Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.08.2010, Az.: 2 Ws 303/10
Vertretungsbefugnis eines Prozessbevollmächtigten für den Angeklagten und Nebenkläger in einer Person; Gebührenrechtliche Auslegung des Begriffs "dieselbe Angelegenheit" i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 Rechtsvergütungsgesetz (RVG)
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 25.08.2010
- Aktenzeichen
- 2 Ws 303/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24850
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0825.2WS303.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bückeburg - KLs 406 Js 7477/08 (1/09) - 09.07.2010
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 1 RVG
- § 15 Abs. 2 S. 1 RVG
- Nrn. 4100 ff. VV RVG
Fundstellen
- AGS 2011, 25-26
- NStZ-RR 2011, 32
- RENOpraxis 2011, 177-178
- RVG prof 2011, 31-32
- RVGreport 2011, 19
- Rpfleger 2011, 46-47
- StRR 2011, 37-38 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- ZAP 2011, 556
- ZAP EN-Nr. 376/2011
Amtlicher Leitsatz
Vertritt ein Rechtsanwalt in einem Strafverfahren den Angeklagten, welcher als Nebenkläger zugelassen ist, sowohl als Verteidiger als auch als Vertreter der Nebenklage, handelt es sich bei dieser Tätigkeit gebührenrechtlich jedenfalls dann um dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG, wenn Verteidigung und Nebenklage dieselbe prozessuale Tat betreffen.
Tenor:
1. Das Verfahren wird dem Senat zur Entscheidung übertragen.
2. Die sofortige Beschwerde des Verteidigers und Nebenklagevertreters gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Bückeburg vom 9. Juli 2010 wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.170,94 € festgesetzt.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer vertrat den früheren Angeklagten und inzwischen rechtskräftig freigesprochenen M. G. in einem Strafverfahren vor der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Bückeburg wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei als Verteidiger. In diesem Strafverfahren, welches wegen desselben Tatgeschehens gegen fünf Angeklagte geführt wurde, wurde M. G. durch Beschluss der 1. großen Jugendkammer vom 06.02.2009 als Nebenkläger zugelassen und ihm der Beschwerdeführer als Beistand beigeordnet, welcher G. in der Hauptverhandlung zugleich als Nebenklagevertreter vertrat. M. G. wurde mit rechtskräftigem Urteil der 1. großen Jugendkammer vom 03.07.2009 freigesprochen. Nach der Kostenentscheidung des Urteils, welche mit Beschluss der 1. großen Jugendkammer vom 11.03.2010 ergänzt worden ist, hat die Landeskasse betreffend M. G. die Kosten des Verfahrens sowie die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Dem Verurteilten M. wurden die notwendigen Auslagen des Nebenklägers M. G. auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 08.07.2009, mit dem zugleich eine Abtretungserklärung des freigesprochenen M. G. gemäß § 43 RVG vorgelegt wurde, beantragte der Beschwerdeführer für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger 12.596,03 € an Gebühren festzusetzen. Er beantragte ferner für seine Tätigkeit als Nebenklägervertreter weitere 7.170,94 € an Gebühren festzusetzen. Bei der Beantragung der Festsetzung der Wahlverteidigergebühren wurden für die Grundgebühr aus Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühren aus Nr. 4104 und 4118 VV RVG jeweils die Höchstgebühr sowie für sämtliche Hauptverhandlungstage mit Ausnahme von zwei Tagen die Höchstgebühr aus dem Gebührentatbestand Nrn. 4118, 4120 VV RVG in Höhe von 780 € geltend gemacht, im Übrigen Gebühren von 445 €.
Die geltend gemachten Gebühren für die Nebenklagevertretung in Höhe von 7.170,94 € wurden dem Beschwerdeführer bereits ausgezahlt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 09.07.2010 hat die Rechtspflegerin bei dem Landgericht Bückeburg die von der Landeskasse an den Angeklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf (weitere) 5.425,09 € festgesetzt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, bei der Vertretung einer Person zugleich als Angeklagten und als Nebenkläger handele es sich um eine Angelegenheit i. S. des § 15 Abs. 2 RVG. Die im Wege der Beiordnung ausgezahlte Vergütung für die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Nebenklagevertreter in Höhe von 7.170,94 € sei auf die geltend gemachte Vergütung für die Tätigkeit als Verteidiger in Höhe von 12.596,03 € anzurechnen, sodass ein festzusetzender Rest in Höhe von 5.425,09 € verbleibe.
Gegen diesen ihm am 14.07.2010 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Beschwerdeführer mit am 15.07.2010 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 12.08.2010 nicht abgeholfen.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. a) Für die zu treffende Entscheidung ist grundsätzlich der Einzelrichter des Strafsenats zuständig. Nach § 464 b Satz 3 StPO gelten für das Kostenfestsetzungsverfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Damit findet auch § 568 Satz 1 ZPO für das Beschwerdeverfahren Anwendung, wonach über die Beschwerde der Einzelrichter entscheidet, wenn der Einzelrichter oder - wie hier - der Rechtspfleger die angefochtene Entscheidung getroffen hat (vgl. OLG Celle, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21.07.2010 - 2 Ws 266/10 -; 1. Senat, Beschluss vom 06.10.2009 - 1 Ws 488/09 -).
b) Nach § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPOüberträgt der Einzelrichter das Verfahren dem Spruchkörper zur Entscheidung in der vom Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung aufweist. Dies ist hier der Fall, denn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob der Rechtsanwalt, welcher zugleich als Verteidiger und als Nebenklagevertreter dieselbe Person im Strafverfahren vertritt, in derselben Angelegenheit i. S. d. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG tätig wird, ist - soweit ersichtlich - obergerichtlich noch nicht geklärt.
2. a) Die gemäß § 464 b Satz 3 StPO i. V. m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere in der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt. Der Beschwerdeführer ist, nachdem ihm der Freigesprochene und Nebenkläger seinen Kostenerstattungsanspruch nach § 43 RVG wirksam abgetreten hat, auch beschwerdebefugt.
b) Das Rechtsmittel bleibt jedoch ohne Erfolg.
Vertritt ein Rechtsanwalt in einem Strafverfahren den Angeklagten, welcher als Nebenkläger zugelassen ist, sowohl als Verteidiger als auch als Vertreter der Nebenklage, handelt es sich bei dieser Tätigkeit gebührenrechtlich jedenfalls dann um dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG, wenn Verteidigung und Nebenklage - wie hier - dieselbe prozessuale Tat betreffen.
Der Begriff derselben Angelegenheit wird durch das RVG nicht definiert (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 15 Rdnr. 9). Die Frage, ob dieselbe Angelegenheit oder verschiedene Angelegenheiten vorliegen, bestimmt sich maßgeblich nach der Art und des Umfanges des Auftrages (vgl. BGH NJW 1995, 1431), wobei eine Angelegenheit i. S. des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG auch bei mehreren - gleichzeitig oder sukzessiv - erteilten Aufträgen bestehen kann (vgl. Hartmann aaO. Rdnr. 15). Erforderlich ist, dass bei objektiver Betrachtung die einzelnen Tätigkeiten des Rechtsanwaltes innerlich zusammen gehören (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., § 15 Rdnr. 9; Hartmann aaO.), wobei sich die innere Zusammengehörigkeit u. a. aus der Frage ergibt, ob die verschiedenen, den Aufträgen zugrundeliegenden Gegenstände in einem Verfahren verfolgt werden können (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe aaO.).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Verteidiger des Angeklagten und zugleich als Vertreter des Angeklagten als Nebenkläger fand in demselben Strafverfahren statt. Gebührenrechtlich ist in Strafsachen das gleiche Strafverfahren stets die gleiche Angelegenheit (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert-Müller-Rabe, § 15 Rdz. 13). Zwar übt der Rechtsanwalt, der zugleich als Verteidiger und Nebenklägervertreter tätig wird, in dem Strafverfahren und somit auch in der Hauptverhandlung eine Doppelfunktion aus. Diese Doppelfunktion führt jedoch nicht dazu, dass der Rechtsanwalt nicht mehr in derselben Angelegenheit i. S. des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG tätig wird (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert-Müller-Rabe § 15 Rdnr. 14 a. E.; für die alte Rechtslage unter Geltung der BRAGO Göttlich/Mümmler u. a., BRAGO, 20. Aufl., S. 1002). Eine Addition der Gebühren scheidet also aus (so bereits LG Krefeld, Rechtspfleger 1978, 462). Auch eine Erhöhung der Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG findet nicht statt, da der Rechtsanwalt auch in Ansehung der Doppelfunktion nur eine Person vertritt (Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG, 2. Aufl., S. 654).
Die Doppelfunktion kann allerdings bei der Bemessung der Gebühr aus dem Grundrahmen der Gebühren gemäß Nrn. 4100 ff. VV RVG zu berücksichtigen sein, da die Doppelfunktion als Verteidiger und als Nebenklagevertreter für den Rechtsanwalt in der Regel eine ins Gewicht fallende Mehrbelastung mit sich bringt (vgl. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert-Müller-Rabe, § 14 Rdnr. 24; Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG, 2. Aufl., S. 654; LG Freiburg Anwaltsblatt 1982, 390 ; LG Krefeld, Rechtspfleger 1978, 462 - zitiert nach juris).
Danach hätte hier die Doppelfunktion des Beschwerdeführers bei der Bestimmung der Gebühren nach § 14 Abs. 1 RVG nach billigem Ermessen zu berücksichtigen sein können. Dies kommt hier jedoch nicht in Betracht.
Der Beschwerdeführer hat nämlich für die Grundgebühr aus Nr. 4100 VV RVG und die Verfahrensgebühren aus Nr. 4104 und 4118 VV RVG jeweils die Höchstgebühr sowie für die Verhandlungstage am 11., 16.03., 17., 27., 29.04., 06., 18.05., 08., 16. und 30.06.2009 jeweils die Höchstgebühr aus dem Gebührenrahmen der Nr. 4120 von 780 € in Ansatz gebracht, sodass auch die - zusätzliche - Berücksichtigung seiner Doppelfunktion eine weitere Gebührenerhöhung nicht ermöglichen würde. Soweit der Beschwerdeführer für die Hauptverhandlungstermine am 25.05. und 30.07.2009 die Gebühr auf jeweils 445 € bestimmt hat, vermag auch die Berücksichtigung seiner Doppelfunktion innerhalb des vorgegebenen Gebührenrahmens von Nr. 4120 VV RVG von 100 € bis 780 € in Ansehung der Tatsache, dass die Hauptverhandlung am 25.05.2009 nur von 08:44 Uhr bis 08:57 Uhr und am 03.07.2009 von 09:16 Uhr bis 10:10 Uhr dauerte, eine höhere Gebühr nicht zu rechtfertigen. Die von dem Beschwerdeführer vorgenommene Bestimmung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens ist somit nicht unbillig i. S. des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG und damit für die Gebührenfestsetzung bindend.
Die von dem Landgericht vorgenommene Festsetzung von insgesamt 12.596,03 € an Gebühren ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.