Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 04.07.2006, Az.: 4 B 52/06
Antwort; Antwort-Wahl-Verfahren; Bescheinigung; Bestehensgrenze; Erfolgskontrolle; Physiologie; Praktikum; Prüfung; Prüfungsrecht; Studienbegleitung; Studierender; Studium; Teilnahme; Teilnahmebescheinigung; Verfahren; Verhältnismäßigkeit; Vorprüfung; Wahl; Zahnarzt; Zahnmedizin; Zahnmedizinstudium
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 04.07.2006
- Aktenzeichen
- 4 B 52/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53315
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 Abs 1 GG
- § 26 Abs 4b ZÄPrO
- § 3 Abs 1 ZHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
In Anwendung der durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 14.03.1989 - 1 BvR 1033/82 u. 174/84 - , BVerfGE 80, 1, 26 ff. aufgestellten Grundsätze ist auch bei der Bewertung studienbegleitender Erfolgskontrollen, die im Antwort-Wahl-Verfahren durchgeführt werden und deren Nichtbestehen zum Ausschluss von dem angestrebten Beruf führen würde, neben einer absoluten eine relative Bestehensgrenze vorzusehen.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Entscheidung der Antragsgegnerin, wonach er ein für die Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung notwendiges Praktikum endgültig nicht bestanden hat.
Der Antragsteller studiert seit dem Sommersemester 2003 an der Antragsgegnerin im Studiengang Zahnmedizin. Innerhalb des ersten Teils eines im Sommersemester 2004 und im Wintersemester 2004/2005 angebotenen Physiologischen Praktikums absolvierte er erfolgreich eine Klausur aus dem Bereich „Neuro- und vegetative Physiologie“. Eine im zweiten Teil des Praktikums am 3.12.2004 angebotene weitere Klausur bestand er nicht. Zwei am 18.1.2005 und am 29.4.2005 durchgeführte Versuche, diese Klausur zu wiederholen, schlugen gleichfalls fehl.
Mit Bescheid vom 20.5.2005 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, nach dem dreimaligen Nichtbestehen der Erfolgskontrolle sei nach der Studienordnung für den Studiengang Zahnmedizin der Erwerb einer Bescheinigung über die regelmäßige und erfolgreiche Absolvierung der scheinpflichtigen Lehrveranstaltung „Praktikum der Physiologie“ an der Universität I. ausgeschlossen. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 30.5.2005 Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom 18.10.2005 zurückwies. Am 14.11.2005 erhob der Antragsteller hiergegen Klage, die bei dem beschließenden Gericht unter dem Aktenzeichen 4 A 196/05 anhängig ist.
Bereits im Oktober 2005 hatte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, der außer dem Schein für das Physiologische Praktikum sämtliche Bescheinigungen für den Studienabschnitt erworben hatte, einen sog. „außerordentlichen letzten Versuch“ angeboten, den der Antragsteller am 25.11.2005 und 3.2.2006 durch die Teilnahme an zwei Teilklausuren unternahm. Während er die Teilklausur im Bereich „Vegetative Physiologie“ erfolgreich absolvierte, bestand er die zweite Teilklausur im Bereich „Neurophysiologie“ wiederum nicht. Mit Schreiben vom 6.3.2006 legte der Antragsteller Widerspruch gegen das Nichtbestehen der Klausur vom 3.2.2006 ein.
Sämtliche Klausuren wurden im sog. Antwort-Wahl-Verfahren (= Multiple-Choice-Verfahren) zur Bearbeitung gestellt.
Am 24.3.2006 hat der Antragsteller um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Er rügt zahlreiche Rechtsmängel im Zusammenhang mit seinen Versuchen, die scheinpflichtige Lehrveranstaltung „Physiologisches Praktikum“ erfolgreich abzuschließen.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm die erfolgreiche Teilnahme an dem Praktikum der Physiologie vorläufig und unter Vorbehalt einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache zu bescheinigen,
hilfsweise (Hilfsantrag zu 1.),
a. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, über das von ihm im Praktikum der Physiologie erzielte Prüfungsergebnis nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache erneut zu entscheiden,
b. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm für den Fall, dass das Praktikum als bestanden zu bewerten sei, vorläufig die Fortsetzung seines Zahnmedizin-Studiums zu ermöglichen,
c. für den Fall, dass das Praktikum nicht als bestanden zu bewerten sei, festzustellen, dass ihm über den 2. Wiederholungsversuch hinaus noch ein weiterer Wiederholungsversuch in der 2. Teilklausur (Klausur III, Neurophysiologie) zustehe,
weiter hilfsweise zum Hilfsantrag zu 1. (Hilfsantrag zu 2.),
festzustellen, dass ihm über den 2. Wiederholungsversuch hinaus noch ein weiterer Wiederholungsversuch in der 2. Teilklausur (Klausur III, Neurophysiologie) zustehe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin sowie den Inhalt der Gerichtsakte 4 A 196/05 Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Der Antragsteller ist nicht darauf zu verweisen, im Hinblick auf den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.5.2005 und die dagegen gerichtete Klage einen (grds. vorrangigen, vgl. § 123 Abs. 5 VwGO) (Feststellungs-)Antrag entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen, denn mit einem solchen Antrag könnte er die von ihm begehrte Erweiterung seiner Rechtsposition nicht erlangen.
Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO) glaubhaft gemacht. Da von der im vorliegenden Verfahren streitigen Frage seine Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung abhängt, ist es ihm nicht zuzumuten, den Ausgang eines möglicherweise mehrjährigen Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand und der im vorliegenden Verfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung hat er auch Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme am Physiologischen Praktikum an der Antragsgegnerin.
Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde (Zahnheilkundegesetz - ZHK -) regelt der Bundesminister für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates in einer Approbationsordnung für Zahnärzte u. a. die Mindestanforderungen an das Studium der Zahnmedizin und das Nähere über die staatliche zahnärztliche Prüfung. Dies ist durch die Approbationsordnung für Zahnärzte vom 26.1.1955 (BGBl. I S. 37), zuletzt geändert durch Art. 5 Nr. 7 des Gesetzes vom 23.3.2005 (BGBl. I S. 931) - ZAppO - erfolgt.
Gemäß §§ 2 S. 1 Nr. 2 Lit. b, 10 Abs. 1 Nr. 1, 26 Abs. 4 Lit. b ZAppO setzt die Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung den Nachweis voraus, dass der Studierende (u. a.) an einem Physiologischen Praktikum regelmäßig und mit Erfolg teilgenommen hat. Nähere Einzelheiten regelt die ZAppO nicht.
Die Antragsgegnerin hat auf der Grundlage der ZAppO Inhalt, Aufbau und Ablauf des Zahnmedizinstudiums an der Universität I. durch ihre Studienordnung für den Studiengang Zahnmedizin konkretisiert (§ 1 Abs. 1 S. 1 der Studienordnung). Am 25.3.2004 hat sie (auf der Rechtsgrundlage des § 4 Abs. 3 des Hochschulrahmengesetzes - HRG - i.V.m. § 44 Abs. 1 NHG i.d.F. v. 22.1.2004 - Nds. GVBl. S. 33 -) eine Neufassung ihrer Studienordnung (StOZ 2004) bekannt gemacht (Amtl. Mitteilungen der Antragsgegnerin 2004, S. 96 ff.), die am 26.3.2004 in Kraft trat (§ 10 Abs. 1 S. 1 StOZ 2004). Da der Antragsteller das streitbefangene Praktikum im Sommersemester 2004 und im Wintersemester 2004/2005 zu absolvieren hatte und das Sommersemester 2004 am 1.4.2004 (§ 3 Abs. 2 S. 1 StOZ 2004) und damit nach In-Kraft-Treten der StOZ 2004 begann, ist diese hinsichtlich der Bedingungen, unter denen das Praktikum abzuleisten war, anzuwenden.
Bei dem vom Antragsteller zu absolvierenden Physiologischen Praktikum handelt es sich um eine scheinpflichtige Lehrveranstaltung (SpfLV) ohne Behandlung von Patientinnen oder Patienten i.S.v. § 5 Abs. 2 S. 1 bis 3 StOZ 2004, deren regelmäßiger und erfolgreicher Besuch bei der Anmeldung zur zahnärztlichen Vorprüfung gemäß § 26 ZAppO nachzuweisen ist. Näheres regelt die Anlage zur Studienordnung („Richtlinien für die Durchführung von scheinpflichtigen Lehrveranstaltungen“, im Folgenden „Anlage“).
Die inhaltliche und methodische Ausgestaltung der SpfLV liegt gemäß § 1 S. 1 der Anlage in der Verantwortung der Leiterin oder des Leiters des SpfLV. Erfolgreich ist der Besuch einer SpfLV, wenn sich deren Leiterin oder deren Leiter bzw. das von ihr oder von ihm zur Durchführung beauftragte Lehrpersonal vom ausreichenden Kenntnisstand der Studierenden oder des Studierenden überzeugt hat. Zum Nachweis der erfolgreichen Teilnahme können von der Leiterin oder dem Leiter der SpfLV eine oder mehrere zu einer SpfLV gehörende Erfolgskontrollen (u. a. Klausuren, § 7 Abs. 1 der Anlage) durchgeführt werden. Sind mehrere zu einer SpfLV gehörende Erfolgskontrollen vorgesehen, wird die einzelne Erfolgskontrolle als Teilerfolgskontrolle bezeichnet (§ 5 Abs. 3 der Anlage). Die inhaltliche und methodische Ausgestaltung einer Erfolgskontrolle bzw. einer Teilerfolgskontrolle liegt in der Verantwortung der Leiterin oder des Leiters der SpfLV. Eine Bestehensgrenze für die in SpfLV zu absolvierenden Erfolgskontrollen ist in der StOZ 2004 einschließlich ihrer Anlage nicht geregelt. In der Praxis wird im Studiengang Zahnmedizin an der Antragsgegnerin - wie auch im Fall des Antragstellers - bei der Bewertung von Leistungsnachweisen im Antwort-Wahl-Verfahren eine Bestehensgrenze von 60 % richtiger Antworten für die Vergabe der Note 4 („ausreichend“) zugrunde gelegt.
Gemäß § 9 Lit. a der Anlage haben Studierende bei Nichtbestehen einer Erfolgskontrolle bzw. Teilerfolgskontrolle insgesamt zweimal die Möglichkeit, diese zu wiederholen. Hat eine Studierende oder ein Studierender auch die zweite Wiederholungsmöglichkeit für eine Erfolgskontrolle bzw. einer Teilerfolgskontrolle nicht bestanden, so gilt die SpfLV als endgültig nicht bestanden. Der Erwerb einer Bescheinigung über den regelmäßigen und erfolgreichen Besuch der Lehrveranstaltung ist für diese Studierende oder diesen Studierenden an der Universität I. ausgeschlossen (§ 9 Lit. e der Anlage). Diese Regelungen haben dazu geführt, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller durch Bescheid vom 20.5.2005 mitgeteilt hat, der Erwerb einer Bescheinigung über die regelmäßige und erfolgreiche Absolvierung des „Praktikums der Physiologie“ sei gemäß § 9 der Anlage zur StOZ 2004 an der Universität I. ausgeschlossen, nachdem er die betreffende Klausur insgesamt dreimal nicht bestanden hatte.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller jedoch zu einer Zeit, als ihr Bescheid vom 20.5.2005 noch nicht bestandskräftig war, einen zusätzlichen „außerordentlichen Versuch“ eingeräumt, den Schein durch erfolgreiche Teilnahme an zwei Teilklausuren doch noch zu erwerben. Zwar sieht die Studienordnung eine solche „letzte Chance“ nicht vor. Räumt jedoch die Antragsgegnerin Studierenden einer solche Möglichkeit ein, so bewegt sich das hierdurch fortgesetzte Prüfungsverfahren nicht in einem rechtsfreien Raum, sondern unterliegt in vollem Umfang dem geltenden Prüfungsrecht. Dieses Recht hat die Antragsgegnerin durch die Anwendung einer starren Bestehensgrenze bei der Bewertung der vom Antragsteller bearbeiteten Teilklausuren - wie im Übrigen bereits zuvor im Rahmen der Bewertung der „regulär“ geschriebenen Klausuren - verletzt.
Zwar ist die Anwendung einer Bestehensgrenze von 60 % im Bereich medizinischer Prüfungen üblich (vgl. § 14 Abs. 6 der Approbationsordnung für Ärzte). Vorliegend verstößt sie jedoch gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Übermaßverbots und verletzt den Antragsteller in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, weil sie eine starre, absolute Bestehensgrenze darstellt, deren Wirkungen nicht durch eine sog. relative Bestehensgrenze abgefedert werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Notwendigkeit einer relativen Bestehensgrenze bei der Bewertung medizinischer Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren in seinem Beschluss vom 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82 u. 174/84 -, BVerfGE 80, 1, 23 f., 26 ff. Folgendes ausgeführt:
„Die Ärztliche Prüfung, die ... eine Voraussetzung für die Approbation als Arzt bildet, ist eine subjektive Zulassungsvoraussetzung, durch die in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eingegriffen wird ... . Das gleiche gilt für die Vorprüfung, die ... der Zulassung zur Ärztlichen Prüfung vorausgehen muß, ohne deren Bestehen also das Medizinstudium nicht abgeschlossen werden kann. ...
Obwohl nach Art. 12 Abs. 1 GG strenge fachliche Qualifikationsnachweise verlangt werden dürfen, können die entsprechenden Regelungen nur Bestand haben, wenn sie zu diesem Zweck nicht außer Verhältnis stehen, wenn sie also dafür geeignet, erforderlich und den Betroffenen zumutbar sind. ...
(Die absolute Bestehensregel des § 14 Abs. 5 AppOÄ 1978 ist) mit der Verfassung nicht vereinbar. Sie verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, weil sie unverhältnismäßig ist.
Für das Antwort-Wahl-Verfahren ist von besonderer Bedeutung, wie die Voraussetzungen geregelt sind, die über Erfolg oder Mißerfolg der Prüfung entscheiden. Da nach der Abgabe der Prüfungsbögen keine wertende Beurteilung mehr stattfindet, sondern nur noch die Zahl der richtigen Antworten festzustellen bleibt, muß generell und abstrakt geregelt werden, wie viele richtige Antworten mindestens zu fordern sind. .... Welcher Anteil der Fragen richtig beantwortet werden kann, hängt nicht nur von den Kenntnissen eines Kandidaten, sondern auch von der Zahl der Aufgaben und der dafür zugestandenen Zeit ab. Maßgebend ist ferner die Art der Fragestellung. Der Zeitaufwand für jede einzelne Frage ist im Antwort-Wahl-Verfahren nicht konstant; auch ein Kandidat, der das erforderliche Wissen vollkommen beherrscht, benötigt je nach dem Typ der Aufgabe verhältnismäßig viel oder wenig Zeit, um die richtigen Antworten ankreuzen zu können. Es gibt nicht nur die „Einfachauswahl“, bei der der Kandidat zu einer Frage eine einzige Antwort finden muß. Das Antwort-Wahl-Verfahren kennt vielmehr auch mehrfache Zuordnungen, kausale Verknüpfungen und Aussagenkombinationen, bei denen verschiedene Fragen auf komplizierte Weise verschränkt sind. ...
Diese Eigenheiten des Antwort-Wahl-Verfahrens zeigen, daß die Bestehensgrenze sich nicht allein aus einem Vomhundertsatz der geforderten Antworten ergeben darf, sondern in einem Verhältnis zu einer möglichen Höchstleistung oder zu einer Normalleistung stehen muß. Die Festlegung ist also nicht ohne Rücksicht auf einen vorgestellten Schwierigkeitsgrad möglich. ... Eine starre Bestehensregel ... fordert für alle Prüfungstermine immer den gleichen Anteil richtiger Antworten und unterstellt damit, daß sich der Schwierigkeitsgrad aller Prüfungstermine grundsätzlich konstant halten oder doch wenigstens steuern läßt. Unterliegt der Schwierigkeitsgrad erheblichen Schwankungen, die sich der Kontrolle des Prüfers entziehen, entfaltet auch die Bestehensregel unkontrollierbare Wirkungen. Bei leichten Prüfungsterminen wirkt die absolute Bestehensgrenze zu großzügig, während sie bei besonders schwierigen Prüfungsterminen zu einem übermäßig scharfen Maßstab gerät. Liegt sie von vornherein im Grenzbereich dessen, was viele Studenten bei durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad normalerweise leisten können, und das ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für die 60 vom Hundert-Grenze anzunehmen (BVerwGE 65, 323 (340)), so müssen zwangsläufig schon kleine Abweichungen des Schwierigkeitsgrades zu drastischen Schwankungen der Misserfolgsquote führen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu Prüfungen herkömmlicher Art, bei denen unbeabsichtigte Schwankungen des Schwierigkeitsgrades mit der nachträglichen Bewertung der Prüfungsleistungen ausgeglichen werden können.
Nach dem Stand der Erfahrung wie auch der Testtheorie ist es nicht möglich, den Schwierigkeitsgrad der medizinischen Prüfung im Antwort-Wahl-Verfahren zuverlässig vorauszusagen oder gar zu steuern ...
Daraus wird allgemein gefolgert, dass der erforderliche Zusammenhang zwischen Bestehensgrenze und Normalleistung nur dann hergestellt werden kann, wenn die Durchschnittsergebnisse eines oder mehrerer Prüfungstermine oder ähnliche statistische Entscheidungshilfen in die Ergebnisberechnung einbezogen werden.“
Die Praxis studienbegleitender Prüfungen im Studiengang Zahnmedizin an der Antragsgegnerin sieht eine Abschwächung der absoluten durch eine relative Bestehensgrenze weder in Form der Einbeziehung von Durchschnittsergebnissen noch in anderer geeigneter Form - wie z. B. durch die Einführung einer Ausgleichsregelung - vor. Im Fall des Antragstellers hätte die Einführung einer solchen Ausgleichsregelung um so näher gelegen, als im Rahmen seines „außerordentlichen Versuchs“ Prüfungsstoff, der zuvor in einer einzigen Klausur abgefragt worden war, nunmehr in zwei Teilklausuren zur Bearbeitung gestellt wurde. In Bereichen - wie vorliegend dem Physiologischen Praktikum - in denen Studierende im Fall des Misserfolges von der Zulassung zu anderen Prüfungen und damit von der Fortsetzung ihres Studiums ausgeschlossen werden, ist die Universität an die vom Bundesverfassungsgericht formulierten verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden (vgl. hierzu Niehues, Prüfungsrecht, 4. Aufl. 2004, Rn. 608). Dabei besteht Anlass zu der Annahme, dass der Antragsteller (entsprechend § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Immatrikulationsordnung der Antragsgegnerin in der Fassung vom 17.11.2004, Amtl. Mitteilungen vom 16.12.2004, S. 840) auch an einer anderen Universität im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes den Praktikums-Schein nicht mehr erwerben kann, nachdem ihm die Antragsgegnerin das endgültige Scheitern durch Bescheid vom 20.5.2005 bescheinigt hat. Da die Antragsgegnerin den Antragsteller in Anwendung der absoluten Bestehensregel von einer Zulassung zur zahnärztlichen Vorprüfung ausgeschlossen hat, verletzt ihre Entscheidung das Grundrecht des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG.
In welcher Weise die Antragsgegnerin zukünftig dafür sorgen wird, dass ihre Prüfungsverfahren, soweit sie für die Studierenden zu einer Berufszugangsschranke führen können, den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen, bleibt ihrer Entscheidung vorbehalten. Insoweit erschiene es denkbar, dass das Ergebnis einer Klausur, in der der Anteil richtiger Antworten zwischen 30 und 59 % beträgt, durch gute Leistungen in einer anderen Klausur ausgeglichen werden kann. Eine solche Handhabung ließe sich auch mit dem Interesse der Antragsgegnerin vereinbaren, zu vermeiden, dass Studierende in bestimmten Bereichen bewusst „auf Lücke setzen“, da sie zumindest einen Anteil richtiger Antworten von 30 % erreichen müssten, um die Ausgleichsregelung in Anspruch nehmen zu können.
Im Fall des Antragstellers wendet das Gericht angesichts der Notwendigkeit, effektiven vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, die soeben aufgezeigte Ausgleichsregelung an (vgl. zur Befugnis der Gerichte, erforderlichenfalls selbst eine Bestehensregelung finden: BVerfG, Beschluss vom 14.3.1989, a.a.O. S. 34). Dies führt dazu, dass der Antragsteller das Ergebnis der zweiten Teilklausur vom 3.2.2006, in der er einen Anteil richtiger Antworten von 55 % erreicht hat, durch die deutlich besseren Leistungen in der ersten Teilklausur vom 25.11.2005 (85 % richtige Antworten) ausgleichen kann. Damit erreicht der Antragsteller durchschnittlich einen Anteil richtiger Antworten von 70 % und überschreitet die an der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Bestehensgrenze. Da der Antragsteller ein erhebliches Interesse an der umgehenden Fortsetzung seines Studiums hat, verpflichtet das Gericht die Antragsgegnerin vorläufig, ihm die erfolgreiche Teilnahme am Physiologischen Praktikum zu bescheinigen (vgl. insoweit Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rn. 1226).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht orientiert sich an der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 2004, 1525, Tz. 18.5) und setzt den Wert in Höhe des halben Auffangwertes gemäß § 52 Abs. 2 GKG fest.