Sozialgericht Hildesheim
Beschl. v. 23.07.2009, Az.: S 43 AS 730/09 ER
Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bzgl. der Höhe eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung; Übertragung des finanziellen Ausfallrisikos bei Hilfebedürftigkeit an den Privatversicherer
Bibliographie
- Gericht
- SG Hildesheim
- Datum
- 23.07.2009
- Aktenzeichen
- S 43 AS 730/09 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 30835
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHILDE:2009:0723.S43AS730.09ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 26 Abs. 2 SGB II
- § 86b Abs. 2 S. 2,4 SGG
- § 12 Abs. 1 Buchst. c S. 6 VAG
- § 232a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V
- § 243 SGB V
- § 246 SGB V
- § 18 SGB IV
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Höhe des Zuschusses zur privaten Krankenversicherung gem. § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1969 geborene Antragsteller war bis zur Insolvenz seiner Firma als Selbstständiger tätig und privat krankenversichert. Für diesen Versicherungsschutz fällt nach dem Versicherungsschein der E. vom 24. März 2009 ein monatlicher Beitrag von 289,81 Euro an, für die private Pflegeversicherung ein Betrag von 23,88 Euro (Gesamtbetrag: 313,69 Euro). Nach eigenen Angaben und vorgelegten Kontoauszügen des Antragstellers wird tatsächlich ein monatlicher Betrag in Höhe von 203,40 Euro (KV) bzw. 23,88 Euro (PV) erhoben. Im Basistarif bietet die Versicherung dem Antragsteller einen monatlichen Beitrag in Höhe von 569,63 Euro an (vgl. Schreiben der E. vom 24. April 2009).
Auf den Leistungsantrag des Antragstellers vom 24. Februar 2009 gewährte ihm die vom Antragsgegner herangezogene Stadt F. Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 24. Februar bis zum 31. August 2009 unter Berücksichtigung von Bruttoeinkommen in Höhe von 500,00 Euro je Monat und eines monatlichen Zuschusses nach § 26 SGB II in Höhe von 147,33 Euro. Da der Antragsteller ab März 2009 keine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit mehr hatte, wurden ihm mit Änderungsbescheid vom 27. März 2009 für den Zeitraum von März bis August 2009 Leistungen nach demSGB II in monatlicher Höhe von 940,14 EUR bewilligt. Hierbei berücksichtigte der Antragsgegner die dem Antragsteller zustehende Regelleistung, Kosten der Unterkunft in Höhe von 393,44 Euro und Heizkosten in Höhe von 55,00 Euro abzgl. eines Energiekostenanteils für die Warmwassergewinnung von 6,63 Euro sowie einen monatlichen Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II in Höhe von 147,33 Euro. Auf den Zuschuss nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (KV) entfiel hierbei ein Betrag in Höhe von 129,54 Euro je Monat, auf denjenigen nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II (PV) ein Betrag in Höhe von 17,79 Euro.
Diese Bewilligungsentscheidungen griff der Antragsteller mit Widersprüchen vom 17. und 20. April 2009 mit der Begründung an, er müsse für seinen privaten Krankenversicherungsschutz einen monatlichen Betrag in Höhe von 313,69 Euro leisten, so dass ein nicht gedeckter Bedarf in Höhe von 166,36 Euro je Monat bestehe.
Am 30. April 2009 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, zunächst gerichtet gegen die Stadt F ... Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2009 ist der Antrag gegen den zuständigen Antragsgegner gerichtet worden.
Im Laufe des gerichtlichen Eilverfahrens hat der Antragsgegner die Widersprüche gegen die Bewilligungsbescheide vom 27. März 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2009 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Anspruch des Antragstellers auf Gewährung eines Zuschlags zu seinen Beiträgen zur privaten Krankenversicherung gem. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) auf den Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung begrenzt sei, mithin auf einen Betrag in Höhe von 147,33 Euro je Monat. Hiergegen hat der Antragsteller beim Sozialgericht Hildesheim Klage erhoben (Az.: S 43 AS 980/09), über die noch nicht entschieden ist.
Der Antragsteller führt aus, dass er seit der jüngsten Gesundheitsreform als Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln und die Beiträge für die private Krankenversicherung nicht auf Dauer aus den Regelleistungen erbringen könne. Angesichts eines bestehenden Barvermögens von über 1.600 Euro bei Antragstellung Ende Februar 2009 trägt er zur Eilbedürftigkeit der Sache vor, dass er im Rahmen der Insolvenz seiner Firma Verbindlichkeiten in Höhe von etwa 300 Euro zu begleichen hatte und mit einer Barabhebung von 800 Euro zunächst Kosten für Bewerbungen und Vorstellungsgespräche verauslagt habe. In naher Zukunft stünden zudem mehrere dringende Arzttermine (Tetanus-Auffrischungsimpfung und Fertigung einer Zahnkrone) bevor. Es sei ihm nicht zuzumuten, den nicht gedeckten Teil der Krankenversicherungsbeiträge auf Dauer aus der Regelleistung zu bestreiten und wegen der angespannten finanziellen Situation auf ärztliche Behandlungen zu verzichten.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,
den Antragsgegner zu verpflichten, die Kosten für die Krankenversicherung des Antragstellers ab sofort zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,
den Antrag abzulehnen.
Er ist von der Rechtmäßigkeit seiner Entscheidung überzeugt und verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2009. Zudem sei die Sache nicht eilbedürftig, da der Antragsteller den Verbrauch seines bisherigen Vermögens nicht glaubhaft gemacht habe und er auf die von ihm angeführten medizinischen Leistungen nicht dringend angewiesen sei. Zudem habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass der Verlust des Versicherungsschutzes nach § 193 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) unmittelbar bevorstehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte, der beigezogenen Leistungsakte und des Widerspruchsvorgangs verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung ist das Vorliegen eines die Eilbedürftigkeit der Entscheidung rechtfertigenden Anordnungsgrundes sowie das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs aus dem materiellen Leistungsrecht. Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund müssen gem. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden.
Der Antrag ist auch vor Klageerhebung zulässig, § 86b Abs. 3 SGG.
Nach diesen Maßgaben hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, da trotz der Begrenzung des Zuschusses nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II der Verlust des (privaten) Krankenversicherungsschutzes in absehbarer Zeit nicht zu befürchten ist.
Dem Antragsteller steht nach der bestehenden Gesetzeslage kein Anspruch auf Gewährung eines höheren Zuschusses nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung, eingeführt durch das Gesetz vom 26. März 2007, BGBl. I S. 378, 442; zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 15. Dezember 2008, BGBl. I S. 2426) zu, da der Zuschuss nach § 12 Abs. 1c S. 6 VAG auf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung für Arbeitslosengeld II - Bezieher begrenzt ist.
Nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II gilt für Bezieher von Arbeitslosengeld II § 12 Abs. 1c S. 5 und 6 VAG, wenn sie in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und für den Fall der Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind. Der Antragsteller ist als Bezieher von Arbeitslosengeld II, der unmittelbar vor dem Leistungsbezug privat krankenversichert war, gem.§ 5 Abs. 5a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht befreit und - soweit ersichtlich - nicht gem. § 10 Abs. 1 SGB V familienversichert.
Der Antragsteller kann keinen höheren Zuschuss nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 12 Abs. 1c S. 5 und 6 VAG als gewährt beanspruchen.
§ 12 VAG betrifft die "substitutive" Krankenversicherung, also diejenige (private) Versicherung, die den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann, vgl. § 12 Abs. 1 VAG. § 12 Abs. 1c VAG enthält gesetzliche Anforderungen des Beitrags für den von allen Privatversicherern anzubietenden Basistarif (vgl. § 12 Abs. 1a VAG). Der nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbare § 12 Abs. 1c S. 5 VAG bezieht sich auf Personen, bei denen Hilfebedürftigkeit allein aufgrund der Höhe der Beiträge eintritt. Hier beteiligt sich der Träger nach dem SGB II auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird. § 12 Abs. 1c S. 6 VAG bezieht sich demgegenüber auf Personen, bei denen - wie hier - unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfebedürftigkeit besteht. Während nach § 12 Abs. 1c S. 6, 1. HS VAG Satz 4 der Norm entsprechend gilt und sich dadurch der Beitrag (für den Basistarif) für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte vermindert, sieht § 12 Abs. 1c S. 6, 2. HS VAG vor, dass der zuständige Träger der Grundsicherungsleistung nur denjenigen Betrag zahlt, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist. Die Höhe des Betrages, der für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist, berechnet sich nach § 232a Abs.1 S.1 Nr. 2 SGB V i.V.m. § 18 SGB IV und §§ 246, 243 SGB V und beträgt 129,54 EUR. Insoweit hat der Antragsgegner in der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2009 fehlerhaft einen Betrag in Höhe von 147,33 Euro als Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung angeben; in diesem Betrag ist nämlich der Regelzuschuss zu den Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II in Höhe von 17,79 Euro enthalten (129,54 Euro Krankenversicherung und 17,79 EUR Pflegeversicherung).
Das Gericht sieht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zumindest für die Dauer vorübergehender Hilfebedürftigkeit keine schwerwiegenden, ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht anders abwendbaren Nachteile, die dem Antragsteller in absehbarer Zeit drohen könnten (Anordnungsgrund).
#Hintergrund ist das für private Krankenversicherer geltende absolute Kündigungsverbot im Sinne des §§ 206 Abs. 1 Satz 1, 193 Abs. 3 und 5 VVG (Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang im Basistarif) und die Vorschrift des § 193 Abs. 6 VVG, die das Ruhen der Versicherungsleistungen betrifft (Sätze 1 bis 4) und in Satz 5 für Hilfebedürftige nach dem SGB II eine Sonderregelung enthält, nach der das Ruhen der Leistungen endet, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB II wird. Nach der gesetzgeberischen Vorgabe hat danach der privat versicherte Hilfebedürftige die über den Beitrag für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Belastung selbst zu tragen, jedoch ohne ein (weiteres) Ruhen der Versicherungsleistungen bei Beitragsrückständen befürchten zu müssen, vgl. § 193 Abs. 6 S. 5 VVG. Der Versicherungsnehmer hat als Schaden die Verzugszinsen zu tragen, § 193 S. 8 VVG. Im Ergebnis wird durch diese Regelung das finanzielle Ausfallrisiko bei Hilfebedürftigkeit den Privatversicherern übertragen, ohne dass zunächst der Versicherungsschutz des Hilfebedürftigen entfällt. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist unter Berücksichtigung des Sozialstaatsgebots des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) wegen beachtlicher Gemeinwohlinteressen verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl.BVerfG, Urteil vom 10. Juni 2009, Az.: 1 BvR 706/08, 1 BvR 814/08, 1 BvR 819/08, 1 BvR 832/08, 1 BvR 837/08, Rn. 180 ff. - zitiert nach [...]).
Bei erwerbstätigen Hilfebedürftigen, deren Bedarf nach dem SGB II nicht durch ihr Einkommen gedeckt ist, besteht weiterhin die Möglichkeit, den Anteil der nicht übernommenen Versicherungsbeiträge als Absetzposition nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a SGB II geltend zu machen.
Soweit der Antragsteller demnach nach einfacher Gesetzeslage verpflichtet ist, die über den Zuschuss nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II hinausgehenden Belastungen selbst zu tragen, sind verfassungsrechtliche Fragen über die Zulässigkeit der Begrenzung des Zuschusses nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ggf. im Hauptsacheverfahren (Az.: S 43 AS 980/09) zu klären, etwa im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, der in Rechtsprechung und Literatur bereits bei der bis Ende 2008 geltenden Fassung des § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II erörtert und im Ergebnis verneint wurde (vgl. SG Berlin Beschluss vom 22. November 2005, Az.: S 96 AS 9757/05 ER; Radüge, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 26 SGB II Rn. 31).
Letztlich greift der Einwand des Antragstellers, es sei unzumutbar, dass er im Krankheitsfall die Behandlungskosten zunächst selbst zu begleichen habe, nicht durch, da Privatversicherer Versicherungsleistungen regelmäßig innerhalb von wenigen Wochen nach Anzeige erbringen und die angefallenen Kosten nach Leistungserbringung ausgeglichen werden können. In besonderen Notsituationen, die hier derzeit nicht ersichtlich sind, hat der Leistungsträger nach dem SGB II ggf. ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II (unabweisbarer Bedarf) zu erbringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.