Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.07.2002, Az.: L 4 SF 6/02
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.07.2002
- Aktenzeichen
- L 4 SF 6/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 35395
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0722.L4SF6.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - S 5 RI 224/97
In dem Rechtsstreit
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in Celle am 22. Juli 2002
durch die Richterin Schimmelpfeng-Schütte Vorsitzende ...,
den Richter Schreck und die Richterin Poppinga
beschlossen:
Tenor:
Die Entschädigung für das Gutachten des Antragstellers vom 16. Oktober 2001 wird auf 1.310,12 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
I.
Der Antragsteller hat in dem Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) Az.: L 2 RI 31/00 gemäß Beweisanordnung des LSG vom 16. Juni 2000 das schriftliche Gutachten vom 16. Oktober 2001 erstattet. Mit Liquidation vom 14. November 2001, ergänzt am 6. Dezember 2001, hat er eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 2962,36 DM (= 1.514,63 Euro) geltend gemacht. Davon entfielen 2.700,- DM auf die Erstellung des Gutachtens:
Aktenstudium | 7 | Stunden, |
---|---|---|
Untersuchung | 6 | Stunden, |
Ausarbeitung | 8 | Stunden, |
Diktat | 4 | Stunden, |
Korrektur | 2 | Stunden |
insgesamt | 27 | Stunden |
§ 100,- DM pro Stunde. |
Die Kostenbeamtin des LSG hat den Zeitaufwand auf 23 Stunden gekürzt (Zeitaufwand für das Aktenstudium statt 7 nur 5 Stunden und Streichung des Zeitaufwandes für die Korrektur). Sie hat das Gutachten als lediglich mittelschwer eingestuft und den Stundensatz auf 80,- DM festgesetzt. Mit Verfügung vom 13. März 2002 hat sie eine Entschädigung von insgesamt 1.074,92 Euro (= 2.102,36 DM) gewährt.
Hiergegen hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 10. April 2002 richterliche Festsetzung beantragt. Er meint, das Gutachten habe sehr wohl besonders hohe Fachkenntnisse erfordert, über die er als leitender Arzt einer Klinik zur Versorgung von schwer mehrfachbehinderten Kindern aufgrund langjähriger Berufserfahrung verfüge. Der begutachtete Kläger leide aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas und infolge von Verletzungen des zentralen Nervensystems an vielschichtigen neurologischen und orthopädischen Schädigungen. Viele der Störungen seien nicht ohne Weiteres erkennbar, weil die Ursachen im Wahrnehmungs- und Wahrnehmungsverarbeitungsbereich lägen. Es sei u. a. eine subtile Erhebung der Anamnese erforderlich gewesen. Das Gutachten habe nicht nur große orthopädische, sondern auch neurologische Erfahrung verlangt. Die orthopädischen und neurologischen Gesundheitsstörungen hätten in ihrer Gesamtheit gewürdigt und dargestellt werden müssen. Mit einer getrennten orthopädischen und neurologischen Begutachtung hätte kein befriedigendes Ergebnis erzielt werden können, weil die Summe der Teile keinesfalls ein Ganzes ergeben hätte.
Die Kostenbeamtin hat dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen.
Gründe
II.
Der Antrag ist gemäss § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) zulässig.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 3 Abs. 2 ZSEG (bis zum 31. Dezember 2001 geltende Fassung) beträgt die Entschädigung des Sachverständigen für jede Stunde der erforderlichen Zeit 50,- DM bis 100,- DM (Satz 1). Für die Bemessung des Stundensatzes sind der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung, ein nicht anderweitig abzugeltender Aufwand für die notwendige Benutzung technischer Vorrichtungen und besondere Umstände maßgebend, unter denen das Gutachten zu erarbeiten war (Satz 2 1. Halbsatz).
Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung für die Anwendung des § 3 Abs. 2 ZSEG Fallgruppen gebildet. Denn es erscheint im Interesse einer gleichmäßigen und jede Willkür ausschließenden Entschädigungspraxis sachgerecht, Durchschnittswerte für die Sachverständigenentschädigung zu bilden. Einfache ärztliche Gutachten ohne besondere Fachkenntnisse sind danach mit einer Mindestvergütung von 60,- DM, mittelschwere ärztliche Gutachten mit gesteigerten Fachkenntnissen mit einem Stundensatz von 80,- DM und besonders schwierige Gutachten mit dem Höchststundensatz von 100,- DM zu entschädigen.
Trotz allgemeiner Teuerung gilt die Sachverständigenvergütung seit 8 Jahren unverändert. Der Senat hat daher ernste Zweifel, ob der Entschädigungsrahmen von 60,- DM bis 100,- DM noch angemessen und mit Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des Entschädigungsrahmens mit zunehmender Teuerung, d. h. mit zunehmendem Zeitablauf, verdichten. Für Gutachten, die noch im Jahr 2001 erstattet wurden, hält der Senat den Entschädigungsrahmen von 60,- DM bis 100,- DM noch für hinnehmbar (so Beschluss vom 29. April 2002 L 4 SF 18/00 ...). Es besteht im vorliegenden Fall somit noch kein Anlaß, die Rechtsprechung des Senats zum Entschädigungsrahmen zu ändern.
Gleichwohl hat der Antragsteller Erfolg. Denn sein Gutachten vom 16. Oktober 2001 ist als besonders schwierig einzustufen. Es weist gegenüber dem Regelfall Besonderheiten auf, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, den Stundensatz auf 100,- DM festzusetzen.
Für die Festsetzung der Entschädigung ist allerdings nicht entscheidend, über welchen Grad an Fachkenntnissen der Antragsteller verfügt. Maßgebend ist für die Bewertung nach § 3 Abs. 2 ZSEG allein, welche Fachkenntnisse zur Beantwortung der gestellten Beweisfragen objektiv erforderlich sind.
Im vorliegenden Fall war für die Beantwortung der Beweisanordnung ein besonders hoher Grad an Fachkenntnissen erforderlich. Es waren nicht nur orthopädische, sondern auch neurologische Aspekte zu beurteilen. Denn die Begutachtung betraf einen Kläger, der aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas und infolge von Verletzungen des zentralen Nervensystems an vielschichtigen neurologischen und orthopädischen Schädigungen litt. Das Gutachten erforderte somit besondere Fachkunde und Erfahrungen auf beiden Gebieten. Hinzu kam nach den glaubhaften Äußerungen des Antragstellers, dass eine Vielzahl der bestehenden Störungen nur aufgrund einer subtilen, besonders fachkundigen Begutachtung erkennbar war und das Gutachten somit ein besonders hohes Maß an Kompetenz erforderte.
Der Antragsteller ist daher mit einem Stundensatz von 100,- DM zu entschädigen.
Die Kürzung des Zeitaufwandes von 27 auf 23 Stunden ist dagegen nicht zu beanstanden. Der Senat hat die Ausführungen des Antragstellers in seinem Festsetzungsantrag vom 10. April 2002 als Begründung des besonderen Schwierigkeitsgrads des Gutachtens bewertet und berücksichtigt. Anhaltspunkte dafür, dass ein höherer Zeitaufwand aus anderen Gründen gerechtfertigt sein könnte, sind nicht ersichtlich.
Demgemäß ist die Entschädigung auf insgesamt 2.562,36 DM (= 1.310,12 Euro) festzusetzen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 Sozialgerichtsgesetz).