Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 11.06.2009, Az.: 6 A 287/07

Abschiebungsverbot; Atemwegserkrankung; Kosovo; Krankheit; Versorgung, medizinische

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
11.06.2009
Aktenzeichen
6 A 287/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 43831
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2009:0611.6A287.07.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2010, 129-132

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Nach dem gegenwärtig vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass im Kosovo selbst die Medikamente der sog. Essential Drug List von den Patienten regelmäßig in vollem Umfang zu bezahlen sind. Daraus kann sich für Schutzsuchende aus der Republik Kosovo ein Abschiebungsverbot ergeben, wenn die Finanzierung nicht anderweitig - z.B. durch finanzielle Unterstützungsleistungen Verwandter - sichergestellt ist und die Medikamente erforderlich sind, um eine alsbaldige wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu verhindern.

  2. 2.

    Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen sind im Kosovo keiner krankheitsbedingten, die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auslösenden Allgemeingefahr ausgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist ethnische Albanerin und stammt aus dem Kosovo. Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte die Anerkennung als Asylberechtigte und die Feststellung, es bestehe ein Abschiebungsverbot, widerrufen hat.

2

Die Klägerin, die nach eigenen Angaben 1960 in Pristina geboren ist und vor ihrer Ausreise zuletzt in Pec/Kosovo gelebt hat, reiste ihren Angaben zufolge im September 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte im Oktober 1992 einen Asylantrag. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) am 1. Dezember 1993 gab sie zur Begründung ihres Asylantrages im Wesentlichen an, sie habe in ihrer Heimat Probleme mit der Polizei gehabt. Eine Stunde lang sei sie von Polizisten nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes befragt worden, der einer Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sei. Die Polizei habe ihr Haus zerstört. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag ab. Auf die dagegen gerichtete Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Braunschweig die Beklagte mit Urteil vom 2. März 1994, die Klägerin wegen der Gruppenverfolgung albanischer Volkszugehöriger in der damals jugoslawischen Provinz Kosovo als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind. Dem kam die Beklagte mit Bescheid vom 9. Juni 1994 nach.

3

Unter dem 13. August 2004 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit, zum eingeleiteten Widerrufsverfahren Stellung zu nehmen. Die Klägerin äußerte sich nicht.

4

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 widerrief die Beklagte die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Entscheidung zu § 51 AuslG und stellte fest, Abschiebungsverbote nach § 53 AuslG lägen nicht vor. Zur Begründung führte sie aus, die Sicherheitslage im Kosovo habe sich maßgeblich geändert, sodass albanische Volkszugehörige dort eine gebietsweite politische Verfolgung nicht mehr zu befürchten hätten.

5

Gegen diesen am 15. Oktober 2004 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 29. Oktober 2004 Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen Folgendes geltend: Wegen der im ersten Asylverfahren vorgetragenen Probleme mit der Polizei könne sie sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen, die nach den gesetzlichen Reglungen der Widerrufsentscheidung des Bundesamtes entgegenstünden. Darüber hinaus leide sie unter einer chronischen Atemwegserkrankung, die die Einnahme verschiedener Medikamente erforderlich mache. Es sei nicht gewährleistet, dass ihr die nötigen Medikamente im Kosovo zur Verfügung stünden. Zu Art und Auswirkungen ihrer Erkrankung beruft sie sich auf verschiedene von ihr vorgelegte ärztliche Atteste, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 28 f. und 54 der Gerichtsakte).

6

Die Klägerin beantragt,

  1. den Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2004 aufzuheben,

  2. hilfsweise,

  3. die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung ihres Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben ist.

7

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen,

  2. und bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid.

8

Das Gericht hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2007 informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen (Bl. 92 f. der Gerichtsakte). Zur Erkrankung der Klägerin und der erforderlichen Medikation hat das Gericht ergänzende Stellungnahmen der behandelnden Ärztin für innere Medizin Dr. D., E., eingeholt. Wegen der Angaben der Ärztin wird auf die vorgelegten Bescheinigungen und den Vermerk über ein Telefongespräch Bezug genommen (Bl. 63 ff., 118 ff. und 128 der Gerichtsakte).

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheidet, hat mit dem Hauptantrag keinen Erfolg (I), ist aber mit dem Hilfsantrag begründet (II). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung durch das Bundesamt, dass für sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf die Republik Kosovo besteht. Im Übrigen ist der angegriffene Bescheid rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

11

I. Die Beklagte hat die Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte und die Feststellung, es bestehe ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG (vormals § 51 Abs. 1 AuslG), rechtmäßig widerrufen.

12

1. Rechtsgrundlage für den ausgesprochenen Widerruf sind die Regelungen in § 73 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylVfG in der Fassung, die diese Bestimmungen durch das insoweit am 28. August 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) erhalten haben (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG).

13

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (die frühere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG gegeben sind) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung zu § 73 Abs. 1 AsylVfG alter Fassung bei Vorverfolgung insbesondere der Fall, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in den Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Allgemeine Gefahren im Herkunftsstaat, die sich beispielsweise aus einer schwierigen wirtschaftlichen Lage oder Naturkatastrophen ergeben, stehen dem Widerruf nicht entgegen, sondern können nur im Rahmen der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Vorschriften (namentlich nach § 60 Abs. 7 und § 60a AufenthG) berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, U.v. 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, NVwZ 2006, 707, 708 = BVerwGE 124, 276 ff. [BVerwG 01.11.2005 - BVerwG 1 C 21/04]). Hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in eigener Verantwortung einen Bescheid über die Asylberechtigung oder die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG erlassen, so muss die Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse eingetreten sein, nachdem die Behörde den Bescheid erlassen hatte ( BVerwG, U.v. 19.09.2000 - 9 C 12/00 -, NVwZ 2001, 335 [BVerwG 19.09.2000 - 9 C 12/00]). Ist dagegen das Bundesamt - wie hier - durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil zum Erlass eines solchen Bescheides verpflichtet worden, kommt es darauf an, ob sich die für die Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach dem Erlass des Verpflichtungsurteils entscheidend verändert haben ( BVerwG, U.v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 ff. [BVerwG 24.11.1998 - 9 C 53/97]; Nds. OVG, B.v. 03.05.2001 - 13 A 1619/01 -).

14

Durch das Änderungsgesetz vom 19. August 2007 hat sich die Rechtslage insoweit nicht maßgeblich geändert. Die Neufassung des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nimmt nunmehr die sog. Wegfall-der-Umstände-Klausel des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), die auch in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) übernommen wurde, ausdrücklich auf: Ein unverzüglicher Widerruf hat danach insbesondere zu erfolgen, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Schon die bisherige Fassung des § 73 Abs. 1 AsylVfG entsprach jedoch in der dargelegten Auslegung und Anwendung durch die Gerichte ihrem Inhalt nach der "Wegfall-der-Umstände-Klausel" (vgl. BVerwG, U.v. 01.11.2005, a.a.O., NVwZ 2006, 707, 708 = BVerwGE 124, 276 ff. [BVerwG 01.11.2005 - BVerwG 1 C 21/04]; VGH Baden-Württemberg, B.v. 22.10.2007 - A 6 S 740/05 -, juris Rn. 19; OVG Saarland, U.v. 29.09.2006 - 3 R 6/06 -, juris Rn. 124 ff.; VG Braunschweig, U.v. 28.11.2006 - 6 A 490/04 -; VG Lüneburg, U.v. 15.11.2006 - 6 A 343/05 -).

15

Weitergehende Anforderungen ergeben sich insbesondere nicht mit Blick auf die Regelung in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Qualifikationsrichtlinie und das dazu ergangene, das Asylverfahren eines irakischen Staatsangehörigen betreffende Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts an den Europäischen Gerichtshof (s. BVerwG, B.v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 -, juris). Die Regelung ist hier nicht unmittelbar anwendbar. Sie gilt gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie nur in den Fällen, in denen der Antrag auf Schutzgewährung nach dem Inkrafttreten der Richtlinie, also nach dem 20. Oktober 2004 (Art. 39 der Richtlinie) gestellt worden ist; die Klägerin dagegen hat ihren dem Widerruf zugrunde liegenden Asylantrag bereits im Jahre 1992 gestellt. Soweit die Regelung in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Qualifikationsrichtlinie beim Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG zu berücksichtigen ist, weil der Gesetzgeber mit der Neufassung des Satzes 2 erkennbar die "Wegfall-der-Umstände-Klausel" ausdrücklich aufgreifen wollte, ohne die Anwendbarkeit der Bestimmung in zeitlicher Hinsicht einzuschränken, gibt es bislang keine neuen überzeugenden Gesichtspunkte, die entgegen der bisherigen Rechtsprechung für weiterreichende Anforderungen an den Widerruf sprechen (s.a. BVerwG, B.v. 07.02.2008, a.a.O., Rn. 23 ff., 29 ff.). Insbesondere kann es für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nicht darauf ankommen, ob die Sicherheitslage - unabhängig von einer Verfolgungsgefahr - stabil ist und die allgemeinen Lebensbedingungen das Existenzminimum gewährleisten: Bei derart weit gefassten Voraussetzungen würden die Erlöschenstatbestände in der Praxis weitgehend leerlaufen; im Übrigen sind Ausländer damit im Hinblick auf solche Gefahren nicht schutzlos gestellt; Schutz vor allgemeinen Gefahren im Herkunftsstaat kann ihnen auch nach anderen Vorschriften (in Deutschland nach den allgemeinen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes) gewährt werden (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 30, 24). Selbst wenn sich zusätzliche Anforderungen im Sinne der im Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts genannten Kriterien ergäben, wären diese zur Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall erfüllt (dazu unten).

16

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für den Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gegeben.

17

a) Die dem widerrufenen Bescheid zugrunde liegende Sachlage hat sich nach der im Jahre 1994 ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts wesentlich geändert.

18

Ethnische Albaner aus dem Kosovo sind wegen ihrer Volkszugehörigkeit einer Verfolgungsgefahr, wie sie die Schutzansprüche nach Art. 16a Abs. 1 GG und § 60 Abs. 1 AufenthG voraussetzen, in ihrer Heimat nicht mehr ausgesetzt. Seit der Beendigung des Kosovo-Konflikts im Juni 1999 und nach dem Abzug der letzten serbischen Einheiten aus dem Kosovo sowie der Übernahme der alleinigen Gebietsgewalt durch die KFOR-Truppen findet im Kosovo eine staatliche oder staatsähnliche Verfolgung (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG) nicht mehr statt. (vgl. Nds. OVG, B.v. 21.02.2002 - 8 LB 13/02 -; VG Bremen, U.v. 27.04.2009 - 5 K 3049/08.A -, juris Rn. 22; st. Rspr.). Auch vom neuen kosovarischen Staat haben ethnische Albaner nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial keine Verfolgung wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu befürchten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo v. 02.02.2009, S. 12; VG Bremen, a.a.O.; VG Saarland, B.v. 11 906.2008 - 10 L 534/08 -, juris Rn. 5 ff.; VG Braunschweig, U.v. 22.04.2008 - 6 A 107/06 -).

19

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG sind ebenfalls nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist Abschiebungsschutz auch für den Fall einer von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu gewähren, wenn erwiesenermaßen weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, noch internationale Organisationen in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und eine inländische Fluchtalternative nicht besteht. Einer solchen Gefahrenlage sind albanische Volkszugehörige in Kosovo nicht ausgesetzt. Nach der Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass die Sicherheitskräfte in der Republik Kosovo sowohl willens als auch in der Lage sind, den dort lebenden albanischen Volkszugehörigen Schutz zu gewähren (vgl. Nds. OVG, B.v. 13.05.2005 - 13 LA 92/05 -). Aus den Protestaktionen serbischer Volkszugehöriger nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos ergibt sich keine andere Beurteilung der Gefahrenlage für ethnische Albaner ( VG Braunschweig, U.v. 22.04.2008 - 6 A 107/06 -).

20

b) Wenn sich aus der Qualifikationsrichtlinie zusätzliche Anforderungen an einen Widerruf ergeben würden, wären diese jedenfalls erfüllt. So sind in Kosovo schutzbereite Akteure im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie jedenfalls vorhanden. Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Regelung reicht dafür grundsätzlich aus, dass eine staatliche oder staatsähnliche Herrschaftsgewalt mithilfe internationaler Schutztruppen den erforderlichen Schutz gewähren kann (s.a. BVerwG, B.v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 28). Dies ist in Kosovo jedenfalls für albanische Volkszugehörige durch die dort agierenden Sicherheitskräfte gewährleistet (s. oben). Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe droht in Kosovo auch kein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie. Insbesondere herrscht dort kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, aus dem sich ernsthafte Gefahren für Leib oder Leben von Zivilpersonen ergeben. Ein "bewaffneter Konflikt" im Sinne der Richtlinie kann nur bei einer kriegerischen Auseinandersetzung von erheblicher Dauer und Intensität angenommen werden (ebenso Bundesministerium des Innern, Hinweise zur Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates v. 13.10.2006 sowie Hess. VGH, U.v. 09.11.2006 - 3 UE 3238/03.A - und U.v. 26.06.2007 - 8 UZ 452/06.A -). Die seit den Unruhen im März 2004 in Kosovo noch gelegentlich auftretenden Konflikte erfüllen diese Voraussetzung jedenfalls nicht ( VG Braunschweig, B.v. 26.03.2008 - 6 B 81/08 -). Nach dem zur Verfügung stehenden Erkenntnismaterial ist jedenfalls für albanische Volkszugehörige in Kosovo auch die Sicherheitslage als stabil einzuschätzen (s. oben). Für diese Bevölkerungsgruppe gewährleisten die allgemeinen Lebensbedingungen in Kosovo auch das Existenzminimum. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und die Wohnraumversorgung sind für diesen Personenkreis sichergestellt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo v. 02.02.2009, S. 19).

21

2. Ob der Widerruf nach Eintritt erheblicher Veränderungen "unverzüglich" erfolgt ist, braucht das Gericht nicht zu entscheiden, da diese Verpflichtung ausschließlich im öffentlichen Interesse besteht und subjektive Rechte der vom Widerruf Betroffenen insoweit daher nicht verletzt sein können ( BVerwG, U.v. 01.11.2005 - 1 C 21/04 -, NVwZ 2006, 707, 711 = BVerwGE 124, 276 ff. [BVerwG 01.11.2005 - BVerwG 1 C 21/04]).

22

Hieran hat sich auch durch die mit dem Zuwanderungsgesetz eingefügte Regelung in § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG nichts geändert, nach der die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen hat. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall im Übrigen nicht anwendbar. Die Regelung gilt nicht für diejenigen Verfahren, in denen die Aufhebung eines vom Bundesamt vor dem 1. Januar 2005 erlassenen Widerrufsbescheides begehrt wird (BVerwG, U.v. 01.11.2005, a.a.O.); für die vor diesem Datum unanfechtbar gewordenen Entscheidungen über Asylanträge gilt jetzt die Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG, nach der eine Prüfung spätestens bis zum 31. Dezember 2008 erfolgen muss.

23

Die nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht für den Widerruf von Verwaltungsakten geltende Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG kommt im Falle eines Widerrufs nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Anwendung, weil diese Vorschrift insoweit eine abschließende Regelung trifft (ebenso z.B. VGH Baden-Württemberg, U.v. 12.08.2003 - A 6 S 820/03 -, AuAS 2003, 274 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 18.04.2002 - 8 A 1405/02.A -, AuAS 2002, 141; VG Braunschweig, U.v. 12.09.2003 - 5 A 329/03 -; jew.m.w.N.).

24

3. Der Widerruf scheitert auch nicht an § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ist von einem Widerruf wegen einer Änderung der Umstände nach Satz 2 der Vorschrift abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Regelung, die dem Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 und Nr. 6 Satz 2 GK nachgebildet ist und den Regelungsgehalt dieser Vorschriften in sich aufnimmt, enthält eine einzelfallbezogene Ausnahme von der grundsätzlichen gesetzlichen Pflicht zum Widerruf.

25

Danach hat ein Widerruf zu unterbleiben, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergeben, die eine Rückkehr unzumutbar machen. Maßgeblich sind somit die (gegenwärtigen) Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen. In Betracht kommen ausschließlich Gründe, die ihre Ursache in einer früheren Verfolgung haben; zwischen der früheren Verfolgung und der Unzumutbarkeit der Rückkehr muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die Regelung trägt damit der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schwer wiegendes, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Jahre danach auch ungeachtet der veränderten Verhältnisse nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. BVerwG, U.v. 01.11.2005, a.a.O., S. 710; Nds. OVG, U.v. 28.06.2002 - 8 LB 10/02 -; Hess. VGH, B.v. 28.05.2003 - 12 ZU 2805/02.A -, InfAuslR 2003, 400; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 73 Rn. 122; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 73 AsylVfG Rn. 10). Die Signatarstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention hatten bei der Schaffung der dem § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG zugrunde liegenden konventionsrechtlichen Bestimmungen das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland vor Augen (BVerwG, U.v. 01.11.2005, a.a.O., S. 710 f.). Nach diesen Maßstäben liegt ein Ausnahmefall für die Klägerin nicht vor.

26

Besondere Gründe in der Person der Klägerin, die die Annahme eines besonders schwer wiegenden, nachhaltig wirkenden und zur Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Republik Kosovo führenden Verfolgungsschicksals rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Die im ersten Asylverfahren vorgetragenen Probleme mit der Polizei erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG. Serbische Polizei gibt es in Kosovo nicht mehr. Eine Konfrontation mit Elementen der nach dem Klägervortrag fluchtauslösenden Strukturen ist daher objektiv von vornherein nicht mehr zu befürchten. Darüber hinaus teilt die Klägerin das dargestellte Verfolgungsschicksal mit einer Vielzahl anderer Kosovoflüchtlinge, sodass sie sich objektiv nicht in einer besonderen Situation befindet. Dass bei ihr gleichwohl wegen der seinerzeit vorgetragenen Ausreisegründe besondere psychische Belastungen fortbestehen, ist nicht ersichtlich.

27

4. Das Asylgrundrecht und die Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gewähren auch keinen Vertrauensschutz, der sich allein auf die nun widerrufene Asylanerkennung oder die Gewährung des Flüchtlingsstatus gründet (vgl. dazu BVerwG, B.v. 17.08.1988 - 9 B 263/88 -, Buchholz 402.25 § 16 AsylVfG Nr. 1; U.v. 24.11.1992 - 9 C 3/92 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1). Für den Schutz der sich aus dem längeren Aufenthalt in Deutschland herleitenden individuellen Belange der Klägerin ist Raum im ausländerrechtlichen Verfahren, in dem regelmäßig nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG (vormals § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG) darüber zu entscheiden ist, ob der aufgrund der nun widerrufenen asylrechtlichen Entscheidung gewährte Aufenthaltstitel zu widerrufen ist.

28

II. Die Klage hat jedoch mit dem Hilfsantrag Erfolg. Der Klägerin ist Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.

29

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Auch die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlechtert, kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift begründen. Dies setzt voraus, dass die dem Ausländer deswegen drohende Gefahr erheblich ist, sein Gesundheitszustand sich also wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde, weil der Erkrankte auf eine adäquate Behandlung seiner Leiden angewiesen und diese dort nicht gewährleistet ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 -, BVerwGE 105, 383, 387 [BVerwG 25.11.1997 - 9 C 58.96] ). Die Gefahr kann sich aus fehlenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung ergeben, aber auch aus allen anderen zielstaatsbezogenen Umständen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. In die Beurteilung einzubeziehen ist daher auch, wenn der Ausländer aus persönlichen Gründen keinen Zugang zu einer im Zielstaat an sich möglichen medizinischen Versorgung erhalten wird, weil er diese beispielsweise nicht finanzieren kann ( BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 -, BVerwGE 127, 33, 39 [BVerwG 17.10.2006 - 1 C 18/05]). Die dargestellten Voraussetzungen sind auf der Grundlage der im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegenden Unterlagen zum Behandlungsbedarf der Klägerin und zur medizinischen Versorgung in Kosovo erfüllt (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG). Sie wäre im Falle einer Rückkehr in die Republik Kosovo zur Überzeugung des Gerichts erheblichen konkreten Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt, weil die erforderliche medizinische Versorgung dort nicht sichergestellt ist.

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1. Die Klägerin leidet nach den vorliegenden und übereinstimmenden fachärztlichen Bescheinigungen unter einer chronischen Lungenerkrankung (chronisch obstruktive Atemwegserkrankung) mit Lungenemphysem und Bronchiektasen. Die Erkrankung wird mit einer Vielzahl von Medikamenten behandelt. Als Dauermedikation hat Frau Dr. D., E., der Klägerin Bronchodilatatoren und ein Spray mit hohem Kortisonanteil verordnet. Daneben muss die Klägerin nach den Stellungnahmen ihrer Ärztin je nach Krankheitsverlauf weitere Medikamente einnehmen. Insbesondere besteht krankheitsbedingt eine erhöhte Infektneigung, sodass Antibiotika erforderlich werden können. Bei akuter Entzündung der Bronchien wird ihr zusätzlich Kortison in Tablettenform in Kombination mit einem Magenschleimhautschutz verschrieben. Nach den Angaben der Ärztin besteht keine Aussicht, dass sich die Situation der Klägerin im Laufe der Jahre bessern könnte. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der ärztlichen Stellungnahmen zu zweifeln.

31

2. Darüber hinaus steht nach den weiteren Angaben der Ärztin zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin alsbald wesentlich verschlechtern würde, wenn ihr die bezeichneten Medikamente nicht zur Verfügung stehen. Zwar ist der Krankheitsverlauf wegen der Vernarbungen und der sonstigen bereits eingetretenen Schädigungen nach Bewertung der Ärztin chronisch; eine Besserung sei insoweit nicht zu erwarten. Auch in einem solchen Fall kann aber eine unzureichende Medikation für den Patienten noch zu Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen. Für ein auf Gesundheitsgefahren zurückzuführendes Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob die Gefahr durch die individuelle Konstitution des Patienten bzw. die bereits vorhandene Erkrankung bedingt oder mit bedingt ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 -, Rn. 7; U.v. 17.10.2006, a.a.O., Rn. 15). Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern wird, die eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben begründet. Dies ist auf der Grundlage der ärztlichen Stellungnahmen hier der Fall.

32

In ihrem Gutachten vom 6. Dezember 2007 führt die Ärztin Dr. D. aus, dass ohne die Medikamente die Zerstörung der Bronchien sowie Bronchiektasen begünstigt würden; es werde "zu einer Verkürzung der Lebenszeit kommen". Im Hinblick auf den zu erwartenden Zeitablauf hat sie im Telefongespräch vom 8. Februar 2008 gegenüber dem Gericht klargestellt, dass es ohne die Medikamente binnen weniger Stunden zu verstärkter Luftnot und einer Zerstörung der Bronchien kommen werde. Diese nachvollziehbaren Angaben begründen für die Klägerin bei nicht ausreichender Versorgung mit den erforderlichen Medikamenten eine konkrete und erhebliche Gesundheitsgefahr. Verstärkte Luftnot und Zerstörung der Bronchien sind als Gesundheitsbeeinträchtigungen von besonderer Intensität anzusehen. Droht eine solche Beeinträchtigung, so besteht jedenfalls die Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands (s.a. BVerwG, U.v. 29.07.1999, a.a.O., Rn. 8). Inwieweit die bei Nichteinnahme der erforderlichen Medikamente nach den Ausführungen der Ärztin außerdem erhöhte Infektanfälligkeit eine konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet, kann das Gericht nach allem offenlassen.

33

3. Die Versorgung der Klägerin mit den erforderlichen Medikamenten ist in der Republik Kosovo nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet. Nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial und allen Umständen des konkreten Falles wird die Klägerin die Medikamente jedenfalls nicht mit der erforderlichen Gewissheit finanzieren können.

34

Die Medikamentenversorgung im staatlichen Gesundheitssystem Kosovos wird zentral vom kosovarischen Gesundheitsministerium gesteuert. Das Ministerium kauft die Medikamente nach dem ermittelten jährlichen Medikamentenverbrauch zentral ein und leitet sie von einem Zentrallager aus an alle medizinischen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens weiter (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kosovo v. 02.02.2009, S. 22). Finanziert wird die medizinische Versorgung im öffentlichen Gesundheitssystem durch das jährlich dem Gesundheitsministerium zur Verfügung gestellte Budget (Deutsche Botschaft Pristina, Auskunft v. 11.06.2008 an das VG Gera). Welche Medikamente dabei grundsätzlich für die Behandlung zur Verfügung gestellt werden können, ergibt sich aus der sogenannten Essential Drug List. Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes zahlt der Patient für diese Basismedikamente grundsätzlich eine nach vorgegebenen Sätzen pauschal erhobene Eigenbeteiligung; von diesen Zuzahlungen seien Invaliden, Empfänger von Sozialhilfeleistungen, chronisch Kranke, Kinder bis zum 10. Lebensjahr und Personen über 65 Jahre befreit (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 20).

35

Selbst wenn ein Medikament in der Essential Drug List aufgeführt ist, ist jedoch nicht sichergestellt, dass der Patient es tatsächlich für den Eigenbeteiligungsbetrag erhält oder - sofern er einer der hiervon befreiten Personengruppen angehört - darüber kostenfrei verfügen kann. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist vielmehr davon auszugehen, dass die Medikamente gegenwärtig regelmäßig in vollem Umfang zu bezahlen sind. So hat die Essential Drug List nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe keine praktische Bedeutung mehr (Kosovo - Zur Lage der medizinischen Versorgung - Update v. 07.06.2007, S. 17, s.a.S. 15; ebenso Lüthke, Perspektiven bei einer Rückkehr in das Kosovo, insbesondere für Angehörige ethnischer Minderheiten, Februar 2007, S. 6). Wenn das vorhandene Quantum eines Medikaments, das auf der Liste stehe, in den öffentlichen Apotheken aufgebraucht sei, müsse es vom Patienten z.B. in privaten Apotheken gekauft und in vollem Umfang bezahlt werden. Dies sei heute - wie Recherchen mit Medikamentenanfragen ergeben hätten - eher die Regel als die Ausnahme (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 15; s.a. VG Kassel, U.v. 12.11.2008 - 4 E 1855/06.A -). Im Kosovo habe sich ein umfangreicher Schwarzmarkt herausgebildet; bei den privat betriebenen Apotheken gebe es keine Preisregulierung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.). Auch das Auswärtige Amt hat darauf hingewiesen, dass in den Jahren 2007 und 2008 mangels ausreichender finanzieller Mittel lediglich 30 % des ermittelten Bedarfs an Medikamenten der Essential Drug List angeschafft und an die medizinischen Einrichtungen im öffentlichen Gesundheitssystem weitergeleitet werden konnte. Für das Jahr 2009 zeichne sich eine ähnliche Situation ab (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 22). Darüber hinaus gibt es nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial weiterhin Fälle von Korruption und anderen Unregelmäßigkeiten im Gesundheitssektor (vgl. VG Oldenburg, U.v. 20.02.2008 - 11 A 4582/06 -; VG Arnsberg, U.v. 03.11.2008 - 3 K 883/07.A -). So hat medizinisches Personal in einigen Fällen Medikamente, die eigentlich kostenfrei oder gegen Erhebung des Zuzahlungsbetrages zur Verfügung zu stellen sind, gegen Bezahlung an die Patienten abgegeben (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 22 a.E.).

36

Auf dieser Grundlage kann das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgehen, dass die Klägerin die für sie notwendigen Medikamente finanzieren kann. Sie bedarf einer Reihe von Medikamenten, die ihr umgehend und zum Teil dauerhaft zur Verfügung stehen müssen, um die konkrete Gefahr einer Verschlimmerung ihrer Erkrankung zu verhindern. Selbst wenn entsprechende, jedenfalls gleich wirksame Medikamente in der Essential Drug List aufgeführt sein sollten, gibt es nach den dargestellten Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sie bei Bedarf in jedem Fall kostenfrei beziehen könnte. Die Schwere ihrer Erkrankung und die Tatsache, dass sie als chronisch Kranke einzustufen ist, führen zu keiner anderen Beurteilung der Versorgungslage. Zwar orientiert sich die Abgabe der staatlich finanzierten Medikamente auch an der Schwere der Erkrankung; Priorität haben Personen, die an einer chronischen Erkrankung leiden (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 22). Da jedoch nur 30 % des ermittelten Medikamentenbedarfs aus staatlichen Mitteln finanziert werden konnten, kann auch die kostenfreie Versorgung chronisch Kranker nicht als gesichert angesehen werden. Es gibt keine ausreichenden Hinweise dafür, dass die von der Klägerin benötigten Medikamente in den zur Abwehr einer konkreten Gefahr erforderlichen Kontingenten vorliegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sie unter einer Atemwegserkrankung leidet und Erkrankungen dieser Art bzw. mit zumindest teilweise identischem Behandlungsbedarf im Kosovo häufiger diagnostiziert werden. Darüber hinaus ist nach der Auskunftslage nicht ersichtlich, dass die festgestellten Fälle von Korruption und anderen Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentenversorgung für chronisch Erkrankte keine Bedeutung haben.

37

Die Klägerin wird die von ihr zu übernehmenden Kosten für die Medikamente nach den vorliegenden Unterlagen nicht tragen können. Sie ist nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden ärztlichen Bescheinigungen aufgrund ihrer Erkrankung dauerhaft arbeitsunfähig (vgl. Attest v. Dr. D., E., v. 17.07.2007; Bericht der Pneumologischen Gemeinschaftspraxis Dr. F. /Dr. G., H., v. 26.10.2004). Selbst wenn sie im Kosovo Sozialhilfe erhalten würde, wäre sie nicht in der Lage, damit die dauerhaft anfallenden Medikamentenkosten zu begleichen. Die Sozialhilfeleistungen belaufen sich für Einzelpersonen auf 35 Euro im Monat und bewegen sich daher - auch gemessen an den Lebensbedingungen in Kosovo - auf niedrigem Niveau. Sie genügen kaum, um die Grundbedürfnisse zu bestreiten (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 19), und ermöglichen es daher erst recht nicht, die von der Klägerin in beträchtlichem Umfang benötigten Medikamente zu finanzieren. Es gibt gegenwärtig auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin über eigenes Vermögen verfügt oder finanzielle Unterstützungsleistungen durch Verwandte in einem Umfang zu erwarten hat, der ihr die stets rechtzeitige Beschaffung der notwendigen Medikamente ermöglicht. Die Angaben, die die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihren persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ihrer in Deutschland bzw. Holland lebenden Verwandten gemacht hat, sind nachvollziehbar und damit auch unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den das Gericht von der Klägerin gewonnen hat, glaubhaft. Aufgrund ihrer glaubhaften Angaben ist auch nicht ersichtlich, dass sie in Kosovo gesicherte soziale Beziehungen vorfinden würde, die ihr die Finanzierung der Medikamente ermöglichen würden.

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Inwieweit die festgestellte Gefahrenlage für die Klägerin als chronisch Kranke mit dauerhaftem Medikationsbedarf abgewendet werden kann, indem ihr die deutschen Behörden vor der Ausreise einen Medikamentenvorrat zur Verfügung stellen oder durch rechtsverbindliche Erklärung für einen begrenzten Zeitraum die Übernahme der beim Kauf der Medikamente entstehenden Kosten zusichern, braucht das Gericht nicht zu entscheiden. Derartige Maßnahmen sind nach den vorliegenden Unterlagen bislang nicht getroffen worden.

39

4. Jedenfalls nach der Unabhängigkeit des Kosovo können kosovarische Staatsangehörige bei der Prüfung eines Schutzanspruchs nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch nicht mehr auf das Gesundheitssystem Serbiens verwiesen werden. Unabhängig davon gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in Serbien gesicherten Zugang zu einer ausreichenden medizinischen Versorgung erlangen und sich somit den ihr im Kosovo drohenden Gefahren entziehen könnte. Denn nach der Erkenntnislage müsste sie die Kosten einer Behandlung und Medikation in Serbien jedenfalls selbst tragen (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.).

40

5. Der Gewährung von Abschiebungsschutz steht auch nicht die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Nach dieser Regelung können Gefahren, denen eine Bevölkerungsgruppe in der Heimat des Ausländers allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG begründen, sondern nur von den obersten Landesbehörden bei einer Entscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden. In diesen Fällen kann das Bundesamt Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG nur gewähren, wenn für den Ausländer im Zielstaat der Abschiebung eine extreme Gefahrenlage besteht, die dazu führt, dass er im Falle der Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 -, a.a.O., Rn. 16). Für die Anwendung dieses strengeren Gefahrenmaßstabes besteht hier kein Raum.

41

Zielstaatsbezogene Folgen einer Erkrankung sind in der Regel als individuelle Gefahren anzusehen, bei denen die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen ist ( BVerwG, U.v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 -, juris Rn. 17). Die Annahme einer krankheitsbedingten, die Sperrwirkung dieser Regelung auslösenden Allgemeingefahr kommt nur in Betracht, wenn die Gefahr einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat lebenden Personen gleichermaßen droht und über die Aufnahme dieser Personen nicht das Bundesamt oder die Ausländerbehörde im Einzelfall, sondern das Innenministerium im Wege einer politischen Leitentscheidung einheitlich für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen befinden soll (BVerwG, U.v. 18.07.2006, a.a.O.). Erforderlich ist also neben einer großen Anzahl potenziell Betroffener ein ausländerpolitisches "Leitentscheidungsbedürfnis". Nach diesen Maßstäben bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Patienten mit Atemwegserkrankungen der bei der Klägerin diagnostizierten Art in Kosovo einer allgemeinen Gefahr ausgesetzt sind.

42

Das Beispiel der Klägerin zeigt, dass die Gefahr einer nicht ausreichenden medizinischen Versorgung dieser Patienten von einer Reihe individueller Umstände abhängt, insbesondere von der Schwere der Erkrankung, der damit möglicherweise einhergehenden Arbeitsunfähigkeit und der Aussicht auf ausreichende finanzielle Unterstützungsleistungen. Damit besteht kein Anlass und nach Sinn und Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch kein Grund für eine politische Leitentscheidung. Das Gericht kann daher offenlassen, ob überhaupt hinreichende Erkenntnisse über die Anzahl fachärztlich diagnostizierter chronischer Atemwegserkrankungen bei Personen aus der Republik Kosovo vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, es handele sich bei diesem Personenkreis zahlenmäßig um eine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG.

43

Selbst wenn die Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hier anwendbar wäre, würde sie der Gewährung von Abschiebungsschutz durch das Bundesamt nicht entgegenstehen, weil die Klägerin wegen der ihr bei einer Rückkehr in die Republik Kosovo drohenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls der Gefahr schwerster Verletzungen ausgeliefert würde.

44

6. Da der Klägerin im Falle einer Abschiebung in die Republik Kosovo derart erhebliche Gesundheitsgefahren drohen, dass die Abschiebung unter Würdigung des in ihrem Fall verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes nicht verantwortet werden kann, ergibt sich nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz durch das Bundesamt.

45

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und des § 83b AsylVfG. Die von den Beteiligten zu tragenden Kostenanteile hat das Gericht unter Berücksichtigung der in § 30 Satz 1 RVG zum Ausdruck gekommenen Wertung (s. dazu auch BVerwG, B.v. 21.12.2006 - 1 C 29/03 -, juris und NVwZ 2007, 469 f. [BVerwG 21.12.2006 - BVerwG 1 C 29/03]) festgesetzt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 711 und 708 Nr. 11 ZPO.