Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 29.04.2002, Az.: L 4 SF 18/00
Anspruch eines Sachverständigen auf Entschädigung für den Zeitaufwand für Anamnese und Untersuchung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 29.04.2002
- Aktenzeichen
- L 4 SF 18/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 22045
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0429.L4SF18.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - AZ: S 5 RI 294/98
Fundstellen
- NZS 2002, 501-502
- SGb 2002, 734
Prozessführer
Land Niedersachsen,
vertreten durch den Bezirksrevisor beim Landessozialgericht Niedersachsen,
Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bei stationärer Begutachtung hat ein Sachverständiger grundsätzlich auch Anspruch auf Entschädigung für den Zeitaufwand für Anamnese und Untersuchung. Das gilt auch, wenn dem Krankenhaus von der Staatskasse bereits ein Basis- und Abteilungspflegsatz gezahlt worden sind.
- 2.
Das zwischen Sachverständigen und Krankenhaus bestehende "Innenverhältnis" hat bei einer stationären Begutachtung grundsätzlich keinen Einfluss auf den Anspruch des Sachverständigen auf Entschädigung gegenüber der Staatskasse.
In der Kostensache
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 29. April 2002 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
den Richter Wolff und
den Richter Schreck
beschlossen:
Tenor:
Die Entschädigung für das ärztliche Gutachten des Antragstellers vom 5. Mai 2000 wird auf 2.468,90 DM festgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
In dem Berufungsverfahren des B. gegen die Landesversicherungsanstalt (LVA) Braunschweig erstattete der Antragsteller (Ast), der Arzt für Psychiatrie und Diplom-Psychologe C., der als Oberarzt an der Klinik Dr. D. in Liebenburg tätig ist, ein Sachverständigengutachten über den Kläger E.. Das Gutachten wurde aufgrund der Beweisanordnung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 1. Februar 2000 von dem Ast nach einer zweitägigen stationären Untersuchung des Klägers am 27. April und 28. April 2000 erstellt. Das Gutachten umfasst 61 Seiten, wovon die Seite 1 das Deckblatt und die Seite 6 die Angaben der übersandten Akten enthält, die Seiten 2 bis 5 die vom Gericht gestellten Beweisfragen und die Seiten 7 bis 25 die Anamnese bzw die medizinischen Angaben aus den beigezogenen Akten wiedergeben. Die eigenen Untersuchungen und Explorationen des Ast sind auf den Seiten 26 bis 61 des Gutachtens wiedergegeben. Die Textränder des Gutachtens sind durchgängig großzügig gestaltet.
Mit Rechnung vom 2. Mai 2000 hat die Nervenklinik Dr. F. für die stationäre Aufnahme des Klägers den Abteilungspflegesatz in Höhe von 233,80 DM und den Basispflegesatz in Höhe von 120,86 DM für einen Tag in Rechnung gestellt. Der Betrag ist von der Landeskasse gezahlt worden.
Mit Liquidation vom 5. Mai 2000 hat der Ast für sein Gutachten eine Entschädigung in Höhe von 2.778,90 DM beantragt. Hierbei legte er für das Aktenstudium 3 Stunden, für die Untersuchungen 6,5 Stunden, die Abfassung und den Entwurf 10 Stunden und für Diktat und Korrektur 7 Stunden jeweils á 90,00 DM zugrunde.
Die Kostenbeamtin setzte mit Festsetzung vom 17. Mai 2000 den Erstattungsbetrag auf 1.948,90 DM fest, wobei sie den Stundensatz von 90,00 DM auf 80,00 DM kürzte und die Entschädigung des Zeitaufwandes für die Anamnese und die Untersuchung ablehnte. Die übrigen Rechnungspositionen blieben unbeanstandet.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2000 hat der Ast die richterliche Festsetzung seiner Liquidation beantragt und vorgetragen, die Höhe des Stundensatzes sei wegen der erheblichen Demonstrationstendenzen des Klägers und damit verbundenen schwierigen Feststellung der relevanten Sachverhalte zur sachgemäßen gutachtlichen Einschätzung gerechtfertigt. Völlig unverständlich sei die Kürzung des Zeitaufwandes für Anamnese und Untersuchung. Er, der Ast, führe sämtliche im Rahmen seiner Begutachtung anfallenden Tätigkeiten nebenberuflich durch. Die reguläre Arbeitsbelastung eines Oberarztes sei so erheblich, dass er Nebentätigkeiten in dienstfreien Zeiten durchführe bzw zur Kompensation Überstunden geleistet werden müssten. Ein Zeitaufwand, wie er für eine derartige Begutachtung, wie hier notwendig sei, sei nicht annähernd in dem Rahmen möglich, der Kostenkalkulationen für einen Klinikaufenthalt von knapp zwei Tagen zugrundegelegt werde.
Der Antragsgegner (Ag) hält den Entschädigungssatz für das Gutachten mit 80,00 DM für zutreffend. Auch sei zu Recht eine Entschädigung des Zeitaufwandes für die Anamnese und Untersuchung abgelehnt worden, nachdem der Klinik Dr. F. antragsgemäß der Basispflegesatz und der Abteilungspflegesatz gem § 8 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) erstattet worden sei. Er bezieht sich hierzu auch auf die Entscheidung des Bayrischen LSG - Beschluss vom 7. April 1998 - L 15 SB 98/94 -.
II.
Der Antrag auf richterliche Festsetzung ist gern § 16 Abs. 1 Satz 1 ZSEG zulässig und zum Teil begründet.
Die von der Kostenbeamtin vorgenommene Kürzung des Stundensatzes von 90,00 DM auf 80,00 DM ist nicht zu beanstanden.
Nach § 3 Abs. 2 ZSEG beträgt die Entschädigung für einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen für jede Stunde der erforderlichen Zeit 50,00 DM bis 100,00 DM (Satz 1). Für die Bemessung des Stundensatzes sind der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung, ein nicht anderweitig abzugeltender Aufwand für die notwendige Benutzung technischer Vorrichtungen und besondere Umstände maßgebend, unter denen das Gutachten zu erarbeiten war; der Stundensatz ist einheitlich für die gesamte erforderliche Zeit zu bemessen (Satz 2).
Welche Entschädigung innerhalb des Rahmens von 50,- bis 100,00 DM zu gewähren ist, bestimmt sich nach der Art der erbrachten gutachterlichen Leistung. Nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, an der für Gutachten aus den Jahren 2000 und 2001 festgehalten wird, werden einfache ärztliche Gutachten ohne besondere Fachkenntnisse mit einer Mindestvergütung von 60,00 DM, mittelschwere ärztliche Gutachten mit gesteigerten Fachkenntnissen mit einem Stundensatz von 80,00 DM und besonders schwierige Gutachten mit einem Stundensatz von 100,00 DM entschädigt.
Eine weitergehende Staffelung der Entschädigung wird ausgehend vom Ziel des ZSEG nicht vorgenommen. Dabei wird bewusst in Kauf genommen, dass etwa ein als mittelschwer einzustufendes Arztgutachten seinem Gesamtinhalt nach - ohne dass das im Stundensatz zum Ausdruck kommt - an der unteren oder oberen Grenze der durchschnittlichen medizinischen Sachverständigenleistung liegen kann. Dieses Ergebnis ist im Interesse einer möglichst einheitlichen Entschädigungspraxis für die Jahre 2000 und 2001 noch hinzunehmen.
Die Einstufung der Gutachten hat sich am Einzelfall auszurichten. Die Schwierigkeit eines Gutachtens ergibt sich grundsätzlich aus den Beweisfragen und dem sich daraus ergebenden Inhalt des Gutachtens.
Für die Eingruppierung kommt es grundsätzlich nicht auf das ärztliche Fachgebiet oder die besondere Qualifikation des Sachverständigen an. Zwar können sich hieraus Anhaltspunkte für die Einstufung ergeben. Eine Eingruppierung nur nach der beruflichen Stellung des Sachverständigen übersieht jedoch, dass es entscheidend darauf ankommt, welchen Grad der Fachkenntnisse die Beantwortung der Beweisfragen erfordert. Eine ausschließliche Berücksichtigung der persönlichen Qualifikation des Sachverständigen würde überdies die Bemessungsfaktoren Schwierigkeit der Leistung, Aufwand für technische Vorrichtungen und besondere Umstände völlig unberücksichtigt lassen (vgl. Meyer/Höver/Bach, ZSEG, Kommentar, 21. Aufl., § 3 Rz 33 mwN).
Gutachterliche Leistungen, die im Rahmen der weiten Skala möglicher Sachverständigentätigkeiten durchschnittliche Fachkenntnisse und durchschnittliche Schwierigkeiten bereiten, rechtfertigen eine nach der Mitte des Entschädigungsrahmens bemessene Entschädigung (mittlere Entschädigung) und damit einen Stundensatz von 80,00 DM. Der Höchstsatz steht auch einem besonders qualifizierten Sachverständigen nicht als Regelsatz, sondern nur in Ausnahmefällen bei außergewöhnlichem Schwierigkeitsgrad zu. Der Aufwand für die Benutzung technischer Einrichtungen und das Vorliegen besonders erschwerender Umstände, unter denen das Gutachten zu erstatten war, sind dabei zu berücksichtigen (vgl. Meyer/Höver/Bach, aaO, Rz 34, 36).
Im vorliegenden Fall ist insbesondere unter Berücksichtigung der gestellten Beweisfragen von einem mittleren Schwierigkeitsgrad auszugehen. Die vom Ast vorgetragenen Schwierigkeiten bei der Erstellung des Gutachtens wegen der "erheblichsten Demonstrationstendenzen" des Klägers lassen es nicht als rechtfertigt erscheinen, eine höhere Eingruppierung - etwa auf 90,00 DM - vorzunehmen.
Die Kürzung der Entschädigung für den Zeitaufwand ist hingegen zu Unrecht er folgt.
Der Ast hat auch Anspruch auf Entschädigung seines Zeitaufwandes für die Anamnese und Untersuchung. Die Ansicht des Ag, die Abrechnung des Basis- und des Abteilungspflegesatzes durch die Nervenklinik Dr. F. stehe diesem Anspruch entgegen, vermag der Senat nicht zu folgen. Der Senat schließt sich insoweit vielmehr der Entscheidung des Hessischen LSG vom 10. September 1998 an (Az.: L 9 SF 52/98). Danach behält ein Sachverständiger neben dem vom Krankenhaus in Rechnung gestellten Abteilungspflegesatz seinen Anspruch auf Leistungsentschädigung für die während der stationären Untersuchung vorgenommene Anamnese und körperliche Untersuchung.
Denn bei der stationären Begutachtung handelt es sich um keine allgemeine Krankenhausleistung im Sinne des § 2 BPflV. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BPflV gehören zu den Krankenhausleistungen insbesondere ärztliche Behandlung, Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus notwendig sind, sowie Unterkunft und Verpflegung; sie umfassen allgemeine Krankenhausleistungen und Wahlleistungen. Leistungen des Krankenhauses, die für eine medizinisch zweckmäßige und ausreichende Versorgung des Patienten nicht notwendig sind, sind demnach keine allgemeinen Krankenhausleistungen. Dazu zählt die Begutachtung. Die Kosten eines zur stationären Begutachtung aufgenommenen Patienten gehen grundsätzlich nicht in den Pflegesatz ein. Die Begutachtung kann auch nicht als Wahlleistung vereinbart werden, weil es nicht um die Versorgung des Patienten geht. Das Entgelt für die Versorgungsleistungen des stationär zur Begutachtung aufgenommenen Patienten ist daher mit diesem oder mit dessen Kostenträger zu vereinbaren. Die Kosten für solche Leistungen sind nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 BPflV nicht pflegesatzfähig; sie sind vom Arzt zu erstatten (so Hessisches LSG, aaO; vgl. Tuschen/Quaas, BPflV, Kommentar, 5. Auflage, Erl. § 2 BPflV, S 177 und Erl. § 7 BPflV S 249).
Der Senat vermag damit nicht der Auffassung des Bayrischen LSG im Beschluss vom 7. April 1998 (Az.: L 15 SB 98/94.Ko) zu folgen, wonach die während einer stationären Begutachtung vorgenommene Anamnese und körperliche Untersuchung bei stationärer Aufnahme des Betroffenen zur Begutachtung mit dem Abteilungspflegesatz des Krankenhauses bereits abgegolten seien. Das sind sie - wie oben ausgeführt - nicht, so dass die Entschädigung des Sachverständigen auch den Zeitaufwand für die Anamnese und die Untersuchungen beinhaltet, die er im Rahmen einer stationären Untersuchung erbringen muss. Dabei ist es für die Entschädigung unbeachtlich, im Rahmen welcher Rechtsbeziehungen die finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Sachverständigen und dem Krankenhaus erfolgt. Das zwischen Sachverständigem und Krankenhaus bestehende "Innenverhältnis" hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Anspruch des Sachverständigen auf Entschädigung gegenüber der Staatskasse.
Die Entschädigung des Ast berechnet sich damit wie folgt:
Aktenstudium | 3 Stunden | |
---|---|---|
Untersuchungen | 6,5 Stunden | |
Abfassung/Entwurf | 10 Stunden | |
Diktat/Korrektur | 7 Stunden | |
Insgesamt | 26,5 Stunden á 80,00 DM | 2.120,00 DM |
Schreibauslagen | a) Original | 244,00 DM |
b) Durchschriften | 89,90 DM | |
Portoauslagen | 15,00 DM | |
insgesamt | 2.468,90 DM |
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 16 Abs. 5 ZSEG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 16 Abs. 2 Satz 4 ZSEG; § 177 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Wolff,
Schreck