Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.04.2002, Az.: L 6 U 364/97

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.04.2002
Aktenzeichen
L 6 U 364/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35384
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0418.L6U364.97.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - AZ: S 7 U 174/96

Amtlicher Leitsatz

Eine auf krankhaften Veränderungen des Schultergelenkdaches beruhende Schultersteife stellt keine Erkrankung im Sinne der Nr 2101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze) dar.

Für die Entschädigung dieser Erkrankung wie eine Berufskrankheit fehlen die erforderlichen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse.

In dem Rechtsstreit

A.

Klägerin und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigte(r):

Rechtsanwälte B.

gegen

die Holz-Berufsgenossenschaft, Bezirksverwaltung Bremen,

Achterstraße 27, 28359 Bremen

Beklagte und Berufungsbeklagte,

hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ohne mündliche Verhandlung

am 18. April 2002

durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. Wilde, den Richter am Landessozialgericht Schulte, die Richterin am Landessozialgericht Klein sowie die ehrenamtlichen Richter Roth und Rostalski

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 26. August 1997 wird zurückgewiesen.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Sk/zi

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Gesundheitsstörungen der Klägerin im Bereich der Schultern Folgen einer Berufskrankheit - BK - i.S.d. Nr. 2101 (Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze) sind und die Klägerin deshalb Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat.

2

Die 1951 geborene Klägerin ist seit September 1976 bei der Firma C. - einer Möbelfabrik in Bremerhaven - beschäftigt. Bis 12. April 1995 war sie in der sog. Oberflächenabteilung neben drei anderen Mitarbeiterinnen als Schleiferin beschäftigt. Seit dem 13. April 1995 wird die Klägerin in der Oberflächenabteilung anderweitig eingesetzt und hat insbesondere Schränke sowie Vitrinen zu entstauben und Glasscheiben zu putzen. Bei der Tätigkeit als Schleiferin, die sie als Ursache ihrer Schulterbeschwerden ansieht, benutzte sie überwiegend elektrisch angetriebene Geräte und zwar sog. "Luftrutscher" (Gewicht 1,45 kg und "Elektrorutscher" (Gewicht 2,65 kg), gelegentlich auch Schleifpapier. Es wurden große und kleine Teile geschliffen, von der Leiste über den Stuhlrahmen bis zum Schrank. Beim Schleifen von Großmöbeln fielen auch Überkopfarbeiten an (vgl. zur beruflichen Exposition der Klägerin im Einzelnen den Vermerk des Technischen Aufsichtsdienstes - TAD - der Beklagten vom 22. November 1995, die Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 1999 über die Anhörung der Klägerin sowie die Zeugenvernehmung des Möbeltischlers D. (vormals Abteilungsleiter bei der Firma C.) und des Technikers E. (Betriebsleiter der Firma C.) und die Auskunft der Firma C. über die Schleifarbeiten in den Jahren 1988 und 1989 vom 16. März 2000). In der ärztlichen Anzeige über eine BK vom 14. September 1994 teilte Prof. Dr. F., Direktor der Orthopädischen Klinik des DRK-Krankenhauses G., der Beklagten mit, die Klägerin leide seit 1988 unter chronischen Schmerzen der linken Schulter. Als BK werde eine "Bursitis subacromialis" angenommen und die Diagnose einer "chronischen Bursitis subacromialis links" gestellt. Die Bursitis sei beidseitig bei langdauernden Überkopfarbeiten als Schleiferin mit Scherengerät aufgetreten. Aus den Berichten der Orthopädischen Klinik des DRK-Krankenhauses H. und der Operationsberichte ergibt sich, dass die Klägerin sich folgenden operativen Behandlungen unterzogen hat:

3

a. am 21. Februar 1991 unter der Diagnose "Tendinosis calcarea, schmerzhafte Schultersteife einer Durchtrennung des Ligamentums coraco acromiale und Ausräumung eines intratendinösen Altdepots der rechten Schulter,

4

b. am 17. Januar 1994 unter der Diagnose "Impingement" einer Dekompression des Ligamentums coraco acromiale der linken Schulter,

5

c. am 29. August 1994 unter der Diagnose "chronische Bursitis subacromialis" einer offenen Bursektomie und einer Durchtrennung des Ligamentums coraco acromiale der linken Schulter,

6

d. am 12. und 21. September 1994 Narkosemobilisationen der linken Schulter.

7

Die Beklagte veranlasste zunächst ein Gutachten des Prof. Dr. F. vom 24. Juli 1995. Dieser bejahte eine BK i.S.d. der Nr. 2101 und bezeichnete als deren Folgen eine "schmerzhafte Schultersteife bei Impingement-Symptomatik beider Schultern, links schlimmer als rechts". Die hierdurch bedingte MdE schätzte er seit dem Beginn der Erkrankung auf 30 v.H. In dem weiteren von der Beklagten veranlassten Gutachten der Ärzte für Chirurgie I. und Dr. J. vom 4. März 1996 heißt es, die Erkrankung der Klägerin sei nicht in die BK-Liste einzuordnen. Die Ausführungen des Prof. Dr. F. seien völlig unverständlich. Zu prüfen sei lediglich, ob die Verkalkung der Sehne und die Erkrankung der Sehne selbst über die "Öffnungsklausel" des § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) entschädigt werden könnten. Hierzu lägen jedoch keinerlei medizinische Erkenntnisse vor. Dieser Beurteilung trat der Landesgewerbearzt Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 22. April 1996 entgegen und bejahte eine BK Nr. 2101. Deren Anerkennung sei bei gesichertem Krankheitsbild einer Erkrankung der Sehnenscheiden bzw. der Sehnengleitgewebe, die im Rahmen der funktionellen Einheit zwischen Sehnen und Sehnengleitgewebe auch auf die Sehnen übergegriffen habe, dadurch begründet, dass diese Erkrankung hinreichend wahrscheinlich durch belastende Tätigkeiten (z.B. Überkopfarbeit, Schleifarbeiten in Zwangshaltung und ähnliche Arbeiten bei der Firma C.) entstanden seien. Die Beurteilung durch die Gutachter I. und Dr. J. sei in mehreren Punkten nicht schlüssig oder fehlerhaft. Nachdem die Beklagte noch die gutachtliche Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. L. und des Arztes für Orthopädie M. vom 13. Mai 1996 eingeholt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 27. August 1996 die Anerkennung einer schmerzhaften Schultersteife beiderseits als BK nach Nr. 2101 ab: Es sei zu keiner besonderen Beanspruchung der Schultergelenke gekommen, da die benutzten Schleifmaschinen kein erhebliches Gewicht hätten. Ferner sei der medizinischen Vorgeschichte zu entnehmen, dass eine "Periarthritis humero scapularis" vorliege. Diese Erkrankung sei in aller Regel nicht auf berufliche Einflüsse zurückzuführen. Überdies hätten die Gutachter I. und Dr. J. ausgeführt, dass von der BK Nr. 2101 in erster Linie Berufsanfänger betroffen seien, die ungewohnte Tätigkeiten zu verrichten hätten. Durch Herausbildung ergonomischer Arbeitsweisen erkrankten jedoch langjährige Arbeiter grundsätzlich nicht.

8

Im anschließenden Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte eine weitere gutachtliche Stellungnahme des Dr. L. und des Arztes für Orthopädie M. vom 13. Januar 1997. Die Gutachter verneinten die beruflichen Voraussetzungen der BK Nr. 2101: Das Risiko, am versicherten Krankheitsbild zu erkranken, sei bei ungeübter und akut abverlangter Tätigkeit erhöht. Bezogen auf die Rotatorenmanschette sei weiterhin eine Dauerbelastung durch eine Überkopftätigkeit erforderlich, wie sie z.B. beim Tennisprofi gegeben sei. Beide Voraussetzungen lägen nicht vor. Selbst wenn der Beschwerdebeginn der rechten Schulter bereits 1980 gewesen sei, sei die Klägerin nach vier Jahren nicht mehr untrainiert gewesen. Bezogen auf das linke Schultergelenk könne ein Missverhältnis zwischen Training und Belastung bei Beschwerdebeginn nach 1990 ohnehin nicht diskutiert werden. Die Tätigkeit als solche sei zudem nicht unphysiologisch, d.h. einseitig belastend gewesen. Die Vielfalt der Arbeitshaltungen sei mit einer einseitigen Belastung der Rotatorenmanschette nicht verbunden. Diese sei an der Aufbringung von Kraft - beim Heben von Möbelstücken und der Druckausübung bei Schleifbewegungen - nur ganz nachgeordnet beteiligt. Im Bereich des linken Schultergelenks lägen die medizinischen Voraussetzungen nicht vor, weil zu keinem Zeitpunkt der versicherte Körperschaden gesichert worden sein. Vielmehr sei die Struktur der Sehnen- bzw. Muskelansätze wiederholt und ausdrücklich als regelrecht befundet worden. Kalkeinlagerungen als Ursache von Beschwerden seien nicht gesichert. Ob die medizinischen Voraussetzungen im Bereich des rechten Schultergelenks vorlägen, könne nicht abschließend beurteilt werden. Diese hänge davon ab, ob es sich bei den Kalkeinlagerungen um primäre Veränderungen handele oder um solche, die therapiebedingt seien, z.B. Folgen von Kortisoninjektionen. Sollten die Kalkablagerungen im Bereich der Sehnenansätze primär bedingt sein, könne es sich um Zeichen eines vorzeitigen Verschleißes handeln. Dieser sei dann nicht Folge einer besonderen beruflichen Exposition, selbst wenn man diese als gesichert unterstelle. Nachdem das Beschwerdebild im Bereich des linken Schultergelenks nicht durch einen als BK versicherten Körperschaden zu erklären sei, läge es schließlich auch nicht nahe, dass das Beschwerdebild rechts belastungsinduziert gewesen sei. Gestützt auf diese gutachtliche Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 1997 zurück.

9

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht - SG - Stade hat das SG von Amts wegen das Gutachten des Arztes für Orthopädie Prof. Dr. N. vom 1. Mai 1997 eingeholt. Dieser fand eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung (Teilsteife) des linken Schultergelenks mit den typischen Krankheitszeichen einer Rotatorenmanschettenruptur. Überwiegend werde ein spontanes Entstehen dieser Krankheit angenommen. Wenn auch die Beschwerden im rechten Schultergelenk auf die einseitige Tätigkeit mit der rechten Hand zurückzuführen seien, so leuchte doch das Auftreten der Beschwerden im nicht oder weniger belasteten linken Arm nicht ein, wenn man die mechanische Verursachung durch die berufliche Tätigkeit akzeptiere. Die Annahme einer BK nach Nr. 2101 sei nur gerechtfertigt gewesen, wenn das linke Schultergelenk nicht in gleicher Weise wie das rechte Schultergelenk erkrankt wäre. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. August 1997 abgewiesen. Es hat offengelassen, ob das Beschwerdebild von der BK nach Nr. 2101 erfasst sei. Es stehe nicht fest, dass die Klägerin als Möbelschleiferin regelmäßig unphysiologischen körperlichen Belastungen ausgesetzt worden sei. Unter diesen Umständen sei allein die von den Ärzten Dr. O. vertretene Ansicht überzeugend, dass die Schulter-Armbeschwerden der Klägerin "nicht belastungsinduziert sind".

10

Gegen diesen ihr am 28. August 1997 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 29. September 1997 (Montag) Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen geltend gemacht, sie sei an ihrem Arbeitsplatz als Schleiferin einer Überbeanspruchung der Schulterpartien durch sehr häufiges Überkopfarbeiten mit starker Druckbelastung auf die Arme und Schultern ausgesetzt gewesen. Hierfür hat sie die Mitarbeiter P. als Zeugen benannt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Berufungsschriftsatz der Klägerin vom 29. September 1997 Bezug genommen.

11

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

12

1. den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 26. August 1997 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 1997 aufzuheben,

13

2. festzustellen, dass sie an einer BK i.S.d. Nr. 2101 der Anlage zur BKV oder an einer Krankheit (beiderseitige Schultersteife) leidet, die wie eine BK zu entschädigen ist,

14

3. die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

15

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 26. August 1997 zurückzuweisen.

16

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie ist der Auffassung, dass primär degenerative Sehnenveränderungen im Bereich beider Schultergelenke, wie Dr. L. ausgeführt habe, überhaupt nicht gesichert worden seien.

17

Auf Antrag der Klägerin hat der Senat im vorbereitenden Verfahren gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das nach ambulanter Untersuchung erstattete Gutachten des Prof. Dr. Q. vom 7. Dezember 1998 eingeholt. Er hat eine BK i.S.d. Nr. 2101 bejaht und die hierdurch bedingte MdE auf 20 v.H. geschätzt. Die Beklagte hat hierzu die gutachtliche Stellungnahme des Dr. L. vom 12. Februar 1999 vorgelegt.

18

Der Berichterstatter hat im Beweisaufnahmetermin vom 17. Dezember 1999 die Klägerin zu ihrer Berufstätigkeit als Schleiferin befragt und hierzu den ehemaligen Abteilungsleiter D. sowie den Betriebsleiter E. als Zeugen vernommen. Außerdem ist über die im Einzelnen in den Jahren 1988 und 1989 im Einzelnen berichteten Schleifarbeiten die Auskunft der Firma C. vom 16. März 2000 eingeholt worden. Schließlich ist noch von Amts wegen das nach ambulanter Untersuchung erstattete chirurgische Gutachten des Prof. Dr. R. vom 16. März 2001 eingeholt worden, das im Oktober beim Gericht eingegangen ist.

19

Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

21

Die statthafte Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn die nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässige Klage auf Feststellung einer BK oder einer Erkrankung, die "wie" eine BK zu entschädigen ist, ist nicht begründet; daraus folgt zugleich, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat (§§ 551, 580 f. der auf den vorliegenden Sachverhalt nach Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz und § 212 SGB VII noch anwendbaren Reichsversicherungsordnung - RVO - ).

22

1. Wie das SG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, lässt sich die in erster Linie in Betracht zu ziehende BK Nr. 2101 (Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze) der Anlage zur BKV nicht feststellen. Diese BK setzt, wie sich auch aus dem Amtlichen Merkblatt ergibt, eine einseitige langdauernde mechanische Beanspruchung voraus, wobei überwiegend die oberen Extremitäten, insbesondere die Unterarme, betroffen sind (I. des Merkblattes; näher dazu Mehrtens/Perlebach, Die BKV, Kommentar, M 2101 Anm. 3).

23

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Klägerin bei ihrer Berufstätigkeit als Schleiferin einer solchen einseitigen langdauernden mechanischen Belastung ausgesetzt war. Denn auf die - als gefährdend in Betracht zu ziehenden Überkopfarbeiten (vgl. dazu unter 2.) - entfiel nur ein Bruchteil der Schleifarbeiten an großen Möbelstücken, nämlich, wie die Arbeitgeberin der Klägerin exemplarisch für die Jahre 1988 und 1989 mitgeteilt hat und zwar im Jahr 1988 ein Bruchteil von 300 und im Jahr 1989 ein Bruchteil von 170 Stunden (Auskunft der Firma C. vom 16. März 2000, Gerichtsakten Bl. 212). Diese Frage brauchte der Senat indessen nicht abschließend zu beantworten. Denn die medizinischen Voraussetzungen der BK Nr. 2101 sind nicht erfüllt, d.h. die Gesundheitsstörungen im Bereich der Oberarme, unter denen die Klägerin leidet, entsprechen nicht dem Krankheitsbild der BK Nr. 2101.

24

Dies hat insbesondere Prof. Dr. R. in Übereinstimmung mit den Sachverständigen Prof. Dr. N. und Dr. S. sowie Dr. I. herausgearbeitet. Danach findet sich eine hochgradige Bewegungseinschränkung beider Schultern ("Schultersteife"), die auf umformenden Verschleißerscheinungen im Bereich der so genannten Rotatorenmanschette beider Schultern beruhen, also auf krankhaften Veränderungen des aus Muskeln und Sehnen gebildeten haubenförmigen Daches des Schultergelenks. Dabei handelt es sich im Bereich der rechten Schulter um eine so genannte Tendinitis calcarea, wie sie im Übrigen auch von den behandelnden Ärzten (Dr. T.) bereits diagnostiziert worden ist. Sie stellt eine nicht von der Definition der BK Nr. 2101 erfasste primäre Erkrankung der Sehne selbst dar, also keine Erkrankung der Sehnenscheiden, des Sehnengleitgewebes oder der Sehnen- oder Muskelansätze (S. 22 und 27 des Gutachtens des Prof. Dr. R.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, a.a.O.: "Bei der Schultersteife sind die anatomischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK nicht gegeben...", aber auch das Merkblatt unter II. "Periarthritis humero scapularis... im allgemeinen nicht auf berufliche Einflüsse zurückzuführen"). Das Gleiche gilt für die Erkrankung im Bereich der linken Schulter, wie Prof. Dr. R. unter Hinweis auf die auch insoweit radiologisch gesicherten Verkalkungsfiguren deutlich gemacht hat. Der Auffassung des Prof. Dr. Q., die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Oberarme seien als Erkrankung der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze anzusehen, sieht der Senat hierdurch als widerlegt an. Damit erweist sich auch die zusammenfassende Wertung des Dr. L. als zutreffend, im Bereich der durch die BK Nr. 2101 versicherten Strukturen sei nichts behandelt, nichts entfernt und auch nichts als krankhaft beschrieben worden.

25

Auch das Erkrankungsbild der BK Nr. 2105 (chronische Erkrankung der Schleimbeutel durch ständigen Druck) liegt nicht vor und ist überdies von keinem der beteiligten Sachverständigen in Betracht gezogen worden. Insoweit hat Prof. Dr. R. klargestellt, dass diese BK nur primäre Schleimbeutelentzündungen erfasst, nicht jedoch die bei der Klägerin vorliegende sekundäre Mitbeteiligung der Schleimbeutel aufgrund der vorerwähnten umformenden Verschleißerscheinungen im Bereich der Sehnen beider Schultern.

26

2. Die unter 1. beschriebenen Gesundheitsstörungen im Bereich beider Schultern der Klägerin können auch nicht nach § 551 Abs. 2 RVO ("Öffnungsklausel") als Erkrankung festgestellt werden, die "wie" eine BK zu entschädigen ist (gleichsinnig der ab 1. Januar 1997 geltende § 9 Abs. 2 SGB VII). Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit wie eine BK entschädigen, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höheren Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Regelung dient nicht dazu, eine nachweislich im Einzelfall beruflich verursachte Erkrankung zu entschädigen (vgl. BSGE 59, 295/297 [BSG 30.01.1986 - 2 RU 80/84] m.w.N.). Sie knüpft vielmehr die Entschädigungspflicht stets - entsprechend dem Listenprinzip des Berufskrankheitenrechts - an die Grundvoraussetzung der so genannten BK-Reife und ermöglicht damit einen beschränkten Vorgriff auf die Listenaufnahme. Das bedeutet, dass nach dem Erlass der jeweils letzten Verordnung über die BK-Bezeichnungen neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen müssen, aus denen sich die generelle Geeignetheit der Krankheit zur Verursachung durch die versicherte Tätigkeit ergibt. Danach ist § 551 Abs. 2 RVO auch dann nicht anwendbar, wenn der Verordnungsgeber vorhandene Kenntnisse bewusst gewürdigt, aber die Voraussetzungen für eine BK-Bezeichnung als (noch) nicht ausreichend gesichert angesehen hat (vgl. BSGE 44, 90/93 [BSG 23.06.1977 - 2 RU 53/76]; 52, 272/274; 72, 303/305 und SozR 3-2200 § 551 Nr. 14 - S. 67 - ).

27

Nach diesen Grundsätzen ist die so genannte "BK-Reife" mangels neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse im vorliegenden Fall zu verneinen. Prof. Dr. R. hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass zwar einige arbeitsmedizinisch-epidemiologische Untersuchungen eine erhöhte Prävalenz (Häufigkeit einer bestimmten Erkrankung) für das Auftreten umformender Verschleißerscheinungen im Bereich der Rotatorenmanschette "geschätzt knapp auf den Faktor 2" bei langjähriger Überkopfarbeit zeigen, andere Arbeiten diese Prävalenz jedoch nicht belegen. Er hat aber zugleich darauf hingewiesen, dass es sich nicht um neue wissenschaftliche Erkenntnisse handelt, da Arbeiten über die erhöhte Prävalenz für das Auftreten von Schultererkrankungen bei Überkopfarbeiten schon seit über 20 Jahren existieren (S. 30 seines Gutachtens). Damit stimmt überein, dass der Ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion BKen - bislang davon ausgegangen ist, dass es noch keinen gesicherten neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand darüber gibt, dass bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung an einer "Periarthritis humero scapularis" (Schultersteife) erkranken (Auskunft des BMA vom 28. Februar 1995 sowie des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 8. März 1995 - im Rechtsstreit des Senats L 6 U 394/97 - , abgeschlossen durch Urteil vom 27. September 1999). Daraus folgt, dass die Problematik dem Verordnungsgeber bekannt und er die BK-Reife bislang nicht bejaht hat.

28

3. Unabhängig hiervon ist dem Gutachten des Prof. Dr. R. zu entnehmen, dass sich im vorliegenden Fall auch die individuelle Kausalität nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, Verschleißerscheinungen im Bereich der Rotatorenmanschette durch viele Faktoren verursacht werden und auch in der Normalbevölkerung weit verbreitet sind. Diese Zweifel an einer wahrscheinlich berufsbedingten Verursachung der Schultererkrankung der Klägerin werden dadurch verstärkt, dass nicht nur die rechte Schulter betroffen ist - die Klägerin ist Rechtshänderin - , sondern auch die linke Schulter. Die Sachverständigen Prof. Dr. U. haben in diesem Zusammenhang durchaus plausibel darauf hingewiesen, dass in gleicher Weise auftretende Beschwerden im nicht oder doch weniger belasteten Arm gegen eine mechanische Verursachung durch die berufliche Tätigkeit spreche. Hinzu kommt, dass der zeitliche Anteil der als gefährdend anzusehenden Überkopfarbeit, wie bereits ausgeführt, nur gering war.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

30

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).