Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.05.2009, Az.: 13 K 485/07
Neufestsetzung bestandskräftig festgesetzter Steuer bei Aufteilung rückständiger Steuer durch fiktive Veranlagung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.05.2009
- Aktenzeichen
- 13 K 485/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 33073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2009:0512.13K485.07.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 17.11.2009 - AZ: VI B 118/09
Rechtsgrundlagen
- § 268 AO
- § 269 Abs. 2 AO
- § 270 S. 2 AO
- § 276 Abs. 1 AO
- § 276 Abs. 2 AO
- § 276 Abs. 3 AO
- § 10c Abs. 5 EStG
Aufteilungsbescheid
Die Aufteilung der rückständigen Steuer durch fiktive Veranlagung bewirkt keine Neufestsetzung der bestandskräftigen festgesetzten Steuer
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufteilungsbescheides betreffend die Einkommensteuer 2005.
Mit Bescheid vom 02.04.2007 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2005 des Klägers und seiner damaligen Ehefrau nach dem Splittingtarif auf 13.320 EUR Einkommensteuer und 732,60 EUR Solidaritätszuschlag fest. Nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge in Höhe von 12.388 EUR Lohnsteuer und 681,21 EUR Solidaritätszuschlag verblieb ein zu zahlender Steuerbetrag von 932 EUR Einkommensteuer und 51,39 EUR Solidaritätszuschlag, insgesamt ein Zahlbetrag von 983,39 EUR.
Der Kläger zahlte am 30.05.2007 einen anteiligen Betrag in Höhe von 497 EUR auf die Steuerforderung. Mit Schreiben vom 07.06.2007 beantragte seine damalige Ehefrau die Aufteilung der rückständigen Steuer aus der Veranlagung zur Einkommensteuer 2005. Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Mahnung, aber noch keine Rückstandsanzeige erstellt.
Mit Bescheid vom 19.06.2007 erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau einen Aufteilungsbescheid, indem er die noch offene Steuerforderung in Höhe von 486,39 EUR, 14 EUR Säumniszuschlag sowie 13.069,10 EUR Steuerabzugsbeträge im Verhältnis fiktiver getrennter Veranlagungen verteilte. Aufgrund dieser Aufteilung entfielen auf den Kläger 13.156,98 EUR und seine Ehefrau 412,51 EUR. Nach Anrechnung der Lohnsteuerabzugsbeträge errechnete der Beklagte eine Nachforderung gegenüber dem Kläger in Höhe von 3.207,75 EUR und einen überzahlten Betrag für die Ehefrau von 2.707,36 EUR. Den Erstattungsbetrag kehrte der Beklagte an die Ehefrau aus und forderte den Beklagten zur Zahlung des Nachforderungsbetrages auf.
Gegen den Aufteilungsbescheid legte Kläger Einspruch ein, mit dem er die Begrenzung der Aufteilung auf den rückständigen Betrag forderte. Der Beklagte wies den Einspruch durch Entscheidung vom 07.09.2007 als unbegründet zurück.
Mit seiner hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Änderung des Aufteilungsbescheides und Reduzierung des auf ihn entfallenden Zahlungsanspruchs. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, eine fiktive Veranlagung aufgrund der Rechtslage 2004 sei nicht zulässig. Zudem sei ein zu hoher Betrag für die Aufteilung angesetzt worden. Die Aufteilung sei Teil der Vollstreckungsregelungen, so dass lediglich die rückständige Steuer habe aufgeteilt werden dürfen, nämlich 486,39 EUR. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Gesamtschuld durch Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuern erloschen sei und nur noch der Restbetrag aufgeteilt werden könne. Dieser entfalle zwar in voller Höhe auf den Kläger. Es entstehe jedoch kein Erstattungsanspruch der Beigeladenen, der zusätzlich den Zahlungsbetrag des Klägers erhöhe.
Die Aufteilung sei Teil der Vollstreckung und damit des Erhebungsverfahrens und nicht des Festsetzungsverfahrens. Eine Neufestsetzung von Einzelsteuern sei unzulässig. Vielmehr seien lediglich Teilsteuern für Vollstreckungszwecke zu ermitteln. Aus dem Veranlagungsverfahren ergebe sich kein Erstattungsanspruch der Beigeladenen, so dass auch die Aufteilung keinen Erstattungsanspruch entstehen lassen könne.
Der Kläger beantragt,
die Abänderung des Aufteilungsbetrages dahingehend, dass die auf den Kläger entfallende rückständige Einkommensteuer lediglich 486,39 EUR beträgt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage sei unbegründet. Bei der Aufteilung der rückständigen Steuer seien die Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzten Vorauszahlungen in die Abrechnung einzubeziehen. Ergebe sich nach der Aufteilung und Anrechnung ein Überhang, sei dieser zu erstatten.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist nur im geringen Umfang begründet.
1.
Der Aufteilungsantrag ist zulässig, da er nach Zugang des Steuerbescheides mit dem Leistungsgebot und vor vollständiger Tilgung gestellt wurde (§ 269 Abs. 2 AO).
Die §§ 268 ff. AO eröffnen zusammen veranlagten Ehegatten als Gesamtschuldnern der Einkommensteuer (§ 26b des Einkommensteuergesetzes - EStG - i.V.m. § 44 Abs. 1 AO) die Möglichkeit, den Gesamtschuldbetrag aufzuteilen, um auf diese Weise die Vollstreckung gegen den einzelnen Ehegatten auf den sich bei der nach Maßgabe einer getrennten Veranlagung durchzuführenden Aufteilung für jeden Ehegatten ergebenden Anteil an der Gesamtschuld zu beschränken (§§ 268, 270, 278 AO).
Im Streitfall war der Aufteilungsantrag der Beigeladenen vom 07.06.2007 gemäß § 269 Abs. 2 Satz 1 AO zulässig, da er nach der Bekanntgabe des Leistungsgebotes im Einkommensteuerbescheid vom 02.04.2007 gestellt wurde. Diese Antragstellung vor der Einleitung der Vollstreckung führt nach § 276 Abs. 1 AO dazu, dass zwingend die im Zeitpunkt des Eingangs des Aufteilungsantrags geschuldete Steuer - und nicht die (möglicherweise höhere) im Zeitpunkt der Einleitung der Vollstreckung geschuldete Steuer, vgl. § 276 Abs. 2 AO - aufzuteilen ist. Ferner bewirkt der Antragsteller damit, dass seine nach Stellung des Antrages geleisteten Zahlungen gemäß § 276 Abs. 6 AO nur ihm selbst zugute kommen. Auch muss die Finanzbehörde infolge des Antrags grundsätzlich aufteilen, weil dieser konstitutiv wirkt. Denn mit dem Antrag wird ein verwaltungsrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt (BFH-Urteil vom 12. Juni 1990 VII R 69/89, BFHE 163, 498, BStBl. II 1991, 493).
2.
Die Aufteilung der rückständigen Steuer erfolgte durch den Beklagten auch in zutreffender Weise. Die gemäߧ§ 268 ff. AO erforderliche Aufteilung der rückständigen Steuer erfolgt durch eine fiktive Veranlagung, bei der die Besteuerungsgrundlagen aus dem Zusammenveranlagungsbescheid unverändert zu übernehmen sind (vgl. § 270 Satz 2 AO). Sie führt damit nicht zu einer Neuberechnung der Steuer, sondern die Summe der Teilschulden ergibt nach der Aufteilung die Gesamtschuld der ursprünglichen Veranlagung (vgl. BFH-Beschluss vom 27.08.1990, VI B 216/89, BFH/NV 1991, 214).
Im Streitfall hat der Beklagte die rückständige Steuer im Verhältnis der sich aufgrund einer fiktiven getrennten Veranlagung ergebenden Steuerfestsetzung aufgeteilt. Entgegen der Ansicht des Klägers wurde hierbei nicht in unzutreffender Weise die Rechtslage des Veranlagungszeitraums 2004 zugrunde gelegt. Der Beklagte hat zugunsten der Beigeladenen die in § 10c Abs. 5 EStG 2005 geltende Regelung angewandt. Danach ist die Vorsorgepauschale nach der für das Kalenderjahr 2004 geltenden Fassung anzuwenden, wenn diese Regelung in den Kalenderjahren 2005 bis 2019 günstiger ist. Diese Vorschrift zur Anwendung der jeweils günstigeren Rechtslage ist Teil der im Rahmen einer getrennten Veranlagung geltenden Gesetzeslage für den Veranlagungszeitraum 2005 und daher zwingend im Rahmen der (fiktiven) Veranlagung zugunsten der Beigeladenen anzuwenden. Hierdurch werden - entgegen der Auffassung des Klägers - die Besteuerungsgrundlagen nicht verändert, sondern lediglich anhand der geltenden Gesetzeslage zum Zwecke der Ermittlung eines Aufteilungsmaßstabes zugeordnet. Demzufolge hat der Beklagte die sich aus der fiktiven getrennten Veranlagung ergebende Steuer zu Recht mit 14.718 EUR für den Kläger und 462 EUR für die Beigeladene angesetzt. Die rückständige Steuer ist demgemäß - wie vom Beklagten im Aufteilungsbescheid errechnet - im Verhältnis 96,96% (Kläger) zu 3,04% (Beigeladene) aufzuteilen.
3.
Gemäß § 276 AO ist die rückständige Steuer aufzuteilen. Rückständige Steuer ist bei Stellung des Aufteilungsantrages vor Einleitung der Vollstreckung die im Zeitpunkt des Eingangs des Aufteilungsantrags geschuldete Steuer (§ 276 Abs. 1 AO). Die Vollstreckung gilt mit Ausfertigung der Rückstandsanzeige als eingeleitet (§ 276 Abs. 5 AO). Im Streitfall war zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Rückstandsanzeige gefertigt. Die finanzamtsinterne Mitteilung der Finanzkasse an die Vollstreckungsstelle, dass der Steuerschuldner den fälligen und gemahnten Betrag innerhalb der Frist nicht gezahlt hat (= Rückstandsanzeige, vgl. Abschn. 20 VollstrA) war noch nicht erfolgt. Eine Rückstandsanzeige hätte eine Woche nach der Mahnung erstellt werden können (vgl. § 259 AO). § 276 AO knüpft indes für die Aufteilung aus Gründen der Rechtssicherheit jedoch an die tatsächliche Ausfertigung der Rückstandsanzeige an.
Im Streitfall betrug die rückständige Einkommensteuer 2005 im Zeitpunkt des Eingangs des Aufteilungsantrages 486,39 EUR. Daneben waren 14 EUR Säumniszuschlag verwirkt. Diese Nebenleistung gehört gemäß § 276 Abs. 4 AO zur rückständigen Steuer. Ferner sind in die Aufteilung gemäߧ 276 Abs. 3 AO die Steuerabzugsbeträge in Höhe von 13.069,10 EUR einzubeziehen, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits vor der Antragstellung entrichtet worden sind. Der vom Kläger vor der Antragstellung entrichtete Betrag von 497 EUR reduzierte lediglich die Gesamtschuld des Klägers und der Beigeladenen. Insofern kommt nach der ausdrücklichen Regelung in § 276 Abs. 6 AO weder eine Anrechnung zugunsten des Klägers noch eine Einbeziehung in die rückständige Steuer in Betracht.
Der aufzuteilende Schuldbetrag errechnet sich danach aus der Summe der rückständigen Einkommensteuer 2005, dem Säumniszuschlag und den Steuerabzugsbeträgen und ergibt insgesamt einen Betrag von 13.569,49 EUR. Dieser Betrag ist auf volle EUR abzurunden (§ 275 AO), so dass ein Betrag von 13.569 EUR aufzuteilen ist.
Davon entfallen 96,96% auf den Kläger = 13.156,50 EUR und auf die Beigeladene 412,50 EUR. Da der Beklagte die Abrundungsvorschrift nicht beachtet hat, weicht er insoweit um 0,48 EUR zu Lasten des Klägers ab. Auf die aufgeteilte rückständige Steuer sind die Abzugsbeträge in Höhe von 9.949,23 EUR anzurechnen, die zugunsten des Klägers geleistet worden sind. Als Differenz aus der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge verbleibt ein Betrag von 3.207,27 EUR. Bei der Beigeladenen ergibt sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von 2.707,37 EUR, nämlich 412,50 EUR abzüglich 3.119,87 EUR.
Da der Beklagte im Aufteilungsbescheid die Abrundungsregelung nicht beachtet hat, hat der Kläger insoweit mit seiner Klage Erfolg.
4.
Entgegen der Auffassung des Klägers bewirkt die Entstehung des Erstattungsanspruchs für die Beigeladene und die Erhöhung des Zahlbetrages des Klägers durch die Anrechnung der Steuerabzugsbeträge keine Neufestsetzung der Steuer. Wie bereits dargestellt dient die nicht tatsächlich durchgeführte, sondern nur fiktiv erfolgte getrennte Veranlagung zur Ermittlung eines sachgerechten Aufteilungsmaßstabes der rückständigen Steuer. Mit der Anknüpfung an die fiktive Veranlagung unter Zugrundelegung der festgestellten Besteuerungsgrundlagen trägt der Gesetzgeber ebenso wie mit der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung, in dem demjenigen Steuerpflichtigen die von ihm erwirtschafteten Einkünfte und die für ihn i.S.d. § 37 Abs. 2 AO geleisteten Steuerabzugsbeträge als steuerliche Vorauszahlungen auf die Steuerschuld zugerechnet werden. Diese Zuordnung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten verteilt die Gesamtschuld der gemeinsamen Schuldner innerhalb der Gesamtschuldnerschaft, ohne indes die Gesamtschuld insgesamt zu verändern. Dies verkennt auch der Kläger mit dem Einwand des Erlöschens der Steuerschuld. Letztlich geht die gesetzliche Aufteilungsregelung von Ausgleichsansprüchen innerhalb des Gesamtschuldverhältnisses aus und bezieht diese in die Verteilung mit ein. Hieraus lässt sich auch erklären, dass zugunsten eines Gesamtschuldners ein Erstattungsanspruch entstehen kann, der zu Lasten des anderen Gesamtschuldners die zu zahlende rückständige Schuld erhöht.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 139 Abs. 4 FGO nicht erstattungsfähig. Dem Beigeladenen ist regelmäßig nur dann eine Kostenerstattung zuzubilligen, wenn er selbst einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl. II 1998, 62), woran es vorliegend fehlt.
Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat. Der Senat weicht auch insbesondere nicht von der Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts vom 20. 05. 2008, EFG 2008, 1850 ab. Der dem Senat zur Entscheidung vorliegende Sachverhalt weicht von der Sachverhaltskonstellation im Urteil des Hessischen FG entscheidend ab, da eine Rückstandsanzeige und damit eine Vollstreckung im dort entschiedenen Fall - anders als im vorliegenden Streitfall - nicht mehr ergehen konnte.