Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.11.2013, Az.: L 10 VE 29/12

Beschädigtenversorgung; Gewaltopfer; Abgrenzung bei sexuellen Handlungen eines Arztes an einer Patientin ohne physische Gewaltanwendung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.11.2013
Aktenzeichen
L 10 VE 29/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 51362
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:1114.L10VE29.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 20.03.2012 - AZ: S 18 VE 34/10

Fundstellen

  • NZS 2014, 6
  • ZfSH/SGB 2014, 140 (Pressemitteilung)

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Opferentschädigung nach dem OEG iVm dem BVG setzt einen tätlichen rechtswidrigen Angriff mittels gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehens gegen eine Person voraus.

2. Ein 'tätlicher Angriff' kann bei Erwachsenen vorliegen, wenn der Sexualkontakt dem Partner aufgenötigt werde, obwohl dieser ihn ablehnte. Dafür ist ein Erzwingen erforderlich. Keine körperliche Gewaltanwendung sei die Manipulation des Arztes im Vaginalbereich der Patientin ohne Widerstand überwinden zu müssen, zumal die Patientin auch nicht widerstandsunfähig gewesen sei.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 20. März 2012 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Versorgungsleistungen gemäß § 1 OEG i.V.m. den Vorschriften des BVG.

Die 1962 geborene Klägerin beantragte im Dezember 2007 bei dem Beklagten Beschädigtenversorgung. Sie sei am 26. Juni 2000 in der Praxis des Arztes H. (im Folgenden: Schädiger) in der Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.45 Uhr Opfer einer Gewalttat geworden. Hierzu habe die Staatsanwaltschaft I. ein Ermittlungsverfahren durchgeführt (Az.: 203 JS 4131/02). Der genaue Tatvorgang lasse sich der Akte entnehmen. Als Schädigungsfolge machte die Klägerin im Wesentlichen ein Psychosyndrom mit Depressionen, Schlafstörungen, Muskelverkrampfungen und Ängsten geltend. Der Beklagte zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft I. bei und lehnte mit Bescheid vom 28. April 2008 den Antrag auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, dass sich aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft zwar der Sachverhalt ergeben habe, dass die Klägerin am Abend des 26. Juni 2000 während einer Ultraschalluntersuchung des Arztes von diesem mit dem Ultraschallgerät an den Genitalien berührt worden sei, wobei die Klägerin dabei auch seine Finger bzw. seinen Handrücken an ihren Genitalien gespürt habe. Ein tätlicher Angriff i.S. des OEG könne hierin aber nicht gesehen werden. Das Verhalten des Arztes sei nicht darauf gerichtet gewesen, der Klägerin körperliche bzw. psychische Schäden zuzufügen. Die Klägerin habe sich auch nicht in einer hilflosen Lage i.S. des § 177 StGB befunden: Das schutzlose Ausgeliefertsein erfordere eine gewisse Erheblichkeit und es sei nicht nachgewiesen, dass diese im Fall der Klägerin erreicht worden sei. Die Staatsanwaltschaft I. habe das Verfahren eingestellt. Ein konkreter Tatvorgang, welcher als psychische Gewalt und somit als Tätlichkeit zu beurteilen wäre, liege nicht vor. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2008 unter Hinweis auf die Begründung des Bescheides zurück. Die Klägerin sei nicht Opfer einer Gewalttat i.S. des OEG geworden.

Mit ihrer zum Sozialgericht Hannover erhobenen Klage hat die Klägerin das Ziel der Zahlung von Beschädigtenversorgung weiter verfolgt. Im Hinblick auf die Tat hat sie ausgeführt, sich 1999/2000 in Behandlung des Arztes in J. befunden zu haben. Für den 26. Juni 2000 habe sie einen Behandlungstermin um 19.00 Uhr erhalten. Als sie in der Praxis erschienen sei, sei die Tür vom Arzt persönlich geöffnet worden, in der Praxis habe kein Betrieb geherrscht. Erst allmählich sei ihr klargeworden, dass andere Personen nicht mehr in der Praxis zugegen gewesen seien. Zu diesem Zeitpunkt habe sie sich entkleidet im Behandlungszimmer auf einer Liege zu einer vermeintlichen Ultraschalluntersuchung befunden. Sie habe auf dem Bauch gelegen und unter der Vorgabe der Ultraschalluntersuchung die Beine spreizen müssen. Dabei habe sie Manipulationen im Vaginalbereich mindestens mit dem Ultraschallgerät aber auch mit Fingern und dem Handrücken an ihren Genitalien bemerkt. Die Bewegungen durch den Arzt seien rhythmisch gewesen, sie habe dabei ihre Gesäßmuskulatur an- und entspannen müssen. Durch diesen Vorfall habe sie ein Trauma erlitten, das bis heute anhalte. Der Schockzustand habe zunächst auch dazu geführt, dass sie seinerzeit nichts unternommen habe, wie auch diverse andere Patientinnen, die ähnliche Übergriffe über sich hätten ergehen lassen müssen. Erst im Jahre 2002 seien allmählich Vorfälle von über 20 weiteren Patientinnen bekannt geworden, sodass entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet worden seien. Die Staatsanwaltschaft I. habe zutreffender weise sexuell motivierte Handlungen des Arztes festgestellt, habe jedoch bei der Subsumtion des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB (sexuelle Nötigung) Schwierigkeiten gesehen. Der Beklagte schätzte den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft I. aber falsch ein. Denn es sei zu berücksichtigen, dass dieser wohl Teil eines sog. "Deals" vor dem Hintergrund der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Landgericht I. gewesen sei. Hier hätten die geschädigten Patientinnen mit dem Arzt einen Vergleich derart geschlossen, dass sie gegenüber der Staatsanwaltschaft und der zuständigen Ärztekammer eine Erklärung abgaben, dass sie an weiteren Maßnahmen gegen den Arzt kein Interesse mehr hätten. Nur vor diesem Hintergrund habe eine freiwillige Schmerzensgeldzahlung des Arztes erzielt werden können. Dieser im Oktober 2003 geschlossene Vergleich habe im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft gestanden. Letztlich sei jedoch nicht eine strafrechtliche Verurteilung eines Täters zwingende Voraussetzung für einen tätlichen Angriff i.S. des § 1 OEG. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens habe damit kein Präjudiz. Die Grenze zur Gewalttat nach § 1 OEG sei jedenfalls dann überschritten, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand durch Tätlichkeiten aufrechterhalten werde. Dies gelte beispielsweise auch für ein Einsperren in einen umschlossenen Raum oder durch Blockieren von Ausgängen oder ein Festhalten durch List. Ihr Behandlungstermin sei von dem Arzt persönlich vergeben worden und zwar außerhalb der üblichen Sprechzeiten. Andere Personen seien in den Praxisräumen nicht mehr anwesend gewesen. Sie habe damit zu Recht davon ausgehen dürfen, dass sie sich der Tat durch Flucht nicht habe entziehen können. Hinzu sei die ärztliche Autorität gekommen, die Begründung der Vorgehensweise anlässlich der "Behandlung" durch den Schädiger sowie der Umstand, dass sie entkleidet gewesen sei. Fluchtgedanken seien von ihr vor diesem Hintergrund verworfen worden. Sie sei damit von einem Einsperren in einem umschlossenen Raum ausgegangen, während der Arzt sie durch List festgehalten habe. Für die Heimlichkeit des Vorgehens des Arztes spreche auch, dass die Tat außerhalb der Sprechstundenzeiten stattgefunden habe, der Termin nicht im PC notiert gewesen und auch eine Abrechnung mit der Krankenkasse nicht erfolgt sei. Ein unmittelbarer körperlicher Angriff ergebe sich schließlich daraus, dass sie nach der Behandlung des Arztes wund gewesen sei. Es werde die Situation verkannt, wenn ihr vorgeworfen würde, sie hätte den Arzt auf sein Verhalten ansprechen, sich anziehen und den Behandlungsraum verlassen können. Seit diesem Vorfall habe sie die Klägerin sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Im Verlauf dieser Therapie habe sich herausgestellt, dass sie schon in frühester Kindheit missbraucht worden sei, und zwar im unmittelbaren Verwandtenkreis. In einer weiteren Therapiestufe seien dann weitere Erinnerungen hervorgerufen worden, sodass der Täterkreis sich noch deutlich ausgeweitet habe.

Im Hinblick auf diese von ihr während der Psychotherapie erinnerten Ereignisse in der Kindheit und Jugend stellte die Klägerin im Mai 2009 einen weiteren Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung bei dem Beklagten. Dieser zog Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin des Versorgungsamtes K. (Gz. 31 200 29-14493 0) bei und veranlasste eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. L. vom 18. Dezember 2009. Danach sei die den medizinischen Unterlagen zu entnehmende psychische Störung mit einem GdS von 30 v.H. zu bewerten. Mit Bescheid vom 7. Januar 2010 lehnte der Beklagte den zweiten Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die von der Klägerin behaupteten Gewalttaten keine Gesundheitsstörungen verursacht hätten, die mit einem GdS von mindestens 50 v.H. zu bewerten seien. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2010 zurück. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf die Ausführungen in seinem Bescheid und ergänzte, dass die behandlungsbedürftige psychische Gesundheitsstörung erstmalig im Jahre 2000 aufgetreten sei, nachdem die Klägerin von einem sexuellen Missbrauch durch ihren damaligen behandelnden Arzt berichtet habe. Erst im Rahmen verschiedener psychotherapeutischer Behandlungen sei es dann zu Erinnerungen an die sexuellen Missbrauchsvorgänge gekommen, die in der Kindheit der Klägerin stattgefunden haben sollen. Aufgrund des langen zeitlichen Abstandes zwischen dem erstmaligen Auftreten der psychischen Störungen (2001) und dem schädigenden Ereignis (1966 bis 1973) werde sich ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lassen. Die von der Klägerin hiergegen erhobene Klage wird zurzeit vor dem Sozialgericht Hannover (Az.: S 18 VE 26/10) geführt.

Im hiesigen Rechtsstreit hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens durch die Psychiaterin und Psychotherapeutin M ... Diese Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 4. Oktober 2011 "posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig schwer ausgeprägt, Panikstörung und eine somatoforme Schmerzstörung" diagnostiziert und ist zu der Einschätzung gelangt, dass die posttraumatische Belastungsstörung wahrscheinlich durch den Vorfall während der Ultraschalluntersuchung am 26. Juni 2000 derart mitverursacht worden sei, dass diese Einwirkung im Verhältnis zu den übrigen schädigungsunabhängigen Mitursachen zumindest annähernd eine gleichwertige Bedeutung zukomme. Die Schmerzstörung, die Panikstörung und die rezidivierende depressive Störung seien durch das genannte Ereignis dauerhaft verschlimmert worden. Der GdS sei mit 40 v.H. zu bestimmen.

Mit Urteil vom 20. März 2012 hat das Sozialgericht auf dieses Gutachten gestützt den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin infolge des Vorfalls vom 26. Juni 2000 ab dem 1. Dezember 2007 als Schädigungsfolgen die Gesundheitsstörungen "1. posttraumatische Belastungs-störung. 2. Rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig schwer ausgeprägt. 3. Panikstörung. 4. somatoforme Schmerzstörung" mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 40 (§ 30 Abs. 1 BVG) festzustellen und ihr infolge dieser Schädigungsfolgen ab dem 1. Dezember 2007 Beschädigtenversorgung zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zur Überzeugung des Gerichts feststehe, dass der Arzt am 26. Juni 2000 in sexuell motivierter Absicht mit einem Ultraschallkopf sowie seiner Hand die Genitalien der Klägerin über mehrere Minuten berührt habe. Bei diesen von dem Arzt vorgenommenen Handlungen handele es sich um einen rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S. des § 1 OEG. Zwar liege eine sexuelle Nötigung i.S. von § 177 Abs. 1 StGB nicht vor. Es liege aber eine mittels einer Tätlichkeit begangene Beleidigung vor (§ 185 StGB), denn die gegen den Willen der Klägerin vorgenommenen sexualbezogenen Handlungen verletzten ihren sozialen Achtungsanspruch, der ihr in dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin als Patientin zukomme. Diese Handlungen enthielten einen eigenen Handlungsunwert, den der Gesetzgeber in § 185 StGB unter Strafe gestellt habe. Der Arzt habe durch seine Handlungen gegenüber der Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass er sie nicht so achte, wie es ihr aufgrund ihres sozialen Geltungsanspruches als Patientin zustehe. Vielmehr habe er ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass sie für ihn ein bloßes Objekt zur Befriedigung seiner Phantasien darstelle, über das er nach seinem Belieben verfügen könne.

Gegen das ihm am 10. Mai 2012 zugestellte Urteil wendet sich die am 1. Juni 2012 eingegangene Berufung des Beklagten. Er macht im Wesentlichen geltend, dass das Sozialgericht die von dem Arzt an der Klägerin vorgenommenen Handlungen zu Unrecht als rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S. des § 1 OEG bewertet habe. Ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung setze in irgendeiner Form eine Gewaltanwendung gegenüber dem Opfer voraus. Schon laienhaft betrachtet müsse man zu dem Ergebnis kommen, dass der Arzt gegenüber der Klägerin Gewalt nicht angewendet habe. Vielmehr habe er seine Eigenschaft als behandelnder Arzt ausgenutzt und der Klägerin vorgespielt, eine notwendige ärztliche Untersuchung durchführen zu müssen. Im Vertrauen darauf, also täuschungsbedingt, habe die Klägerin die tatsächlich sexuell motivierten Handlungen an sich geduldet. Sie hätte jedoch jederzeit, wie es im weiteren Verlauf der Untersuchung dann auch tatsächlich geschehen ist, diese abbrechen und die Praxis verlassen können. Jedenfalls hätte sie den Arzt auf seine Untersuchungsmaßnahmen ansprechen und ihr Missfallen äußern können. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich in einer schutzlosen Lage befunden hätte oder der Arzt der Klägerin unüberwindbare körperliche Gewalt entgegengesetzt hätte, seien nicht ersichtlich. Ein vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff zeichne sich durch mehr aus, als eine wie auch immer geartete körperliche Einwirkung. Hilfsweise werde auch der vom Gericht festgestellte GdS gerügt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 20. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 20. März 2012 zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und betont noch einmal, dass die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien. So verkenne der Beklagte, dass der behandelnde Arzt seine Garantenstellung ausgenutzt habe. Die Kriterien einer Gewalttat i.S. des OEG seien auch dann erfüllt, wenn ein Opfer deshalb keinen Widerstand leiste, weil es von vornherein aufgrund der deutlichen Überlegenheit des Täters darauf verzichte oder der Täter im Rahmen eines besonderen Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnisses diese Umstände der Tat ausnutze. Weil sie auf dem Bauch gelegen und das Gesicht des Arztes nicht gesehen habe, habe sie längere Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass es sich um sexuell motivierte Handlungen gehandelt habe. Sie habe vergeblich gehofft, dass diese aufhören und habe keine Möglichkeit gesehen, die Flucht zu ergreifen. Denn zum einen habe sie befürchtet, die Situation zu verschlimmern, z.B. durch unmittelbare Einwirkung physischer Gewalt. Zum anderen habe sie gleichzeitig einen Fluchtversuch für zwecklos gehalten, weil sie im Intimbereich entkleidet gewesen und darüber hinaus auch davon ausgegangen sei, dass sie eingeschlossen war. Davon abgesehen sei sie in eine regelrechte Schockstarre verfallen, die zu einer Handlungsunfähigkeit geführt habe. Hinzu sei ein Wundscheuern im Intimbereich getreten.

Dem Senat haben außer der Prozessakte die Verwaltungsakte des Beklagten, die Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes K. (Gz. 31 200 29-14493 0) Aktenauszüge des Landgerichts I. (Az.: 1 O 181/03), die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft I. (Az.: 203 JS 4131/02), Ablichtungen aus dem Verfahren des Sozialgerichts Hannover S 18 VE 26/10 sowie der dazugehörigen Verwaltungsakte vorgelegen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

Sie ist auch begründet. Nach Auffassung des Senats hat die Klägerin weder einen Anspruch auf Feststellung von Schädigungsfolgen, noch auf die Gewährung von Versorgung. Beides setzt gemäß § 1 Abs. 1 OEG voraus, dass sie Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden wäre. Daran fehlt es.

Das zentrale Tatbestandsmerkmal des § 1 OEG (tätlicher Angriff) wurde durch eine Vielzahl von gerichtlichen Entscheidungen konturiert. Das BSG hat die im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen genommene Entwicklung dieses Rechtsbegriffs jüngst zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung des sog. "Stalking" nachgezeichnet (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VG 2/10 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Diese Rechtsprechung berücksichtigt seit jeher, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist; gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des "tätlichen Angriffs". Mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes hat sie sich aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen Absicht des Täters) gelöst. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG dabei vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden.

Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG Urteil vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, hat das BSG bereits entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff (vgl. z.B. § 240 StGB) eingeschränkt hat (vgl. BSG Urteil vom 28. März 1984, 9a RVg 1/83, SozR 3800 § 1 Nr. 4 S. 9 (Flucht vor Einbrecher); BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, B 9 VG 4/00 R, SozR 3-3800 § 1 Nr. 18 S. 73 (Mobbing)). Dabei hat das BSG betont, dass sich der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person auszeichnet (vgl. insbesondere BT-Drucks 7/2506 S 10), also körperlich (physisch) auf einen anderen einwirkt; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt i.S. des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VG 2/10 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18).

Nach der Rechtsprechung des BSG liegt ein tätlicher Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG also im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor. Eine erste Modifikation hat diese Rechtsprechung im Hinblick auf sexuellen Missbrauch an Kindern erfahren: Eine Gewalttat i.S. des OEG kann auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein, d.h., § 1 Abs. 1 OEG schließt die Entschädigung in solchen Fällen nicht aus, in denen der Täter gegenüber einem Kind ohne Gewalt und ohne Tätlichkeit, sondern nur mit List, unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses und spielerisch vorgegangen ist (vgl. BSG Urteile vom 18. Oktober 1995, 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93, SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw. SozR 3-3800 § 1 Nr. 7).

In einer weiteren Entscheidung hat das BSG im Hinblick auf eine durch einen freiwillig ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragene HIV-Infektion entschieden, dass der Sexualkontakt als solcher im allgemeinen nicht als "gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht" gelten könne: ein solcher Angriff werde bei Erwachsenen erst dann vorliegen, wenn der Sexualkontakt dem Partner aufgenötigt werde, obwohl dieser ihn ablehnt oder gar abwehrt, also insbesondere bei Notzuchtverbrechen. Allerdings - so das BSG - sei indessen zwischen dem Sexualkontakt als solchem und einer bei dieser Gelegenheit zugefügten, vom Opfer nicht gebilligten Infektion zu unterscheiden: die Beibringung von lebensgefährlichen Krankheitserregern müsse als eine gegen einen anderen gerichtete feindliche Aktion angesehen werden, auch wenn eine besondere Kraftentfaltung nicht erforderlich und der Vorsatz nur bedingt gewesen sei. Sie ist damit ein tätlicher Angriff i.S. des OEG, ohne dass noch eine besondere feindselige Einstellung des Täters als innere Tatsache festzustellen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995, 9 RVg 5/95, SozR 3-3800 § 2 Nr. 3). Zusammengefasst ist das BSG damit einem an Aggression orientiertem Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs trotz dessen inhaltlicher Nähe zur Gewalttätigkeit letztlich nicht gefolgt: Der "tätliche Angriff" setzt nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus.

Zu berücksichtigen ist auch, dass für die Annahme eines tätlichen Angriffs nicht maßgeblich ist, ob der vom Täter ggf. beabsichtigte Verletzungserfolg eingetreten ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 1984, 9a RVg 1/83, SozR 3800 § 1 Nr. 4 S. 9). Auch über das Versuchsstadium einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Opfers hinaus, kann eine Handlung des Täters als tätlicher Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG angesehen werden. Eine gewaltsame Einwirkung auf den Körper eines anderen kann auch schon bei einem physisch vermittelten Zwang vorliegen, ohne dass es zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer kommen muss (vgl. etwa BSG, Urteil vom 24. September 1992, 9a RVg 5/91, USK 9237; Urteil vom 12. Dezember 1995, 9 RVg 1/94, SozR 3-3800 § 10a Nr. 1 S. 2). Ungeachtet eines verwirklichten Verletzungserfolgs besteht in diesen Fällen wegen der Angriffshandlung bereits eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der anderen Person; damit geht regelmäßig die reale Gefahr eines Körperschadens einher. Ob in diesen Fällen die Grenze zum tätlichen Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG überschritten ist, beurteilt das BSG aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten und orientiert sich dabei an folgenden Grundsätzen: Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozialadäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist grundsätzlich so zu bestimmen, dass auch das bereits objektiv hochgefährdete Opfer bei Abwehr-, Ausweich- oder Fluchtreaktionen den Schutz des OEG genießt; sie ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre (BSG, Urteil vom 24. Juli 2002, B 9 VG 4/01 R, SozR 3-3800 § 1 Nr. 22 S 103 f). Die Angriffshandlung (bzw. der Einsatz körperlicher Mittel) muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Das BSG hat insoweit in einem Fall der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) allein das Wegversperren und das Zurückstoßen und -drängen des Opfers zur Durchsetzung des Verbots, die Wohnung zu verlassen, ausreichen lassen, um das Vorliegen eines tätlichen Angriffs zu bejahen. Aus einem solchen Verhalten des Täters kann der Schluss auf eine drohende verstärkte Gewaltanwendung bei einem ggf. beabsichtigten Widerstand des Opfers gezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2006, B 9a VG 4/05 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 10 RdNr 14) und damit auf eine objektiv hohe Gefährdungslage für das Opfer. Entsprechendes gilt für das absichtliche Versperren eines Fahrradweges, das im Falle der Kollision mit einer erheblichen Verletzungsgefahr für das Opfer verbunden ist (vgl BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 9 RVg 1/94, SozR 3-3800 § 10a Nr. 1 S. 2), sowie für das Zünden von Feuerwerkskörpern in unmittelbarer Nähe einer anderen Person (vgl hierzu BSG, Urteil vom 3. Februar 1999, B 9 VG 7/97 R, SozR 3-3800 § 1 Nr. 14 S. 57; BSG, Urteil vom 28. Mai 1997, 9 RVg 1/95, USK 9714; vgl auch BSG, Urteil vom 24. April 1991, 9a/9 RVg 1/89, SozR 3-3800 § 1 Nr. 1 S. 3 f).

Zu berücksichtigen ist ferner, dass von den Kriterien eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG auch bei den Fällen des sog "Schockschadens" keine Ausnahme gemacht wird. Insoweit ist nur zwischen dem schädigenden Vorgang - der "unmittelbaren Einwirkung" auf den Körper des Primäropfers - und der geschädigten Person - der "unmittelbaren Schädigung" des Sekundäropfers - zu unterscheiden.

In seine Überlegungen einzubeziehen hat der Senat auch die Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf die Beurteilung eines kosmetischen ärztlichen Eingriffs als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff. Das BSG hat in dieser Entscheidung ausdrücklich betont, dass der als "feindselige" Einwirkung auf den Körper eines anderen definierte tätliche Angriff lediglich erfordert, dass (objektiv) gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, das die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützt. Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist danach, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist - was u.a. vom Vorliegen einer (wirksamen) Einwilligung des Patienten in den Eingriff abhängig ist. Bei diesem Gedanken hat es das BSG jedoch nicht belassen, sondern eine Einschränkung für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs entwickelt: Selbst wenn ein solcher Eingriff strafrechtlich als vorsätzliche Körperverletzung anzusehen ist, müssen bestimmte weitere Voraussetzungen hinzutreten, um die Grenze zu einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu überschreiten. Ein Patient wird unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG nur dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintanstellt (zum Vorstehenden vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17).

Für die - insbesondere bei dem Phänomen des "Stalkings" relevanten - Fälle der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, bei denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw. an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, hat das BSG entschieden, dass für das Tatbestandsmerkmal eines "tätlichen Angriffs" jedenfalls auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib oder Leben des Opfers abzustellen ist und bei der Würdigung des Tatgeschehens insoweit alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, die auf eine objektiv hohe Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Integrität des Opfers schließen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VG 2/10 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Dabei hat das BSG ausdrücklich betont, dass mit Rücksicht auf die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll (vgl. BT-Drucks 7/2506 S 10) die Grenze der Wortlautinterpretation des § 1 Abs. 1 OEG jedenfalls dann erreicht ist, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl. auch BSG, Urteil vom 17. April 2013, B 9 V 3/12 R, zit. nach juris).

Schließlich hat der Senat auch die Entscheidung des BSG vom 8. Oktober 2012 (Az.: B 9 V 39/12 B) zu berücksichtigen. Zu der Frage des Vorliegens eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG bei Vornahme sexueller Handlungen gegen den Willen, aber ohne aktive Gegenwehr des Opfers hat das BSG ausdrücklich auf seine Entscheidung vom 16. April 2002 (B 9 VG 1/01 R, SozR 3-3800 § 1 Nr. 21) hingewiesen, wonach für die Annahme eines tätlichen Angriffs bei einer strafbaren Inzestbeziehung zwischen einem Vater und seiner volljährigen Tochter das Erzwingen des Geschlechtsverkehrs verlangt worden war. Das BSG hat in dieser Entscheidung betont, dass die Feststellung "dass die sexuelle Beziehung gegen den Willen [ ] bestanden hat" nicht für die Prüfung des § 1 OEG ausreiche; maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 1 OEG erfüllt seien, sei vielmehr, ob die strafbare langjährige Inzestbeziehung auch zu dem Zeitpunkt des zu beurteilenden Geschlechtsverkehrs noch erzwungen gewesen sei.

Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt, ist die Klägerin nicht Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden. Zur Überzeugung des Senates steht folgender Geschehensablauf fest: Die Klägerin erschien am 26. Juni 2000 um 19.00 Uhr in der Arztpraxis des Schädigers. Dieser öffnete der Klägerin die Tür, sonst war niemand anwesend. Untersucht werden sollte das rechte Bein der Klägerin oberhalb des Knies, vom Knie aufwärts. Die Untersuchung begann wie immer: Die Klägerin stellte sich auf die Liege, der Arzt holte das Untersuchungsgerät (Ultraschall) und begann dann die Untersuchung. Während der Untersuchung bat der Arzt die Klägerin, sich auf den Bauch zu legen und den Slip auszuziehen. Der Arzt ist sodann mit dem Ultraschallgerät am rechten Bein aufwärts gefahren und hat die Klägerin dabei aufgefordert, die Beine weiter zu spreizen. Anschließend ist er mit dem Ultraschallgerät bis in den Vaginalbereich gekommen und ist dann mit dem Gerät immer hin- und hergegangen. Nach Einschätzung der Klägerin dauerte diese Manipulation im Vaginalbereich ungefähr 30 bis 45 Minuten plus/minus 15 Minuten. Während dieser Handlung war die Klägerin irritiert und hat überlegt, ob sie etwas dazu sagen soll, oder nicht. Zunächst hatte sie von Protest abgesehen, weil sie einerseits dachte, dass der Arzt wissen müsse, was zur Untersuchung gehöre und andererseits befürchtete, dass der Arzt ihr vorwerfen könnte, sie "würde spinnen". Nach einer Weile hat die Klägerin die Manipulationen dann jedoch nicht mehr ertragen und damit aufgehört, die ihr vom Arzt vorgegebenen Bewegungen auszuführen (An- und Entspannen der Pomuskulatur). Die Klägerin ist sodann aufgestanden, hat sich angezogen und ist gegangen. Wegen Verletzungen befragt, hat die Klägerin angegeben, hinterher das Gefühl gehabt zu haben, dass sie wund gewesen sei, was jedoch am nächsten Tage weggegangen war. Schmerzen über mehrere Tage hatte die Klägerin nicht.

Der vorliegende Fall zeichnet sich also dadurch aus, dass einerseits - anders, als z.B. beim Stalking - eine körperliche (physische) Einwirkung des Schädigers auf die Klägerin durchaus stattgefunden hat. Andererseits vermag der Senat eine "körperliche Gewaltanwendung" nicht zu erkennen: Die Klägerin hat sich - in Erwartung der ärztlichen Untersuchung - freiwillig ausgezogen, auf die Liege gelegt und die vermeidliche Untersuchung erduldet. Der Arzt hat die Manipulationen im Vaginalbereich zu keinem Zeitpunkt mit Gewalt erzwungen bzw. einen von der Klägerin hiergegen gerichteten körperlichen Widerstand überwinden müssen. Die Klägerin war während der Untersuchung auch nicht eingeschlossen oder in sonstiger Weise ihrer Widerstandskraft beraubt. Allein das Vertrauen der Klägerin in die vermeidliche Untersuchung sowie die Kompetenz des Arztes ("er muss wissen, was er tut") hat dazu geführt, dass sie die Manipulationen des Arztes zunächst widerstandslos erduldet hat. Vergleichbar ist diese Fallkonstellation am ehesten mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern, der ohne Gewalt und ohne Tätlichkeit, sondern nur mit List und unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses durchgeführt wird. Allerdings hat der erkennende Senat unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 7. April 2011 (B 9 VG 2/10 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18) bereits entschieden, dass die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Gewaltopferentschädigung beim gewaltlosen Missbrauch von Kindern sich nur auf den in § 176 StGB besonders geschützten Personenkreis erstrecken, also insbesondere nicht auf Opfer im Erwachsenenalter übertragbar sind (vgl. Urteil des Senates vom 7. Juni 2012, L 10 VG 26/09, SozialVerw 2013, 46). Der Senat hält auch im vorliegenden Fall an dieser Sichtweise fest. Denn hinter dieser Rechtsprechung steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen. Widerstandsunfähig kann dabei nach Ansicht des Senates nur sein, wer unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen; das Opfer muss zum Widerstand gänzlich unfähig sein. Dies aber trifft auf die Klägerin nicht zu: Sie war in ihrer körperlichen Widerstandsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt. Soweit sie behauptet, während der "Behandlung" geradezu in eine Schockstarre verfallen zu sein, vermag dies an den Bewertungen des Senates nichts zu ändern. Denn es erscheint dem Senat durchaus plausibel, dass eine Patientin, die das von der Klägerin Erlebte erfährt, im ersten Moment die ärztliche Handlung nicht richtig einordnen kann und danach entsetzt, fassungslos, erschrocken und/oder gar erstarrt reagiert. Ein solches Verhalten dürfte dem Üblichen entsprechen und je nach Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Dass aber etwa die "Schockstarre" der Klägerin in Art und Ausmaß über eine übliche Reaktion hinausgegangen ist und die Klägerin in ihrer Widerstandsfähigkeit derart eingeschränkt hat, dass sie zum Widerstand gänzlich unfähig war, ist durch nichts belegt. Im Gegenteil wird daran, dass die Klägerin das Tun des Arztes letztlich beendet hat, indem sie aufgestanden und gegangen ist, deutlich, dass sie sehr wohl zur Gegenwehr fähig war.

Allerdings setzt nach der Rechtsprechung des BSG der "tätliche Angriff" nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, so dass u.U. auch ein gewaltloses Berühren - hier zumal im Geschlechtsbereich - den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG genügen könnte. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass das BSG die Frage, ob die Grenze zum tätlichen Angriff überschritten ist, aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten beurteilt und sich dabei an folgenden Grundsätzen orientiert: Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild ist, bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftentwicklung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufes - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Dabei hat das BSG in seinen früheren Entscheidungen auf eine objektiv hohe Gefährdungslage (BSG, Urteil vom 30. November 2006, B 9a VG 4/05 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 10), eine ernsthafte Verletzungsgefahr (vgl. Urteil vom 12. Dezember 1995, 9 RVg 1/94, SozR 3-3800 § 10a Nr. 1), eine objektive Gefahr für Leib oder Leben (Urteil vom 7. April 2011, B 9 VG 2/10 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18) bzw. Lebensgefahr (Urteil vom 18. Oktober 1995, 9 RVg 5/95, SozR 3-3800 § 2 Nr. 3) abgestellt. Damit ist sämtlichen Entscheidungen gleichsam die Voraussetzung zu entnehmen, dass bei nur geringer Kraftentwicklung des Täters die Gefährdungslage für das Opfer als erheblich angesehen werden muss, um § 1 Abs. 1 OEG bejahen zu können. Dies war im vorliegenden Fall nicht so: Eine objektive Gefahr für Leib und Leben der Klägerin hat durch die vermeindliche Untersuchung des Arztes offenkundig nicht bestanden.

Auch die Entscheidung des BSG im Hinblick auf die Beurteilung eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff kann im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Zwar dürfte die "Behandlung" objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl der Klägerin, sondern ausschließlich dem sexuellen Lustgewinn des Arztes gedient haben. Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist aber, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Hierfür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Zwar hat die Klägerin behauptet, aufgrund der Manipulationen des Arztes im Vaginalbereich wund gewesen zu sein. Ein solcher Umstand ist jedoch für den Senat nicht mit Vollbeweis erwiesen. Ärztliche Unterlagen, die ein Wundsein belegen, sind nicht vorhanden. Und die Klägerin selbst hat hierzu zunächst auch nur erklärt, hinterher "das Gefühl" gehabt zu haben, wund gewesen zu sein (vgl. Aktenvermerk der Kanzlei Dr. N. & O. vom 19. Juni 2002). Dieses Gefühl sei dann am nächsten Tage weggegangen, Schmerzen über mehrere Tage hat die Klägerin nicht gehabt. Weder hat die Klägerin bei Formulierung ihrer Strafanzeige am 28. Mai 2002, noch bei ihren ergänzenden Angaben am 31. Mai 2002 von einer Wunde berichtet. Auch in dem Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung vom Januar 2008 hat die Klägerin eine Wunde als gesundheitliche Beeinträchtigung nicht aufgeführt. Für den Senat ist es vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin durch die Handlung des Arztes tatsächlich eine Wunde - d.h. eine Trennung des Gewebszusammenhangs an äußeren Körperoberflächen mit oder ohne Gewebsverlust - erlitten hat.

Der Senat kann es vor diesem Hintergrund dahingestellt sein lassen, ob der zivilgerichtliche Vergleich, den die Klägerin mit dem Schädiger vor dem Landgericht I. (Az.: 1 O 181/03) geschlossen hat, im Hinblick auf § 2 Abs. 2 oder § 5 OEG Auswirkungen auf ihren Anspruch auf Versorgungsleistungen haben könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.