Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 24.04.2002, Az.: L 4 KR 26/01
Ende der freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der Nichtentrichtung von Beiträgen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 24.04.2002
- Aktenzeichen
- L 4 KR 26/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 22043
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0424.L4KR26.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 15.12.2000 - AZ: S 6 KR 180/00
Fundstellen
- NZS 2002, 504
- SGb 2003, 36
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ihrer Pflicht zum Hinweis auf die Folgen der Nichtentrichtung von Beiträgen nach § 191 Nr. 3 SGB V genügt die Krankenkasse nur, wenn sie das Mitglied individuell und in zeitlichem Zusammenhang mit dem Zahlungsverzug auf das mögliche Ende der freiwilligen Mitgliedschaft bei Nichtentrichtung von Beiträgen aufmerksam macht. Der Hinweis muss so rechtzeitig vor dem Ende der Mitgliedschaft erfolgen, dass dem Mitglied ausreichend Zeit bleibt, die rückständigen Beiträge zu entrichten.
- 2.
Endet die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der Nichtentrichtung von Beiträgen (§ 191 Nr. 3 SGB V), so verhindert eine später erklärte Aufrechnung das Ende der Mitgliedschaft auch dann nicht, wenn sich Forderung und Gegenforderung bereits im Zeitpunkt des Erlöschens der Mitgliedschaft aufrechenbar gegenüber standen (Anschluss an BSG, Urteil vom 29.01.1975 - 5 RKn 50/73 - in BSGE 39, 83 zu § 314 RVO).
In dem Rechtsstreit
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2002 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
den Richter Wolff,
den Richter Schreck
sowie die ehrenamtliche Richterin Sand
und den ehrenamtlichen Richter Dr. Schein
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Beendigung seiner freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten.
Er ist als Rechtsanwalt selbständig tätig. Seit dem Jahre 1975 war er bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, zuletzt als freiwilliges Mitglied. Entsprechend seiner eigenen Angaben lagen der Beitragsbemessung für die Kranken- und Pflegeversicherung seit Herbst 1998 beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 3.410,70 DM monatlich zugrunde.
Für den Monat März 2000 kam der Kläger der Beitragszahlung nicht nach. Mit Schreiben vom 27. April 2000 wies die Beklagte auf den Beitragsrückstand hin und forderte den Kläger erfolglos auf, den Rückstand innerhalb einer Woche auszugleichen.
Nachdem der Kläger auch den Beitrag für den Monat April 2000 nicht entrichtet hatte, wies die Beklagte ihn mit Schreiben vom 29. Mai 2000, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 31. Mai 2000, darauf hin, dass die Mitgliedschaft freiwillig Versicherter in der Krankenversicherung gem. § 191 Nr. 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) mit Ablauf des nächsten Zahltages ende, wenn die fälligen Beiträge für zwei Monate trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet würden. Gleiches gelte für die Pflegeversicherung. Ein Kassenwechsel oder eine freiwillige Versicherung sei dann nicht mehr möglich. Die Beendigung der Mitgliedschaft könne nur vermieden werden, wenn bis zum Ablauf der letzten Zahlungsfrist der gesamte Beitragsrückstand beglichen werde. Das Schreiben enthält daneben fettgedruckt folgende Hinweise:
"Ihr Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ist somit gefährdet! Letzte Zahlungsfrist und - bei Nichteinhaltung - Ende der freiwilligen Mitgliedschaft am 15.06.2000."
Als auch innerhalb dieser Frist eine Beitragszahlung nicht erfolgte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 2000 das Ende der Mitgliedschaft zum 15. Juni 2000 fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 04. Juli 2000 Widerspruch. Zur Begründung führte er an, er sei seinen Beitragspflichten stets nachgekommen. Es sei unverhältnismäßig, die Mitgliedschaft wegen eines vorübergehenden finanziellen Engpasses zu beenden, ohne zuvor auf eine Ratenzahlungsvereinbarung hinzuwirken.
Unter Vorlage der Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 1998 beantragte der Kläger daneben mit Schreiben vom 21. August 2000 die Beiträge rückwirkend neu zu berechnen, da seine Einnahmen tatsächlich geringer gewesen seien, als zunächst angegeben. Mit dem sich bei Herabsetzung der Beiträge ergebenden Guthaben erklärte er die Aufrechnung gegenüber der Beitragsforderung. Die Beklagte verwies mit Bescheid vom 23. August 2000 darauf, dass Veränderungen der Beitragsbemessung auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises gem. § 240 Abs. 4 S 3 SGB V nur zum ersten Tag des auf die Vorlage des Nachweises folgenden Monats wirksam werden könnten und lehnte die rückwirkende Änderung der Einstufung des Klägers ab. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 04. Juli 2000 als unbegründet zurück. Die freiwillige Mitgliedschaft sei gem. § 191 Nr. 3 SGB V wegen Beitragsrückstands kraft Gesetzes beendet worden.
Der Kläger hat am 20. November 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben und zur Begründung vorgetragen, es widerspreche dem Sozialstaatsprinzip, die Mitgliedschaft in der freiwilligen Krankenversicherung wegen eines Beitragsrückstands von zwei Monaten auch dann enden zu lassen, wenn das Mitglied bereit sei, die Rückstände sofort zu begleichen. Wegen der Tragweite des Ausschlusses aus der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung hätte es jedenfalls zuvor eines Hinweises in einem persönlichen Anschreiben bedurft. Das Hinweisschreiben der Beklagten erscheine demgegenüber als formularmäßiges Schreiben auf den ersten Blick als bloße Mahnung. Zudem müsse, ähnlich wie im Einkommenssteuerrecht und in anderen Rechtsverhältnissen, auch eine rückwirkende Neuberechnung der Krankenkassenbeiträge und die Aufrechnung eines daraus resultierenden Guthabens möglich sein, die zum Entfallen des Beitragsrückstands führe.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2000 hat das SG die Klage unter Hinweis auf § 191 Nr. 3 SGB V abgewiesen. Die Norm erfasse nur freiwillige Mitglieder, deren soziale Schutzbedürftigkeit im Vergleich zu Pflichtmitgliedern der Krankenkasse als geringer anzusehen sei, und sei daher nicht verfassungswidrig. Die vom Kläger erklärte Aufrechnung in Verbindung mit der beantragten Neuberechnung seiner Beiträge könne nicht durchgreifen, weil § 240 Abs. 4 S 3 SGB V eine rückwirkende Beitragsänderung ausschließe.
Gegen den mit Übergabeeinschreiben am 02. Januar 2001 zur Post aufgegebenen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 05. Februar 2001 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und bezieht sich insbesondere nochmals auf die von ihm erklärte Aufrechnung.
Er beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2000 aufzuheben und
- 2.
festzustellen, dass er auch über den 15. Juni 2000 hinaus freiwilliges Mitglied der Beklagten ist.
Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen
Sie hält den Gerichtsbescheid ebenso wie ihre eigenen Bescheide für rechtmäßig.
Das Gericht hat die Sach- und Rechtslage im Termin vom 15 März 2001 mit den Beteiligten erörtert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG Braunschweig ist ebenso wie die angefochtenen Bescheide der Beklagten rechtmäßig. Die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten ist mit Ablauf des 15. Juni 2000 kraft Gesetzes erloschen.
Die Voraussetzungen des § 191 Nr. 3 SGB V sind erfüllt. Danach endet die freiwillige Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden.
Am 15. Juni 2000 war der Kläger mit den fälligen Beiträgen für zwei Monate, nämlich März und April 2000, im Rückstand. Laufende Beiträge sind gem. § 17 Abs. 1 S 2 der Satzung der Beklagten vom 01.01.1989 in der Fassung des 35. Nachtrages (Stand: 1. Januar 2000) i.V.m. § 23 Abs. 1 S 1, 2 SGB IV spätestens am 15. des Monats (Zahltag) fällig, der dem Monat folgt, für den der Beitrag gilt. Die Beiträge für die Monate März und April 2000 waren dementsprechend am 15.04. bzw. 15.05.2000 fällig.
Die vom Kläger erklärte Aufrechnung mit einem Guthaben aus der gegenüber der Beklagten beantragten rückwirkenden Herabsetzung seiner Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge führt nicht zum Wegfall des Beitragsrückstands. Eine zur Aufrechnung geeignete Forderung in Form eines Beitragsguthabens steht dem Kläger nicht zu. Wie vom Sozialgericht und der Beklagten bereits ausgeführt, ist die rückwirkende Herabsetzung der Beiträge des Klägers durch die Vorschrift des § 240 Abs. 4 S 3 SGB V ausgeschlossen. Danach können Veränderungen auf Grund eines vom Versicherten geführten Nachweises niedrigerer Einnahmen nur zum ersten Tag des auf die Vorlage folgenden Monats wirksam werden. Diese Regelung findet ihre Rechtfertigung darin, Zweifelsfragen bei der Beitragsbemessung im Rahmen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung als Massenverwaltung zu vermeiden (vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung -, Stand: 08/01, § 240 Rdn 29).
Unabhängig davon kann die mit Schreiben vom 21. August 2000 erklärte Aufrechnung aber auch deshalb nicht zum Erlöschen des Beitragsrückstands für die Monate März und April 2000 führen, weil nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Vorgängervorschrift des § 191 Nr. 3 SGB V in § 314 RVO eine nach Vorliegen des gesetzlichen Beendigungstatbestands erklärte Aufrechnung trotz Rückwirkung auf den Zeitpunkt, in dem sich Forderung und Gegenforderung erstmals aufrechenbar gegenüberstanden, nicht dazu führt, dass die bei Erklärung der Aufrechnung bereits eingetretene Beendigung der Mitgliedschaft entfällt. Mit dem Wesen der gesetzlichen Krankenversicherung ist es nicht zu vereinbaren, dass die Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse über möglicherweise längere Zeit in der Schwebe bleibt. Die Krankenkasse muss vielmehr im Interesse einer geordneten Finanzplanung Klarheit darüber haben, mit welchen Beiträgen und Leistungsverpflichtungen sie rechnen muss (BSGE 39, 83, 85).
Die Beklagte hat auch die ihr gem § 191 Nr. 3 SGB V gegenüber dem Kläger obliegende Hinweispflicht erfüllt. Dieser Hinweispflicht wird die Krankenkasse nur gerecht, wenn sie den Zahlungspflichtigen individuell in zeitlichem Zusammenhang mit dem Zahlungsverzug auf die Rechtsfolgen aufmerksam macht. Der Hinweis muss so rechtzeitig vor Beendigung der Mitgliedschaft erfolgen, dass dem Mitglied ausreichend Zeit bleibt, die rückständigen Beiträge zu entrichten (Krauskopf, § 191 Rdn 10). Das Schreiben der Beklagten vom 29. Mai 2000 entspricht diesen Anforderungen. Es enthält den eindeutigen und auch optisch hervorgehobenen Hinweis auf die Gefährdung des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes des Klägers durch Beendigung der Mitgliedschaft und geht damit über eine bloße Mahnung hinaus und ist mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Zudem unterrichtet es mit der Information, dass nach Beendigung der Mitgliedschaft ein Kassenwechsel oder eine freiwillige Versicherung nicht mehr möglich ist, auch umfassend über die Tragweite der drohenden Rechtsfolgen. Eines darüber hinausgehenden persönlichen Anschreibens bedurfte es entgegen der Auffassung des Klägers nicht. Die eingeräumte letzte Zahlungsfrist zum 15. Juni 2000 war bei Zustellung des Hinweisschreibens am 31. Mai 2000 auch ausreichend, um dem Kläger eine letzte Möglichkeit zur Begleichung des Beitragsrückstands zu geben. Eine wenn auch knapp bemessene, aber reale Chance, den Rückstand auszugleichen, genügt den gesetzlichen Anforderungen (vgl. BSG, Beschluss vom 27.01.2000 - B 12 KR 21/99 B - unveröffentlicht).
Nachdem die Voraussetzungen des § 191 Nr. 3 SGB V erfüllt sind, endete die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers mit Ablauf des 15. Juni 2000 als dem auf den Fälligkeitszeitpunkt für den Monatsbeitrag April 2000 folgenden nächsten Zahltag.
Die Regelung des § 191 Nr. 3 SGB V widerspricht schließlich auch nicht dem Sozialstaatsprinzip iSd Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz. Das Sozialstaatsprinzip richtet sich als Gebot zur Herstellung sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit in erster Linie an den Gesetzgeber. Infolge seiner Weite und Unbestimmtheit enthält es regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen und darf nicht dahin missverstanden werden, dass mit seiner Hilfe jede Einzelregelung, die sich im konkreten Fall nachteilig auswirkt, modifiziert werden könnte (vgl. BVerfGE 69, 272, 314 f). Unbeabsichtigte Härten sind bei Anwendung des § 191 Nr. 3 SGB V bereits dadurch ausgeschlossen, dass die Beendigung der Mitgliedschaft zuvor einen konkreten Hinweis auf die Folgen des Beitragsrückstands seitens der Krankenkasse voraussetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.