Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 17.08.2004, Az.: 4 AR 71/04

Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Amtsgerichts; Anforderungen an die Verweisung einer Rechtssache

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
17.08.2004
Aktenzeichen
4 AR 71/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 34415
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2004:0817.4AR71.04.0A

Fundstellen

  • NZI (Beilage) 2005, 4* (amtl. Leitsatz)
  • ZInsO 2005, 100-101 (Volltext mit red. LS)
  • ZVI (Beilage) 2006, 21 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Bestimmung des zuständigen Gerichts

In dem Verfahren
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H. sowie
die Richter am Oberlandesgericht R. und S.
am 17. August 2004
beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Tostedt ist zuständig.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin mit Sitz in H. hat durch ihren seit dem 22.3.2004 bestellten neuen Geschäftsführer mit Wohnsitz und Geschäftsadresse in Berlin-Charlottenburg am 30.6.2004 einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei dem AG T. eingereicht und in dem Antrag zugleich die Verweisung an das für den Wohnsitz des Geschäftsführers zuständige AG Berlin-Charlottenburg beantragt. Das AG T. hat diesem Antrag mit Beschl. v. 28.7.2004 stattgegeben, ohne seine Unzuständigkeit näher zu begründen. Das AG Charlottenburg hat sich mit Beschl. v. 11.8.2004 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem OLG zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit vorgelegt.

2

II.

Das AG T. war auf die Vorlage des AG Charlottenburg, über die der Senat gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 1. HS ZPO als das nächsthöhere Gericht zu entscheiden hat, gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen, nachdem beide Gerichte sich zuvor rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt hatten.

3

Das AG T. ist örtlich zuständig, weil sein Verweisungsbeschl. v. 28.7.2004 ausnahmsweise nicht gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO als bindend anzusehen ist.

4

Ein Verweisungsbeschluss kann nach der st. höchstrichterlichen Rspr. (vgl. BGH, NJW 2000, 3201) dann nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er zumindest objektiv auf Willkür beruht. Hierfür genügt es aber nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (vgl. BGH, NJW-RR 2002, 1498). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45, 49 [BVerfG 30.06.1970 - 2 BvR 48/70]; BGH, MDR 1996, 1032). Eine Bindungswirkung kann auch fehlen, wenn der Beschluss wegen einer fehlenden Begründung nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit der herrschenden Ansicht in der einschlägigen Rechtsprechung zu der Zuständigkeitsproblematik auseinander gesetzt hat (vgl. BayObLG, MDR 1994, 94; Senat, OLGR Celle, 2000, 205). Diese Voraussetzungen liegen bei dem hier in Rede stehenden Verweisungsbeschluss des AG T. v. 28.7.2004 vor, weil der Beschluss "objektiv willkürlich" ergangen ist. Das AG T. hat seine örtliche Unzuständigkeit in dem Verweisungsbeschluss nicht begründet. Der zitierte § 2 InsO regelt die örtliche Zuständigkeit nicht. Die Erwägungen des AG T. zur Rechtmäßigkeit des Absehens von einer Anhörung der Antragstellerin beziehen sich auf die nicht einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, wenn zuvor von der Anhörung der Schuldnerin zu dem Insolvenzantrag eines Gläubigers wegen der damit für die Vollstreckung verbundenen Gefahren abgesehen wird (Vgl. BGH, NJW 1996, 3013 = ZIP 1996, 1216). Bei dem vorliegenden Fall des Eigenantrages der Schuldnerin kam eine Anhörung mangels weiterer Beteiligter ohnehin nicht in Betracht. Eine Begründung der örtlichen Unzuständigkeit in dem Verweisungsbeschluss war auch nicht entbehrlich, zumal § 3 Abs. 1 InsO nur eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit begründet und zwar im Regelfall des AG am Sitz der Antragstellerin als juristischer Person, also hier des AG T. Eine abweichende ausschließliche Zuständigkeit ist gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO nur dann gegeben, wenn der Mittelpunkt einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort liegt. Eine nähere Prüfung und Begründung für das Vorliegen dieses Gerichtsstandes in Berlin-Charlottenburg musste sich für das AG T. schon deshalb aufdrängen, weil die Antragstellerin den Insolvenzantrag nicht unmittelbar bei dem nach seiner Auffassung zuständigen Gericht eingereicht, sondern dass AG T. mit dem gleichzeitigen Antrag auf Verweisung an das AG Berlin-Charlottenburg angerufen hat. Bei diesem Verfahren lag der Verdacht nahe, dass die Antragstellerin mit Hilfe der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses eine Zuständigkeit des AG Charlottenburg erreichen wollte, die nach ihrer eigenen Antragsbegründung zumindest von einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Hamm, ZInsO 1999, 533[OLG Hamm 24.06.1999 - 1 Sbd 16/99]) für den hier vorliegenden Fall verneint wird, in dem lediglich die Geschäftsunterlagen zum Wohnsitz des Geschäftsführers gebracht und dort nur Abwicklungstätigkeiten vorgenommen werden. Das AG hätte bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung erkennen können und müssen, dass nach der herrschenden Ansicht für das Insolvenzverfahren einer GmbH, die ihre werbende Tätigkeit eingestellt hat, das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk die GmbH nach der Satzung ihren Sitz hat, auch dann zuständig ist, wenn der Geschäftsführer unter Mitnahme der Geschäftsunterlagen die Verwaltung von einem anderen Ort aus ausübt und die GmbH an ihrem satzungsgemäßen Sitz kein Geschäftslokal mehr unterhält (vgl. Senat, a.a.O., m.w.N. sowie die von dem AG Berlin-Charlottenburg im Beschl. v. 11.8.2004 zitierten obergerichtlichen Entscheidungen). Vor diesem Hintergrund läge eine objektiv willkürliche Entscheidung nur dann nicht vor, wenn sich das AG mit der herrschenden Ansicht auseinander gesetzt und seine abweichende Auffassung nachvollziehbar begründet hätte.