Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 14.11.2013, Az.: L 10 SB 166/12

Schwerbehindertenrecht; GdB-Bemessung bei Brustdrüsenkrebs; Rezidivfreier Ablauf der Heilungsbewährung als Zäsur zur Neufeststellung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
14.11.2013
Aktenzeichen
L 10 SB 166/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 51360
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2013:1114.L10SB166.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 30.08.2012 - AZ: S 1 SB 373/10

Redaktioneller Leitsatz

1. Im Rahmen der wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Sonderfall die Neufeststellung nach Ablauf der Heilungsbewährung bei Krebserkrankungen.

2. Während des Zeitraums der Heilungsbewährung ist pauschal ein höherer GdB anzusetzen als der in der Regel aufgrund der tatsächlich festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen zustehende.

3. Erst nach rezidivfreiem Ablauf ist sodann eine Feststellung nach den tatsächlich verbliebenen Beeinträchtigungen (Gewebeverlust, Narbensituation, psychische Folgebeeinträchtigungen) vorzunehmen.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 30. August 2012 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage der Rechtmäßigkeit einer Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach Ablauf der regelmäßig bei Krebserkrankungen vorgesehenen Zeit der Heilungsbewährung im Falle einer Brustkrebserkrankung mit nachweislich erhöhtem Risiko eines erneuten Auftretens.

Die 1954 geborene Klägerin ist im Jahr 2002 an einem Mammacarzinom rechts sowie im Jahr 2004 an einem Mammacarzinom links erkrankt. Es wurde jeweils brusterhaltend operiert, zuletzt am 30. März 2004, sowie eine Chemotherapie und Bestrahlung durchgeführt. Mit Bescheid vom 19. September 2002 stellte der Beklagte zunächst einen GdB von 60 und mit weiterem Bescheid vom 27. Oktober 2004 einen GdB von 100 fest. Dem zugrunde gelegt wurde zuletzt die Funktionsbeeinträchtigung "Verlust beider Brustdrüsen" im Stadium der Heilungsbewährung. Dabei wies der Beklagte darauf hin, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung im April 2009 der GdB überprüft und entsprechend den dann noch verbliebenen tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen gegebenenfalls neu festgesetzt werde.

Im Februar 2005 ließ die Klägerin vorsorglich eine operative Entfernung der Eierstöcke vornehmen. Im September 2005 ergab eine molekulargenetische Untersuchung bei der Klägerin eine Mutation im BRCA1-Gen.

Nachdem der Beklagte im Rahmen der im April 2009 eingeleiteten Überprüfung festgestellt hatte, dass sich ausweislich der Berichte des Brust-Zentrums Göttingen vom 17. November 2008 und 15. Juni 2009 bei bestehender BRCA1-Positivität kein Hinweis auf ein Tumorrezidiv ergeben hatte, hörte er die Klägerin mit Schreiben vom 21. Juli 2009 zu der beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 40 an. Hierauf machte die Klägerin geltend, dass aufgrund ihrer genetischen Disposition ein deutlich erhöhtes Rezidivrisiko bestehe. Dieses Wissen führe zu erheblichen psychischen Belastungen mit Ängsten und Schlafstörungen. Zudem leide sie infolge der Entfernung der Eierstöcke an extremen Wechseljahrsbeschwerden. Die behandelnde Ärztin für Schmerztherapie und Homöopathie Dr. I. teilte in einem Befundbericht vom 1. Oktober 2009 eine regelmäßige homöopathische Behandlung der Klägerin wegen des Zustandes nach Mammacarzinom und Radio-Chemotherapie sowie wegen Schlafstörungen und einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit. Nach erneuter Anhörung mit Schreiben des Beklagten vom 26. Oktober 2009 legte die Klägerin ergänzend ein Attest des Radiologen Prof. Dr. J. vom Brust-Zentrum K. vom 21. Januar 2010 vor, wonach aufgrund des positiven BRCA1-Nachweises ein um den Faktor 10 höheres Risiko für die Entstehung eines neu auftretenden Mammacarzinoms bestehe. Mit Bescheid vom 17. Februar 2010 stellte der Beklagte mit Wirkung ab dem 1. März 2010 einen GdB von 40 fest und legte als Funktionsbeeinträchtigungen eine "Brusterkrankung beidseits nach Ablauf der Heilungsbewährung" sowie "narbige Veränderungen" zugrunde. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagten nach Einholung und Auswertung eines weiteren Befundberichtes von Dr. I. vom 12. August 2010 mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2010 als unbegründet zurück.

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Braunschweig hat die Klägerin unter Bezugnahme auf ihren bereits im Anhörungs- und Widerspruchsverfahren erfolgten Vortrag eine außergewöhnliche seelische Belastung aufgrund des nachweislich stark erhöhten Rezidivrisikos geltend gemacht. Das Sozialgericht hat zur ergänzenden Klärung des Sachverhaltes einen weiteren Befundbericht der behandelnden Ärztin Dr. I. vom 10. August 2011 eingeholt. Mit Urteil vom 30. August 2012 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den angefochtenen Herabsetzungsbescheid aufgehoben. Der Beklagte habe zu Unrecht eine Herabsetzung des GdB aufgrund der Heilungsbewährung vorgenommen. Die pauschalierte Annahme einer Heilungsbewährung nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes sei hier nicht gerechtfertigt. Mit der Anhebung des GdB während der Heilungsbewährungszeit bei Krebserkrankungen werde unter anderem der Ungewissheit bezüglich des Eintritts eines Rezidivs und der dadurch bedingten besonderen psychischen Belastung Rechnung getragen. Die typische Situation, dass nach einer statistisch bemessenen Zeit des Abwartens die Ungewissheit zum Großteil als erledigt gelte, habe bei der Klägerin jedoch nicht bestanden. Hier sei auf eine aufgrund des erhöhten Rezidivrisikos stärker zu bewertende, fortbestehende psychische Belastung abzustellen, die eine über den pauschalen Zeitraum andauernde Phase der Heilungsbewährung rechtfertige.

Gegen das ihm am 28. September 2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23. Oktober 2012 Berufung eingelegt. Er nimmt zur Begründung Bezug auf eine versorgungsärztliche gutachtliche Stellungnahme der Leitenden Medizinaldirektorin Dr. L. vom 3. November 2012 und trägt unter anderem vor, dass der Begriff der Heilungsbewährung ein sozialrechtlicher Terminus sei und nicht gleichbedeutend mit Heilung im medizinischen Sinne. Die Begründung, dass aufgrund der Genmutation keine Heilungsbewährung festgestellt werden könne, sei nicht korrekt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass bislang keine weiteren Rezidive bei der Klägerin aufgetreten seien. Die Tatsache, dass auch weiterhin ein Restrisiko einer erneuten Erkrankung bestehe, betreffe nicht nur Patientinnen mit einer Mutation des BRCA1-Gens.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 30. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 30. August 2012 zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und verweist auf eine Stellungnahme des Radiologen Prof. Dr. J. vom Brustzentrum K. vom 18. Januar 2013 worin dieser erneut ein drastisch erhöhtes Risiko für die Entstehung von Brustkrebs bei der Klägerin bescheinigt. Es liege bei ihr ein um den Faktor 5-6 höheres Risiko für die Entstehung eines neu auftretenden Mammacarzinoms als bei Frauen ohne Keimbahnmutation vor.

Der Senat hat zur ergänzenden Klärung des Sachverhaltes nochmals einen Befundbericht der behandelnden Ärztin Dr. I. vom 29. April 2013 eingeholt.

Dem Gericht haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten des Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Braunschweig ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Herabsetzung des GdB nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit erfolgte rechtmäßig. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ist tatsächlich kein höherer GdB als 40 bei der Klägerin mehr festzustellen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des vom Sozialgericht im Wesentlichen in Bezug genommenen Urteils des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25. Mai 2005 [L 6 SB 55/04]. Der darin getroffenen Einzelfallentscheidung vermag der Senat sich, anders als das Sozialgericht im vorliegenden Fall, nicht anzuschließen.

Zunächst ist das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der angegriffene Herabsetzungsbescheid keine Dauerwirkung hat und deshalb für die Beurteilung der von der Klägerin erhobenen reinen Anfechtungsklage maßgeblich ist, ob der Verwaltungsakt bei seinem Erlass der Sach- und Rechtslage entsprochen hat, wobei auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens mit dem Widerspruchsbescheid, hier vom 18. November 2010, abzustellen ist [vgl. BSG, Urteil vom 13. August 1997, Az.: 9 RVs 10/96, SozR 3-3870 § 4 Nr. 21].

Rechtsgrundlage für die Neufeststellung des GdB ist § 48 SGB X. Nach Abs. 1, Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung kann sowohl darin bestehen, dass weitere Behinderungen hinzugetreten sind oder sich bereits festgestellte Behinderungen derart verschlimmert haben, dass sie mit einem höheren GdB zu bewerten sind, als auch darin, dass Behinderungen weggefallen sind oder sich festgestellte Behinderungen derart verringert haben, dass sie nur noch einen geringeren GdB bedingen. Erforderlich ist eine Gegenüberstellung der objektiven Befunde, die der letzten bindend gewordenen Feststellung des Versorgungsamtes zugrunde lagen und der Befunde, die nunmehr vorliegen. Wesentlich ist eine Änderung im Bereich des Schwerbehindertenrechts nur dann, wenn sie eine Änderung des Gesamt-GdB um mindestens 10 bedingt.

Einen Sonderfall stellt dabei die Neufeststellung nach Ablauf einer Heilungsbewährung dar. Hier wird zunächst für den Zeitraum der Heilungsbewährung pauschal ein höherer GdB angenommen, als sich in der Regel aufgrund der tatsächlich festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt, und nach erst Ablauf des Zeitraumes eine Feststellung nach den tatsächlichen verbliebenen Beeinträchtigungen getroffen. Nach § 69 Abs. 1 SGB IX sind das Vorliegen einer Behinderung und die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (Beeinträchtigung) mit einem GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Grundlagen für die Bewertung des GdB bilden die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung einschließlich der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" zu deren § 2 (nachfolgend: Anlage) sowie die in der Zeit zuvor maßgeblichen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP). Letztere waren, obwohl keine Rechtsnorm, nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), als antizipierte Sachverständigengutachten im Interesse einer Gleichbehandlung als geeignete Hilfe zur Einschätzung und Feststellung des GdB heranzuziehen.

Im Jahr 2004 ist bei der Klägerin, seinerzeit im Einklang mit Nr. 26.14 der damals anzuwendenden AHP (Stand 2004) wegen der wiederholten Tumorerkrankung der Brust beidseits ein GdB von 100 festgestellt worden und nach Entfernung des zweiten Tumors eine (weitere) Heilungsbewährung von fünf Jahren abzuwarten gewesen. Nach Nr. 18 Abs. 7 AHP (entsprechend Teil A Nr. 2 h Anlage zu § 2 VersMedV) handelt es sich bei der Heilungsbewährungszeit um einen Zeitraum, in dem bei Gesundheitsstörungen, die, wie die hier vorliegenden Brustkrebserkrankung, zu Rezidiven neigen, der Verlauf der Genesung abgewartet werden muss. Die Entfernung des Tumors ist am 30. März 2004 erfolgt, sodass der Heilungsbewährungszeitraum im April 2009 abgelaufen gewesen ist. Wie oben bereits ausgeführt, ist die Heilungsbewährung ein sozialrechtliches Institut, das nach Maßgabe der früheren AHP wie auch der nachfolgend seit dem 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Anlage zu § 2 VersMedV Folgendes beinhaltet: Im Rahmen bestimmter Erkrankungen, wie z.B. bösartiger Tumorerkrankungen, ist nach der Tumorentfernung im Sinne einer Primärtherapie für eine bestimmte Zeit pauschal ein höherer GdB anzunehmen, als in der Regel aufgrund der infolge des Organschadens bzw. der Therapiefolgen tatsächlich bedingten Funktionsbeeinträchtigungen gerechtfertigt wäre. Dies soll neben der Rezidivgefahr insbesondere auch die weiteren vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind, berücksichtigen [vgl. Bundessozialgericht (BSG) Urteil vom 9. August 1995, B 9 RVs 14/94, juris], und zwar unabhängig davon, ob diese Folgewirkungen im konkreten Fall tatsächlich eingetreten sind oder nicht. Hinsichtlich der Rezidivgefahr rechtfertigt im Übrigen nicht diese per se, sondern die durch das Wissen des Erkrankten um die Gefahr bedingte, generell unterstellte besondere psychische Belastung eine Höherbemessung des GdB, und zwar ohne Prüfung inwieweit sich diese Belastung im Einzelfall tatsächlich auswirkt. Nach rückfallfreiem Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung tritt insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X ein, als jetzt nicht nur nach medizinischer Erfahrung regelmäßig die Krebserkrankung in dem Sinne überwunden ist, dass eine unmittelbare Lebensbedrohung nicht mehr besteht, sondern als außerdem die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung entfallen oder wenigstens gemindert sind, so dass eine von den konkreten Verhältnissen unabhängige abstrakte Einschätzung des GdB nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies gilt unabhängig von dem etwaigen Fortbestehen eines Rezidivsrisikos auch im Hinblick auf die darauf etwa zurückzuführenden psychischen Belastungen. Denn auch bei womöglich objektiv unverändertem Rezidivrisiko kann das Ausmaß der psychischen Beeinträchtigung nachlassen. Der Eintritt der Heilungsbewährung bedeutet damit nicht in erster Linie, dass nach rückfallfreiem Zeitablauf keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht, sondern insbesondere, dass die bisherige abstrakte Bewertung der unterstellten körperlichen und seelischen Auswirkungen der Erkrankung nicht mehr gerechtfertigt ist und die Neufeststellung des GdB notwendig wird. Hintergrund und Zweck der Heilungsbewährung ist eine pauschalierende Besserstellung der durch eine Tumorkrankung Betroffenen für einen bestimmten, aufgrund allgemeiner statistischer Erkenntnissen festgelegten Zeitraum nach der Diagnose ohne eine individuelle Betrachtung des Einzelfalles mit seinen jeweils tatsächlich bestehenden Beeinträchtigungen. So hat auch das BSG in seiner vom Sozialgericht zitierten Entscheidung vom 10. Dezember 1987 ausdrücklich ausgeführt, dass die (damals maßgeblichen) AHP und zwar hier in Bezug auf die darin festgelegten Grundsätze der Heilungsbewährung grundsätzlich um des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes willen einheitlich anzuwenden sind [vgl. BSG Beschluss vom 10. Dezember 1987, B 9a BVs 43/87, juris]. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, eine Rezidivgefahr auch nach Ablauf der statistisch begründeten Heilungsbewährungszeit ja auch im Regelfall nicht grundsätzlich völlig entfällt und zudem individuell variieren kann. Schließlich ist festzustellen, dass allein für eine genetische Disposition für bestimmte Krebserkrankungen nach Maßgabe der Anlage zu § 2 VersMedV (wie auch der vorangegangenen AHP) die Vergabe eines GdB grundsätzlich nicht vorgesehen ist. So ist in der Anlage, Teil A, Nr. 2 h) Satz 1 auch ausdrücklich festgelegt, dass Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, bei der Bemessung des GdB außer Betracht zu bleiben haben.

Anhaltspunkte für ein Rezidiv oder eine Metastasierung haben bei der Klägerin nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung bis einschließlich zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (und darüber hinaus) ausweislich der Behandlungsunterlagen nicht vorgelegen. Damit war nach Ablauf der Heilungsbewährung eine Beurteilung des GdB nur noch nach den tatsächlich bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen gerechtfertigt. Zutreffend hat der Beklagte festgestellt, dass die zum Zeitpunkt der Herabsetzungsentscheidung vorliegenden Beeinträchtigungen einen GdB von jedenfalls nicht mehr als 40 rechtfertigen.

Der Teilverlust der Brustdrüsen mit narbigen Veränderungen nach brusterhaltender Operation beidseits rechtfertigt nach Maßgabe der Anlage, Teil B, Nr. 14.1 entsprechend einer Segment- oder Quadrantenresektion der Brust einseitig mit einen GdB-Rahmen von 0 - 20 hier insgesamt einen GdB von jedenfalls nicht mehr als 30. Besondere Beschwerden aufgrund der Narben, behandlungsbedürftige Lymphstauungen oder maßgebliche, dauerhafte Funktionsbehinderungen im Schulter-Arm- oder Wirbelsäulenbereich sowie sonstige besondere Therapiefolgen bestehen ausweislich der eigenen Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht nicht.

Zusätzlich zu berücksichtigen sind aber die weiterhin unstreitig bestehenden psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Krebserkrankung. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht per se die durch die genetische Disposition der Klägerin nachweislich erhöhte Gefahr einer erneuten Erkrankung maßgeblich sein. Der Begründung des Sozialgerichts, dass eine Heilungsbewährung wegen fortbestehender besonderer psychischer Belastung infolge der erhöhten Gefahr zu verneinen sei, vermag der Senat entsprechend dem oben Ausgeführten nicht zu folgen. Wie bereits dargelegt, ist nach rückfallfreiem Ablauf der Heilungsbewährungszeit, die ihre Rechtfertigung eben nicht allein aufgrund der psychischen Belastung wegen einer in den ersten Jahren regelmäßig erhöhten Rezidivgefahr hat, für die Feststellung des GdB auf die tatsächlich noch bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen abzustellen. Eine solche Funktionsbeeinträchtigung kann sich durchaus nachvollziehbar auch aus einer besonderen seelischen Belastung aufgrund der nachgewiesenen genetischen Disposition für eine Krebserkrankung ergeben. Eine solche besondere Belastung muss aber in ihrem Vorliegen und Auswirkungen objektiv feststellbar sein. Hierunter fallen zweifellos die von der Klägerin geltend gemachten Ängste und Schlafstörungen. Eine entsprechende psychische Belastung im Sinne von Schlafstörungen und einer posttraumatischen Belastungsstörung wird auch durch die behandelnde Ärztin Dr. I. wiederholt bestätigt. Die hierdurch bedingten nachweislichen Funktionsbeeinträchtigungen lassen jedoch sowohl nach den Befundunterlagen wie auch nach der Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht insgesamt nicht die Feststellung eines psychischen oder psychosomatischen Krankheitsbildes im Sinne einer stärker behindernden Störung nach Maßgabe der Anlage, Teil B, Nr. 3.7. zu. Danach sind erst stärker behindernde psychische oder psychovegetative Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive, phobische oder somatoforme Störungen) mit einem GdB von 30 - 40 zu bewerten. Die Klägerin ist ausweislich der Akten in Abständen von zwei bis drei Monaten bei Dr. I. in im Wesentlichen homöopathischer Behandlung. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung des Weiteren angegeben, dass sie versuche, ihren Alltag so normal wie möglich zu bewältigen. Sie arbeite mit wegen der Schwerbehinderung um drei Wochenstunden reduzierter Arbeitszeit als Förderschullehrerin. Außer Schlafstörungen und Ängsten habe die Krebserkrankung eigentlich keine Auswirkungen mehr im Alltag. Manchmal gebe es aber Momente und Situationen, in denen es noch schwer sei, so als sie wegen einer Oberschenkelverletzung zum MRT gemusst habe. Hiernach ist eine ausgeprägte psychische Störung mit entsprechenden dauerhaften wesentlichen Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im Alltag bei der Klägerin nicht festzustellen und von einer leichteren seelischen Störung bzw. Belastung auszugehen, die für sich einen GdB von 20 begründet.

Der Verlust beider Eierstöcke wurde von dem Beklagten nach Maßgabe der Anlage, Teil B, Nr. 14.3 bei nicht mehr bestehendem Kinderwunsch der Klägerin und ohne Nachweis andauernder sonstiger wesentlicher Funktionsbeeinträchtigungen zutreffend mit einem GdB von 10 bewertet.

Insgesamt ist damit bei der Klägerin nach Ablauf der Heilungsbewährung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung aufgrund der belegten Funktionsbeeinträchtigungen kein höherer Gesamt-GdB als 40 mehr festzustellen. Maßgebliche Behinderungen sind durch den Teilverlust der Brustdrüsen beidseits einschließlich narbiger Veränderungen mit einem Einzel-GdB von 30 und durch die seelische Beeinträchtigung mit einem Einzel-GdB von 20 bedingt. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind Einzel-GdB regelmäßig zusammenfassend für die in der Anlage Teil A RandNr. 2. e) genannten Funktionssysteme anzugeben und daraus ohne Anwendung von Rechenmethoden (keine Addition der Einzel-GdB) der Gesamt-GdB zu ermitteln, Teil A RandNr. 3. Dabei ist regelmäßig von der Funktionsbeeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit dadurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, Teil A RandNr. 3. c). Leichte Gesundheitsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 führen regelmäßig nicht, solche mit einem Einzel-GdB von 20 vielfach nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Behinderung, Teil A RandNr. 3. d) ee). Hiernach ergibt sich im Falle der Klägerin insgesamt kein höherer Gesamt-GdB als der von dem Beklagten festgestellte GdB von 40.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Der Senat sieht sich trotz der oben genannten, insoweit abweichenden Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.