Landgericht Verden
Urt. v. 04.12.2018, Az.: 7 O 78/18

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
04.12.2018
Aktenzeichen
7 O 78/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - AZ: III ZR 253/20
OLG - AZ: 7 U 564/18

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf bis zu 22.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Kauf eines Neuwagens.

Der Kläger kaufte am 23.04.2012 bei dem dänischen Händler S. einen Pkw Skoda Octavia 2,0 TDI mit der FIN: xxx. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 189 eingebaut. Bei diesen Motoren optimiert eine im Fahrzeug verbaute Software die Stickoxidwerte im Prüfstandlauf. Herstellerin dieses Motors ist die Beklagte.

Es wurde kein Software-Update aufgespielt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises abzüglich der nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges sowie die Feststellung, dass diese sich mit der Rücknahme im Annahmeverzug befindet und ihm zum Ersatz weiterer Schäden verpflichtet ist.

Er behauptet, er habe das Fahrzeug zu einem Preis in Höhe von 25.440,00 EUR gekauft. Er ist der Ansicht, ihm stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Diese habe ihn getäuscht und mit ihrem Verhalten gegen die guten Sitten verstoßen.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.621,65 EUR nebst weiterer Zinsen aus 25.440,00 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.03.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Skoda Octavia 2,0 TDI DSG Kombi mit der Fahrzeugidentifikationsnummer xxx zu zahlen,

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeuges seit dem 15.02.2018 in Annahmeverzug befindet,

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 950,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten sowie ihn von weiteren Rechtsanwaltskosten in Höhe von 564,12 EUR freizustellen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren Schäden zu ersetzen, die dieser aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen des im Antrag zu 1 genannten Fahrzeuges erleidet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, den Kläger getäuscht zu haben. Zudem sei dem Kläger kein Schaden entstanden. Insbesondere verfüge das Fahrzeug über eine wirksame Typgenehmigung und halte die geltenden Emissionsgrenzwerte ein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch zu.

1.

Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht aus §§ 311, 241 Abs. 2 BGB.

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Prospekthaftung sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Prospekthaftung im Bereich der Kapitalanlagen geht davon aus, dass der Emissionsprospekt in der Regel die einzige Informationsquelle des Anlegers ist. Nur unter der Voraussetzung, dass die durch den Prospekt vermittelte Information vollständig und richtig ist, kann der Kunde die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilen und sein Anlagerisiko, das ihm ohnehin verbleibt, richtig einschätzen. Anders als bei Kapitalanlagen gibt es für Pkw jedoch zahlreiche allgemein zugängliche Quellen, um sich vor der Kaufentscheidung über ein bestimmtes Modell zu informieren (LG Braunschweig, Urteil vom 16. Oktober 2017 – 11 O 4092/16 –, zitiert nach juris).

2.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB.

a) Eine aktive Täuschungshandlung der Beklagten gegenüber dem Kläger hat der Kläger nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.

b) Soweit der Kläger seinen Anspruch auf die unterlassene Unterrichtung der Beklagten über die technische Abweichung des Motors von den gesetzlichen Vorgaben stützt, liegen die Voraussetzungen einer insoweit in Betracht kommenden Täuschung durch Unterlassen nicht vor. Es fehlt an einer Garantenstellung der Beklagten im Sinne des § 13 StGB. § 13 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter als "Garant" für die Abwendung des Erfolgs einzustehen hat. Diese Erfolgsabwendungspflicht beruht auf dem Grundgedanken, dass eine bestimmte Person in besonderer Weise zum Schutz des gefährdeten Rechtsguts aufgerufen ist und dass alle übrigen Beteiligten auf das helfende Eingreifen dieser Person vertrauen und vertrauen dürfen. Der Täter muss rechtlich verpflichtet sein, den deliktischen Erfolg abzuwenden. Eine sittliche Pflicht oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügen nicht. Soweit es - wie hier - um Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit einem Kaufvertrag geht, wird eine solche Aufklärungspflicht beim Verkäufer, mit dem immerhin ein Vertragsverhältnis besteht, erst dann gesehen, wenn es um wertbildende Faktoren der Kaufsache von ganz besonderem Gewicht geht. Das muss für den vertraglich nicht mit dem Käufer verbundenen, mithin weiter entfernten Hersteller erst recht gelten (LG Braunschweig, Urteil vom 30. August 2017 – 3 O 2202/16 –, zitiert nach juris).

Von einer Aufklärungspflicht der Beklagten in diesem Sinne wäre allenfalls auszugehen, wenn aufgrund der verwendeten Abschalteinrichtung die EG-Typgenehmigung für das klägerische Fahrzeug erloschen wäre. Dies ist nicht der Fall. Zudem droht auch kein Widerruf der EG-Typgenehmigung. Das Kraftfahrtbundesamt hat sein ihm zustehendes Ermessen gerade nicht dahingehend ausgeübt, dass es eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat.

Dass die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung, für die ein vom Kraftfahrtbundesamt freigegebenes Software-Update vorliegt, unabhängig davon einen wertbildenden Faktor von ganz besonderem Gewicht darstellt, hat der Kläger weder hinreichend vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Soweit der Kläger insoweit behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug habe einen erheblichen Wertverlust erlitten, ist dies nicht ausreichend. Es wären konkret auf die unzulässige Abschalteinrichtung zurückzuführende Wertverluste, z. B. anhand der sog. Schwacke-Liste, des "DAT Diesel-Barometers" oder ähnlicher Quellen, darzulegen. Mangels entsprechender Anknüpfungstatsachen liefe die von dem Kläger angebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

Eine Garantenpflicht der Beklagten zugunsten des Klägers ergibt sich auch nicht aus pflichtwidrigem Vorverhalten (Ingerenz). Die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung stellt zwar ein pflichtwidriges Vorverhalten dar. Eine Pflichtwidrigkeit löst im Einzelfall aber nur dann eine Garantenpflicht aus, wenn die verletzte Norm gerade dem Schutz des fraglichen Rechtsgutes zu dienen bestimmt ist. Den Erwägungsgründen (1) bis (6) und (27) der verletzten Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist zu entnehmen, dass diese nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen dient, sondern der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, insbesondere mit dem Ziel der erheblichen Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte (LG Braunschweig, Urteil vom 30. August 2017 – 3 O 2202/16 –, zitiert nach juris; vgl. LG Köln, Urteil vom 07. Oktober 2016 – 7 O 138/16 –, zitiert nach juris; vgl. LG Ellwangen, Urteil vom 10. Juni 2016 – 5 O 385/15 –, zitiert nach juris). Der von dem Kläger geltend gemachte Vermögensschaden fällt daher nicht in den Schutzbereich dieser Norm.

c) Im Übrigen hat der Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass er sich bei Vertragsschluss überhaupt Gedanken über das Fehlen einer Abschaltvorrichtung gemacht hat und sich in einem entsprechenden Irrtum befand. Darüber hinaus fehlt es auch an einem substantiierten Vortrag zur Kausalität.

3.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007.

Bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung ist die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen. Sowohl die Richtlinie 2007/46/EG als auch die Verordnung VO 715/2007 dienen der Harmonisierung des Binnenmarktes und zielen auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung ab. Interessen der einzelnen Fahrzeugkäufer können durch die Verordnung als Einzelrechtsakt im gemeinschaftlichen Typgenehmigungssystem allenfalls in Bezug auf die Zulassungsfähigkeit eines Fahrzeugs geschützt werden (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 25. September 2017 – 11 O 1397/17 –, Rn. 39, juris). Solche Schäden macht der Kläger hier nicht geltend.

4.

Schließlich steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu.

Für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen gilt allgemein, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung der Haftung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden (vgl. BGH,NJW 1986, 837 [BGH 11.11.1985 - II ZR 109/84]).

Allein der Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007, die wie bereits ausgeführt nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen dient, reicht für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB nicht aus.

Damit verbleibt auch insoweit allenfalls eine Täuschung durch Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Verschweigen eines Umstandes rechtfertigt aber nicht ohne Weiteres den Vorwurf eines Sittenverstoßes, sondern nur dann, wenn eine Seite der anderen zu entsprechender Offenbarung verpflichtet ist. Eine Offenbarungspflicht entsteht, wenn die andere Seite nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eine Mitteilung erwarten durfte. Auch innerhalb einer vertraglichen Beziehung darf der Vertragspartner nach Treu und Glauben nicht eine vollumfängliche Information über alle Belange des Geschäftes erwarten. Es besteht keine allgemeine Offenbarungspflicht, weil im Vertragsrecht zunächst jedes Privatrechtssubjekt für die Verteidigung seiner Interessen selbst verantwortlich ist. Das gilt insbesondere für den Kaufvertrag, der von gegensätzlichen Interessen geprägt ist. Die Grenze des nach der Verkehrsauffassung Hinnehmbaren ist auch im Rahmen von § 826 BGB erst dann überschritten, wenn es um erhebliche wertbildende Umstände beim Kaufvertragsabschluss geht (LG Braunschweig, Urteil vom 30. August 2017 – 3 O 2202/16 –, zitiert nach juris). Wie bereits im Zusammenhang mit der Garantenstellung ausgeführt, trifft das auf die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zu.

II.

Da der Kläger keinen Anspruch auf Schadenersatz hat, befindet sich die Beklagte auch nicht mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Verzug.

III.

Mangels Hauptanspruch steht dem Kläger gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf Erstattung bzw. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.

IV.

Auch der Antrag auf weiteren Schadensersatz hat keinen Erfolg, da die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nicht gegeben sind. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

VI.

Der Streitwert war auf bis zu 22.000,00 EUR festzusetzen, wobei der Feststellungsantrag zu 4 mit zusätzlich 3.000,00 EUR bewertet wurde.