Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.05.2024, Az.: 13 U 8/24

Anspruch auf Zahlung restlicher Vergütung aus einem Vertrag über ein Verkaufscoaching; Einschränkung der Anwendbarkeit des FernUSG

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.05.2024
Aktenzeichen
13 U 8/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 18194
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0529.13U8.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - AZ: 1 O 125/23

Fundstellen

  • MDR 2024, 1238
  • NJW-RR 2024, 1181-1183
  • WRP 2024, 1107-1109

Amtlicher Leitsatz

Anwendbarkeit des FernUSG auf einen Vertrag zwischen zwei Unternehmern, der ein Online-Verkaufscoaching zum Gegenstand hat.

Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des FernUSG auf Verträge zwischen einem Unternehmen als Lehrenden und einem Verbraucher als Lernenden ist mit dem Sinn und Zweck der Vorschriften des FernUSG nicht vereinbar. Diese sollen vor qualitativ unzureichenden Fernunterrichtsangeboten schützen und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Qualität eines Fernunterrichtsangebots und dessen Eignung für die persönlichen Bedürfnisse der Teilnehmer in der Regel schwerer einzuschätzen sind als bei einem Angebot von Direktunterricht. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schutzbedürftigkeit eines Lernenden geringer ausfällt, wenn dieser zu einem Zweck an dem Fernunterricht teilnehmen möchte, der seiner gewerblichen oder selbstständig beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (Anschluss an OLG Celle, Urteil vom 1. März 2023 - 3 U 85/22).

[Grunde]

I.

Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht erhobene Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 16. Januar 2024 dürfte keinen Erfolg haben.

1. Der Klägerin dürfte gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung restlicher Vergütung in Höhe von 5.211 € aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über ein Verkaufscoaching "M. S." nebst Zinsen zustehen. Das Landgericht dürfte zu Recht angenommen haben, dass dieser Vertrag gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Fernunterrichtsvertrag nichtig, der von einem Veranstalter ohne die nach § 12 Abs. 1 FernUSG erforderliche Zulassung des Fernlehrgangs geschlossen wird. So liegt der Fall hier.

a) Das FernUSG dürfte auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag Anwendung finden, selbst wenn die Beklagte nicht als Verbraucherin, sondern als Unternehmerin gehandelt hat.

aa) Das Oberlandesgericht Celle hat bereits entschieden, dass das FernUSG keine Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Verbraucher enthält (OLG Celle, Urteil vom 1. März 2023 - 3 U 85/22; die gegen diese Entscheidung beim Bundesgerichtshof erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgenommen). Begründet wurde dies damit, dass das Gesetz keine ausschließliche Anwendung auf Verbraucher vorsehe und auch eine teleologische Auslegung kein gegenteiliges Ergebnis rechtfertige. Denn die Regelungen des FernUSG könnten in dem Kontext, in dem sie verabschiedet worden seien, auch so verstanden werden, dass sie zum Schutz von Verbrauchern erlassen worden seien, sofern diese einen Fernunterrichtsvertrag abschlössen, ohne aber Unternehmer auszuschließen; diese sollten gleichfalls von den getroffenen Regelungen profitieren. Soweit § 3 Abs. 3 FernUSG eine gesonderte Belehrung für Verbraucher vorsehe, sei dies nur der Umsetzung des Verbraucherschutzes geschuldet. Das FernUSG solle zudem der "Enttäuschung der Bildungswilligkeit" vorbeugen und sei von einer erheblich höheren Schutzbedürftigkeit des Teilnehmers am Fernunterricht im Verhältnis zu demjenigen am Direktunterricht ausgegangen, stellte also nicht auf die Eigenschaft des Teilnehmers als Verbraucher ab (vgl. OLG Celle, Urteil vom 1. März 2023 - 3 U 85/22, juris Rn. 50).

bb) Der Senat beabsichtigt, sich dieser Bewertung trotz der hiergegen in der Literatur geäußerten Kritik (vgl. Laukemann/Förster WRP 2024, 24, 28 f. unter Verweis auf einen unveröffentlichten Beschluss des Kammergerichts vom 22. Juni 2023 - 10 U 74/23 und das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. September 2023 - 2-21 O 323/21, juris Rn. 74; zweifelnd wohl auch OLG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2023 - I-2 U 24/23, juris Rn. 45 ff., das aber die Frage offen gelassen hat) anzuschließen. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs auf Verträge zwischen einem Unternehmen als Lehrenden und einem Verbraucher als Lernenden dürfte mit dem Sinn und Zweck der Vorschriften des FernUSG nicht vereinbar sein. Diese sollen vor qualitativ unzureichenden Fernunterrichtsangeboten schützen und dem Umstand Rechnung tragen, dass die Qualität eines Fernunterrichtsangebots und dessen Eignung für die persönlichen Bedürfnisse der Teilnehmer in der Regel schwerer einzuschätzen sind als bei einem Angebot von Direktunterricht (vgl. Begründung eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht vom 3. November 1975, BT-Drs. 7/4245, S. 12). Es kann dahinstehen, ob sich dieses stärkere Schutzbedürfnis von Interessenten eines Fernunterrichtsangebots gegenüber solchen eines Direktunterrichts dadurch verringert hat, dass Fernunterrichtsangebote durch Bewertungsportale im Internet leichter auf ihre Qualität hin überprüft werden könnten (so Laukemann/Förster WRP 2024, 24, 28). Auch danach bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schutzbedürftigkeit eines Lernenden geringer ausfällt, wenn dieser zu einem Zweck an dem Fernunterricht teilnehmen möchte, der seiner gewerblichen oder selbstständig beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 1. Februar 1999, BT-Drs. 14/343, S. 20 f., mit der § 11 FernUSG aufgehoben wurde). Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass Fernunterrichtsangebote häufig und wie auch im vorliegenden Fall der beruflichen (Weiter-)Qualifikation dienen (vgl. BT-Drs. 14/343, S. 20 f; ferner Bülow NJW 1993, 2837, 2838; Faix MMR 2023, 821, 826).

b) Bei dem Vertrag über das streitgegenständliche Verkaufscoaching "M. S." dürfte es sich auch um einen Fernunterrichtsvertrag i.S.v. § 1 Abs. 1 FernUSG handeln. Nach dieser Vorschrift ist Fernunterricht i.S.d. des FernUSG die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen. Diese Voraussetzungen liegen vor.

aa) Der zwischen den Parteien geschlossene entgeltliche Coaching-Vertrag ist auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten gerichtet. Der Beklagten sollten nach dem von der Klägerin vorgelegten Angebot u.a. der Aufbau und die Durchführung eines Verkaufsgesprächs vermittelt werden. Außerdem sollten mit der Beklagten ein personalisiertes Verkaufskonzept erstellt und der Umgang mit Einwänden bearbeitet werden (vgl. Bl. 5 LGA). Hierbei handelt es sich um Kenntnisse und Fähigkeiten für eine Vertriebstätigkeit, die die Klägerin der Beklagten vermitteln sollte. Damit liegt der Sachverhalt anders als in dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg entschiedenen Fall, in dem ein "E-C.-M." angeboten wurde, bei dem der wesentliche Vertragsinhalt darin bestand, dass der Teilnehmer Fragen stellen und mit Hilfe der Anbieterin einen "P. o. D. O-S." aufbauen konnte (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 20. Februar 2024 - 10 U 44/23, juris Rn. 24).

bb) Das Verkaufscoaching erfolgte zumindest auch überwiegend räumlich getrennt. Der Senat kann offen lassen, ob es für die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG erforderliche ausschließliche oder überwiegende räumliche Trennung von Lehrendem und Lernendem - wie der Wortlaut der Vorschrift nahelegt - genügt, dass sich beide während des Unterrichts an verschiedenen Orten aufhalten, oder es zusätzlich erforderlich ist, dass die Darbietung des Unterrichts durch den Lehrenden und dessen Abruf durch den Lernenden zeitlich versetzt erfolgen und dadurch die Aufnahme der vermittelten Kenntnisse und Fähigkeit mit zusätzlichen Anstrengungen verbunden ist, weil der Lernende nicht unmittelbar in Kontakt mit dem Lehrenden treten kann, um etwa Nachfragen stellen zu können. Diese zusätzliche Voraussetzung soll bei einer Videokonferenz nicht erfüllt sein, bei der Lehrender und Lernender in unmittelbaren Kontakt treten können (vgl. zum Vorstehenden Faix MMR 2023, 821, 824 f., Laukemann/Förster, WRP 2024, 24, 29; Nomos-BR FernUSG/ Vennemann, 2. Aufl., § 1 Rn. 10; jew. unter Verweis auf VG München, NVwZ-RR 1989, 473, 474 [VG München 14.09.1988 - M K 86.7044]).

Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass die von der Klägerin angebotenen wöchentlichen "Live-Calls" aufgezeichnet und zusätzlich als Video zur Verfügung gestellt worden seien (S. 2 des Schriftsatzes vom 16. November 2023, Bl. 41 LGA). Dies dürfte ausreichend sein, um die für eine räumliche Trennung nach den vorstehenden Ausführungen geforderte zusätzliche Voraussetzung einer asynchronen Wissensvermittlung zu erfüllen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2023 - I-2 U 24/23, juris Rn. 50).

cc) Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ist eine Überwachung des Lernerfolgs durch die Klägerin geschuldet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Überwachung des Lernerfolgs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, z.B. in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 2009 - III ZR 310/08, juris Rn. 21; vgl. OLG Celle, Urteil vom 1. März 2023 - 3 U 85/22, juris Rn. 53). Nach diesem Maßstab war eine ausreichende Überwachung des Lernerfolgs geschuldet. Denn nach dem streitgegenständlichen Vertrag sollte die Beklagte zu den übungsweise durchgeführten Verkaufsgesprächen jeweils ein Feedback erhalten. Dies setzt voraus, dass die Klägerin bzw. ihre Beauftragten individuell überprüfen, ob die Beklagte die vermittelten Inhalte zum Aufbau und dem Führen von Verkaufsgesprächen beherrscht und anwenden kann. Damit liegt der Sachverhalt gerade anders in den von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamburg und Köln, in denen die dortigen Teilnehmer lediglich die Möglichkeit hatten, während der "Live-Calls" oder in "WhatsApp"-Gruppen Fragen zu stellen, das Fragerecht also nicht der Lernkontrolle durch den Lehrenden diente (vgl. OLG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2023 - I- 2 U 24/23, juris Rn. 56 ff.; ferner Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 20. Februar 2024 - 10 U 44/23, juris Rn. 29 ff.).

c) Ferner besaß die Klägerin für das streitgegenständliche Verkaufscoaching "M. S." keine Zulassung gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 FernUSG durch die gemäß § 12a FernUSG zuständige Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht.

2. Darüber hinaus hat das Landgericht die Klägerin auf die zulässige Widerklage zu Recht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zur Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlungen in Höhe von 3.000 € verurteilt. Die Beklagte hat die Anzahlungen ohne Rechtsgrund geleistet, weil der zwischen den Parteien geschlossene Coachingvertrag gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig ist. Die zugesprochenen Zinsen rechtfertigen sich aus § 291 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB.

II.

Der Senat erwägt, im Fall einer Entscheidung die Revision zuzulassen. Der Rechtssache dürfte grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zukommen. Eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss dürfte daher gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO ausscheiden. Es dürfte sich die entscheidungserhebliche und klärungsfähige Rechtsfrage stellen, ob das FernUSG, insbesondere die in § 7 Abs. 1 FernUSG angeordnete Nichtigkeitsfolge von Fernunterrichtsverträgen ohne entsprechende Zulassung, auch dann anwendbar ist, wenn der Lernende bei Abschluss des Fernunterrichtsvertrags nicht als Verbraucher gehandelt hat.

Diese Rechtsfrage dürfte auch klärungsbedürftig sein. Der Bundesgerichtshof hat die Frage bislang nicht entschieden. Sie dürfte zudem (inzwischen) unterschiedlich beurteilt werden (vgl. zum Meinungsstand Faix MMR 2023, 821, 825 f.; Demeshko, Anm. zu OLG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2023 - I-2 U 24/23, MMR 2024, 257 f. [OLG Köln 06.12.2023 - 2 U 24/23]). Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 1. März 2023 (3 U 85/22), mit der die Anwendbarkeit auf Fernunterrichtsverträge zwischen Unternehmern bejaht wurde, ist nach den o.g. Ausführungen in der Literatur und (wohl auch) Teilen der Rechtsprechung auf Kritik gestoßen.

Schließlich dürfte sich die Rechtsfrage auch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen und deswegen nicht zuletzt wegen des vermehrten Angebots von Onlinelern- und Online-Coachingangeboten das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren.

III.

Beide Parteien erhalten Gelegenheit, zu den vorstehenden Hinweisen bis zum

19. Juni 2024

Stellung zu nehmen.

Die Klägerin mag aus Kostengründen erwägen, ihre Berufung zurückzunehmen, sofern eine weitere Fortsetzung des Rechtsstreits, insbesondere auch in einem weiteren Rechtszug, nicht beabsichtigt ist.

Binnen gleicher Frist werden beide Parteien um Mitteilung gebeten, ob Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO besteht.

IV.

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 8.211 € festzusetzen.