Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 05.07.2012, Az.: 4 B 2951/12
Beeinträchtigung der Nachbarschaft einer Hähnchenmastanlage durch Bioaerosole
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 05.07.2012
- Aktenzeichen
- 4 B 2951/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 39778
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2012:0705.4B2951.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB
- § 75 NBauO
- § 212a Abs. 1 BauGB
Fundstelle
- BauR 2012, 1835
Amtlicher Leitsatz
Derzeit liegen zuverlässige Erkenntnisse, bei welchen Entfernungen Bioaerosole aus Tierhaltungsbetrieben beeinträchtigend wirken könnten, nicht vor. Weil deshalb ungewiss ist, ob überhaupt mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist, greift eine den Nachbarn schützende Schutzpficht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG) nicht ein. Diese greift nur ein, wenn sicher mit einer Gefahr zu rechnen ist.
Liegen - wie hier - nur potentiell schädliche Umwelteinwirkungen vor, greift nur eine Vorsorgepflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG), der eine nachbarschützende Wirkung nicht zukommt.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 52.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die teilweise Neuerrichtung und den Betrieb einer Anlage für die Aufzucht von Mastgeflügel mit insgesamt 25.000 Mastplätzen für Hähnchen bis 0,7 kg im Außenbereich der Gemeinde P..
Die Beigeladene ist Pächterin des Flurstücks Q. der Flur R., Gemarkung P.. Auf diesem Grundstück wird seit 1961 Geflügelmast betrieben. Die dort errichtete Stallanlage besteht aus drei nebeneinander liegenden Ställen mit einem genehmigten Tierbestand von 25.000 Masthähnchen (mit einem Endgewicht von 1,5 kg). Östlich der Stallanlage liegt in etwa 30 m Entfernung das zur Hofstelle gehörende Wohnhaus. Die Wohnhäuser der Antragsteller liegen in östlicher, nördlicher und westlicher Richtung in einer Entfernung zwischen ca. 60 und 220 m zu der Stallanlage im Außenbereich der Gemeinde P..
Unter dem 24.02.2011, geändert am 11.08.2011, beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die teilweise Neuerrichtung und Nutzung eines Hähnchenaufzuchtsstalls an dem Standort der vorhandenen Stallanlage, die Vergrößerung der vorhandenen Betonplatte, den Neubau von fünf Silos und den Neubau einer Grube. In der neuen Stallanlage sollen insgesamt 25.000 Eintagsküken eingestallt und 30 Tage bis zu einem Tierendgewicht von etwa 0,7 kg gehalten werden. Die Endmast der Hähnchen soll an separaten Standorten erfolgen. Die Abluft soll dezentral in einer Höhe von 1,5 m über First aus den einzelnen Stallgebäuden geführt werden.
Für dieses Vorhaben legte die Beigeladene zwei Gutachten des Ingenieurbüros Prof. Dr. S. vor. Das Gutachten vom 22.07.2011 untersucht die mit dem Betrieb der Anlage verbundenen Geruchsimmissionen, das Gutachten vom 16.09.2011 die Staub- und Ammoniakimmissionen sowie die Stickstoffdeposition. Nach dem Geruchsgutachten kommt es an allen betrachteten Immissionsorten im Umfeld des geplanten Vorhabens gegenüber der bisherigen Nutzung zu einer deutlichen Verringerung der Immissionshäufigkeiten. Das Staubgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass eine Überschreitung von Immissionsgrenzwerten oder erhebliche Nachteile für die Umwelt wegen der mit dem Vorhaben verbundenen Staubemissionen nicht erwartet werden könnten.
Mit Bescheid vom 26.01.2012 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen unter Beifügung zahlreicher Nebenbestimmungen die beantragte Baugenehmigung und erklärte die o.g. Gutachten des Ingenieurbüros Prof. Dr. S. zum Bestandteil der Genehmigung.
Die Antragsteller legten mit Schreiben vom 28.02.2012 Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein und beantragten zugleich die Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung. Zur Begründung machten sie geltend: Die Baugenehmigung verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Für die Frage, welche Beeinträchtigungen ihnen als Nachbarn an Geruchsbelästigungen zuzumuten seien, könne auf die Aussagen der VDI-Richtlinie 3472 (Tierhaltung Hühner) zurückgegriffen werden. Hiernach müsse bei einer Stückzahl von 25.000 Masthähnchen ein Abstand von 198 m eingehalten werden. Dieser Abstand werde unterschritten. Deshalb sei es unerheblich, dass an einigen Immissionspunkten eine wesentliche Verbesserung an Geruchsstundenhäufigkeiten eintrete. Zu berücksichtigen sei vielmehr, dass der in Dorfgebieten maximal zulässige Grenzwert von 25 % der Jahresstunden am Immissionspunkt 1 deutlich überschritten werde. Die Baugenehmigung sei auch deshalb rechtswidrig, weil sie sich nicht mit den durch Bioaerosole ausgehenden Gefährdungen befasse. Der Entwurf der VDI-Richtlinie 4250 sehe einen Mindestabstand von 500 m zu Hähnchenmastställen vor, da sich Bioaerosole bis zu einer solchen Entfernung ausbreiten könnten.
Über die Widersprüche der Antragsteller ist noch nicht entschieden. Ihren Aussetzungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 09.03.2012 mit folgender Begründung ab: Die nach der Geruchsimmissions-Richtlinie für die Wohngebäude der Antragsteller ermittelten Geruchsstundenhäufigkeiten lägen zwischen 7,5 und 13,8 % der Jahresstunden und damit unter dem für den Außenbereich vorgesehenen Immissionsrichtwert von 15 % der Jahresstunden und dem im Einzelfall in stark landwirtschaftlich geprägten Gebieten maximal zulässigen Wert von 20 % der Jahresstunden. Ein Bioaerosol-Gutachten sei nicht einzuholen gewesen, da Erkenntnisse darüber, von welcher Wirkschwelle an eine allgemeine Gefährdung durch Bioaerosole in konkrete Gesundheitsgefahren umschlage, nicht bekannt seien.
Am 20.03.2012 haben die Antragsteller um Gewährung einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung nehmen sie auf ihre Widerspruchsbegründung Bezug und machen vertiefend geltend: Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Das eingeholte Geruchsgutachten berücksichtige ihre Belange nicht ausreichend, sondern mache lediglich pauschale Aussagen. Zudem sei nicht sichergestellt, dass beim Betrieb der Mastanlage keine Gefährdungen durch Bioaerosole entstünden. Zu berücksichtigen sei schließlich, dass die Gemeinde P. die Aufstellung eines Bebauungsplans zur Steuerung von Tierhaltungsanlagen beschlossen habe. Für das Vorhabengrundstück sehe der Bebauungsplan ein Baufenster für Tierhaltungsanlagen nicht vor.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche vom 28.02.2012 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26.01.2012 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf seine Ausführungen in der Aussetzungsentscheidung vom 09.03.2012 und führt ergänzend aus: Soweit das Vorhabengrundstück außerhalb von Flächen liege, welche der in Aufstellung befindliche Bebauungsplan zur Steuerung von Tierhaltungsanlagen für Ställe vorsehe, sei dies unerheblich, da der Bebauungsplan insoweit keinen Drittschutz vermittele.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor: Das Vorhaben verstoße nicht gegen das Rücksichtnahmegebot, insbesondere führe es nicht zu unzumutbaren Geruchsimmissionen. Das eingeholte Geruchsgutachten komme zu dem Ergebnis, dass die Geruchssituation gegenüber dem gegenwärtigen Zustand erheblich verbessert werde. Die sonstigen Immissionen, insbesondere die zu erwartenden Staubimmissionen, seien im Bereich der nächstgelegenen Wohnbebauung vernachlässigbar gering. Die Baugenehmigung sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil kein Bioaerosol-Gutachten eingeholt worden sei. Ein solches Gutachten hätte keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse erbringen können.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche ist zwar gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO i.V.m. § 212a BauGB statthaft und auch ansonsten zulässig. Insbesondere haben die Antragsteller, wie dies § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO vorsieht, vor Antragstellung bei Gericht erfolglos bei dem Antragsgegner um die Aussetzung der sofortigen Vollziehung nachgesucht.
Der Antrag ist aber unbegründet. Gemäß § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der am 28.02.2012 eingelegten Widersprüche in dem hier einschlägigen Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB anordnen, wenn das Interesse der Antragsteller am vorläufigen Aufschub der Vollziehbarkeit der Baugenehmigung gegenüber dem öffentlichen Interesse oder dem Interesse des Begünstigten an der sofortigen Vollziehbarkeit der Genehmigung überwiegt. Ein überwiegendes Interesse der Antragsteller ist zu verneinen, wenn die im Eilrechtsschutzverfahren allein gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der eingelegte Rechtsbehelf aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. In diesem Fall steht den Antragstellern kein schutzwürdiges Interesse daran zu, die Vollziehung der (voraussichtlich) rechtmäßigen Baugenehmigung bis zur Hauptsacheentscheidung über ihren (wahrscheinlich unbegründeten) Rechtsbehelf zu verzögern. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in einem von einem Dritten angestrengten Rechtsbehelfsverfahren eine objektive Rechtskontrolle nicht stattfindet. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist vielmehr allein die Frage, ob die das Verfahren betreibenden Antragsteller in eigenen subjektiven Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt sind.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Antragsteller in der Hauptsache voraussichtlich unterliegen werden. Denn die angefochtene Baugenehmigung verletzt sie nicht in ihren Rechten. Aus den Darlegungen der Antragsteller ergibt sich nicht, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nach § 75 NBauO das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot verletzt. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Es kommt also wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122). Bei der Bemessung dessen, was den durch ein Bauvorhaben Belästigten zugemutet werden kann, bietet sich eine Anlehnung an die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes an (OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.07.2011 - 1 ME 76/11 -, DVBl 2011, 1105 = NVwZ-RR 2011, 889).
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Von der genehmigten Anlage gehen weder in Bezug auf Geruch noch in Bezug auf Staub oder Bioaerosole unzumutbare Immissionen aus.
Hinsichtlich der von der genehmigten Anlage ausgehenden Geruchsimmissionen ist aufgrund des vorliegenden Gutachtens des Ingenieurbüros Prof. Dr. S. vom 22.07.2011 zu den Geruchsimmissionen sichergestellt, dass die Antragsteller als Nachbarn nicht unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind.
Als Entscheidungshilfe für die Beurteilung von Geruchsimmissionen ist bei der Haltung von Hühnern zwar grundsätzlich zunächst auf die TA Luft und die VDI-Richtlinie 3472 zurückzugreifen. Wenn dabei - wie hier - die dort genannten Abstände nicht eingehalten werden, bedeutet dies aber nicht - wie die Antragsteller meinen -, dass erhebliche Geruchsbelästigungen ohne weiteres bejaht werden können. Vielmehr kann, um unzumutbare Geruchsbelästigungen auszuschließen, eine Prüfung nach den Verfahrensschritten der Geruchsimmissions-Richtlinie i.d.F. vom 29.02.2008 und einer Ergänzung vom 10.09.2008 - GIRL - erfolgen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 12.11.2008 - 12 LB 17/07 -, [...]). Nach dieser gestuften Verfahrensweise sind Antragsgegner und Beigeladene hier vorgegangen; da der Abstand der VDI-Richtlinie 3472 nicht eingehalten wird, erfolgte eine Geruchsimmissionsprognose nach der GIRL. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand entspricht die Geruchsimmissionsprognose des Ingenieurbüros Prof. Dr. S. den Anforderungen der GIRL.
Nach Nr. 3.1 Tabelle 1 der GIRL gilt für Wohn-/Mischgebiete ein Immissionswert von 0,10 (10 % Jahresgeruchsstunden) und für Gewerbe-/Industriegebiete und Dorfgebiete ein Immissionswert von 0,15 (15 % Jahresgeruchsstunden). Einen Immissionswert für den Außenbereich regelt die GIRL nicht ausdrücklich. Sonstige Gebiete, in denen sich Personen nicht nur vorübergehend aufhalten, sind entsprechend den Grundsätzen des Planungsrechts den einzelnen Spalten der Tabelle 1 zuzuordnen. In der Begründung und in den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 GIRL ist erläuternd ausgeführt, dass das Wohnen im Außenbereich mit einem immissionsschutzrechtlich geringeren Schutzanspruch verbunden sei. Vor diesem Hintergrund sei es möglich, unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich einen Wert bis zu 0,25 (25 % der Jahresgeruchsstunden) für landwirtschaftliche Gerüche heranzuziehen.
Zur Ermittlung der zu erwartenden Geruchshäufigkeit bedarf es grundsätzlich vorbehaltlich von hier nicht vorliegenden Ausnahmen einer Prognose, bei der aus der Vor- und der Zusatzbelastung im Wege einer Ausbreitungsberechnung die voraussichtliche Gesamtbelastung ermittelt wird. Diese Prognose hat das Ingenieurbüro Prof. Dr. S. vorgenommen. Nach dem Ergebnis dieser Prognose ist an den Wohnhäusern der Antragsteller mit einer Geruchsgesamtbelastung zwischen 6,2 % (Wohnhaus der Antragstellerin zu 3. - Mühlenweg 4) und 13,8 % der Jahresstunden (Wohnhaus der Antragstellerin zu 1. - Auf dem F. 5) zu rechnen. Damit wird der in der GIRL 2008 für den Außenbereich im Einzelfall als zumutbar in Betracht kommende Immissionswert (bis zu 25 %) deutlich unterschritten; es wird auch der für Dorfgebiete (die Umgebung entspricht hier am ehesten einem Dorfgebiet) vorgesehene Immissionswert von 15 % der Jahresgeruchsstunden eingehalten. Die maßgeblichen Werte werden zwar an den Immissionspunkten 1 (dort 36,7 % der Jahresstunden) und 9 (dort 16,6 %) überschritten. Dies ist aber für dieses Verfahren unerheblich, da beide Immissionspunkte Wohnhäuser betreffen, die nicht im Eigentum der Antragsteller stehen und von diesen auch nicht bewohnt werden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass an allen Immissionspunkten eine Reduzierung der Geruchswahrnehmungshäufigkeit gegenüber dem bisherigen Zustand herbeigeführt wird (vgl. zu diesem Gesichtspunkt OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.08.2011 - 12 LA 55/10 -, NVwZ-RR 2012, 18).
Substanzielle Einwände gegen die Geruchsimmissionsprognose des Ingenieurbüros Prof. Dr. S. bringen die Antragsteller nicht vor. Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens sind auch nicht ersichtlich.
Entgegen der Auffassung der Antragsteller trifft das Gutachten nicht lediglich die pauschale Aussage, dass eine wesentliche Verbesserung an Geruchsstundenhäufigkeiten an den Immissionspunkten eintrete, ohne die Lage der Wohngrundstücke der Antragsteller zu berücksichtigen und abzuwägen. Vielmehr wird für jedes einzelne Grundstück der Antragsteller die zu erwartende Geruchsstundenhäufigkeit errechnet. Da schon der für ein Dorfgebiet vorgesehene Immissionswert von 15 % der Jahresgeruchsstunden nicht überschritten wird, war nicht zu untersuchen, ob aufgrund der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls sogar ein Wert bis zu 25 % der Jahresgeruchsstunden zulässig ist. Auf die speziellen Randbedingungen, also die Lage und Beschaffenheit der einzelnen Wohngrundstücke, kam es deshalb nicht an.
Die Antragsteller haben mit ihrer Rüge, die Geruchsimmissionsprognose lege der Berechnung einen Umbau und nicht den genehmigten Neubau zugrunde, keinen Erfolg. Das Gutachten geht davon aus, dass eine neue Außenverkleidung geschaffen, die Dächer neu eingedeckt, die Lüftungsanlage saniert und die Abluft künftig dezentral in einer Höhe von 1,5 m über First aus den Stallgebäuden geführt wird. Diese für die Beurteilung der Geruchssituation entscheidenden Baumaßnahmen sieht auch der geänderte und von dem Antragsgegner genehmigte Bauantrag vor. Für die Beurteilung der Geruchssituation ist es unerheblich, inwieweit andere Gebäudeteile - etwa die Bodenplatte - saniert oder neu errichtet werden.
Soweit die Antragsteller beanstanden, dass aufgrund der Ausschöpfung der Immissionswerte durch den Betrieb der Beigeladenen eine Weiterentwicklung eigener Betriebe nicht möglich sein werde, ist bereits nicht erkennbar, dass einer der Antragsteller überhaupt einen emittierenden Betrieb führt. Zum anderen gilt der Grundsatz der Priorität (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 26.09.1991 - 1 L 74/91 -, [...]). Danach darf die Genehmigungsbehörde entsprechend dem Prioritätsgrundsatz berücksichtigen, dass andere Vorhaben bislang nicht beantragt sind. Im Übrigen wird der im Dorfgebiet zulässige Grenzwert von 15 % der Jahresgeruchsstunden nach der Geruchsimmissionsprognose nur im unmittelbaren Umfeld der Anlage erreicht, ansonsten aber nicht ausgeschöpft, so dass es möglich ist, noch andere Vorhaben zu verwirklichen.
Hinsichtlich der von der Anlage ausgehenden Staubimmissionen ist durch das Gutachten des Ingenieurbüros Prof. Dr. S. vom 16.09.2011 sichergestellt, dass die Antragsteller nicht unzumutbaren Staubbeeinträchtigungen ausgesetzt sind. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass von der Anlage keine Staubemissionen ausgehen, die den Anforderungen der TA Luft zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen (Nr. 4 TA Luft) nicht genügen würden.
Nr. 4 TA Luft enthält in Nr. 4.2.1 TA Luft Immissionswerte für Schwebstaub und in Nr. 4.3.1 TA Luft für Staubniederschlag (nicht gefährdenden Staub).
Der Grenzwert für Schwebstaub beträgt nach der Tabelle 1 in Nr. 4.2.1 der TA Luft im Jahresmittel 40 µg/m3. Der Immissionsjahreswert ist nach Nr. 4.7.1 der TA Luft eingehalten, wenn die Summe aus Vorbelastung und Zusatzbelastung an den jeweiligen Beurteilungspunkten kleiner oder gleich dem Immissionsjahreswert ist. Für das nächstgelegene Wohnhaus, das sich direkt östlich der Hähnchenmastanlage befindet, werden gemäß der Ausbreitungsberechnung maximale Werte an anlagebezogenem Schwebstaub (Zusatzbelastung) von 2,2 µg/m3 prognostiziert. Im Bereich der Grundstücke der Antragsteller liegen diese Werte sogar nur zwischen 0,2 und 0,9 µg/m3. Das Gutachten berücksichtigt eine Vorbelastung von 33 µg/m3. Dieser Wert beruht nicht auf einer Berechnung, sondern stellt den maximal gemessenen Jahresmittelwert an dem Standort Lüneburger Heide dar (das Jahresmittel aus 10 Jahren an den Standorten Allertal, Lüneburger Heide und Wendland liegt teilweise noch deutlich darunter). Der Grenzwert von 40 µg/m3 wird unter Berücksichtigung dieser Vorbelastung, die demnach eine Worst-Case-Betrachtung darstellt, und unter Berücksichtigung der Zusatzbelastung sicher eingehalten.
Der Grenzwert für Staubniederschlag beträgt nach der Tabelle 2 in Nr. 4.3.1 der TA Luft im Jahresmittel 0,35 g/(m2d). Wie oben dargelegt, ist der Immissionsjahreswert ist nach Nr. 4.7.1 der TA Luft eingehalten, wenn die Summe aus Vorbelastung und Zusatzbelastung an den jeweiligen Beurteilungspunkten kleiner oder gleich dem Immissionsjahreswert ist. Für das nächstgelegene, direkt östlich der Hähnchenmastanlage liegende Wohnhaus werden gemäß der Ausbreitungsberechnung maximale Werte an anlagebezogenem Staubniederschlag (Zusatzbelastung) von 0,015 g/(m2d) prognostiziert. Unter Berücksichtigung einer Vorbelastung von 0,041 g/(m2d), die sich aus dem Jahresmittelwert aus dem Jahr 2010 an der Messstation Allertal ergibt, errechnet sich an diesem Immissionsort eine Gesamtbelastung von 0,056 g/(m2d). Im Bereich der Grundstücke der Antragsteller liegt der Wert noch darunter. Der Grenzwert für Staubniederschlag von 0,35 g/(m2d) wird damit weit unterschritten.
Die prognostizierten Staubemissionen sind sogar so gering, dass auch die Anforderungen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen (Nr. 5 TA Luft), deren Einhaltung die Antragsteller nicht verlangen können, weil sie nicht drittschützend sind, beachtet sind (vgl. zur Einhaltung der insoweit maßgeblichen Werte S. 26 des Staubgutachtens).
Die Baugenehmigung verletzt die Antragsteller auch in Bezug auf die emittierenden Bioaerosole nicht in ihren Rechten. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Antragsteller Gefahren in Form von Bioaerosolen zu erwarten haben, liegen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht vor. Immissions- oder Emissionswerte sieht die TA Luft insoweit nicht vor. Es gibt bislang auch sonst keine Grenz- oder Orientierungswerte, welche die Schädlichkeitsschwelle für Bioaerosole beschreiben.
Es ist zwar davon auszugehen, dass von Tierhaltungsbetrieben luftgetragene Schadstoffe wie insbesondere Mikroorganismen und Endotoxine ausgehen, die grundsätzlich geeignet sind, nachteilig auf die Gesundheit zu wirken (OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.03.2012 - 12 ME 270/11 -, [...]). Derzeit liegen aber zuverlässige Erkenntnisse darüber, bei welchen Entfernungen Schadstoffe aus Tierhaltungsbetrieben beeinträchtigend wirken könnten, nicht vor. Medizinisch begründete Immissionsgrenzwerte für Bioaerosole existieren zurzeit ebenfalls nicht. Ausgehend von diesem Erkenntnisstand greift die den Nachbarn schützende immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG als Instrument der Gefahrenabwehr nicht ein, weil ungewiss ist, ob mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.08.2011, a.a.O.).
Potentiell schädliche Umwelteinwirkungen, ein nur möglicher Zusammenhang zwischen Emissionen und Schadenseintritt oder ein generelles Besorgnispotential können allerdings Anlass für Vorsorgemaßnahmen sein (vgl. BVerwG zu Nanopartikeln, Urt. v. 11.12.2003 - 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329). Vor diesem Hintergrund bezeichnet der Entwurf der VDI-Richtlinie 4250 (Bioaerosole und biologische Agenzien, Umweltmedizinische Bewertung von Bioaerosol-Immissionen) in Nr. 7 jede Erhöhung der Immissionskonzentration gegenüber den Hintergrundwerten als umwelthygienisch unerwünscht, fügt aber hinzu, dass dabei das Gesundheitsrisiko nicht quantifiziert werden könne. Aus Gründen der Vorsorge seien Bioaerosol-Konzentrationen zu vermeiden, die gegenüber der Hintergrundbelastung erhöht seien. Davon ausgehend wird die Einhaltung der in Anhang C des Richtlinienentwurfs genannten Abstände nicht den drittschützenden Betreiberpflichten i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG, sondern den Vorsorgeanforderungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG zugeordnet (OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.03.2012, a.a.O.). Dem aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG hergeleiteten Vorsorgegrundsatz kommt aber eine drittschützende Wirkung nicht zu, weil die Vorsorgepflicht nicht der Begünstigung eines individualisierbaren Personenkreises, sondern dem Interesse der Allgemeinheit daran dient, potenziell schädlichen Umwelteinwirkungen generell vorzubeugen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.12.2003 - a.a.O.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.08.2011, a.a.O.; Beschl. d. Kammer v. 16.05.2012 - 4 B 5562/11 -).
Da hier somit nur die immissionsschutzrechtliche Vorsorgepflicht greift, der eine drittschützende Wirkung nicht zukommt, muss die Kammer nicht der Frage nachgehen, ob der Beigeladenen die Einholung eines Gutachtens zu den Bioaerosol-Immissionen aufgegeben werden oder der Antragsgegner von der Beigeladenen nach Maßgabe der im Entwurf vorliegenden VDI-Richtlinie 4250 bestimmte Maßgaben, etwa den Einbau eines Abluftreinigungssystems, verlangen könnte (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 13.03.2012, a.a.O.).
Eine Verletzung nachbarlicher Rechte liegt schließlich nicht darin, dass durch die Hähnchenmastanlage ein Vorhaben zugelassen wird, das nach dem Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans der Gemeinde P. zur Steuerung von Tierhaltungsanlagen außerhalb von Flächen liegt, die für Tierhaltungsanlagen vorgesehen sind. Auf einen etwaigen Verstoß gegen die beabsichtigten Festsetzungen können sich die Antragsteller nicht berufen. Welche Abwehrrechte ein Nachbar gegen ein im Außenbereich ausgeführtes Bauvorhaben hat, bestimmt sich nach § 35 BauGB, dessen Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 das allgemeine Rücksichtnahmegebot aufgreift. Rücksicht nehmen muss ein Bauvorhaben dabei auf solche Interessen des Nachbarn, die wehrfähig sind, weil sie der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des materiellen Rechts als schützenswert betrachtet hat. Der Ausweisung von Flächen für Tierhaltungsanlagen kommt eine solche Funktion einer objektiv nachbarschützenden Norm nicht zu. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die angefochtene Genehmigung möglicherweise nicht mit dem - im Übrigen noch nicht beschlossenen - Bebauungsplan in Einklang steht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei das Gericht die geltend gemachte Beeinträchtigung der Grundstücke der Antragsteller mit 15.000 € je Grundstück bewertet und diesen Wert im einstweiligen Rechtsschutzverfahren halbiert (15.000,- € x 7 = 105.000,- € : 2 = 52.500,- €).