Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 31.08.2010, Az.: 1 Ws 387/10 (StrVollz)
Auslegung des Begriffs der "Zeitschrift" i.S.v. § 65 des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG); Voraussetzungen für die Versagung eines Zeitschriftenabonnements im Falle der Befürchtung einer Gefährdung des Vollzugsziels
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 31.08.2010
- Aktenzeichen
- 1 Ws 387/10 (StrVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24387
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0831.1WS387.10STRVOLLZ.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 01.06.2010 - AZ: 23 StVK 132/10
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NStZ-RR 2011, 31
- ZfStrVo 2011, 55
Amtlicher Leitsatz
1. Auch eine ausschließlich aus der Wiedergabe von Leserbriefen bestehende Publikation unterfällt dem Begriff "Zeitschrift" im Sinne des § 65 NJVollzG.
2. Die Versagung eines Zeitschriftenabonnements aus inhaltlichen Gründen ist nur zulässig, wenn die Verbreitung der Zeitschrift mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist.
3. Ist danach ein Zeitschriftenabonnement einem Gefangenen nicht zu versagen, muss für jede eingehende Ausgabe der Zeitschrift geprüft werden, ob ihre Aushändigung das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt erheblich gefährdet oder ob Teile der Zeitschrift aus diesen Gründen dem Antragsteller vorenthalten werden müssen. Zeichnet sich eine derartige Gefährdung in jeder Ausgabe der Zeitschrift ab, kann eine bloß stichprobenartige Überprüfung genügen, um dem Gefangenen die Aushändigung einer Ausgabe zu verweigern.
Tenor:
Dem Antragsteller wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Rechtsbeschwerde gegen den angefochtenen Beschluss gewährt.
Der angefochtene Beschluss wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf bis zu 300 € festgesetzt (§§ 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG).
Gründe
I. Der nach den Feststellungen des Landgerichts der rechtsradikalen Szene angehörende Antragsteller beantragte am 1. März 2010 die Genehmigung für ein Abonnement der LBZ (erste deutsche Leserbriefzeitung), die von der Deutschen Liga für Volk und Heimat - einer rechtsextremen politischen Organisation in Deutschland - herausgegeben wird. Die von jedermann zu beziehende LBZ besteht ausschließlich aus Leserbriefen. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag am 2. März 2010 mündlich ab. Hiergegen richtete sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückwies. Die Versagung der Genehmigung beruhe auf § 65 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 NJVollzG. Die Antragsgegnerin habe das Bezugsverbot erlassen dürfen, da Inhalte der LBZ gegen Strafgesetze verstoßen würden (§ 185 StGB) bzw. an eine Volksverhetzung grenzen. Bei einem regelmäßigen Bezug der LBZ, die bereits in der Vergangenheit hinsichtlich zweier Einzelausgaben dem Antragsteller vorenthalten werden musste, handele es sich zudem aufgrund des damit verbundenen Kontrollaufwandes um einen unangemessenen Umfang des Bezugs von Zeitschriften. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers, der die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II. Die Rechtsbeschwerde hat (vorläufigen) Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
a. Soweit sie nicht innerhalb der Frist des § 118 Abs. 1 Satz 1 StVollzG erhoben worden ist, steht dies der Zulässigkeit nicht entgegen. Denn dem Amtragsteller war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Rechtsbeschwerdefrist verhindert war (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 44 StPO). Der Antragsteller hat am 25. Juni 2010 beantragt, die Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts aufzugeben. Dass diese sodann erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist am 13. Juli 2010 protokolliert worden ist, hatte der Antragsteller nicht zu vertreten.
b. Die Rechtsbeschwerde ist auch nach § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu ermöglichen. Es gilt, dem im Folgenden dargestellten Rechtsfehler zukünftig entgegenzuwirken.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die von der Kammer vorgenommene Begründung rechtfertigt eine Versagung zum Abschluss eines Abonnements der LBZ nicht.
a. Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Versagung der erforderlichen Bezugsgenehmigung von Zeitschriften ist § 65 NJVollzG. Diese war auch vorliegend einschlägig, obwohl es sich bei der LBZ nach den getroffenen Feststellungen um ein Druckerzeugnis handelt, das ausschließlich aus Leserbriefen besteht. Mag dadurch auch der eigene redaktionelle Inhalt der LBZ gegen Null tendieren, verbleibt sie dennoch eine dem Anwendungsbereich des § 68 NJVollzG - und nicht etwa § 29 NJVollzG - unterfallende Publikation. Denn die LBZ nimmt in gedruckter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form am Kommunikationsprozess teil und unterliegt damit dem weit und formal zu bestimmenden Begriff der Presse im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. hierzu BVerfGE 95, 28 (35) [BVerfG 08.10.1996 - 1 BvR 1183/90]).
b. Eine Versagung des beantragten Abonnements der LBZ konnte nicht auf § 65 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG gestützt werden. Danach sind Zeitungen und Zeitschriften vom Bezug ausgenommen, deren Verbreitung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. In Betracht kommen vor allem Publikationen im Sinne der §§ 86, 86a, 130 Abs. 2, 184 StGB (vgl. Schwind/Böhm/Jehle, § 68 StVollzG Rn. 3). Diese Voraussetzungen sind von der Kammer bislang nicht festgestellt worden. Insbesondere geht die Kammer offenbar selbst nicht davon aus, dass die Verbreitung der LBZ eine Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB darstellt, da sie lediglich festgestellt hat, dass die Inhalte der LBZ an eine Volksverhetzung "grenzen". Soweit die Kammer darauf abstellt, dass der Inhalt der LBZ gegen Strafgesetze verstößt, genügt dies den Anforderungen des § 65 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG nicht. Der insoweit eindeutige Wortlaut der Norm knüpft nicht an einen allgemeinen Verstoß gegen Gesetze an, sondern fordert für den generellen Ausschluss, dass die Verbreitung der Zeitschrift mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist. Da in § 185 StGB eine solche Verbreitung nicht unter Strafe gestellt ist, durfte die Kammer hierauf für ein Bezugsverbot nicht abstellen.
c. Die Versagung des beantragten Abonnements war mit den getroffenen Feststellungen auch nicht auf der Grundlage von § 65 Abs. 1 NJVollzG gerechtfertigt.
aa. Soweit die Kammer (zunächst) für die Annahme eines "nicht angemessenen Umfanges" darauf abstellt, dass die Zeitschrift die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet, hat sie ihrer rechtlichen Würdigung nicht den Begriff des "angemessenen Umfangs", sondern den Versagungsgrund des § 65 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG zugrunde gelegt. Dieser gestattet jedoch kein generelles Bezugsverbot, sondern lediglich die Vorenthaltung einzelner Ausgaben oder Teile von Zeitschriften. Eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift dahin, dass in Ausnahmefällen auch ein generelles Bezugsverbot hiervon gedeckt wird (vgl. OLG Hamburg ZfStrVo SH 1978, 39; KG ZfStrVo 1987, 251), wäre verfassungswidrig. Denn § 65 NJVollzG regelt in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die Ausübung des in Art. 5 GG enthaltenen Grundrechts, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, soweit es den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften betrifft (vgl. BVerfG NStZ-RR 1996, 55 [BVerfG 27.09.1995 - 2 BvR 636/95]; ThürOLG StraFo 2004, 290). Dem entspricht es, dass § 65 NJVollzG nicht als Ermessensvorschrift aufgefasst wird, sondern als eine Rechtsnorm, die einen Anspruch des Gefangenen auf Bezug von Zeitungen und Zeitschriften begründet (vgl. Callies/Müller-Dietz, § 68 StVollzG Rn. 1). Auch die Versagungstatbestände des § 65 Abs. 2 NJVollzG sind im Lichte des durch sie eingeschränkten Grundrechts so auszulegen, dass dessen wertsetzende Bedeutung auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommt (vgl. BVerfG NStZ 1995, 613 [BVerfG 29.06.1995 - 2 BvR 2631/94]; NStZ-RR 1996, 55 [BVerfG 27.09.1995 - 2 BvR 636/95]; ThürOLG aaO.). Das Grundrecht der Informationsfreiheit lässt eine Auswahl der Publikationen unter dem Gesichtspunkt der Behandlung sowie der Sicherheit und Ordnung der Anstalt nicht zu (vgl. Callies/Müller Dietz aaO.).
bb. Die Annahme der Kammer, dass die erforderliche Überprüfung jedes einzelnen Exemplars der LBZ mit Rücksicht darauf, dass bereits zwei Überprüfungen von Einzelausgaben eine Vorenthaltung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG begründeten, nicht angemessen im Sinne des § 65 Abs. 1 NJVollzG sei (so wohl auch ThürOLG StraFo 2004, 290 (291) [OLG Jena 17.06.2004 - 1 Ws 118/04] zu § 68 StVollzG), ist mit der Normgenese und dem Willen des Landesgesetzgebers nicht zu vereinbaren. Im Unterschied zum Regierungsentwurf, der ein generelles Bezugsverbot bei Vorliegen der Vorenthaltungsgründe des Abs. 2 Satz 2 vorsah (vgl. LT-Drs. 15/3565, S. 27), ist der Entwurf im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, der geltenden Gesetzesfassung entsprechend, abgeändert worden. Im schriftlichen Bericht des Ausschusses wird zum Ausdruck gebracht, dass die Änderung des Regierungsentwurfs den Zweck hatte, im Hinblick auf Art. 5 GG den vollständigen Ausschluss bestimmter Zeitungen und Zeitschriften "nur unter den nunmehr in Absatz 2 Satz 1 genannten Voraussetzungen zuzulassen" (vgl. LT-Drs. 15/4325, S. 27). Dies begründet die Annahme, dass der "angemessene Umfang" im Sinne von § 65 Abs. 1 NJVollzG nicht durch den erforderlichen personellen Kontrollaufwand zur Überprüfung, ob bestimmte Ausgaben oder Teile einer Zeitschrift gegen das Vollzugsziel oder die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt verstoßen (§ 65 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG), bestimmt werden kann.
d. Die Versagung der Bezugsgenehmigung konnte auch nicht auf § 3 Satz 3 NJVollzG gestützt werden, da § 65 NJVollzG insoweit eine speziellere Regelung enthält (vgl. ThürOLG StraFo 2004, 290 [OLG Jena 17.06.2004 - 1 Ws 118/04]; OLG Koblenz, NStZ 1984, 46 [OLG Koblenz 26.09.1983 - 2 Vollz (Ws) 52/83]; Callies/Müller-Dietz aaO.; Schwind/Böhme/Jehle, § 68 StVollzG Rn. 14; a.A. Grunau/Tiesler, § 68 StVollzG, Rn. 3).
3. Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben. Der Senat war indessen mangels Spruchreife nicht in der Lage, gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG eine eigene Sachentscheidung zu treffen. Die von der Kammer getroffenen Feststellungen lassen nämlich nicht den Schluss zu, dass sich der Bezug der vom Antragsteller begehrten Zeitschrift noch im angemessenen Umfang im Sinne des § 65 Abs. 1 NJVollzG hält. Die Angemessenheit richtet sich dabei nach dem räumlichen, organisatorischen und personellen Verhältnissen der Anstalt (vgl. Callies/Müller-Dietz, § 68 StVollzG Rn. 1). Gerade dieser Umstand begründet mit die Befugnis der Vollzugsanstalt, den Bezug von Zeitschriften von ihrer Vermittlung abhängig zu machen (vgl. OLG Celle, Nds. RPfl. 1978, 93). Dies hat zur Folge, dass bei einer Vielzahl von Zeitschriften, die ein Gefangener beziehen will, es zulässig ist, ihn des angemessenen Umfangs wegen auf bestimmte Zeitschriften seiner Wahl zu beschränken (vgl. BVerfG ZfStrVo 1982, 316; OLG Hamm, NStE Nr. 2 zu § 68 StVollzG, zitiert nach juris). Ob der Antragsteller über die von ihm beantragte Genehmigung zum Bezug der LBZ noch weitere Zeitschriftenabonnements besitzt, die bei Genehmigung den angemessenen Umfang überschreiten würden, ist von der Kammer nicht festgestellt worden und bedarf insoweit der Aufklärung durch das Tatsachengericht.
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Mit einer etwaigen Genehmigung für den Antragsteller, das beantragte Abonnement beziehen zu dürfen, ist über die Zulässigkeit der Aushändigung jedes einzelnen Exemplars der LBZ an ihn noch keine Entscheidung getroffen. Vielmehr muss für jede eingehende Ausgabe der Zeitschrift geprüft werden, ob ihre Aushändigung das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt erheblich gefährdet oder ob Teile der Zeitschrift aus diesen Gründen dem Antragsteller vorenthalten werden müssen (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1981, 240). Angesichts der bislang getroffenen Feststellungen zu den Inhalten der LBZ besteht damit für den Antragsteller die Gefahr, sein Geld in das Abonnement einer Zeitschrift zu investieren, ohne eine einzelne Ausgabe ausgehändigt zu bekommen. Der der Antragsgegnerin zukommende Prüfaufwand, ob eine einzelne Ausgabe zu beanstanden ist, erscheint dem Senat dabei nicht erheblich. Schon der Hinweis auf der Titelseite auf beiden von der Kammer im Vorfeld beanstandeten Ausgaben, wonach die "bekannte 6-Millionenzahl" nicht in Zweifel zu ziehen oder dies zumindest unkenntlich zu machen sei, lässt auf eine zu beanstandende Tendenz sämtlicher Ausgaben der LBZ schließen, die die Antragsgegnerin zu einer bloß stichprobenartigen Überprüfung der jeweiligen Ausgabe berechtigt und bei positivem Befund von der Weiterleitung dieser Ausgabe ohne Weiteres absehen lassen kann. Die gebotene Auslegung des § 65 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG im Lichte des Art. 5 GG zwingt nicht dazu, in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen zu ignorieren und die notwendig begrenzten sachlichen und personellen Ressourcen wenig effektiv zu verbrauchen (vgl. ThürOLG, StraFo 2004, 290 (291) [OLG Jena 17.06.2004 - 1 Ws 118/04]). Auf ein Schwärzen oder Herausnehmen einzelner Teile der einzelnen Ausgaben als weniger einschneidende Maßnahmen braucht sich die Antragsgegnerin bei einer sich ständig zeigenden gefährlichen Tendenz, die neben der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt auch das Vollzugsziel beim Antragsteller erheblich gefährden könnte, nicht verweisen zu lassen, wenn die Vielzahl der beanstandeten Stellen nur noch ein Torso von der Zeitschrift übrig ließe (vgl. OLG Nürnberg, NStZ 1983, 574; OLG Hamm, NStZ 1985, 143).