Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.05.2024, Az.: 8 U 151/23

Anspruch auf Gewährung von Deckungsschutz für die geplante zahnmedizinische Versorgung im Unterkiefer

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.05.2024
Aktenzeichen
8 U 151/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 19025
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 13.06.2023 - AZ: 3 O 84/22

Redaktioneller Leitsatz

1. Zur Bestimmung des Versicherungsfalls der medizinisch notwendigen Heilbehandlung ist ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab zu berücksichtigen. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Meinung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommt. 2. Der Ersatz für ein Zahnimplantat ist im konkreten Fall nicht geschuldet, weil der Versicherte nicht nachgewiesen hat, dass nach objektivem Maßstab eine zuvor gefertigte Geschiebeprothese defekt war und durch das Implantat ersetzt werden musste.

In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin
am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter
am Oberlandesgericht ... am 8. Mai 2024 beschlossen:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 13. Juni 2023 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Senat beabsichtigt weiter, den Streitwert für beide Instanzen - für die 1. Instanz insoweit unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im landgerichtlichen Urteil - auf bis zu 7.000,00 € festzusetzen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 3. Juni 2024.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einem Rechtsfehler im Sinne von § 513 Abs. 1, § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Gewährung von Deckungsschutz für die geplante zahnmedizinische Versorgung im Unterkiefer des Klägers gemäß § 1 Satz 1, § 192 Abs. 1 VVG, Ziffer 1.1, 1.2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen KombiMed Zahn Tarif KDT85 (AVB) zu.

Der Kläger hat zum Eintritt des Versicherungsfalls bereits nicht schlüssig vorgetragen.

Gemäß Ziffer 1.1 AVB ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen.

Mit dem Begriff "medizinisch notwendige" Heilbehandlung wird - auch für den Versicherungsnehmer erkennbar - nicht an den Vertrag zwischen ihm und dem behandelnden Arzt und die danach geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Vielmehr wird zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß muss es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar gewesen sein, die Heilbehandlung als notwendig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 2017 - IV ZR 533/15).

Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden (vgl. BGH, aaO).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat der Kläger erstinstanzlich nicht vorgetragen, weshalb die streitgegenständliche Implantatversorgung medizinisch notwendig sein soll.

Der Kläger hat vielmehr erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 19. August 2022 vorgetragen, dass die zunächst für ihn angefertigte Unterkieferprothese fehlerhaft gewesen sei. Darüber habe sich der Kläger beschwert und sich in die Nachbehandlung durch Herrn Dr. B. begeben. Dieser habe die Prothese angepasst, woraufhin der Kläger beschwerdefrei gewesen sei (Bl. 88 d. A.).

Das hat der Kläger mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2022 wiederholt. Danach sei der Kläger nach der Behandlung durch Herrn Dr. B. vollkommen beschwerdefrei gewesen. Es habe kein Zahnersatz gefehlt und die Schiebeprothese habe fest gesessen, nachdem die Haltezähne überkront worden seien (Bl. 114, 115 d. A.).

Selbst nach Einholung des Sachverständigengutachtens von Dr. W. hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14. Februar 2023 wie folgt vorgetragen (Bl. 185 d. A.):

"Fakt ist aber, dass - ggf. unabhängig von der Patientendokumentation - keine Behandlungsbedürftigkeit im Jahre 2017 mehr vorgelegen hat, da die Geschiebeprothese als Zahnersatz fungiert hat und der Kläger auch keine Beschwerden beim Kauen beispielsweise hatte."

Weshalb nach der erfolgreichen Behandlung durch Herrn Dr. B. gleichwohl im Anschluss erneut ein krankhafter Zustand aufgetreten sein soll, in welcher Form das der Fall war und weshalb dieser Zustand nunmehr eine Implantatversorgung des Klägers notwendig macht, hat der Kläger erstinstanzlich nicht vorgetragen. Im Gegenteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22. Mai 2023 unter anderem wie folgt vorgetragen (Bl. 222):

"Fakt ist aber, dass aufgrund der Schiebeprothese aktuell keine Behandlungsbedürftigkeit im Sinne einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung vorliegt."

Zwar wird der Vortrag des Klägers im Tatbestand des angegriffenen Urteils abweichend von seinem schriftsätzlichen Vortrag dahingehend wiedergegeben, dass die am 2. September 2020 bestehende Versorgung des Unterkiefers mit einer Geschiebeprothese nicht länger beanstandungsfrei gewesen sei (Seite 3 LGU). In welcher Hinsicht die Prothese nicht mehr beanstandungsfrei gewesen sei und weshalb dadurch eine Implantatversorgung als medizinisch notwendig angesehen werden könnte, kann aber auch dem im Urteil wiedergegebenen Vortrag des Klägers nicht entnommen werden.

Erst in der Berufungsbegründung hat der Kläger behauptet, dass eine Umsetzung des Heil- und Kostenplans angesichts der nicht länger hinreichenden Versorgung durch die Geschiebeprothese im Unterkiefer medizinisch erforderlich sei (Bl. 284 d. A.). Tatsächlich sei die Geschiebeprothese defekt gewesen (Bl. 284, 285 d. A.).

Auch dies ist für einen schlüssigen Vortrag nicht ausreichend. Denn unklar bleibt weiterhin, welcher Art der vom Kläger nunmehr behauptete Defekt war und wie dieser sich äußerte. Dass dem Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung zufolge mindestens zwei versierte Zahnärzte und insbesondere auch die Krankenkasse zu dem Ergebnis gekommen seien, dass die Geschiebeprothese defekt gewesen und dementsprechend eine Neuversorgung des Klägers zwingend geboten gewesen sei (Bl. 286 d. A.), ist nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen ohnehin unerheblich.

Unabhängig hiervon ist dieser Vortrag als neuer Vortrag im Berufungsverfahren aber auch nicht mehr zuzulassen. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung neue Tatsachen (nur) zugrunde zu legen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist. Neuer Vortrag ist nur zulässig, wenn er unstreitig ist oder die Voraussetzungen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO vorliegen. Dass einer der dort enumerativ wiedergegebenen Zulassungsgründe vorliegt, hat der Kläger nicht vorgetragen und ist auch im Übrigen nicht ersichtlich. Vielmehr hat das Landgericht bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Klage in Ermangelung einer vom Kläger dargestellten medizinischen Notwendigkeit der streitgegenständlichen Behandlung unschlüssig sein dürfte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der im Termin persönlich anwesende Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten näher vortragen können und müssen, wie sich die Probleme der Geschiebeprothese äußerten und weshalb diese Probleme eine Implantatversorgung erforderlich machen. Der Vortrag des Klägers ist auch nicht unstreitig, nachdem die Beklagte dem Vorbringen des Klägers in der Berufungserwiderung ausdrücklich entgegen getreten ist (Bl. 313 d. A.).

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf bis zu 8.000,00 € festzusetzen. Maßgeblich ist insoweit der Wert der vom Kläger begehrten Leistung durch die Beklagte. Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Tarifleistungen der Beklagten für die geplanten Maßnahmen im Unterkiefer für den Fall eines Erstattungsanspruchs des Klägers maximal 7.100,59 € betragen würden (Bl. 65 d. A.). Dem ist der Kläger nicht entgegen getreten. Insbesondere hat er keine über diesen Betrag hinausgehende Begehrensvorstellung geäußert.

Die beabsichtigte Abänderung der Streitwertfestsetzung durch das Landgericht beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.