Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 13.05.2014, Az.: L 11 AS 1360/12 NZB

Aktivlegitimation; Beratungshilfe; Direktzugang; Forderungsübergang

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
13.05.2014
Aktenzeichen
L 11 AS 1360/12 NZB
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 42394
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 10.10.2012 - AZ: S 25 AS 416/11

Tenor:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 10. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 10. Oktober 2012, durch das ihre Klage auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer Kosten für das Widerspruchsverfahren abgewiesen worden ist.

Die 1985 geborene Klägerin steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2010 verfügte der Beklagte mit Sanktionsbescheid vom 16. Dezember 2008 eine Absenkung der laufenden Leistungen. Die Klägerin beauftragte daraufhin Rechtsanwalt F. mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Hierbei handelte es sich „unbestritten um ein Beratungshilfemandat“ (vgl. Beschwerdebegründung der Klägerin vom 13. März 2013). Aufgrund des vom Bevollmächtigten der Klägerin eingelegten Widerspruchs hob der Beklagte den Sanktionsbescheid auf und übernahm gleichzeitig die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen (unter Anerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, Abhilfebescheid vom 19. Mai 2010).

Den vom Bevollmächtigten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren geltend gemachten Gebührenanspruch von 355,93 Euro kürzte der Beklagte auf 309,40 Euro. Dies begründete er damit, dass die in Rechnung gestellten Kosten für 144 Ablichtungen (39,01 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer = 46,53 Euro) nicht übernommen werden könnten. Es seien lediglich Computerscans in Dateiform erstellt worden (PDF-Datei) und keine Fotokopien. Auch sei es nicht erforderlich gewesen, die gesamte Fallakte der Klägerin einzuscannen (Kostenfestsetzungsbescheid vom 8. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2011).

Die von der Klägerin hiergegen am 4. März 2011 eingelegte Klage hat das SG mit der Begründung abgewiesen, dass der streitbefangene Kostenerstattungsanspruch nicht der Klägerin, sondern ihrem Prozessbevollmächtigten zustehe. Dies ergebe sich aus § 9 Beratungshilfegesetz (BerHG). Die Klägerin sei dementsprechend für den geltend gemachten Anspruch nicht aktiv legitimiert. Ebenso wenig sei der Anspruch durch die Klägerin zulässigerweise in Prozessstandschaft für ihren Bevollmächtigten anhängig gemacht worden. Aufgrund der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin könne es dahinstehen, dass die Kostenentscheidung des Beklagten auch in der Sache nicht zu beanstanden sei. Die Erstattung von Auslagen für Ablichtungen setzte voraus, dass die Anfertigung von Kopien zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten sei. Diese Voraussetzung sei weder „ansatzweise substantiiert noch belegt“ worden (Urteil vom 10. Oktober 2012).

Gegen das der Klägerin am 23. Oktober 2012 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 23. November 2012 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde. Die Klägerin trägt ergänzend vor, dass zwar ein Beratungshilfemandat infolge eines sog. Direktzugangs nach § 7 BerHG bestanden habe. Es sei in der Folgezeit jedoch kein Antrag beim Amtsgericht (AG) auf nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe gestellt worden. Da der Forderungsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG erst durch die Bewilligung von Beratungshilfe durch das zuständige AG bewirkt werde, sei das SG rechtsfehlerhaft von einem solchen Forderungsübergang ausgegangen. Hiergegen spreche zudem - zumindest für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren -, dass der Behörde im Regelfall nicht bekannt sei, ob Beratungshilfe gewährt worden ist. Dahingehende Ermittlungen bzw. Nachfragen der Behörde seien aus Datenschutzgründen ausgeschlossen. Schließlich würden der Behörde ansonsten z.B. in einem Verwaltungsverfahren zur Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bekannt werden, obwohl diese für die eigentliche Verwaltungsentscheidung (GdB-Feststellung) keine Bedeutung hätten. In der Sache handele es sich bei den gefertigten Computerscans um für die Fallbearbeitung notwendige und nach Nr 7000 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) abrechnungsfähige Aufwendungen (vgl. im Einzelnen: Seite 5 und 6 der Beschwerdebegründung vom 13. März 2013).

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.

Die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil ist in den in § 144 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Fällen (hier: Wert des Beschwerdegegenstands unter 750,01 Euro) zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs 2 SGG).

Die sich im vorliegenden Verfahren zu § 9 Satz 2 BerHG stellenden Rechtsfragen sind geklärt und haben dementsprechend keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 144 Abs 2 Nr 1 SGG.

Die Beauftragung des Bevollmächtigten der Klägerin erfolgte unstreitig im Wege des sog. Direktmandats nach § 7 BerHG (in der bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung - im Folgenden: alter Fassung [a.F.]; vgl. nunmehr: § 6 Abs 2 BerHG in der seit 1. Januar 2014 geltenden Fassung). Bereits die Übernahme des Beratungshilfemandats (vgl. zur Verpflichtung von Rechtsanwälten, die im BerHG vorgesehene Beratungshilfe zu übernehmen: § 49a Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -) führte dazu, dass der Bevollmächtigte der Klägerin gegenüber dieser anstatt des üblichen Gebührenanspruchs lediglich Anspruch auf Zahlung der Beratungshilfegebühr i.H.v. 10,-- Euro (§ 44 Satz 2 RVG i.V.m. Nr 2500 VV RVG) sowie gegenüber der Staatskasse - allerdings nur nach entsprechender Beantragung und Bewilligung - die Gebührenansprüche nach § 44 RVG i.V.m. Nr 2501ff. VV RVG hatte. Als Ausgleich für diese Beschränkung des Gebührenanspruchs sieht das BerHG den Forderungsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG vor, wonach ein etwaiger Kostenerstattungsanspruch des Rechtsuchenden gegen den Gegner auf den Bevollmächtigten übergeht.

Im vorliegenden Fall ist nicht entscheidungserheblich, zu welchem Zeitpunkt der Forderungsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG im Falle der Bewilligung von Beratungshilfe durch das AG erfolgt (vgl. hierzu etwa: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 - L 34 AS 53/12). Schließlich haben weder die Klägerin noch ihr Bevollmächtigter beim AG einen Antrag auf Ausstellung eines Berechtigungsscheins gestellt (vgl. zu diesem nachträglichen Antrag: § 4 Abs 2 Satz 4 BerHG a.F.; nunmehr: § 6 Abs 2 BerHG, wonach dieser Antrag nur noch innerhalb von vier Wochen seit Beginn der Beratungshilfetätigkeit gestellt werden kann).

Bei einem Direktzugang nach § 7 BerHG a.F. (nunmehr: § 6 Abs 2 BerHG) erfolgt die Gewährung von Beratungshilfe direkt durch den in Anspruch genommenen Rechtsanwalt, nämlich mittels Übernahme eines Beratungshilfe- anstatt eines nach den üblichen Gebührensätzen abzurechnenden Mandats. Lediglich hinsichtlich eines etwaigen Anspruchs gegenüber der Staatskasse auf Zahlung der Gebühren nach § 44 RVG i.V.m. Nr 2501ff. VV RVG bedarf es noch einer gerichtlichen Entscheidung (vgl. zu der Frage, ob bei einem Direktzugang nach § 7 BerHG a.F. die nachträgliche Ausstellung eines Berechtigungsscheins nach § 6 BerHG erforderlich ist oder aber die Anspruchsvoraussetzungen für einen Beratungshilfeanspruch im Rahmen der Vergütungsfestsetzung inzident zu prüfen sind: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe/Beratungshilfe, 6. Auflage 2012, Rn 985). Dementsprechend trägt bei der Übernahme eines Beratungshilfemandats im Wege des sog. Direktzugangs der beauftragte Rechtsanwalt das Risiko, wenn die Voraussetzungen eines Beratungshilfeanspruchs nicht vorliegen und dementsprechend ein Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse nicht entsteht (vgl. Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, a.a.O., Rn 983; Schoreit/Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 11. Auflage 2012, § 7 Rn 9 ff. - auch zu möglichen Strategien des Rechtsanwalts zur „Risikominimierung“). Diese finanziellen Folgen eines - aus unbekannten Gründen - unterlassenen nachträglichen Antrags nach § 4 Abs 2 Satz 4 BerHG a.F. (nunmehr: § 6 Abs 2 BerHG) berühren jedoch nicht das zwischen dem Rechtsuchenden und dem Bevollmächtigten bestehende Grundverhältnis (Beratungshilfemandat). Bereits die Übernahme des Beratungshilfemandats führt zu den genannten gebührenrechtlichen Folgen, d.h. zur Begrenzung des Gebührenanspruchs auf die die Gebührensätze nach Nr 2500 ff. VV RVG sowie gleichzeitig (nämlich als Ausgleich für diese Begrenzung) zum Forderungsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG. Dieser erfasst - entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin - auch Kostenerstattungsansprüche nach § 63 SGB X für die Vertretung in einem sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren (vgl. hierzu im Einzelnen: Gierke, SGb 2012, 141). Die Mitteilung des Bevollmächtigten an die Behörde über das Vorliegen eines Beratungshilfemandats verletzt ebenso wenig datenschutzrechtliche Bestimmungen wie die Mitteilung eines Gerichts an den Prozessgegner, dass Prozesskostenhilfe gewährt wurde.

Nach alledem beantworten sich die im vorliegenden Verfahren streitbefangenen Fragen zu § 9 Satz 2 BerHG bereits direkt aus dem Gesetz (in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung), sind also nicht mehr klärungsbedürftig i.S.d. § 144 Abs 2 Nr 1 SGG. Auf etwaige Rechtsfragen zur Erstattung von Auslagen für Computerscans nach Nr 7000 VV RVG kommt es aufgrund der fehlenden Aktivlegitimation der Klägerin im vorliegenden Fall nicht an.

Divergierende Entscheidungen der in § 144 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte sind nicht ersichtlich. Das von der Klägerin angeführte Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hessen vom 29. Oktober 2012 - L 9 AS 601/10 - ist nicht einschlägig. Schließlich hatte der dortige Kläger Beratungshilfe beantragt, bislang jedoch noch nicht erhalten (vgl. Rn 4 des o.g. Urteils - zitiert nach juris). Im vorliegenden Fall ist ein entsprechender Antrag beim AG dagegen überhaupt nicht gestellt worden.

Verfahrensfehler hat die Klägerin nicht geltend gemacht (vgl. zum Erfordernis der ausdrücklichen Geltendmachung und Darlegung eines konkreten Verfahrensmangels im Rahmen des § 144 Abs 2 Nr 3 SGG: BSG, Urteil vom 21. März 1978 - 7/12/7 RAr 41/76, SozR 1500 § 150 Nr 11; Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 40/84, SozSich 1985, 346; Leitherer, a.a.O., § 144 Rn 36).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).