Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.05.2009, Az.: 2 B 111/09
Beurteilungsspielraum der zuständigen Behörde hinsichtlich der mit einer Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen verbundenen möglichen Gefahren; Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Futtermitteln sowie von Saatgut; Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen von Gefahren für die Umwelt als Folge einer Freisetzung als Voraussetzung zur Anordnung des Ruhens einer Inverkehrbringensgenehmigung; Erteilung von Weisungen durch das aufsichtführende Ministerium für das weitere Vorgehen bei Bestehen divergierender Beurteilungen von Fachbehörden hinsichtlich möglicher gentechnischer Risiken
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 04.05.2009
- Aktenzeichen
- 2 B 111/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 15698
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2009:0504.2B111.09.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 2 GenTG
- RL 2001/18/EG (Freisetzungsrichtlinie)
Fundstellen
- DVBl 2009, 800
- DÖV 2009, 638
- GewArch 2009, 412-415
- NuR 2010, 148-152
- ZUR 2009, 446-449
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Anordnung des Ruhens einer Inverkehrbringensgenehmigung nach § 20 Abs. 2 GenTG setzt keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse voraus, aus denen sich zweifelsfrei das Bestehen von Gefahren für die Umwelt als Folge einer Freisetzung ergibt.
- 2.
Der zuständigen Behörde ist hinsichtlich möglicher Gefahren, die mit einer Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen verbunden sein können, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der nur beschränkt einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt.
- 3.
Bestehen hinsichtlich möglicher gentechnischer Risiken divergierende Beurteilungen von Fachbehörden, so liegt es in der Zuständigkeit des aufsichtführenden Ministeriums, der nach außen tätig werdenden Behörde ggf. Weisungen für das weitere Vorgehen zu erteilen.
Aus dem Entscheidungstext
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine befristete Anordnung des Ruhens der Genehmigung zum Inverkehrbringen von gentechnisch verändertem Mais der Linie MON 810, soweit durch diese Genehmigung der Anbau der Maissorte gestattet wird.
Durch Entscheidung Nr. 98/294/EG der EU-Kommission vom 22.04.1998 wurde die zuständige Behörde Frankreichs verpflichtet, das Inverkehrbringen von Inzuchtlinien und Hybriden der Maislinie MON 810 mit dem Gen cry1A(b) des Bacillus thuringiensis (Bt), Unterart kurstaki, zu genehmigen. Die auf der Grundlage der Richtlinie 90/220/EWG ("Freisetzungsrichtlinie" a.F.) des Rates vom 23.04.1990 ausgesprochene Genehmigung wurde der Antragstellerin daraufhin durch Bescheid des französischen Landwirtschaftsministers vom 03.08.1998 unbefristet erteilt. Bereits zuvor hatte die Antragstellerin im Anzeigeverfahren Lebensmittel gemeldet, die aus Mais der Linie MON 810 hergestellt sind, diesen gentechnisch veränderten Organismus (GVO) aber nicht enthalten. Die Lebensmittel waren damit ebenfalls in der EU zugelassen. Durch das im Saatgut enthaltene Gen cry1A(b) des Bacillus thuringiensis (Bt), bilden die Maispflanzen Abwehrstoffe - sog. Bt-Toxine - gegen den Maiszünsler, einer Schädlingsart, die über den Darmtrakt des Zielorganismus wirken und zum Absterben des Insekts führen.
Mit Inkrafttreten der neu gefassten Freisetzungsrichtlinie Nr. 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.03.2001 wurden bereits bestehende unbefristete Inverkehrbringensgenehmigungen einer nachträglichen Befristung unterworfen. Sie müssen nach Ablauf einer Übergangszeit erneuert werden. Als "bereits existierende Erzeugnisse" gemeldete Lebens- und Futtermittel, die aus GVO hergestellt sind oder solche enthalten, können nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.09.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel ebenfalls zunächst weiterhin in den Verkehr gebracht werden, bedürfen aber nach Ablauf einer Übergangsfrist gleichfalls einer Erneuerung der Genehmigung.
Im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf der im Jahr 1998 erteilten Genehmigung hat die Antragstellerin im April und Mai 2007 bei der Kommission die Erneuerung der Genehmigung zum Inverkehrbringen von Lebens- und Futtermitteln sowie von Saatgut beantragt. Damit gilt die erteilte Genehmigung bis zur Entscheidung der Kommission oder des Rates fort.
Da mit Inkrafttreten der Freisetzungsrichtlinie Nr. 2001/18/EG u.a. höhere Standards im Hinblick auf die Beobachtung von Auswirkungen freigesetzter GVO auf die Umwelt festgelegt wurden, welche die Antragstellerin zur Aufrechterhaltung der noch bestehenden bzw. fort geltenden Genehmigung nicht zu erfüllen brauchte, neuere Untersuchungen aber gezeigt hatten, dass von den Maispflanzen Gefahren für Nichtzielorganismen wie Prädatoren und Parasitoiden (Insekten, Schmetterlingslarven) ausgehen können und zudem die Möglichkeit bestand, dass das Bt-Toxin durch Wurzelausscheidungen und Pflanzenzersetzungsprozesse in den Boden gelangt und dort nachteilig wirkt, ordnete die Antragsgeg-nerin mit Bescheid vom 27.04.2007 auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 GenTG das Ruhen der am 03.08.1998 erteilten Genehmigung unter der auflösenden Bedingung an, dass eine Abgabe von Saatgut zum Anbau erst (wieder) erfolgen darf, nachdem die Antragstellerin einen Plan zur Beobachtung der Umweltauswirkungen i. S. von Anhang VII der Richtlinie 2001/18/EG vorgelegt hat. Dem unterwarf sich die Antragstellerin und legte der Antragsgegnerin im Dezember 2007 einen entsprechenden Beobachtungsplan vor, den sie auch ihrem bei der Europäischen Kommission eingereichten Erneuerungsantrag beigefügt hatte. Daraufhin erließ die Antragsgegnerin am 05.12.2007 einen Bescheid, mit dem sie der Antragstellerin gestattete, Saatgut der Maislinie MON 810 wieder in den Verkehr zu bringen.
In der Folgezeit wurden weitere wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die sich u.a. mit der Ausbreitung von Maispollen sowie mit möglichen Auswirkungen von Bt-Toxinen auf Nichtzielorganismen wie Wasserflöhe (Daphnia magna) und Zweipunktmarienkäfer (Adalia bipunctata) befassen und solche im Ergebnis nicht ausschlossen. Obwohl die für die Antragsgegnerin handelnde Behörde, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), die Auffassung vertrat, die Ergebnisse der Studien würden aus wissenschaftlicher Sicht nicht die Annahme einer Gefahr für die Umwelt rechtfertigen und dieses dem zuständigen Ministerium unter Darlegung seiner fachlichen Erwägungen mitteilte, hielt das Ministerium die nach seiner Auffassung aus den neuen und auch aus früheren wissenschaftlichen Arbeiten resultierenden Zweifel für ausreichend, Risiken für die Umwelt anzunehmen, die es nicht bereit war, ohne weitere Untersuchungen hinzunehmen. Aus diesem Grund wies das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) mit Erlass vom 15.04.2009 an, von der Schutzklausel des § 20 Abs. 2 GenTG erneut Gebrauch zu machen.
Daraufhin erließ die Behörde unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung am 17.04.2009 einen Bescheid, mit dem sie das Ruhen der am 03.08.1998 erteilten Inverkehrbringensgenehmigung bis zur Entscheidung der Europäischen Kommission oder des Rates der Europäischen Union nach Art. 23 i.V.m. Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2001/18/EG anordnete, längstens jedoch bis zur Entscheidung der Kommission oder des Rates über die Anträge der Antragstellerin auf Erneuerung der Genehmigung zum Inverkehrbringen von Lebens- und Futtermitteln sowie von Saatgut der Maissorte MON 810, wobei sie die Ruhensanordnung auf den Maisanbau beschränkte. Damit hatte die An-tragsgegnerin nach Österreich, Ungarn, Griechenland, Frankreich und Luxemburg als sechster Mitgliedstaat der Europäischen Union unter Berufung auf die in Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18/EG vorgesehene Schutzklausel, die mit § 20 Abs. 2 GenTG in nationales Recht umgesetzt wurde, den Anbau von Mais der Sorte MON 810 befristet untersagt.
Entsprechend der (fehlerhaften) Rechtsbehelfsbelehrung hat die Antragstellerin am 21.04.2009 Klage erhoben und am 22.04.2009 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragt. Nach einem richterlichen Hinweis hat sie sodann bei der Antragsgegnerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.04.2009 eingelegt und begehrt nun die Wiederherstellung dessen aufschiebender Wirkung. Zur Begründung ihres Antrags führt sie aus: Der Bescheid sei formell rechtsfehlerhaft, weil sie vor seinem Erlass nicht angehört worden sei. Zudem fehle es an einer ausreichenden Begründung, weil dem Bescheid nicht zu entnehmen sei, welche Umweltgefahren die Antragsgegnerin für gegeben erachte. Die materiell rechtlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 GenTG, auf den sich der Bescheid stütze, lägen ebenfalls nicht vor. Die Vorschrift setze eine Gefahrenlage voraus, die hier nicht bestehe und sich auch aus den im Bescheid zitierten Studien nicht ableiten lasse. Reine Vorsorgemaßnahmen ließen sich auf § 20 Abs. 2 GenTG nicht stützen. Das BVL als fachlich zur Bewertung von gentechnischen Risiken berufene Stelle habe mit der Aufhebung der im Jahr 2007 ausgesprochenen Ruhensanordnung durch Bescheid vom 05.12.2007 zu erkennen gegeben, dass sich aus den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden wissenschaftlichen Studien beim Anbau von Mais der Linie MON 810 keine Gefahren für die Gesundheit von Menschen und Tieren oder für die Umwelt ergäben. Zudem habe die Behörde auch schon vor Erlass der Ruhensanordnung vom 27.04.2007 aus fachlicher Sicht keinen Grund zum Einschreiten gesehen und dies dem zuständigen Ministerium mitgeteilt. Ihre Auffassung sei von anerkannten wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Robert-Koch-Institut (RKI), der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS), der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) und dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) geteilt worden.
In ihrer Stellungnahme zum Erneuerungsantrag für das Inverkehrbringen von Mais der Linie MON 810 habe das BVL in seiner Eigenschaft als German Central Authority (CA) zwar die Notwendigkeit einer Antragsergänzung im Hinblick auf die Expression von cry1A(b) und die Wechselwirkung des gentechnisch veränderten Organismus mit Nichtzielorganismen gesehen, gleichwohl aber die Auffassung vertreten, dass solche Auswirkungen vernachlässigbar seien. Auch das Julius-Kühn- Institut (JKI), das Robert-Koch-Institut und das Bundesinstitut für Risikobewertung hätten in ihren im Jahr 2008 abgegebenen Stellungnahmen eine Erneuerung der Genehmigung befürwortet. Kritische Anmerkungen der Antragsgegnerin, des JKI und des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) hätten sich lediglich auf das vorgesehene Monitoring beschränkt. Auch die auf europäischer Ebene zur Bewertung entsprechender Risiken berufene EFSA (European Food Safety Authority) habe in ihrer ausführlichen Stellungnahme vom 29.10.2008, bei deren Abgabe alle bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten einschlägigen wissenschaftlichen Studien berücksichtigt worden seien, Umweltrisiken durch den Anbau von Mais der Sorte MON 810 verneint.
Neue oder zusätzliche Informationen, die die Annahme von Umweltgefahren rechtfertigen würden, lägen ebenso wenig vor, wie neue oder zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine Neubewertung von Risiken stützen könnten. § 20 Abs. 2 GenTG lasse Anordnungen nur auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu. Soweit die Antragsgegnerin sich auf eine neue Studie zu den Auswirkungen von cry1A(b) auf Zweipunktmarienkäfer berufe (Schmidt et al. 2008 bzw. 2009), führe sie zwar aus, dass Nichtzielorganismen empfindlich auf cry1-Toxine reagieren würden, zeige aber nicht auf, welche Umweltgefahren daraus resultierten und berücksichtige zudem nicht, dass die überwiegende Zahl der Studien, aus denen sich Auswirkungen auf Nichtzielorganismen ergäben, nicht zu dem in MON 810 enthaltenen cry1A(b) verfasst worden seien, sondern zu dem davon zu unterscheidenden BT176 bzw. zu dem in gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen vorkommenden cry1A(c). Die Studie von Schmidt et al. 2008 sei zudem in Fachkreisen auf energischen Widerstand gestoßen. Abgesehen davon, dass die Versuchsanordnung unkontrollierbar geblieben sei, weil nicht festgestellt werden könne, welche Bt- Konzentrationen die Marienkäferlarven tatsächlich aufgenommen hätten, seien auch die Ergebnisse nicht plausibel gewesen, weil höhere Konzentrationen zu einer absinkenden Mortalitätsrate geführt hätten, was mit der Wirkung von Toxinen nicht vereinbar sei. Umweltgefahren ließen sich aus der Studie auch deshalb nicht ableiten, weil Marienkäfer den nach der Versuchsbeschreibung aufgenommenen Bt-Konzentrationen in natürlicher Umgebung nicht ausgesetzt seien. Denn sie würden sich hauptsächlich von Blattläusen ernähren, die kein Bt-Toxin von Mais aufnehmen. Hinsichtlich der beiden neueren Studien zu Auswirkungen auf aquatische Nichtzielorganismen (Rosi- Marshall et al. 2007 und Bohn et al. 2008) habe das BVL bereits im Jahr 2008 Stellung genommen und sich daraus ergebende Anhaltspunkte für Umweltrisiken verneint.
Schließlich sei der Bescheid ermessensfehlerhaft und die Ruhensanordnung unverhältnismäßig. So treffe die bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Annahme, der wirtschaftliche Schaden der Antragstellerin sei gering, weil sie anstelle gentechnisch veränderten Maises konventionellen Mais an die betroffenen Landwirte verkaufen könne, nicht zu. Denn die Bauern hätten auch in den Vorjahren Genmais angebaut, was einen Anbau von konventionellem Mais auf denselben Flächen erst im übernächsten Jahr zulasse. Das Saatgut könne nicht andernorts veräußert werden, weil es an die spezifischen Klimabedingungen angepasst sei. Zudem seien für die Schadensbetrachtung auch Folgejahre mit einzubeziehen, weil die Erneuerung der Genehmigung sich verzögern könne. Die Lizenznehmer der Antragstellerin müssten ebenfalls mit Einnahmeverlusten rechnen, was die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt habe. Des Weiteren seien finanzielle Schäden im Zusammenhang mit der Sortenzulassung zu befürchten, weil der Maisanbau auch zu diesem Zweck nicht mehr möglich sei. Da sich aus den von der Antragsgegnerin zitierten Studien allenfalls die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen ableiten lasse, sei ein Eingriff zur Gefahrenabwehr nicht erforderlich und die getroffene Maßnahme deshalb unverhältnismäßig.
Die Antragsgegnerin erwidert: Der Bescheid sei sowohl formell als auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin sei vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden, weil das BVL zunächst die Ergebnisse aus dem Monitoring habe abwarten wollen, und als diese vorgelegen und sich deren Nachbesserungsbedürftigkeit gezeigt hätte, die Ausbringung der Saat unmittelbar bevorgestanden habe. Auch die kurz vor ihrer Entscheidung ausgesprochene Ruhensanordnung Luxemburgs und die dazu angeführten Gründe hätten sie zu kurzfristigem Handeln veranlasst, um mögliche Schäden für die Umwelt zu vermeiden. Es treffe nicht zu, dass in dem Bescheid keine Gefahren aufgezeigt würden, deren möglicher Eintritt Anlass für die ergriffene Maßnahme gewesen sei. So habe sie darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse der Studie von Schmidt et al. (2008 bzw. 2009) eine erhöhte Sterblichkeit der Marienkäferlarven als Folge der Verabreichung von Bt-Toxin nahe lege, und dass die Veröffentlichung von Bohn et al. (2008) eine mögliche Empfindlichkeit von Daphnia gegenüber cry1A(b) aufzeige. Die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung habe auf den Inhalt der Entscheidung keinen Einfluss gehabt.
In materiell-rechtlicher Hinsicht lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 GenTG vor. Hinsichtlich des berechtigten Grundes zur Annahme einer Gefahr sei zu berücksichtigen, dass das Gesetz von einem dynamischen Gefahrenbegriff ausgehe, für den stets die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse maßgeblich seien. Zudem diene das Gentechnikgesetz, wie § 1 Nr. 1 GenTG zeige, auch der Vorsorge vor der Entstehung von Gefahren. Deshalb sei ein staatliches Eingreifen aus Gründen der Risikovorsorge zulässig. Die dabei zu treffende Entscheidung beinhalte stets auch eine politische Komponente, weil es Aufgabe der Politik sei, festzulegen, welche Risiken dem Einzelnen und der Umwelt zugemutet werden sollen. Eine Entscheidung über Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren, die sich aus Risiken entwickeln können, sei nicht erst zulässig, wenn gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen, sondern bereits dann, wenn über die Interpretation bestehender wissenschaftlicher Befunde Unsicherheiten oder divergierende Ansichten bestehen, die das Vorliegen von Risiken nicht ausschließen. Es treffe zu, dass das BVL und einige andere Bundesoberbehörden das Bestehen einer Gefahrenlage verneinen würden, während das Bundesamt für Naturschutz ausreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Umwelt sehe. Angesichts dieser divergierenden Einschätzungen sei das BMELV als vorgesetzte Behörde dazu berufen gewesen, eine verbindliche Risikoeinschätzung vorzunehmen und habe sich insoweit der Auffassung des BfN angeschlossen. Auch wenn das BVL diese fachliche Wertung nicht teile, sei es als nachgeordnete Behörde verpflichtet gewesen, der Weisung des Ministeriums Folge zu leisten und die Ruhens-anordnung auszusprechen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass auch die EFSA, die bisher Risiken stets verneint habe, Bedenken der zuständigen spanischen Behörde, die in ihrer Stellungnahme zum Erneuerungsantrag auf mögliche Auswirkungen auf Nichtzielorganismen hingewiesen habe, offenbar teile, und deswegen von der Antragstellerin weitere Unterlagen angefordert habe. Den beiden Studien von Hofmann (2007 und 2008) lasse sich entnehmen, dass von einem erhöhten Eintrag von MON 810-Pollen in die umgebende Landschaft auszugehen sei, und dass bei Worst-Case-Situationen, die in der Praxis häufig vorkämen, die Ausbreitungsgradienten der Maispollen deutlich ungünstiger ausfallen können, als in Normalsituationen. In solchen Fällen könne sich die Exposition von Nichtzielorganismen um ein Mehrfaches erhöhen, was die Risikoabschätzung erheblich beeinflusse, zumal das Bt-Toxin auch Nichtziel-Schmetterlinge, darunter seltene und geschützte Arten, schädigen könne, wenn diese auf Futterpflanzen abgelagerte Pollen aufnähmen.
Die getroffene Entscheidung sei nicht ermessensfehlerhaft. Die Antragstellerin könne das Saatgut in anderen Mitgliedstaaten der EU oder in anderen Teilen der Welt absetzen. Zudem sei die Anbaufläche in Deutschland mit weniger als 3000 ha relativ klein. Zu berücksichtigen sei darüber hinaus der nur vorläufige Charakter der Maßnahme. Es treffe auch nicht zu, dass viele Landwirte im Vorjahr auf den gemeldeten Flächen Mais der Sorte MON 810 angebaut hätten und deshalb in diesem Jahr daran gehindert seien, dort konventionellen Mais anzubauen. Eine solche Ausgangslage treffe nach ihren Feststellungen lediglich auf 10% der Landwirte zu. Für die Landwirte unter ihnen, die einem Biogasanlagenbetreiber gegenüber Lieferverpflichtungen eingegangen seien, habe das Land Mecklenburg-Vorpommern darüber hinaus inzwischen eine Ausnahmegenehmigung erteilt, die Anbaupause auf das nächste Jahr zu verschieben. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, da ein milderes Mittel, zu vermeiden, dass Mais der Linie MON 810 in die Umwelt gelange, was mit möglichen irreversiblen Gefahren für die Umwelt verbunden sein könne, nicht zur Verfügung gestanden habe. Deshalb müsse die Antragstellerin auch eventuelle "Imageschäden" hinnehmen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs, dem - wie hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO - eine solche Wirkung nicht zukommt, wiederherstellen, wenn das private Interesse des Antragstellers, von der belastenden Maßnahme zunächst verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt somit nicht in Betracht, wenn dem öffentlichen Interesse der Vorrang einzuräumen ist. Das ist hier der Fall, weil nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides spricht.
Die Ruhensanordnung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Soweit die Antragstellerin geltend macht, vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden zu sein, hat die Antragsgegnerin plausibel dargelegt, dass sie zunächst die Ergebnisse des Monitorings habe abwarten wollen und als diese vorlagen und für unzureichend befunden wurden, die Aussaat unmittelbar bevorgestanden habe, was ein unverzügliches Handeln erforderlich gemacht habe. Damit lagen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor, wonach von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Unabhängig davon wäre aber auch ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht unbeachtlich, weil die Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 VwVfG nachgeholt werden kann, was mit dem vorliegenden Verfahren geschehen ist, in dessen Verlauf die Antragstellerin umfassend Stellung genommen hat. Der Bescheid läßt auch mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die Antragsgegnerin die Ruhensanordnung ausgesprochen hat, um Umweltgefahren, die mit dem Ausbringen von Mais der Linie MON 810 verbunden sein könnten, und die insbesondere eine Gefährdung von Nichtzielorganismen betreffen, auszuschließen. Dem Begründungserfordernis ist damit hinreichend Genüge getan, zumal auch fehlende Begründungselemente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG noch nachgeholt und in der ausstehenden Widerspruchsentscheidung berücksichtigt werden können.
Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht begegnet der angefochtene Bescheid keinen Bedenken. Gemäß § 20 Abs. 2 des Gentechnikgesetzes - GenTG - i.d.F. vom 16.12.1993 (BGBl. I S. 2066), zuletzt geändert durch Art. 1 des G. vom 01.04.2008 (BGBl. I S. 499) kann die zuständige Bundesoberbehörde bis zur Entscheidung der Kommission oder des Rates der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 23 i.V.m. Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.03.2001 (ABl. L 106 S. 1) das Ruhen einer Genehmigung zum Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen ganz oder teilweise nachträglich anordnen, wenn aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen, die Auswirkungen auf die Risikobewertung haben, oder aufgrund einer Neubewertung der vorliegenden Informationen auf der Grundlage neuer oder zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse ein berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass der gentechnisch veränderte Organismus eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Soweit es die nach § 20 Abs. 2 GenTG geforderte Gefahrenlage betrifft, deren Vorliegen die Kammer nach summarischer Prüfung bejaht, ist zunächst festzuhalten, dass das Gentechnikgesetz zwischen Gefahrenabwehr und Gefahren- bzw. Risikovorsorge unterscheidet. Dies hat der Gesetzgeber in § 1 Nr. 1 GenTG zum Ausdruck gebracht, indem er den Zweck des Gesetzes damit beschreibt, Leben und Gesundheit von Menschen, die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, Tiere, Pflanzen und Sachgüter vor schädlichen Auswirkungen gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und Vorsorge gegen das Entstehen solcher Gefahren zu treffen. Die Abgrenzung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge ist unscharf und wird bestimmt einerseits von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und andererseits vom Umfang des möglichen Schadens. Die Grenze zwischen der Abwehr nachgewiesener oder auch nur möglicher Gefahren und der Gefahrenvorsorge dürfte dort verlaufen, wo noch konkrete Anzeichen für überschaubare Schadensverläufe bestehen; jenseits konkreter Verdachtsmomente endet die mögliche Gefahr und beginnt die Vorsorge (vgl. Herdegen in Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Kommentar zum GenTG § 1 Rn 16). Hinsichtlich der Anforderungen, die an das Vorliegen ausreichender Verdachtsmomente bei der Anwendung des § 20 Abs. 2 GenTG zu stellen sind, ist zu berücksichtigen, dass die auf dieser Grundlage getroffenen Anordnungen befristeter Natur sind und eine abschließende Überprüfung und Feststellung bestehender Gefahren der Kommission bzw. dem Rat der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten bleibt. Deshalb dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit bestehender Gefahren bei vorläufigen Maßnahmen auf der Grundlage dieser Vorschrift wegen des mit dem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen verbundenen Basisrisikos, welches die Unsicherheiten umschreibt, die mit der unmittelbaren Beeinflussung der natürlichen Evolution durch gezielte Eingriffe in die Erbsubstanz einhergehen, und wegen der immer noch begrenzten Kenntnisse der Wissenschaft über die mittelbaren und langfristigen Folgen eines solchen Eingriffes für die menschliche Gesundheit und die natürliche Umwelt (vgl. VG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 07.11.2007 - 1 B 33/07 -, [...]; BR-Drs. 33/2002 S. 2), keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.
Der Wortlaut des § 20 Abs. 2 GenTG entspricht dem Wortlaut der in Art. 23 Abs. 1 RL 2001/18/EG enthaltenen Schutzklausel, zu deren Umsetzung die Vorschrift erlassen wurde. Vergleichbare Schutzklauseln enthalten (u.a.) auch Art. 16 Abs. 1 RL 90/220 ("Freisetzungsrichtlinie" a.F.) und Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.01.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. L 043 S. 1), wobei als Novel Food solche Lebensmittel bezeichnet werden, die genetisch veränderte Organismen im Sinne der RL 90/220/EWG enthalten oder aus solchen bestehen.
Zu dem in Art. 12 VO 258/97 verankerten Gefahrenbegriff und den Anforderungen, die zum Nachweis einer solchen Gefahr bei der Anwendung der Schutzklausel durch den Mitgliedstaat zu erfüllen sind, hat der Europäische Gerichtshof in seinem in der Rechtssache C-236/01 (Monsanto Agricoltura Italia SpA u.a. gegen Presidenza del Consiglio die Ministri u.a.) am 09.09.2003 erlassenen Urteil ausgeführt:
"Damit die doppelte Zielsetzung der Verordnung Nr. 258/97 nicht beeinträchtigt wird, die darin besteht, das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes der neuartigen Lebensmittel zu sichern und die öffentliche Gesundheit vor den mit diesen Lebensmitteln möglicherweise verbundenen Risiken zu schützen (vgl. insoweit auch die in § 1 GenTG zum Ausdruck kommende doppelte Zielsetzung des Gesetzes), können Schutzmaßnahmen, die aufgrund der Schutzklausel getroffen werden, nicht wirksam mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf bloße, wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird ...
Derartige Schutzmaßnahmen können ungeachtet ihrer vorläufigen Natur und auch wenn sie Präventivcharakter haben, nur getroffen werden, wenn sie auf eine möglichst umfassende Risikobewertung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles gestützt sind, die erkennen lassen, dass diese Maßnahmen geboten sind, um ... zu gewährleisten, dass die neuartigen Lebensmittel keine Gefahr für den Verbraucher darstellen.
Was die Beweislast angeht, die dem betreffenden Mitgliedstaat ... obliegt, so ist darauf hinzuweisen, dass der Staat nach dieser Vorschrift "stichhaltige Gründe" für die Annahme haben muss, dass die Verwendung eines neuartigen Lebensmittels die menschliche Gesundheit oder die Umwelt gefährdet.
Daraus folgt zwar, dass die von dem betreffenden Mitgliedstaat angeführten Gründe, wie sie sich aus einer Analyse der Risiken ergeben, keinen allgemeinen Charakter haben dürfen. Angesichts der ... im Wesentlichen vorläufigen Natur der auf die Schutzklausel gestützten Maßnahmen ist jedoch davon auszugehen, dass der Mitgliedstaat die ihm obliegende Beweislast erfüllt, wenn er sich auf Indizien stützt, die das Vorhandensein eines spezifischen Risikos ... erkennen lassen.
Da außerdem die Schutzklausel ... als besondere Ausprägung des Vorsorgeprinzips anzusehen ist ..., sind Voraussetzungen für die Anwendung dieser Klausel unter gebührender Berücksichtigung dieses Prinzips auszulegen.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich aus dem Vorsorgeprinzip, dass bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden ...
Daher können Schutzmaßnahmen nach Artikel 12 der Verordnung Nr. 258/97, ausgelegt im Licht des Vorsorgeprinzips, auch dann getroffen werden, wenn sich die Durchführung einer möglichst umfassenden wissenschaftlichen Risikobewertung in Anbetracht der besonderen Umstände des konkreten Falles wegen der Unzulänglichkeit der verfügbaren wissenschaftlichen Daten als unmöglich erweist ...
Derartige Maßnahmen setzen insbesondere voraus, dass die Risikobewertung, über die die nationalen Behörden verfügen, spezifische Indizien erkennen lässt, die, ohne die wissenschaftliche Unsicherheit zu beseitigen, auf der Grundlage der verlässlichsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Durchführung dieser Maßnahmen geboten ist, um zu verhindern, dass neuartige Lebensmittel, die mit potentiellen Risiken für die menschliche Gesundheit behaftet sind, auf dem Markt angeboten werden."
Dieser Entscheidung lag ein Dekret der italienischen Republik vom 04.08.2000 zugrunde, wonach Zweifel an der Gleichwertigkeit konventioneller und neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzusätze geäußert wurden, die allein ein Inverkehrbringen auf der Grundlage eines Anzeigeverfahrens zugelassen hätte. Obwohl in dem Dekret Gesundheitsgefahren nicht explizit geltend gemacht wurden und das italienische Instituto Superiore di Sanità (ISS) in einer Stellungnahme vom 28.07.2000 zuvor ein Risiko für die Gesundheit von Menschen und Tieren nach den seinerzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgeschlossen hatte, ging der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zum Verfahren C-236/01 vom 13.03.2003 aufgrund der später eingeholten Stellungnahme des Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses vom 07.09.2000, der Gesundheitsgefahren ebenfalls verneinte, davon aus, dass die italienische Regierung auch Bedenken gegen die Unschädlichkeit der neuartigen Lebensmittel habe geltend machen wollen (vgl. Rn. 148). Trotz dieser eher dürftigen Anhaltspunkte für die Geltendmachung von Bedenken gegen die gesundheitliche Unschädlichkeit neuartiger Lebensmittel erachtete der Generalanwalt die Maßnahme der italienischen Regierung auch unter diesem Aspekt nicht für unzulässig und führte dazu aus:
"Ob die von Italien vorgetragenen Zweifel im Hinblick auf die konkreten von dem Vermarktungsverbot betroffenen Produkte aus genetisch verändertem Mais tatsächlich wissenschaftlich begründet sind bzw. waren, muss ... in jedem Einzelfall von der Kommission oder dem Rat im Verfahren nach Artikel 13 beurteilt werden. ...
Im Ergebnis ist ... festzuhalten, dass die italienische Regierung vorläufige Maßnahmen gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 258/97 erlassen durfte, sofern sie aufgrund neuer Informationen oder infolge einer Neubewertung bestehender Informationen ... stichhaltige Gründe zu der Annahme hatte, dass die Verwendung der betroffenen Lebensmittel die menschliche Gesundheit oder die Umwelt gefährdet. Die Stichhaltigkeit der Gründe ist durch eine Entscheidung der Kommission bzw. des Rates gemäß Artikel 12 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 13 der Verordnung festzustellen. Die vorläufigen Maßnahmen dürfen bis zum Erlass dieser Entscheidung aufrechterhalten bleiben."
In diesem Lichte sind auch die Darlegungen des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C- 236/01 zu den Anforderungen an den Nachweis und die Wahrscheinlichkeit möglicher Gefahren bei Anwendung der Schutzklausel auszulegen. In gleicher Weise hat sich das Gericht in seinem Urteil in der Rechtssache C-6/99 (Association Greenpeace France u.a. ./. Ministère de l'Agriculture et de la Pêche u.a.) zu der in Art. 16 der Freisetzungsrichtlinie 90/200 enthaltenen Schutzklausel geäußert und ausgeführt (vgl. Rn 44), dass hierin das Vorsorgeprinzip zum Ausdruck komme, welches jedem Mitgliedstaat ge-statte, den Einsatz und/oder Verkauf eines Produkts, für das eine Zustimmung erteilt worden ist, in seinem Gebiet vorübergehend einzuschränken oder zu verbieten, wenn er berechtigten Grund zu der Annahme hat, dass dieses Produkt eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt. In den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 25.11.1999 zu dieser Entscheidung wird ausgeführt, dass der fehlende wissenschaftliche Nachweis eines mit bestimmten menschlichen Tätigkeiten verbundenen Risikos kein ausreichender Grund sei, um nicht alle Maßnahmen zu ergreifen, mit denen der Eintritt dieses Risikos abgewendet werden kann, wenn das Risiko in gewisser Weise plausibel ist (Rn 71). Die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes zu den in Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 258/97 und Art. 16 Abs. 1 RL 90/220 enthaltenen Schutzklauseln können sinngemäß auf die inhaltsgleiche Schutzklausel des Art. 23 Abs. 1 RL 2001/18/EG und damit auf § 20 Abs. 2 GenTGübertragen werden.
Hieraus folgt, dass entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen müssen, um eine Ruhensanordnung zu begründen. Vielmehr genügt es, wenn neue oder zusätzliche Informationen oder wissenschaftliche Erkenntnisse, die Auswirkungen auf die Risikobewertung haben, vorliegen, aus denen sich eine begründete Annahme für überschaubare Schadensverläufe herleiten läßt. Solche Anhaltspunkte hat die Antragsgegnerin dargetan. Ob sich ihre Annahmen hinsichtlich bestehender Gefahren, die jedenfalls nicht völlig abwegig erscheinen und die Durchführung weiterer Untersuchungen rechtfertigen, letztlich wissenschaftlich halten lassen, hat auf die Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnung keine Auswirkung, sondern ist von der Kommission oder dem Rat nach dem in Art. 23 i.V.m. Art. 30 Abs. 2 RL 2001/18/EG vorgeschriebenen Verfahren verbindlich zu entscheiden.
Für ihre Gefahrenprognose hat die Antragsgegnerin sowohl wissenschaftliche Studien herangezogen, die bereits vor dem Erlass des Bescheides vom 05.12.2007, mit dem die erste Ruhensanordnung aufgehoben wurde, bekannt waren, als auch später veröffentlichte Arbeiten. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass durch den Erlass des Bescheides vom 05.12.2007 für die jetzt getroffene Anordnung keine Präklusion hinsichtlich solcher Erkenntnisse eingetreten ist, die im Dezember 2007 bereits vorlagen und bekannt waren. Denn zeitlicher Bezugspunkt der neuen oder zusätzlichen Erkenntnisse, die eine Ruhensanordnung zu rechtfertigen vermögen, ist nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 GenTG die Erteilung der Inverkehrbringensgenehmigung, mithin das Jahr 1998. Zwar könnte ein widersprüchliches Verhalten der Behörde im Hinblick auf die Schlussfolgerungen, die sie aus vorliegenden Gutachten zieht, Auswirkungen auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der nun erneut ausgesprochenen Ruhensanordnung haben, doch liegt ein solches widersprüchliches Verhalten hier nicht vor. Zum einen erscheint es nämlich durchaus plausibel, dass auch dann, wenn über einen längeren Zeitraum in verschiedenen wissenschaftlichen Studien zutage getretenen Bedenken zunächst kein hinreichendes Gefahrenpotenzial zugemessen wurde, diese Einschätzung nach dem Hinzutreten weiterer, für sich genommen ebenfalls nicht ausreichender Zweifel, eine mögliche Gefahrenlage, die das Ergreifen von Maßnahmen zur Vorbeugung rechtfertigt, nunmehr angenommen wird. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass es zwar grundsätzlich Aufgabe des BVL ist, gentechnische Gefahrenlagen abzuschätzen und über die Notwendigkeit von Maßnahmen zu entscheiden; dadurch ist aber die zuständige Fachaufsichtsbehörde, hier also das BMELV, nicht gehindert, zu einem ihr angemessen erscheinenden Zeitpunkt ihre eigene und und im Falle der Divergenz maßgebliche Auffassung zum Ausdruck zu bringen und ggf. der nachgeordneten Behörde gegenüber entsprechende Handlungsanweisungen zu erteilen. Im vorliegenden Fall hat sich das Ministerium der Auffassung des BfN angeschlossen, welches Bedenken gegen die Ausbringung von Mais der Linie MON 810 geäußert hat. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, die der Maßnahme zugrunde liegende Risikoermittlung und -bewertung, die auf neuen bzw. zusätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, durch eine eigene Bewertung zu ersetzen. Vielmehr kommt der Behörde insoweit ein Beurteilungsspielraum (Einschätzungsprärogative) zu, dessen Wahrnehmung das Gericht nur daraufhin überprüfen kann, ob die Risikobewertung der Exekutive auf Grund ausreichender Ermittlungen und willkürfreier Annahmen zustande gekommen ist (BVerwG, Urt. v. 19.01.1989 - 7 C 31.87 -, BVerwGE 81, 185; BVerwG, Beschl. vom 15.04.1999 - 7 B 278/98 -, NVwZ 1999, 1232; VGH Mannheim, Urt. vom 04.05.2001 - 10 S 2786/99 -, DÖV 2001, 1048). Hieran bestehen keine Zweifel.
Das BMELV, das die angefochtene Entscheidung angeordnet hat, geht von der Annahme aus, dass hinreichende Anhaltspunkte für eine mögliche Gefährdung von Nichtzielorganismen als Folge des Anbaus von Mais der Linie MON 810 bestehen. Dabei hat sich das Ministerium bei seiner Beurteilung auf die wissenschaftliche Bewertung bestehender Risiken durch das BfN und anderer Quellen, wie etwa der Studie des Bundes Ökologischer Lebensmittelwirtschaft e. V. (BÖLW) vom 02.04.2009, sowie auf die Studien von Schmidt et al. (2008 bzw. 2009), Bonk et al. (2007 und 2008) und Harwood et al. (2007) gestützt. Hinzu kommen die Ergebnisse der Untersuchungen von Hofmann et al. vom 22.11.2008, die zwar in dem angefochtenen Ausgangsbescheid nicht erwähnt wurden, deren nachträgliche Einbeziehung im Vorverfahren aber unbedenklich ist. Die Untersuchungen von Schmidt et al. (2008 bzw. 2009) schließen es nicht aus, dass Bt-Toxine auch gegen solche Nichtzielorganismen wirken, die nicht den Lepidopteren, sondern einer anderen Insektenordnung angehören. Zwar wurden gegen die Studie wissenschaftliche Bedenken erhoben, weil die Bt-Konzentration nicht hinreichend kontrollierbar war und die Arbeit keine Erklärung dafür enthielt, warum bei der Gruppe von Versuchstieren, die der höchsten Giftkonzentration ausgesetzt war, eine etwas geringere Mortalitätsrate festgestellt wurde, als bei der Versuchsgruppe, der eine niedrigere Dosis von Bt-Toxin verabreicht wurde (vgl. Dr. Rauschen, Institut für Biologie III an der RWTH Aachen). Dennoch kommt die Studie - insoweit unbestritten - zu dem Ergebnis, dass die Mortalitätsrate bei der Kontrollgruppe signifikant niedriger war, als bei den Larven des Zweipunktmarienkäfers (Adalia bipunctata), die mit Bt-Toxin gefüttert wurden. Zu den Ergebnissen ihrer Studie führen Schmidt et al. selbst aus, "to explain our observations, we consider that additional studies on the mode of action in nontarget species are necressary"; gleichwohl rechtfertigen die Ergebnisse die Annahme der Möglichkeit von Auswirkungen des Bt-Toxins auf Nichtzielorganismen. Auch wenn speziell Marienkäfer weniger gefährdet erscheinen, weil sie sich - sofern ein entsprechendes Angebot vorhanden ist - hauptsächlich von Blattläusen ernähren, die kein Bt-Toxin aufnehmen, gibt die Studie Anlass, Auswirkungen auf andere Nichtzielorganismen zu untersuchen, die möglicherweise cry1A(b) in höheren Dosen aufnehmen. In diesem Zusammenhang sind die Studien von Hofmann et al. (2007 und 2008) von Bedeutung, in denen nachgewiesen wird, dass generell von einem deutlich höheren Eintrag von Maispollen in die Umgebung auszugehen ist, was Auswirkung auf die Risikobewertung haben kann, weil Nichtzielorganismen möglicherweise bei der Nahrungsaufnahme deutlich höheren Expositionen ausgesetzt sind, als bisher angenommen. Solche Risiken kann man zwar hinnehmen (BVL: "vernachlässigbar"), muss es aber nicht. Die Entscheidung des zuständigen Ministeriums, zunächst weitere Untersuchungen zu fordern, ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt um so mehr, als Erkenntnisse hierüber vor allem im Rahmen entsprechender Beobachtungsprogramme gewonnen werden können und das von der Antragstellerin vorgelegte Monitoringkonzept sowie die dabei zusammengetragenen Ergebnisse unzureichend sind. Hierzu stellt das BfN in seiner Stellungnahme vom 07.04.2009 zusammenfassend fest:
"Für die Anbausaison 2008 liegen keine veröffentlichten Daten aus den Beobachtungsprogrammen vor. Die von der (Antragstellerin) gezogenen Schlußfolgerungen über das Fehlen schädlicher Effekte des Anbaus von MON 810 entbehren daher jeder Grundlage.
Der von der (Antragstellerin) vorgelegte Monitoringbericht ist unvollständig...
Die fachliche Qualität des Berichts entspricht nicht den wissenschaftlichen Mindestanforderungen und somit ist der Bericht nicht akzeptierbar.
Der dem Bericht zugrunde liegende Monitoringplan erweist sich als ungeeignet, potentielle schädliche Auswirkungen des Anbaus von MON 810 auf die Umwelt abzubilden..."
Hierzu nimmt die Behörde sodann im Detail Stellung. Die Kammer verzichtet insoweit auf eine Wiedergabe des Inhalts der den Beteiligten bekannten Stellungnahme. Die Antragsgegnerin stützt ihre Maßnahme ergänzend auf die Erkenntnis, dass insbesondere Populationen von Nichtzielschmetterlingen von erhöhten Bt-Expositionen betroffen sein können. Wegen des Streuungsbereichs der Pollen, der in Worst-Case-Situationen wesentlich weiter ausfallen kann, als bisher angenommen, können so auch geschützte Arten von Faltern betroffen sein, die bisher bei Gefährdungsprognosen keine hinreichende Beachtung gefunden haben. In diesem Zusammenhang weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass auch die EFSA nach entsprechenden Einwendungen spanischer Behörden nachteilige Auswirkungen auf Nichtzielorganismen für möglich hält. Eine andere Insektengruppe, die möglicherweise Gefährdungen durch Bt-Toxin ausgesetzt ist, sind Wasserflöhe. Bohn et al. (2008) haben bei ihren Untersuchungen Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Aufnahme von cry1A(b) bei Daphnien möglicherweise zu einer verminderten Überlebensfähigkeit führt, was von Bedeutung ist, weil Bt-Toxine durchaus in aquatische Systeme gelangen können (Douville et al. 2007; Rosi-Marshall et al. 2007). Auch andere aquatische Organismen, wie Köcherfliegenlarven reagieren auf cry1A(b) mit erhöhter Sterblichkeit und einer verlängerten Entwicklungszeit (Rosi-Marshall et al. 2007). All diese Untersuchungsergebnisse und die dazu von anderer Seite erhobenen wissenschaftlichen Einwendungen mögen zwar auch eine Entscheidung tragen, die mit dem Anbau von Mais der Linie MON 810 verbundenen Risiken und Gefahren als vernachlässigbar zu betrachten und deshalb auf eine Ruhensanordnung zu verzichten; sie rechtfertigen aber in gleicher Weise auch die vom BMELV getroffene Entscheidung. Hierzu führt die Antragsgegnerin zu Recht aus, dass es Sache der dazu berufenen Exekutive ist, im Rahmen des ihr zukommenden Beurteilungsspielraums zu entscheiden, welche Risiken sie im Hinblick auf die Gesundheit von Menschen und den Schutz der Umwelt eingehen will und welche nicht. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die auf nachvollziehbaren wissenschaftlichen Erwägungen gestützte Entscheidung der Antragsgegnerin durch eine eigene, im Zweifel fachlich weniger qualifizierte Entscheidung zu ersetzen.
Die getroffene Ruhensanordnung ist angesichts des hohen Stellenwertes, der dem Schutz der Umwelt als Grundlage allen menschlichen und tierischen Lebens einzuräumen ist, auch weder ermessensfehlerhaft noch unverhältnismäßig. Insofern hat die Antragsgegnerin zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine zeitlich befristete Maßnahme handelt und 90% der Landwirte, die zunächst beabsichtigten, Mais der Linie MON 810 auszubringen, nicht gehindert sind, andere landwirtschaftliche Erzeugnisse auf den vorgesehenen Flächen anzubauen. Die Behauptung, dies sei aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr möglich, hat die Antragstellerin nicht plausibel dargelegt. Es erscheint der Kammer nicht nachvollziehbar, weshalb ein Landwirt, der in der Regel nur wenige Hektar Ackerland mit Mais der Linie MON 810 bestellt, sich nicht kurzfristig mit konventionellem Maissaatgut versorgen und dies noch ausbringen können soll. Die Aussaat von Mais findet von April bis Mitte Mai statt, wobei bei einer Aussaat nach dem 10. Mai mit Ernteverlusten zu rechnen ist. Aus diesem Grund hat die Kammer frühzeitig entschieden, um ggf. noch eine Aussaat zu ermöglichen. Dafür, dass konventionelles Maissaatgut ausverkauft oder nicht kurzfristig zu beschaffen sein könnte, ist nichts ersichtlich. Angesichts der wirtschaftlichen Potenz der Antragstellerin sowie der relativ geringen Anbaufläche in Deutschland einerseits und den möglichen Umweltgefahren andererseits, hält die Kammer die getroffene Entscheidung auch nicht für unverhältnismäßig. Sollte die Kommission oder der Rat der Europäischen Gemeinschaften die getroffene Entscheidung aufheben oder die beantragte Erneuerung der Inverkehrbringensgenehmigung aussprechen, so können die Landwirte das erworbene Saatgut im nächsten Jahr ausbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG, wobei die Kammer das angenommene wirtschaftliche Interesse wegen der Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes auf die Hälfte reduziert hat.