Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 18.09.2001, Az.: 4 A 35/00

Abschiebungshindernis; Jugoslawien; Kosovo; Pflegebedürftigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
18.09.2001
Aktenzeichen
4 A 35/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 39297
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die 1936 geborene Klägerin ist jugoslawische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit und stammt aus dem Kosovo.

2

Am 9. November 1998 stellte sie einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 12. November 1998 gab sie an, eine Woche zuvor mit ihrer Schwiegertochter und ihrem Enkel nach Deutschland gekommen zu sein. Sie habe für ungefähr 15.000 DM Land verkauft und dieses Geld einem Schlepper gegeben, der sie in einem Kombi nach Deutschland gebracht habe. Sie sei verwitwet und habe einen Sohn und eine Tochter. Die Tochter sei im Kosovo verheiratet. Ihr Sohn befinde sich seit zwei Jahren in Deutschland und arbeite hier. Dieser habe sie auch finanziell unterstützt. In ihrer Heimat sei Krieg. Auch ihr Haus sei von den Serben angezündet worden. Die Polizei sei täglich gekommen und habe sogar ihren Sohn gesucht. Sie habe Angst vor der serbischen Polizei.

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Mit Bescheid vom 8. Februar 2000 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag der Klägerin ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde außerdem unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert.

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Die Klägerin hat am 24. Februar 2000 Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat sie die Klage zurückgenommen, soweit sie auf die Anerkennung als Asylberechtigte und die Feststellung der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG gerichtet gewesen ist.

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Zur Begründung trägt sie vor, dass sie als ethnische Albanerin muslimischen Glaubens den Kosovo vorverfolgt verlassen habe. Ihre Erkrankung bzw. Pflegebedürftigkeit stelle ein Abschiebungshindernis dar.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Februar 2000 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegen steht.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

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Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein ärztliches Attest des Arztes Dr. T.  vom 17. September 2001 und eine Bescheinigung der UNMIK vom 18. Mai 2001 vorgelegt.

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Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel der Kammer ergeben sich aus der Anlage zur Ladung vom 6. August 2001 (Bl. 36 ff. der Gerichtsakte).

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Stadt Lüneburg verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

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Im übrigen ist die Klage zulässig und begründet.

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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Insofern ist der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Februar 2000 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

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Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, reicht dabei nicht aus, um eine Gefahr in diesem Sinne zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor.

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Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass für die Klägerin bei einer Rückkehr in den Kosovo aufgrund ihrer Erkrankungen und ihres Angewiesenseins auf die Hilfe Dritter keine Existenzmöglichkeit bestünde. Die Klägerin ist zwar im August 1936 geboren, wirkt aber nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck erheblich älter, sehr gebrechlich und nicht mehr dazu in der Lage, sich ohne fremde Hilfe fortzubewegen oder gar eigenständig zu versorgen. Auch in dem Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. T.  vom 17. September 2001 wird bescheinigt, dass die Klägerin vorgealtert sei. Nach der ärztlichen Bescheinigung wird die Klägerin seit Juni 2000 von Dr. T.  behandelt. Sie leidet danach an einer schmerzhaften Polyarthrose mit depressiver Symptomatik. Zudem seien Hinweise auf eine Osteoporose sowie ein Fibromyalgie-Syndrom gegeben. Die Klägerin werde derzeit hauptsächlich schmerztherapeutisch behandelt.

19

Die notwendige Hilfe erhält die Klägerin hier in Deutschland durch ihre Schwiegertochter und ihren in der mündlichen Verhandlung ebenfalls anwesenden Sohn S. B., bei denen sie lebt. Ihr Sohn hat bestätigt, dass aufgrund seiner Arbeit tagsüber insbesondere seine Frau die Klägerin versorge und auf sie aufpasse. Nachts benötige die Klägerin ebenfalls Zuwendung und Betreuung, zumal sie oft aufwache und Angst habe.

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Insgesamt ist daher festzustellen, dass die Klägerin aufgrund ihres körperlichen und seelischen Gesundheitszustandes auf eine intensive Betreuung angewiesen ist, die bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht gewährleistet wäre. Denn sowohl ihr Sohn als auch ihre Tochter leben bereits seit Jahren in Deutschland. Dass in ihrer Heimatregion auch sonst keine Familienmitglieder vorhanden sind, die sich bei einer Rückkehr um sie kümmern könnten, wird durch die Bescheinigung der UNMIK vom 16. Mai 2001 bestätigt. Insofern besteht bei einer Rückkehr die konkrete Gefahr, dass die Klägerin dem sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Denn nach Auskunft des UNHCR ist eine spezialisierte Unterstützung und Betreuung körperlich schwer behinderter Menschen, zumal wenn sie alleinstehend sind und keine Angehörigen mehr im Kosovo haben, dort noch nicht verfügbar (UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, März 2001, S 4 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 26.01.1999 - BVerwG 9 B 617/98 -, NVwZ 1999, 668). Mithin ist davon auszugehen, dass die Klägerin nicht die Hilfe von Hilfsorganisationen oder Familienstrukturen erwarten könnte. Entsprechende Anstalten oder Heime fehlen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 155 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.