Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 21.10.2014, Az.: 10 B 12216/14
Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft; Obdachlosenunterbringung; Obdachlosenunterkunft; Obdachlosigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 21.10.2014
- Aktenzeichen
- 10 B 12216/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 42552
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 SOG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Kein Wunsch- und Wahlrecht des Betroffenen hinsichtlich Art und Lage einer ihm zur
Abwehr drohender Obdachlosigkeit zugewiesenen Unterkunft.
Die Unterbringung in einem Mehrbettzimmer ist einem männlichen alleinstehenden gesunden Obdachlosen mittleren Alters zumutbar.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt zur Abwehr drohender Obdachlosigkeit die Einweisung in ein Einzelzimmer in der städtischen Einrichtung für Wohnungslose der Antragsgegnerin in der Türkstraße 14 in Hannover. Er ist seit dem 29. Juli 2010 in dieser Einrichtung untergebracht und bewohnt dort das Zimmer 12 im 1. Obergeschoss. Die zunächst auf ein Jahr befristete Einweisungsverfügung vom 27. Juli 2010 wurde mehrfach bis einschließlich 19. September 2013 verlängert. Seitdem bewohnt der Antragsteller das Zimmer ohne wirksame Zuweisung durch die Antragsgegnerin.
Mit der Einweisungsverfügung vom 27. Juni 2010 hatte die Antragsgegnerin zugleich laufende Gebühren in Höhe von 159 Euro monatlich gegen den Antragsteller festgesetzt, die er nur teilweise beglichen hat. Für den Zeitraum Juli 2010 bis September 2011 schuldet der Antragsteller der Antragsgegnerin aus dieser Festsetzung so Unterkunftsgebühren in Höhe von 1.241,00 Euro zzgl. Vollstreckungskosten in Höhe von 26,52 Euro, insgesamt 1.485,42 Euro; weitere Rückstände laufen auf.
Aufgrund der Zahlungsrückstände des Antragsstellers bot ihm die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. August 2013 an, aus dem Einzelzimmer in der Unterkunft C. in ein Mehrbettzimmer in der Unterkunft D. umzuziehen und wies darauf hin, dass bei einer Unterbringung in einem Mehrbettzimmer geringere Nebenkosten zu den monatlichen Nutzungsgebühren anfallen würden.
Der Antragsteller hat mit mehreren bei Gericht anhängig gemachten Verfahren versucht, statt dessen eine Verlängerung der Zuweisung in ein Einzelzimmer in der Unterkunft C. zu erstreiten und eine Räumung des von ihm bewohnten Zimmers zu verhindern. Diese Anträge blieben ohne Erfolg, weil die Eingaben des Antragstellers das Erfordernis der Schriftlichkeit nicht erfüllt haben (vgl. Beschluss vom 26.3.2014 – 10 B 6650/13 –) bzw. die Antragsgegnerin noch gar keine vollstreckungsfähige Räumungsverfügung erlassen hatte (Beschluss vom 20.10.2011 – 10 B 3847/11 –; Beschluss vom 1.8.2014 – 10 B 10779/14 –). Am 31. Juli 2014 erließ die Antragsgegnerin eine Räumungsverfügung, gegen die der Antragsteller Klage erhob. Gegen das klagabweisende Urteil des erkennenden Gerichts vom 25. September 2014 hat der Antragsteller Berufung eingelegt.
Am 19. September 2014 hat er zudem bei dem Sozialgericht Hannover beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm zur Abwehr drohender Obdachlosigkeit vorläufig in ein Einzelzimmer in der Obdachlosenunterkunft C. zuzuweisen. Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen.
Der Antragsteller macht geltend, er sei von Obdachlosigkeit bedroht. Das ihm angebotene Mehrbettzimmer sei zur Abwehr der Obdachlosigkeit nicht geeignet. Er habe tagsüber keine Rückzugsmöglichkeit.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm zur Abwehr drohender Obdachlosigkeit vorläufig in ein Einzelzimmer in der Obdachlosenunterkunft C. zuzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der Beschluss ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 14. Oktober 2014 zur Entscheidung gemäß § 6 Abs. 1 VwGO übertragen hat.
Der Antrag ist als Antrag auf eine einstweilige Anordnung zulässig, aber in der Sache unbegründet.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Sowohl die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch das Vorliegen eines entsprechenden Anordnungsanspruchs sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Eine (auch nur teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache ist nur ausnahmsweise und nur in solchen Fällen gerechtfertigt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die nachträglich durch die Hauptsachenentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.6.1984 – BVerwG 1 ER 310.84 –, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2008 – 12 S 138.08 –, juris).
Nachdem die Klage des Antragstellers gegen die Räumungsverfügung der Antragstellerin weiterhin zu einer Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgerichts über die Berufung des Antragstellers aufschiebende Wirkung entfaltet, fehlt es schon an einem Anordnungsgrund. Denn die Antragsgegnerin hat nicht die sofortige Vollziehung der Räumungsverfügung angeordnet, so dass diese erst nach Eintritt der Bestandskraft vollstreckt werden kann.
Auch einen (Anordnungs-)anspruch auf die erneute Zuweisung in ein Einzelzimmer in der Unterkunft C. der Antragsgegnerin hat der Antragsteller weder nach den vorstehenden Maßstäben glaubhaft gemacht noch ist er sonst ersichtlich.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 11 Nds. SOG hat die Verwaltungsbehörde die Aufgabe, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Dazu gehört die Abwehr einer drohenden Obdachlosigkeit. Eine Gefahr im Sinne des § 11 Nds. SOG ist gem. § 2 Nr. 1 a) Nds. SOG eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehören auch Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen, die durch eine drohende Obdachlosigkeit dem Grunde nach bedroht sind.
Weil die Antragsgegnerin dem Antragsteller bereits eine Unterkunft in der D. angeboten hat und nichts dafür ersichtlich ist, dass sie von diesem Angebot trotz dem Antragsteller andernfalls drohender Obdachlosigkeit Abstand nehmen wird, ist der Antragsteller gegenwärtig nicht von Obdachlosigkeit bedroht. Es besteht deshalb schon keine Gefahr im Sinne des § 11 Nds. SOG, die ein weiteres behördliches Tätigwerden erfordern würde.
Soweit der Antragsteller geltend macht, dass die ihm angebotene Unterkunft in einem Mehrbettzimmer zur Abwehr einer ihm drohenden Obdachlosigkeit ungeeignet sei, greift dieser Einwand auch vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller das bisher bewohnte Einzelzimmer seit vier Jahren bewohnt, nicht durch.
Die Einweisung in eine Notunterkunft zur Abwendung von Obdachlosigkeit aufgrund von § 11 Nds. SOG stellt keine Dauerlösung dar, sondern ist vielmehr eine vorübergehende Notmaßnahme, die die Verpflichtung des Betroffenen bzw. des zuständigen Sozialleistungsträgers unberührt lässt, (selbst) für eine dauerhafte und angemessene Deckung des Unterkunftsbedarfs zu sorgen. Die (frühere) Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft begründet keinen Besitzstand des Obdachlosen und gibt ihm insbesondere keinen Anspruch darauf, in der ihm zugewiesenen Wohnung bzw. in dem zugewiesenen Zimmer dauerhaft zu verbleiben. Ebenso wenig besteht bei einer erstmaligen oder neuerlichen Einweisung ein Wunsch- und Wahlrecht hinsichtlich der Lage, Art und Ausstattung der Unterkunft.
Die zuständige Ordnungsbehörde ist deshalb nicht gehindert, den Betroffenen bei drohender Obdachlosigkeit – wiederum auf Grundlage von § 11 Nds. SOG – nach pflichtgemäßem Ermessen in eine andere als die ursprünglich zugewiesene oder die gewünschte Obdachlosenunterkunft einzuweisen (vgl. zur Umsetzung in einem bestehenden Einweisungsverhältnis Nds. OVG, Beschluss vom 2.5.2011 - 11 LA 60/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 7.3.2011 - 8 B 217/11 -, juris, Rn. 28, m. w. N.). Die zugewiesene Unterkunft muss dabei lediglich den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügen, nicht aber den weitergehenden Anforderungen an eine wohnungsmäßige Versorgung.
Soweit sich den Schreiben des Antragstellers dessen Einwände gegen die ihm angebotene Unterkunft in der Schulenburger Landstraße sinngemäß entnehmen lassen, begründen diese weder deren Unzumutbarkeit noch einen Anspruch auf die Verlängerung der Einweisung in die bisher bewohnte Unterkunft im Wege der einstweiligen Anordnung. Die von dem Antragsteller zitierte „ständige Rechtsprechung“, nach der die Unterbringung in einem Mehrbettzimmer für den Tagesaufenthalt ungeeignet sei, existiert nicht. Vielmehr gehen die Verwaltungsgerichte wie das erkennende Gericht überwiegend davon aus, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelbettzimmer zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bestehe (vgl. VG Wiesbaden, Beschluss vom 21.03.2000 – M 6a E 00.951 –, juris) und es z. B. einem allein stehenden jungen Obdachlosen auch bei Aufnahme eines Studiums ohne weiteres zumutbar ist, ein Zwei- oder auch Mehrbettzimmer mit anderen männlichen Mitbewohnern zu teilen, solange diese nicht auf Grund besonderer persönlicher Umstände (z.B. ansteckende Krankheit, Gewalttätigkeit o.ä.) allein untergebracht werden müssen (vgl. VG München, Urteil vom 10.9.2002 – M 22 S0 02.4292 –, juris). Eine andere Beurteilung kann allenfalls aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls erforderlich sein, beispielsweise bei einem hohen Alter des Obdachlosen, langjährigem geduldeten Aufenthalt in der Unterkunft und mehrfacher Umsetzungen innerhalb dieser Unterkunft trotz bestimmungswidrigen Gebrauchs (vgl. VG München, Urteil vom 8.2.2000 – M 32 b K 99.578 –, juris).
Derartige atypische Umstände hat der Antragsteller jedoch nicht geltend gemacht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Der 1966 geborene, alleinstehende Antragsteller ist weder hohen Alters noch aufgrund körperlicher Erkrankungen besonders schutzbedürftig. Vielmehr hat der Antragsteller in seiner Berufungsschrift gegen das Urteil des Gerichts vom 22. September 2014 selbst ausgeführt, dass er halbtags berufstätig sei. Weshalb er den geltend gemachten Anspruch angesichts dessen gerade aus dem Bedürfnis nach einem Rückzugsraum tagsüber herleiten will, erschließt sich dem Gericht nicht. Davon, dass die Antragsgegnerin den Aufenthalt des Antragstellers in dem von ihm bisher in Anspruch genommenen Einzelzimmer trotz der abgelaufenen Einweisung geduldet hätte, kann angesichts der erklärten Nichtverlängerung der Einweisung und des übrigen klar auf eine Beendigung der unberechtigten Nutzung des Einzelzimmers durch den Antragsteller zielenden Verhaltens der Antragsgegnerin keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Wertfestsetzung ergeht aufgrund von § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Die Höhe des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 GKG und entspricht in Anlehnung an Nrn. 1.5 der Streitwertvorgaben für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Hälfte des Regelstreitwerts.