führte darin im Wesentlichen aus: Die Berechnung des Kostenbeitrages erfolge hilfsweise - mangels anderer Möglichkeiten - nach der Düsseldorfer Tabelle; für die Kontaktpflege zwischen dem Kläger und seinem Sohn werde von dem errechneten Betrag 30 % frei gelassen; die Bevorzugung zusammen lebender Elternteile hänge damit zusammen, dass es für diese Fälle im Grunde genommen keine passende Tabelle gebe; getrennt lebende Elternteile würden danach nicht benachteiligt, sondern zusammen lebende Elternteile bevorzugt werden; eine Rechtsgrundlage für das Zusammenrechnen der Einkünfte nach der Trennung der Eheleute gebe es nicht.
Der Kläger hat am Montag, dem 31.01.2005, gegen den am 30.12.2004 zugestellten Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor: Die Heranziehung der Düsseldorfer Tabelle sei grundsätzlich nicht zu beanstanden; die in Folge der auswärtigen Unterbringung seines Sohnes ersparten Aufwendungen hätten sich durch die Trennung der Eheleute aber nicht erhöht; da sie jetzt höhere Ausgaben hätten als zuvor, müsse der Kostenbeitrag herabgesetzt werden, und zwar für den Kläger auf 45,44 Euro monatlich; als zusätzliche Belastung nach der Trennung habe er noch monatlich 100,00 Euro auf einen Kredit abzuzahlen, den er aufgenommen habe, um sich ein Motorrad kaufen zu können.
Der Kläger beantragt,
den Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 12.10.2004 und seinen Widerspruchsbescheid vom 28.12.2004 aufzuheben, soweit damit ein höherer Kostenbeitrag als 106,40 Euro festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt und vertieft die Gründe der angefochtenen Bescheide und führt ergänzend aus: Die hilfsweise Anwendung der Düsseldorfer Tabelle sei grundsätzlich rechtmäßig; da der Sohn des Klägers bei keinem der Elternteile lebe, sei die häusliche Ersparnis, die als Kostenbeitrag verlangt werde, identisch mit dem Betrag, der sonst als Unterhaltsbeitrag zu zahlen wäre; Vergleiche mit der Situation des Zusammenlebens seien unangebracht; trennungsbedingte Mehrkosten könnten nicht berücksichtigt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 12.10.2004 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid sind in dem angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger schuldet dem Beklagten ab August 2003 keinen höheren Kostenbeitrag als monatlich 106,40 Euro (zuzüglich zu dem abgezweigten Kindergeld).
Gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 5 b SGB VIII werden unter anderem die Eltern des Kindes oder Jugendlichen zu den Kosten der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in Einrichtungen über Tag und Nacht, sonstigen Wohnformen und durch geeignete Pflegepersonen (§ 35 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 des Gesetzes) herangezogen. In derartiger Form leistet der Beklagte Eingliederungshilfe an den Sohn des Klägers. Nach § 93 Abs. 1 SGB VIII erfolgt die Heranziehung zu den Kosten der in § 91 genannten Aufgaben durch Erhebung eines Kostenbeitrags, soweit nicht nach § 94 Abs. 3 der Unterhaltsanspruch des Kindes oder des Jugendlichen übergeht. Der Kostenbeitrag wird nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 sowie des § 94 ermittelt und durch Leistungsbescheid festgesetzt. Zusammen lebende Eltern haften als Gesamtschuldner. Während der Kostenbeitrag gemäß § 93 Abs. 2 des Gesetzes im Regelfall unter entsprechender Anwendung sozialhilferechtlicher Bestimmungen über den Einsatz des Einkommens berechnet wird, sind Eltern oder Elternteile, die vor Beginn der (Hilfe zur Erziehung oder) Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche mit dem Kind oder dem Jugendlichen zusammen leben, gemäß § 94 Abs. 2 des Gesetzes in der Regel in Höhe der durch die auswärtige Unterbringung ersparten Aufwendungen zu den Kosten heranzuziehen; für diese ersparten Aufwendungen sollen nach Einkommensgruppen gestaffelte Pauschalbeträge festgelegt werden.
Durch die auswärtige Unterbringung werden Kosten für Ernährung, Kleidung, Energie, Freizeitgestaltung, Schul- und Arbeitsmaterial, Kultur, Sport sowie für die Erziehung erspart; sie sind gegebenenfalls mit durch die Unterbringung entstehenden Kosten zu saldieren (vgl. Kunkel in LPK-SGB VIII, § 94, Rn. 5). Mangels besserer Anhaltspunkte ist es angebracht, den Kostenbeitrag anhand der Düsseldorfer Tabelle zu bestimmen, die allerdings geschaffen worden ist, um den Barunterhaltsanspruch eines Kindes oder Jugendlichen gegenüber einem Elternteil, mit dem er nicht zusammen lebt, zu errechnen; die Düsseldorfer Tabelle weist gestaffelte Beträge aus je nach dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen, der Zahl der übrigen Unterhaltsberechtigten und dem Alter des Kindes. Sie wird von zahlreichen Oberlandesgerichten im Bundesgebiet angewandt, während manche Oberlandesgerichte eigene Tabellen erstellt haben. Wendet man sie zur Bemessung des Kostenbeitrages nach § 94 Abs. 2 SGB VIII an, ist der errechnete Betrag um fortbestehende anteilige Unterkunftskosten für das auswärtig untergebrachte Kind beziehungsweise den Jugendlichen, um einen Betrag von mindestens 20 % für die Kontaktpflege zwischen den Eltern beziehungsweise dem Elternteil und dem Kind / Jugendlichen und gegebenenfalls um bestimmte Schuldverpflichtungen der Eltern / des Elternteils zu mindern. Die genannten Regelungen zur Heranziehung der Eltern sollen nämlich sicher stellen, dass ihre finanzielle Belastung in Folge der auswärtigen Unterbringung ihres Kindes weitgehend unverändert bleibt und dass mithin die Inanspruchnahme der Jugendhilfe - der die Eltern zustimmen müssen - nicht aus finanziellen Gründen unterbleibt (vgl. zu alle dem BVerwG, Urteile vom 22.12.1998 - 5 C 25.97 - NJW 1999, Seite 2383, und vom 29.01.2004 - 5 C 24.03 - NVwZ - RR 2004, Seite 500; OVG Lüneburg, Urteil vom 26.05.1999 - 4 L 4442/98 -, FEVS 51, Seite 136; Urteil der Kammer vom 25.02.2004 - 2 A 2322/02 -).
Obwohl - wie oben ausgeführt - anhand der Düsseldorfer Tabelle der Unterhaltsanspruch eines Kindes gegenüber zusammen lebenden Elternteilen nicht unmittelbar bestimmt werden kann, bestehen auch in diesem Falle keine durchgreifenden Bedenken (eben mangels besserer Anhaltspunkte) gegen die Anwendung der Tabelle. Das sieht auch der Beklagte so, der seiner Auffassung die gemeinsamen Empfehlungen für die Heranziehung zu den Kosten nach §§ 91 ff. SGB VIII der Arbeitsgemeinschaft verschiedener Jugendämter und Landesjugendämter vom Dezember 2002 zugrunde legt. Das führt in der Tat zu einer Bevorzugung zusammen lebender Elternteile, die jedoch dem Gesetz nicht widerspricht. Die Auffassung des Beklagten, diese Bevorzugung ende, wenn sich bisher zusammen lebende Elternteile im Verlaufe der Jugendhilfemaßnahme trennen, trifft allerdings nicht zu. Der besondere Kostenbeitrag des § 94 Abs. 2 SGB VIII wird - wie bereits ausgeführt - nur in den Fällen erhoben, in denen die Eltern oder Elternteile vor Beginn der Hilfe mit dem Kind oder dem Jugendlichen zusammen leben. Er knüpft an an die tatsächlich in Folge der auswärtigen Unterbringung ersparten Aufwendungen, um - wie bereits ebenfalls ausgeführt - die Bereitschaft der Eltern zu fördern und zu erhalten, an der Maßnahme mitzuwirken und diese nicht zu boykottieren. Der Umfang der - von beiden Elternteilen insgesamt - ersparten Aufwendungen ändert sich aber nicht dadurch, dass die Eltern sich trennen und jeweils eigene Haushalte führen. Mithin ist für die Bemessung der Kostenbeiträge - die nunmehr von den Eltern getrennt zu erheben sind, § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII - weiterhin fiktiv davon auszugehen, dass sie zusammen leben; das heißt: Bei der Anwendung der Düsseldorfer Tabelle sind ihre jeweiligen Nettoeinkommen zu addieren; der auf diese Weise errechnete Betrag ist in dem oben beschriebenen Umfang zu modifizieren und anschließend nach den jeweiligen Nettoeinkünften und gegebenenfalls unter Berücksichtigung besonderer Belastungen, die nur einen Elternteil treffen, zwischen ihnen aufzuteilen.
Da sich die Summe der Nettoeinkünfte des Klägers und seiner damaligen Ehefrau nach deren Trennung verringert hat, verringert sich bereits deswegen die Summe der von beiden Personen zu erbringenden Kostenbeiträge, ohne dass es zunächst auf besondere Belastungen, die im Zusammenhang mit oder nach der Trennung entstanden sind, ankommt. Mithin schulden der Kläger und seine frühere Ehefrau seit August 2003 gemeinsam geringere Kostenbeiträge als 163,00 Euro monatlich, wobei das nach wie vor abgezweigte Kindergeld ohne Berücksichtigung bleibt. Da der Kläger aber (Widerspruch und) Klage nur insoweit erhoben hat, als von ihm ein höherer Kostenbeitrag als 106,40 Euro monatlich verlangt wird, er also dem Beklagten einen höheren Kostenbeitrag zugesteht, als dieser verlangen kann, erweist sich die Klage vollumfänglich als begründet, ohne dass es noch auf besondere Belastungen ankommt.
Ob der Kläger von dem Beklagten in Anwendung von § 44 Abs. 1 SGB X verlangen kann, dass dieser den Kostenbeitrag rückwirkend ab 01.08.2003 auf den Betrag reduziert, den der Kläger wirklich schuldet, ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits. Schließlich soll noch erwähnt werden, dass die Wirkung dieses Urteils am 01.10.2005 endet. Ab 02.10.2005 gilt nämlich die Kostenbeitragsverordnung vom 01.10.2005 (BGBl. I Seite 2907). Ob sich in Anwendung dieser Verordnung der Kostenbeitrag, den der Kläger dem Beklagten schuldet, ändert, prüft das Gericht in diesem Verfahren nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.