Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.08.2004, Az.: 11 W 20/04
Versagung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Bezahlung von Forderungen, die aus der Fortführung eines Unternehmens nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten; Pflicht des Insolvenzverwalters zur Bereithaltung von Mitteln, um gerichtlich berechtigte Forderungen durchzusetzen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.08.2004
- Aktenzeichen
- 11 W 20/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 19873
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0824.11W20.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 19.02.2004 - AZ: 23 O 229/03
Rechtsgrundlage
- § 1 InsO
Fundstellen
- DStR 2004, XII Heft 46 (Kurzinformation)
- EWiR 2005, 451 (Volltext mit amtl. LS)
- InsbürO 2004, 399 (Volltext)
- NZI 2004, 668 (Volltext mit amtl. LS)
- NZI 2004, VII Heft 11 (amtl. Leitsatz)
- ProzRB 2004, VI Heft 11 (Kurzinformation)
- ZIP 2004, 2149-2150 (Pressemitteilung)
Amtlicher Leitsatz
Ein Insolvenzverwalter einer GmbH, der das Unternehmen weiterführt, muss dafür Sorge tragen, dass ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um Forderungen - auch gerichtlich - durchsetzen zu können. Eine Gewährung von Prozesskostenhilfe scheidet deshalb in diesen Fällen grundsätzlich aus.
In der Beschwerdesache
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 24. August 2004 beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 3. März 2004 gegen den Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 19. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Die im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten trägt der Antragsteller; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt als Insolvenzverwalter einer GmbH Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Bezahlung von gelieferten Waren. Bei den geltend gemachten Forderungen handelt es sich um solche, die aus der Fortführung des Unternehmens nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten.
Das Landgericht hat dem Antragsteller Prozesskostenhilfe verweigert. Es hat die Ansicht vertreten, dass der Insolvenzverwalter durch seine Entscheidung, eine vorhandene Insolvenzmasse nicht nur zu sichern, bestmöglich zu verwerten und gleichmäßig auf alle Insolvenzbeteiligten gesetzgemäß zu verteilen, sondern das Unternehmen weiter zu führen, unternehmerische Aufgaben übernehme. Aufgrund dieser Entscheidung müsse er anschließend auch wie ein Unternehmer handeln und entsprechend behandelt werden. Der Insolvenzverwalter müsse deshalb die Risiken und Chancen seiner Betätigung für das Insolvenzunternehmen in Kauf nehmen. Er müsse insbesondere entweder Vorsorge treffen, dass die aus der unternehmerischen Betätigung erwachsenden Forderungen so gesichert seien, dass sie erfüllt werden oder ihre Erfüllung durchgesetzt werden könnten und dafür ausreichende Mittel, um die gerichtliche Durchsetzung zu betreiben, zur Verfügung stünden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Der Antragsteller ist der Ansicht, dass ihm im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Prozesskostenhilfe zu gewähren sei. Nach § 1 InsO könne das Insolvenzverfahren auch zum Erhalt des Unternehmens dienen.
Die Antragsgegner sind der Ansicht des Antragstellers entgegengetreten. Sie sind der Ansicht, dass dem Antragsteller die Prozesskostenhilfe zu Recht versagt worden ist.
II.
Die gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
1.
Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Beschluss vom 19. Februar 2004 (Bl. 73 ff. d. A.) und auf den Nichtabhilfebeschluss vom 5. März 2004 (Bl. 88 f. d. A.).
2.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 18. September 2003 - IX ZB 460/02 - unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung ausgeführt, dass der Insolvenzverwalter eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe erfülle. Selbst wenn der aus einem Rechtsstreit zu erzielende Erlös wegen der vorweg zu befriedigenden Verfahrenskosten und der sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht zu einer Verteilung an die Insolvenzgläubiger führe, bestehe das Amt des Insolvenzverwalters mit den daraus folgenden Pflichten fort, solange die Kosten des Verfahrens gedeckt seien.
Das vorliegende Verfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Verfahren.
Zutreffend weist der Antragsteller zwar darauf hin, dass nach § 1 InsO, wenn im Insolvenzplan eine entsprechende Regelung getroffen wird, das Insolvenzverfahren auch zum Erhalt des von der Insolvenz getroffenen Unternehmens dienen kann. Eine derartige Entscheidung führt nach Ansicht des Senats jedoch nicht dazu, dass das unternehmerische Risiko, auch berechtigte Forderungen nur mit Hilfe der staatlichen Gerichte durchsetzen zu können, auf die Allgemeinheit, die die Mittel für die Prozesskostenhilfe zur Verfügung stellen muss, verlagert wird. Wenn ein Insolvenzverwalter ein Unternehmen weiterführt, so muss er alle diejenigen Maßnahmen ergreifen, die andere Kaufleute ebenfalls ergreifen müssen. Es müssen dann Mittel zur Verfügung stehen, die es erlauben, berechtigte Forderungen gerichtlich durchzusetzen. Wie die vom Gesetzgeber in § 116 ZPO getroffene Regelung zeigt, sollen juristische Personen unter engeren Voraussetzungen Prozesskostenhilfe erhalten als natürliche. Dieser Rechtsgedanke ist auf die Fälle zu übertragen, in denen ein Insolvenzverwalter ein Unternehmen weiterführt und somit auf dem Markt wie ein "normales" Unternehmen agiert.
An diesem Ergebnis ändert auch § 1 InsO nichts. Dort wird dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit gegeben, das Unternehmen weiterzuführen. Jedoch dient § 1 InsO nicht dazu, den Insolvenzverwalter gegenüber anderen Mitbewerbern zu privilegieren. Diese Bevorzugung träte jedoch ein, wenn der Insolvenzverwalter für jeden Prozess - Erfolgsaussicht vorausgesetzt - Prozesskostenhilfe erhielte. Der Insolvenzverwalter bräuchte dann nämlich im Gegensatz zu konkurrierenden Unternehmen keinerlei wirtschaftliche Vorsorge für eventuelle Prozesse zu treffen.
Demgemäß war die sofortige Beschwerde gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts zurückzuweisen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4, § 1 GKG.
4.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 ZPO zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 ZPO sind erfüllt. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da durch die Entscheidung die im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben der Insolvenzverwalter berührt werden. Im Hinblick auf die Häufigkeit der Insolvenzverfahren, die in der gesamten Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden, ist eine unterschiedliche Entwicklung der Rechtsprechung zur Frage möglich, ob einem Insolvenzverwalter Prozesskostenhilfe auch dann gewährt werden kann, wenn ein Rechtsstreit geführt wird, der seinen Ursprung darin hat, dass der Insolvenzverwalter das Unternehmen weitergeführt hat.