Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 24.04.2002, Az.: L 4 KR 131/01

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
24.04.2002
Aktenzeichen
L 4 KR 131/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35388
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0424.L4KR131.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 26.04.2001 - AZ: S 11 KR 533/00

Tenor:

  1. Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Freistellung von den Kosten für eine angeschaffte Antideku-bitus-Matratze.

2

Der Kläger ist Rechtsnachfolger der bei der Beklagten gesetzlich gegen Krankheit versichert gewesenen C ... Die Versicherte ist Anfang des Jahres 2001 verstorben. Sie wurde zu Lasten der Pflegekasse der Beklagten im Pflegeheim "Haus Drei Linden" vollstationär gepflegt.

3

Mit ärztlicher Verordnung vom 14. März 2000 der behandelnden Ärztin, Frau D., wurde unter Vorlage eines Kostenvoranschlages der Firma E. die Kostenübernahme für eine elektrische Dekubitus-Matratze bei der Beklagten beantragt. Als Diagnose wurde auf der ärztlichen Verordnung "Dekubitus" angegeben. Mit Bescheid vom 26. April 2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da eine Kostenübernahme zu Lasten der Krankenversicherung nur bei Bestehen eines Dekubitus bei Aufnahme im Heim möglich sei. Die Versicherte lebe aber bereits seit August 1999 im Heim. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2000 zurück. Sie berief sich z.B. auf die Rechtsprechung des Sozialgerichts (SG) Braunschweig (Az.: S 6 KR 177/99 und S 6 KR 139/99), wonach im Ergebnis das stationäre Pflegeheim verpflichtet sei, Behandlungspflege zu erbringen, ohne dies der Kranken- oder Pflegekasse in Rechnung zu stellen. Dies wirke sich auch auf die für die Durchführung der Behandlungspflege erforderlichen Hilfsmittel aus, denn diese seien von dem bereit zu stellen, der die Behandlungspflege durchführe. Des weiteren ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts ( BSG) vom 10. Februar 2000 (B 3 KR 26/99 R), dass der Träger der Pflegeeinrichtung für die Ausrüstung des Pflegeheimes mit allen Hilfsmitteln zu sorgen habe, die für eine sachgerechte Pflege im Heim gewöhnlich erforderlich seien.

4

Hiergegen hat die Versicherte am 18. Juli 2000 Klage vor dem SG erhoben, die der Kläger nach ihrem Tod als Rechtsnachfolger weiterführt. Der Kläger beantragt, ihn von den Kosten für die inzwischen angeschaffte Matratze in Höhe von 2 202,49 DM freizustellen.

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Das SG hat die Klage mit Urteil vom 26. April 2001 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Versicherte habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Wechseldruck-Matratze gehabt. Der Anspruch aus § 33 Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung) SGB V sei bei den Versicherten eingeschränkt, denen außerdem vollstationäre Pflege in einem Pflegeheim als Leistung der sozialen Pflegeversicherung (§ 71 Abs 2 Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung) SGB XI \226) gewährt werde. In diesen Fällen habe der Träger des Heimes für die im Rahmen des üblichen Pflegebetriebes notwendigen Hilfsmittel zu sorgen, weil er verpflichtet sei, die Pflegebedürftigen ausreichend und angemessen zu pflegen, sozial zu betreuen und mit medizinischer Behandlungspflege zu versorgen (§ 42 Abs 1 und 2 und § 43a SGB XI).

6

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 10. Mai 2001 zugestellte Urteil am 8. Juni 2001 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingelegt. Der Kläger trägt vor, die Ausführungen des BSG in den "Rollstuhlurteilen" könnten nicht verallgemeinert übernommen werden. Das BSG habe darin zwei Kriterien aufgestellt, die ganz offensichtlich nur dann sinnhaltig angewendet werden könnten, wenn es sich bei den betroffenen Hilfsmitteln um solche handele, die der Mobilität im weitesten Sinne dienten. Nach den Ausführungen des 3. Senates habe die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) nämlich nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die nicht der "Sphäre" der vollstationären Pflege zuzurechnen seien. Dies sei nach Auffassung des Senates im Wesentlichen:

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1. "individuell angepasste Hilfsmittel, die ihrer Natur nach nur für den einzelnen Versicherten bestimmt und grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind 2. Hilfsmittel, die der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses außerhalb des Pflegeheimes dienen."

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Das Kriterium der "individuell angepassten Hilfsmittel" könne ganz offensichtlich nicht auf sonstige Hilfsmittel außerhalb des Bereichs der Mobilitätshilfen übertragen werden, da ansonsten die ganz überwiegende Anzahl von Hilfsmitteln, deren Kosten heute noch unstreitig von den gesetzlichen Krankenkassen getragen würden, aus der Leistungspflicht entfallen würden. Als Beispiel seien etwa Zubehörteile, wie Applikationshilfen für enteral ernährte Patienten, Sekret-Absauggeräte oder Beatmungsgeräte zu nennen. All diese Hilfsmittel seien nicht individuell angepasst, fielen aber nach einhelliger Auffassung aller beteiligter Kreise nach wie vor in die Leistungspflicht der GKV.

9

Noch deutlicher belegten die Ausführungen des BSG zu Ziffer 2, dass sich das Gericht nur mit solchen Hilfsmitteln befasst habe, die zur Fortbewegung erforderlich seien. Die ganz überwiegende Anzahl der bei Heimbewohnern benötigten Hilfsmittel dienten nämlich der Krankenbehandlung (zB Therapiesysteme zur Dekubitusbehandlung, Sekret-Absauggeräte, Inhalationsgeräte etc) oder der Aufrechterhaltung vitaler Lebensfunktionen (so zB bei Ernährungspumpen einschließlich Applikationssystemen, Sauerstoffgeräte etc). Die vorstehend zitierten Ausführungen zur Mobilität könnten daher keinesfalls auf Hilfsmittel übertragen werden, die "ihrer Natur nach" nicht der Fortbewegung dienten. Die für den Bereich der Mobilitätshilfen aufgestellten Kriterien könnten für diesen Rechtsstreit nicht herangezogen werden. Hinzuweisen sei ferner darauf, dass die vom erkennenden Senat des LSG in dem Verfahren L 4 KR 213/98 vorgenommene Subsumtion rechtlich nicht haltbar sei, denn im Gesetz fänden sich keine Anhaltspunkte, dass solche Hilfsmittel, die der Krankenbehandlung dienten, von den Heimträgern vorzuhalten seien. Das Gegenteil sei der Fall.

10

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. April 2001 aufzuheben, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2000 zu verurteilen, den Kläger von der Pflicht zur Zahlung von 2 202,49 DM freizustellen.

11

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges sowie auf die der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden.

15

Die gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143f SGG statthafte Berufung ist zulässig.

16

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

17

Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Freistellungsanspruch liegen nicht vor. Dafür wäre gemäß § 13 Abs 3 SGB V idF des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 2266) erforderlich, dass sich die Versicherte die Matratze selbst beschafft hat, weil die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2 der Regelung).

18

An dieser Voraussetzung fehlt es, denn die Versicherte hatte gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Wechseldruck-Matratze.

19

Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 ausgeschlossen sind.

20

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, handelt es sich bei der Anti-dekubitus-Matratze grundsätzlich um ein Hilfsmittel im vorgenannten Sinne. Die Wechseldruck-Matratze ist ein geeignetes Mittel, um die durch Krankheit oder Behinderung fehlende natürliche Fähigkeit (Bewegung) auszugleichen, um Druckgeschwüre zu verhindern. Die Wechseldruck-Matratze ist kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil sie von Gesunden in der Regel nicht benutzt wird. Sie wird auch nicht von den Regelungen des § 34 Abs 4 SGB V über den Ausschluss von Heil- und Hilfsmitteln von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis erfasst (Urteile des Senats vom 2. August 2000 L 4 KR 213/98; 19. Dezember 2000 L 4 KR 12/00; 27. Februar 2002  L 4 KR 22/00 ).

21

Der Anspruch gegen die Beklagte aus § 33 SGB V ist jedoch deshalb ausgeschlossen, weil der Träger des Pflegeheimes bei vollstationärer Pflege alle Hilfsmittel bereit zu stellen hat, die zur sachgerechten Durchführung der in zugelassenen Pflegeheimen gewöhnlich anfallenden Pflegeleistungen erforderlich sind.

22

Zwar sind nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10. Februar 2000, aaO), der sich der Senat angeschlossen hat (Urteile des Senats vom 2. August 2000, 19. Dezember 2000 und 27. Februar 2002, aaO) nach der ab dem 1. Januar 1989 geltenden Rechtslage die Krankenkassen für die Versorgung eines Versicherten mit Hilfsmitteln grundsätzlich unabhängig davon verpflichtet, ob er in einer eigenen Wohnung oder in einem Heim lebt. Dieser Grundsatz erfährt jedoch beim "Versicherungsfall" der vollstationären Pflegebedürftigkeit, also bei der vollstationären Pflege in einem Pflegeheim (§ 71 Abs 2 SGB XI) oder in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe (§ 43a SGB XI), weiterhin einer Einschränkung. Die Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln endet nach der gesetzlichen Konzeption des SGB V und des SGB XI dort, wo bei vollstationärer Pflege die Pflicht des Heim-trägers auf Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetzt. Bei vollstationärer Pflege hat der Träger des Heimes für die im Rahmen des üblichen Pflegebetriebs notwendigen Hilfsmittel zu sorgen, weil er verpflichtet ist, die Pflegebedürftigen ausreichend und angemessen zu pflegen, sozial zu betreuen und mit medizinischer Behandlungspflege zu versorgen (§ 43 Abs 1, 2 und § 43a SGB XI). Nach § 11 Abs 1 SGB XI hat die Pflege in einem Pflegeheim (§ 71 Abs 2 SGB XI) nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse zu erfolgen. Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten. Die Pflegeheime haben auch für die soziale Betreuung der Bewohner zu sorgen (§§ 43 Abs 2 und 82 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Die die Zulassung bewirkenden Versorgungsverträge dürfen nur mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die den Anforderungen des § 71 SGB XI genügen und die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten (§ 72 Abs 3 Satz 1 SGB XI). Die Heime müssen daher das für die vollstationäre Pflege notwendige Inventar bereit halten (vgl auch Urteil des Senats vom 2. August 2000, aaO, unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 10. Februar 2000, aaO). Dabei können die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und Pflegekassen erstellten Abgrenzungskataloge ("Empfehlung zur Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V bei Heimbewohnern"; zitiert nach Fachinformation/Kundenservice der Beklagten Doko-Nr: 57160 vom 8. Februar 2002) Anhaltspunkte dafür liefern, welche Hilfsmittel von den Pflegeheimen vorzuhalten sind. Die GKV hat darüber hinaus nur solche Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die nicht der "Sphäre" der vollstationären Pflege zuzurechnen sind. Das sind im Wesentlichen: individuell angepasste Hilfsmittel, die ihrer Natur nach nur für den einzelnen Versicherten bestimmt und grundsätzlich nur für ihn verwendbar sind (wie Brillen, Hörgeräte, Prothesen) und Hilfsmittel, die der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses (Kommunikation oder Mobilität) außerhalb des Pflegeheimes dienen (vgl Urteile des Senats vom 2. August 2000 und 19. Dezember 2000, aaO).

23

Für die Versicherte, die in einer Vertragseinrichtung der zuständigen Pflegekasse vollstationär gepflegt worden war, ergab sich danach, dass das Pflegeheim die streitige Antidekubitus-Matratze zur Verfügung zu stellen hatte.

24

Die Wechseldruck-Matratze gehört nicht zu den individuell angepassten Hilfsmitteln, für die stets die Krankenkassen zuständig sind, denn sie werden nicht als Einzelstücke angefertigt, die nur für einen ganz bestimmten Versicherten verwendbar sind (vgl Urteil des Senats vom 2. August 2000, aaO).

25

Der Senat vermag sich nicht der vom Kläger geäußerten Kritik an der BSG-Rechtsprechung (Urteil vom 10. Februar 2000, aaO) anzuschließen. Trotz dieser Kritik hält der Senat daran fest, dass Wechseldruck-Matratzen Hilfsmittel sind, die bei vollstationärer Pflege in einem Pflegeheim vom Heimträger zur Verfügung zu stellen sind. Die Wechseldruck-Matratze ist der "Sphäre" der vollstationären Pflege und damit dem Pflegeheim und dessen Verantwortungsbereich zuzurechnen (Urteil des Senats vom 2. August 2000, aaO; BSG, Urteil vom 10. Februar 2000, aaO). Diese Abgrenzung entspricht auch dem Entwurf der "Empfehlung zur Hilfsmittelversorgung nach § 33 SGB V bei Heimbewohnern", aaO, Stand: 31. August 2001.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

27

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen.