Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.05.2009, Az.: 3 A 79/07

Ausnahme von der Sozialstaffelung für auswärtige Kinder

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.05.2009
Aktenzeichen
3 A 79/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 43843
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2009:0528.3A79.07.0A

Fundstellen

  • KommJur 2010, 60-62
  • NVwZ-RR 2009, 934-936

Amtlicher Leitsatz

Eine Reduzierung der Elternbeiträge für den Besuch von Kindertagesstätten nur für Kinder, deren gewöhnlicher Aufenthalt im Bereich des für die Einrichtung zuständigen Jugendhilfeträgers ist, ist rechtlich zulässig.

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

  3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

  4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Reduzierung des für den Kindergartenbesuch ihrer Tochter zu zahlenden

2

Entgeltes auf den gleichen Betrag, wie ihn die Einwohner der Beklagen zu zahle haben.

3

Die Kläger wohnen in H. im Ortsteil I.. Die am J.2002 geborene Tochter der Kläger K. besuchte seit dem 01.08 2006 den DRK-Kindergarten L. im Bereich der Beklagten, der 4 km von I. entfernt ist. Das Kindergartenjahr 2007/2008 war aufgrund der bevorstehenden Einschulung für die Kläger beitragsfrei. Mittlerweile ist ihre Tochter in die Grundschule L. eingeschult worden. Zwischen dem DRK-Kindergarten und den Klägern wurde ein - ausdrücklich als privatrechtlich bezeichneter -Betreuungsvertrag über die halbtägige Betreuung ihrer Tochter vormittags im Kindergarten mit im Wesentlichen folgenden Inhalt geschlossen: Nach Nr. 4 des Betreuungsvertrages haben die Eltern/Sorgeberechtigten für die Betreuung ihres Kindes einen Elternbeitrag gemäß der für die Stadt Wolfsburg gültigen Sozialstaffel zu leisten. Grundlage für die Eingruppierung in die Sozialstaffel sind die jeweils geltenden Beschlüsse des Rates der Stadt Wolfsburg. Die Eltern/Sorgeberechtigten verpflichten sich, die für die Eingruppierung erforderlichen Angaben gemäß §§ 91 ff. SGB VIII zu machen. Wer diese Angaben nicht macht, zahlt den Regelbetrag (höchste Stufe der Sozialstaffel in der jeweiligen Betreuungsform). Der Elternbeitrag richtet sich immer nach der Betreuungsform, nicht nach dem Alter des Kindes.

4

Mit Beschluss vom 27.10.1993 beschloss der Rat der Beklagten, die Elternbeiträge für den Besuch der Kindertagesstätten in ihrem Bereich zu staffeln. Auswärtige Kinder sollten bis zum Ende des Jahres entsprechend der Sozialstaffel eingestuft werden. Die Verwaltung sollte mit den benachbarten Landkreisen verhandeln, damit der Differenzbetrag zum Höchstbetrag vom zuständigen örtlichen Träger der Jugendhilfe übernommen wird.

5

Mit einem weiteren Ratsbeschluss vom 13.12.2006 wurde entschieden, die Elternbeiträge für den Besuch von Kindertagesstätten im Bereich der Beklagten für alle Beitragsstufen und Beitragsformen in drei Schritten um insgesamt 50 % zu senken: Zum 01.02.2007 um 20 %, zum 01.02.2008 und 01.02.2009 um jeweils weitere 15 %, jedoch nur für Wolfsburger Einwohner. Alle Angebote in den Kindertagesstätten sollten vorrangig Wolfsburger Einwohnern zur Verfügung stehen.

6

Mit Schreiben der Beklagten vom 07.09.2006 wurde den Klägern mitgeteilt, dass der monatliche Elternbeitrag 196,00 EUR betrage, den sie an den Träger der Kindertagesstätte zu entrichten hätten. Das Schreiben ist als "Mitteilung über die Festsetzung der Elternbeiträge gemäß § 20 des Nds. Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KitaG) i.V.m.z. Zt. gültigen Beschlüssen des Rates der Stadt Wolfsburg" überschrieben. In dem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass die Kläger ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Grenzen der Beklagten hätten und durch Ratsbeschlüsse geregelt sei, dass die Sorgeberechtigten von auswärtigen Kindern den vollen Regelbeitrag zu entrichten hätten und die Träger die Beitragsberechnungsgrundlage der Beklagten für ihre Einrichtung uneingeschränkt übernommen und die Stadt bevollmächtigt hätten, den Elternbeitrag festzusetzen.

7

Am 19.03.2007 haben die Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, den Elternbeitrag unter Anwendung der Sozialstaffel der Beklagten herabzusetzen.

8

Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Festsetzung des Höchstbetrages, weil die Tochter nicht im Stadtgebiet der Beklagten wohne, gegen § 20 KitaG als höherrangiges Recht verstoße. Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Aachen und des Oberverwaltungsgerichts Münster dürften zu den in der entsprechenden Norm in Nordrhein-Westfalen geregelten Kriterien keine weiteren herangezogen werden. In dem Ratsbeschluss der Beklagten vom 27.10.1993 heiße es in Ziffer 6: Auswärtige Eltern sollten in die Sozialstaffel eingestuft werden. Soweit mit Ratsbeschluss vom 13.12.2006 die stufenweise Absenkung der Kindergartenbeiträge nur für Wolfsburger Einwohner um insgesamt 50 % in drei Stufen beschlossen worden sei, sei dies auch mit § 20 KitaG nicht vereinbar. Nach ihrem anrechenbaren Einkommen im Jahr 2005 ergebe sich für den Zeitraum ab 01.08.2006 ein monatlicher Elternbeitrag i.H.v. 132,00 EUR und ab 01.02.2007 (aufgrund des 2006 erzielten Nettoeinkommens) ein Elternbeitrag i.H.v. 105,60 EUR monatlich. Die Kläger seien bei Abschluss des Betreuungsvertrages davon ausgegangen, dass sich die Entgeltfestsetzung gerade wegen der Anpassung an die für die Kindergärten der Beklagten jeweils geltenden Abstufungen im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 20 Nds. KitaG halten würde. Auswärtige Kinder würden als "Lückenfüller" aufgenommen, sodass sie auch keinem Wolfsburger Kind den Platz wegnähmen. Die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Beitragsregelung liege bei der Beklagten.

9

Die Kläger beantragen,

  1. 1.

    die Festsetzung des Elternbeitrages vom 07.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Elternbeitrag unter Anwendung der Sozialstaffel für die Zeit ab 01.08.2006 auf monatlich 132,00 EUR und ab 1.02.2007 auf monatlich 105,60 EUR festzusetzen;

  2. 2.

    hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, den Elternbeitrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts für die Zeit ab 01.08.2006 und ab 01.02.2007 neu festzusetzen,

  3. 3.

    hilfsweise festzustellen, dass die in den Ratsbeschlüssen der Beklagten geregelten Differenzierung der Elternbeiträge rechtswidrig ist und ein Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Beitragsbemessung unabhängig vom Wohnsitz des Kindes besteht.

10

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes lasse die an die Wolfsburger Regelung angepasste Beitragseinstufung durch das - personell und fachlich besser ausgerüstete - Jugendamt der Beklagten mitteilen. Diese informelle Unterstützung führe jedoch nicht dazu, dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Soweit die Klage sich "mittelbar" gegen den Beschluss des Rates der Beklagten richte, sei der Verwaltungsrechtsweg mangels Außenwirkung nicht eröffnet. Bei der Mitteilung vom 07.09.2006 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt; keines der Tatbestandsmerkmale des § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz liege vor. Da die Entgeltregelung mit dem Träger der Kindertagesstätte vereinbart worden sei, sei die Klage gegen den falschen Beklagten gerichtet worden; ein Anspruch bestehe allenfalls gegen den Landkreis Helmstedt als örtlichen Jugendhilfeträger. Nach § 20 Satz 2 Nds. KitaG sollen Beiträge nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten unter Berücksichtigung der Zahl ihrer Kinder gestaffelt werden: Begründete Ausnahmen seien also zugelassen. Auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg habe in seinem Urteil vom 12.05.2000 - 4 L 841/00 - ausgeführt, dass der Auswärtigenzuschlag seine innere Rechtfertigung darin finde, dass der Einrichtung eine Förderung aus öffentlichen Kassen entgehe, weil der Platz von einem ortsfremden Kind in Anspruch genommen werde. Der Träger der Kindertagesstätte erhalte von der Beklagten nur diejenige Förderung, die die Differenz zwischen den gesamten Einnahmen unter Berücksichtigung des Höchstbetrages i.H.v. 196,00 EUR und den tatsächlichen Ausgaben pro Kindergartenplatz ausgleiche. Wenn die Beklagte entschieden habe, Plätze mit einer weiteren Abstufung zu fördern, die von außerstädtischen Familien benutzt werden, liege das in ihrem Gestaltungsermessen. Eine Gleichbehandlung könnten die Kläger lediglich im Verhältnis zu dem für sie zuständigen Jugendhilfeträger, dem Landkreis Helmstedt, verlangen. Sie müssten sich jedoch eine Differenzierung gefallen lassen, wenn sie ihren Anspruch auf Bereitstellung eines Kindergartenplatzes dort geltend machten, wo der für sie institutionell nicht zuständige örtliche Träger nicht fördere. Selbst bei Zahlung der 196,00 EUR monatlich gleiche die Beklagte ein bestehendes Defizit i.H.v. ca. 315,00 EUR im Jahre 2006 pro Kindergartenplatz aus. In dem zwischen dem DRK Kreisverband und der Beklagten geschlossenen "Überlassungs- und Betriebsführungsvertrag für Kindertagesstätten" habe der DRK Kreisverband sich verpflichtet, die Regelung der Beklagten zur Entgeltstruktur anzuwenden und von den Sorgeberechtigten abzufordern. Ein Anspruch des DRK gegen die Beklagte auf Förderung von Kindergärten, die von ortsfremden Kindern besucht würden, bestehe nicht. Die Beklagte unterstütze den DRK-Kreisverband lediglich bei der Berechnung des privatrechtlichen Entgelts.

12

Nach Anhängigkeit der Klage traf die Beklagte mit den umliegenden Landkreisen eine Vereinbarung über den Kostenausgleich für die Aufnahme gemeindefremder Kinder, wonach die abgebende Gemeinde eine Bescheinigung über die Kostenübernahme des Ausgleichsbetrags vorlegen muss. Für auswärtige Kinder wird gleichwohl ein höheres Entgelt nach einer vom Rat beschlossenen eigenen Sozialstaffel für auswärtige Kinder verlangt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und dem Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

13

II

Entscheidungsgründe:

14

Die Klage ist (als Feststellungsklage) zulässig, aber unbegründet.

15

Die Kläger können die Überprüfung, ob sie entsprechend der Mitteilung vom 07.09.2006 monatlich einen Kindergartenbeitrag i.H.v. 196,00 EUR für ihre Tochter K. zahlen müssen, im Wege der Feststellungsklage vor dem hiesigen Verwaltungsgericht erreichen.

16

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht ausdrücklich durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen ist. Öffentlich-rechtlich sind Streitigkeiten, die sich nach öffentlichem Recht beurteilen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage, § 40 Rn. 6). Es kommt auf die Natur des Rechtsverhältnisses an.

17

Diesem Rechtsstreit liegt die Frage zugrunde, ob die Beklagte mit der Differenzierung hinsichtlich der Höhe der Subventionierung der in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Kindertagesstätten danach, ob die Kinder in ihrem Bereich wohnen oder nicht, eine - insbesondere im Hinblick auf Artikel 3 Grundgesetz - GG -und § 20 Abs. 1 Nds. KitaG - rechtlich zulässige Differenzierung vorgenommen hat, die - quasi spiegelbildlich - zu den höheren Kindergartenentgelten für Auswärtige führt. Die Förderung der freien Jugendhilfe und damit auch der Kindertagesstätten richtet sich nach § 74 SGB VIII und damit nach öffentlich rechtlichen Normen. Die Ratsbeschlüsse der Beklagten haben darüber hinaus den Charakter abstrakt genereller Vorgaben, sodass hier das öffentlich rechtliche Handeln der Beklagten als Kommune auf dem Prüfstand steht, unter deren Briefkopf auch das Schreiben vom 07.09.2006 ergangen ist.

18

Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes durch Klage begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

19

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Eine Gestaltungsklage - hier als Verpflichtungsklage - kommt hier nicht in Betracht, da es sich bei der Mitteilung vom 07.09.2006 nicht um einen Verwaltungsakt handelt.

20

Nach § 35 VwVfG ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Hier fehlt es an der Regelung eines Einzelfalles. Denn das Schreiben vom 07.09.2006 ist als "Mitteilung" überschrieben. Darin bezieht die Beklagte sich auf die zurzeit gültigen Ratsbeschlüsse, aus denen sich der für den Kindertagesstättenbesuch im entscheidungserheblichen Zeitraum zu zahlende volle Regelbeitrag ergab. Das Schreiben verfolgte also lediglich den Zweck, die Kläger über das zu zahlende Entgelt in Kenntnis zu setzen. Eine individuelle Regelung kann hierin nicht gesehen werde, zumal das Schreiben auch nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen ist. Daher sind weder der Aufhebungsantrag zu 1. noch der hilfsweise gestellte Bescheidungsantrag zu 2. zulässig, sondern der zweite Hilfsantrag, der auf die Feststellung, dass die in den Ratsbeschlüssen geregelte Differenzierung der Elternbeiträge abhängig vom Wohnsitz des Kindes rechtswidrig ist und ein Anspruch auf Gleichbehandlung besteht, gerichtet ist.

21

Das Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO besteht darin, dass die Beklagte mit ihren Ratsbeschlüssen quasi die zu erhebenden Kindergartenentgelte festgelegt hat, da die Träger, sofern sie nicht einen hohen Eigenanteil tragen wollen, diese zu übernehmen hätten.

22

Ferner liegt auch ein berechtigtes Interesse der Kläger an der begehrten Feststellung vor. Denn die Höhe des zu zahlenden Kindergartenentgeltes betrifft die Kläger in ihrer Eigentumsgarantie gemäß Artikel 14 Grundgesetz.

23

Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, festzustellen, dass die in den Ratsbeschlüssen der Beklagten geregelten Differenzierung der Elternbeiträge rechtswidrig ist und Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Beitragsbemessung unabhängig vom Wohnsitz des Kindes besteht.

24

Denn die Beschlüsse des Rates der Beklagten vom 27.10.1993 und 13.12.2006 und die darauf beruhende Mitteilung vom 07.09.2006 sind rechtlich nicht zu beanstanden.

25

Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 Nds. KitaG liegt nicht vor. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Norm sind die Gebühren und Entgelte für den Besuch von Kindertagesstätten, kleinen Kindertagesstätten und solchen Kinderspielkreisen, in denen die Kinder wöchentlich mindestens 15 Stunden am Vormittag betreut werden, so zu bemessen, dass die wirtschaftliche Belastung für die Sorgeberechtigten zumutbar ist. Nach Satz 2 sollen die Sätze der Gebühren und Entgelte sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten unter Berücksichtigung der Zahl ihrer Kinder richten und gestaffelt werden. Diese Regelung ist mit § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, der die Staffelung in das Ermessen des Landesgesetzgebers stellt und damit nicht zwingend vorschreibt, vereinbar.

26

Festzustellen ist, dass die Kläger sich hier nicht gegen den für sie örtlich zuständigen Jugendhilfeträger - dies wäre gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 Nds. KitaG der Landkreis, in dessen Gebiet sich das Kind gewöhnlich aufhält, der Landkreis Helmstedt -, sondern gegen die Beklagte, gegen die kein Anspruch auf Zurverfügungstellung eines Kindergartenplatzes besteht, gewendet haben.

27

Ein Verstoß gegen die zwingende Regelung in § 20 Abs. 1 Satz 1 KitaG, der auch im Verhältnis zur Beklagten gilt, nämlich das Verbot der Auferlegung einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung, liegt nicht vor. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einen weiten Spielraum lässt. Der Regelbeitrag in Höhe von 196,00 EUR führt im Fall der Kläger im entscheidungserheblichen Zeitraum in Anbetracht derer Einkommensverhältnisse nicht zu einer unzumutbaren Belastung. Darüber hinaus sieht § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einen Erlass oder Anspruch der Sorgeberechtigten auf Übernahme des Kostenbeitrages seitens des zuständigen Jugendhilfeträger vor, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist.

28

Satz 2 des ersten Absatzes des § 20 Nds. KitaG, der eine Staffelung der Gebühren und Entgelte unter Berücksichtigung der Kinderzahl und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten als Sollvorschrift vorsieht, lässt in begründeten Fällen Ausnahmen von der Sozialstaffelung zu. Es handelt sich hierbei um eine offene Regelung ( Nds. OVG, Urt.v. 23.11.1994, 9 L 2037/94, zitiert nach Juris). Um einen solchen Ausnahmefall handelt es sich hier, denn in der Regel werden Kinder aufgrund der zumeist gegebenen größeren Ortsnähe in Kindertagestätten im (Kreis-) Gebiet des örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers geschickt. Das dies hier anders ist, liegt an dem Wohnsitz der Kläger am Rand des Kreisgebietes, sodass die Kita L. die ortsnächste Kita ist.

29

Anders als in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen (Beschluss vom 17.12.2004), 7 L 950/04 und des OVG Münster (Beschluss vom 25.01.2005, 9 B 10/05 ) liegt hier ein Regelbeitrag vor, der lediglich für bestimmte Personenkreise - nämlich die Einwohner Wolfsburgs - reduziert wird. Damit stellt sich in diesem Verfahren die Frage der Zulässigkeit der Rechtmäßigkeit einer auf einen Teil der Benutzer - nämlich der Einwohner der Beklagten - beschränkten Subventionsgewährung. Demgegenüber wurde in dem der oben angeführten nordrhein-westfälischen Rechtsprechung zugrunde liegenden Fall ein Zuschlag zu der einheitlichen Benutzungsgebühr für Auswärtige erhoben: Daher sind die Sachverhalte unterschiedlich.

30

Die Anknüpfung an den Wohnort des Kindes stellt ein Kriterium da, das eine Ausnahme von der Sollvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 2 Nds. KitaG zulässt. Denn Personen, die nicht in Wolfsburg wohnen und damit auch die Kläger, beteiligen sich nicht an den Gemeinlasten einer Gemeinde. Das Kriterium der Ortsverbundenheit stellt einen hinreichend sachlichen Differenzierungsgrund dar. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass auch im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs bei der Höhe der Ausgleichszuwendungen auf die Einwohnerzahl der Kommune abgestellt wird und die Last von Defiziten die Einwohner der Kommune ebenfalls unmittelbarer trifft als Auswärtige.

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Das Kriterium der Beteiligung an den Gemeinlasten einer Kommune rechtfertigt ebenfalls im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz - den allgemeinen Gleichheitssatz - eine unterschiedliche Behandlung von Einwohnern der Beklagten und Auswärtigen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Bereitstellung von Kindergartenplätzen ein Angebot der Leistungsverwaltung darstellt, in deren Rahmen die Entgeltgestaltung freier ist als im Rahmen der Eingriffsverwaltung. Schließlich hat auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Urteil vom 17.05.2000, 4 L 841/00, recherchiert in Juris) sogar einen "Auswärtigenzuschlag", d.h. einen Zuschlag in Höhe des Betrages, mit dem der Besuch des Kindes in einer vergleichbaren im Bereich der Beklagten gelegenen Einrichtung von dieser gefördert worden wäre, zu dem einkommensorientierten Entgelt für zulässig erachtet. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt:

"Soweit die Kläger einen darüber hinausgehenden Betrag zu entrichten haben, findet dieser seine innere Rechtfertigung darin, dass der Einrichtung einer Förderung aus öffentlichen Kassen in dieser Höhe gerade deshalb entgeht, weil der vorgehaltene und besetzte Platz in der Einrichtung von einem Kind in Anspruch genommen wird, dass nicht aus dem Zuständigkeitsbereich des Jugendhilfeträgers stammt, in dem die Einrichtung ihren Sitz hat. Das ausschließlich einkommensorientierte Staffelentgelt deckt aber die Kosten nur in Höhe des Betrags, der unter Berücksichtigung der platzbezogenen Förderung des Einrichtungsträgers als Institution zu kalkulieren ist. Erhöbe die Einrichtung für die Betreuung "auswärtiger" Kinder nur das einkommensabhängig gestaffelte Entgelt, müsste sie den Beitrag für alle Eltern so kalkulieren, dass der Ausfall der Sockelförderung für einzelne Kinder durch eine Erhöhung der Staffelbeiträge kompensiert würde. Die Einrichtung ist im vorliegenden Fall nicht diesen Weg zur Deckung des Gesamtaufwandes gegangen, sondern hat einzelfallbezogen einen um den Betrag der Sockelförderung erhöhten Beitrag von den Eltern erhoben, für deren Kinder eine institutionelle Förderung gerade nicht erbracht worden ist.

An der inneren Rechtfertigung zur Erhebung des erhöhten Teilnahmebetrages fehlt es nämlich dann, wenn entweder der für den Wohnsitz des Kindes zuständige Jugendhilfeträger den außerhalb seines Bereiches liegenden Kindergartenplatz institutionell fördert (etwa weil er ihn in seinen Bedarfsplan aufgenommen hat) oder aber der für den Sitz der Einrichtung örtlich zuständige Jugendhilfeträger diese unter Berücksichtigung auch der Plätze institutionell fördert, die von Kindern belegt werden, deren Wohnsitz außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs liegt."

32

Im streitigen Zeitraum erfolgte eine institutionelle Förderung des von der Tochter der Kläger in Anspruch genommenen Platzes durch den Landkreis Helmstedt nicht. Ebensowenig berücksichtigte die Beklagte die von auswärtigen Kindern belegten Plätze in ihrer Jugendhilfeplanung.

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Mithin besteht ein hinreichender Grund für die unterschiedliche Behandlung der Kläger, die nicht an der Subventionierung der Einwohner der Beklagten teilhaben.