Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.06.2012, Az.: L 11 AL 75/11
Anspruch auf Arbeitslosengeld; Rücknahme der Bewilligung nach Nichtmitteilung einer Erwerbstätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.06.2012
- Aktenzeichen
- L 11 AL 75/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 34579
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0626.L11AL75.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 21.01.2011 - AZ: S 9 AL 103/08
Rechtsgrundlagen
- § 48 SGB III i.d.F. 23.12.2003
- § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i.d.F. 23.12.2003
- § 119 Abs. 3 SGB III i.d.F. 23.12.2003
- § 120 Abs. 1 SGB III i.d.F. 23.12.2003
- § 33 SGB X
- § 45 Abs. 1 SGB X
- § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X
Redaktioneller Leitsatz
1. Auch wenn ein Entgelt nicht gezahlt sondern stattdessen (vermeintliche) Schulden beim Unternehmensinhaber getilgt werden, entfällt Arbeitslosigkeit im Sinne des § 119 SGB III aF (nunmehr: § 138 SGB III) durch Aufnahme einer Beschäftigung von mindestens 15 Stunden pro Woche (hier: Fahrer für ein Autohaus mit einer Arbeitszeit von 46,5 Stunden pro Woche).
2. Die Kurzzeitigkeitsgrenze (§ 119 Abs. 3 SGB III aF; nunmehr: § 138 Abs. 3 SGB 3) findet auch Anwendung, wenn der Betroffene während des Arbeitslosengeldbezugs wegen der Ableistung eines vom Leistungsträger genehmigten Praktikums sowieso nicht verfügbar war, sondern seine Verfügbarkeit lediglich fingiert wurde (§§ 48, 120 Abs. 1 SGB III in den bis zum 31.12.2008 geltenden Fassungen).
3. Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides.
4. Lassen sich dem Bescheid sowohl der von der Aufhebung betroffene Zeitraum als auch der genaue Erstattungsbetrag zweifelsfrei entnehmen, so weist er die nach § 33 SGB X erforderliche Bestimmtheit auf. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Rücknahme einer Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 16. August bis 31. Oktober 2005 sowie um die Erstattung des in diesem Zeitraum gewährten Alg (einschließlich der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) in Höhe von insgesamt 3.991,55 Euro.
Die Beklagte gewährte dem Kläger nach einer vorangegangenen abhängigen Beschäftigung als Kraftfahrer in der Zeit vom 16. Juli 2005 bis 31. Oktober 2005 Alg (täglicher Leistungsbetrag: 40,81 Euro - Bewilligungsbescheid vom 24. August 2005). Am 1. November 2005 endete der Alg-Bezug infolge der Aufnahme einer Beschäftigung bei der I. GmbH & Co. KG.
Während des laufenden Alg-Bezugs absolvierte der Kläger in Abstimmung und mit Genehmigung der Beklagten Praktika zur Eignungsfeststellung bei der Spedition J. (15. bis 31. August 2005) und bei der späteren Arbeitgeberin I. GmbH & Co. KG (1. September bis 31. Oktober 2005).
Am 5. April 2007 erhielt die Beklagte aufgrund eines Schreibens des Hauptzollamtes K. Kenntnis davon, dass der Kläger in den Monaten August bis Oktober 2005 für die Autohaus L. GmbH tätig gewesen sei. Das Hauptzollamt errechnete aus den sichergestellten Tachoscheiben folgende Arbeitsstunden des Klägers:
Dienstag, 16.08.2005, bis Freitag, 19.08.2005: | 46,5 Stunden |
---|---|
Montag, 29.08.2005 | 19,5 Stunden |
Dienstag, 30.08.2005 | 8,5 Stunden |
Sonnabend, 3.09.2005 | 15 Stunden |
Freitag, 9.09.2005 | 6 Stunden |
Sonnabend, 8.10.2005 | 18 Stunden |
Montag, 10.10.2005 | 11 Stunden |
Nach Anhörung des Klägers (Anhörungsschreiben vom 21. August 2007) hob die Beklagte die Alg-Gewährung für die Zeit vom 15. August bis 31. Oktober 2005 vollständig auf und verlangte vom Kläger die Erstattung des in dieser Zeit gewährten Alg in Höhe von 3.142,37 Euro zzgl. der entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 901,70 Euro (Gesamtsumme: 4.044,07 Euro). Die Beklagte begründete dies damit, dass mit der Aufnahme der Beschäftigung bei der Autohaus L. GmbH die Arbeitslosigkeit entfallen sei. Bis zur erneuten Arbeitslosmeldung habe kein neuer Alg-Anspruch entstehen können. Aufgrund der unterbliebenen Anzeige über die Beschäftigungsaufnahme habe der Kläger seine Mitteilungspflichten zumindest grob fahrlässig verletzt (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12. September 2007).
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, bei der Autohaus L. GmbH keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein. Es habe sich "allenfalls" um eine "ehrenamtliche Tätigkeit" gehandelt. Er habe kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern gemeint, eine "alte Schuld (übernommene Bußgelder)" abtragen zu müssen. Er habe nicht wissen können, dass dies für ihn nachteilig sein könnte. Dementsprechend habe er seine Mitteilungspflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. Er sei zudem jederzeit (von einem Kalendertag auf den anderen) verfügbar gewesen. Auch habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass bei der Kurzzeitigkeitsgrenze von 15 Arbeitsstunden gelegentliche Abweichungen in der Arbeitzeit unbeachtlich seien.
Die Beklagte ersetzte im Widerspruchsverfahren den Bescheid vom 12. September 2007 durch den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 20. Februar 2008, mit dem die Rücknahme (bislang: Aufhebung) der Alg-Gewährung auf die Zeit ab 16. August 2005 (bislang: 15. August 2005) beschränkt und der Erstattungsbetrag auf 3.101,56 Euro (Alg) zzgl. 889,99 Euro (Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung), d.h. auf insgesamt 3.991,55 Euro herabgesetzt wurde. Sodann wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. September 2007 in der Fassung des Ersetzungsbescheides vom 20. Februar 2008 mit der ergänzenden Begründung zurück, dass bei einer sich über drei Monate erstreckenden Tätigkeit nicht mehr von gelegentlichen Überschreitungen der Kurzzeitigkeitsgrenze von 15 Stunden pro Woche gesprochen werden könne. Entgegen der Auffassung des Klägers habe es sich bei Tätigkeit als Fahrer um eine Erwerbstätigkeit gehandelt (Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 2008).
Obwohl sich dieser Widerspruchsbescheid ausdrücklich auch auf den Ersetzungsbescheid vom 20. Februar 2008 bezog, erließ die Beklagte diesbezüglich unter dem 2. April 2008 einen weiteren zurückweisenden Widerspruchsbescheid.
Mit seiner am 17. März 2008 beim Sozialgericht (SG) Hannover erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass "die dreimalige Ausübung einer unstreitig unentgeltlichen Tätigkeit" nicht als wirtschaftliches Austauschverhältnis angesehen werden könne. Als juristischem Laien sei es ihm nicht möglich gewesen, die unentgeltliche Gefälligkeitsleistung als Erwerbstätigkeit zu bewerten. Dementsprechend könne ihm auch keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung seiner Mitteilungspflicht vorgeworfen werden. Fraglich sei auch, ob seine Verfügbarkeit bzw. Erreichbarkeit in "irgendeiner Form beeinträchtigt" gewesen sei. Schließlich sei er wegen der Ableistung der Praktika bei der Spedition J. und der I. GmbH & Co. KG sowieso nicht verfügbar gewesen. Aufgrund der Genehmigung dieser Praktika durch die Beklagte sei die Verfügbarkeit lediglich fingiert gewesen. Dass der Kläger in dieser Zeit zusätzlich für die Autohaus L. GmbH tätig gewesen sei, sei rechtlich unerheblich. Auch sei er nur deshalb dort tätig gewesen, weil er sich veranlasst gesehen habe, eine "verkehrsrechtlich bedingte Geldbuße (im Zusammenhang mit arbeitsvertraglicher Tätigkeit)" in Höhe von 750,- Euro zu erstatten. Dies stelle kein für den Kläger erkennbares wirtschaftliches Austauschverhältnis dar.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21. Januar 2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich auf die Begründung der angefochtenen Widerspruchsbescheide bezogen und ergänzend ausgeführt, dass ein wirtschaftliches Austauschverhältnis vorgelegen habe. Der Kläger habe durch seine Arbeit nach seinen eigenen Angaben eine alte Schuld beim Arbeitgeber abgetragen.
Gegen das dem Kläger am 9. Mai 2011 zugestellte Urteil richtet sich seine am 1. Juni 2011 eingelegte Berufung. Der Kläger macht geltend, dass für eine Aufhebung bzw. Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtwidrigkeit vorliegen müsse. Er habe jedoch nicht wissen können, dass eine unentgeltliche Tätigkeit neben einem von der Beklagten genehmigten und geförderten Praktikum Auswirkungen auf die Gewährung von Alg haben könnte. Insoweit sei nicht der Kenntnisstand eines Juristen oder erfahrenen Sozialrechtlers maßgeblich, sondern der eines juristischen Laien. Für den Kläger sei nicht zu erkennen gewesen, dass die unentgeltliche und nur sporadische Tätigkeit Auswirkungen auf das Vorliegen von Arbeitslosigkeit haben können, auch nicht unter Zuhilfenahme des von der Beklagten herausgegebenen Merkblatts für Arbeitslose.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Januar 2011 sowie die Bescheide vom 12. September 2007 und 20. Februar 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. Februar 2008 und 2. April 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Es werde vom Kläger nicht gefordert, rechtliche Überlegungen dahingehend anzustellen, ob die Beschäftigung anzuzeigen war oder nicht. Bereits im Merkblatt würden Arbeitslose darauf hingewiesen, jede Beschäftigung oder Tätigkeit der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Die Prüfung eventueller leistungsrechtlicher Auswirkungen erfolge dann durch die Agentur für Arbeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Beklagte und das SG haben zutreffend entschieden, dass der Kläger in der Zeit vom 16. August bis 31. Oktober 2005 keinen Anspruch auf Alg hatte. Er war aufgrund seiner für die Autohaus L. GmbH ausgeübten Tätigkeit vom 16. bis 19. August 2005 nicht (mehr) arbeitslos. Ab dem 20. August 2005 bestand mangels erneuter Arbeitslosmeldung kein Alg-Anspruch mehr. Die Rücknahme der ursprünglichen Alg-Bewilligung erweist sich nach Maßgabe des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) als rechtmäßig. Der Erstattungsanspruch ergibt sich hinsichtlich des gewährten Alg aus § 50 SGB X, hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aus § 335 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht, sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (§ 119 Abs 1 SGB III in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: alter Fassung - a.F.); nunmehr: § 138 SGB III in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung). Nach § 119 Abs 3 SGB III a.F. schließt die Ausübung einer Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger (Erwerbstätigkeit) die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Arbeits- oder Tätigkeitszeit weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasst; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt. Auf die Höhe des erzielten Entgelts kommt es bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals "Arbeitslosigkeit" dagegen nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 9. Februar 2006 - B 7a AL 58/05 R; Urteile des erkennenden Senats vom 17. Mai 2011 und 20. März 2012 - L 11 AL 40/08 und L 11/12 AL 95/08).
Der Kläger hat während des laufenden Alg-Bezugs in der Zeit vom 16. bis 21. August 2005, vom 29. August bis 3. September 2005 und vom 7. bis 10. Oktober 2005 jeweils über mehr als 15 Stunden pro Woche eine Tätigkeit als Kraftfahrer für die Autohaus L. GmbH ausgeübt. Hierbei handelte es sich um abhängige Beschäftigungen, selbst wenn der Kläger - wie er vorträgt - hierfür kein (reguläres) Arbeitsentgelt erhalten haben sollte. Schließlich bestand der Gegenwert für seine Tätigkeit in der Tilgung vermeintlicher oder tatsächlich bestehender Schulden gegenüber dem Betriebsinhaber. Dieser wirtschaftliche Wert (als Beleg für ein wirtschaftliches Austauschverhältnis im Gegensatz zu einer unentgeltlichen Gefälligkeit) war für den Kläger auch erkennbar, da die Schuldentilgung das Motiv für die Arbeitsaufnahme darstellte. Dementsprechend kommt es im vorliegenden Fall auch nicht mehr darauf an, dass aufgrund des wirtschaftlichen Werts der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung (Fahrertätigkeit z.B. vom 16. bis 19. August 2005 in einem zeitlichen Umfang von 46,5 Stunden) eine abhängige Beschäftigung selbst dann vorliegen würde, wenn dem Kläger hierfür überhaupt kein Entgelt gezahlt worden bzw. er überhaupt keinen wirtschaftlichen Gegenwert erhalten hätte (vgl. hierzu etwa: BSG, Urteil vom 29. Juni 1995 - 11 RAr 97/94, SozR 3-4100 § 101 Nr 6; LSG Saarland, Urteil vom 10. Dezember 2004 - L 8 AL 34/03; Urteil des erkennenden Senats vom 17. Mai 2011 - L 11 AL 40/08; vgl. auch BSG, Urteil vom 9. Februar 2006 - B 7a AL 58/05 R, wonach ein leistungsrechtlich relevantes Beschäftigungsverhältnis keine Entgeltlichkeit voraussetzt).
Nachdem der Kläger in der Zeit vom 16. bis 19. August 2005 in einem zeitlichen Umfang von 46,5 Stunden abhängig beschäftigt war, ist der Alg-Anspruch in der Zeit vom 20. August bis 31. Oktober 2005 weder erneut aufgelebt noch neu entstanden. Der Kläger hatte seine am 16. August 2005 erfolgte Arbeitsaufnahme nämlich nicht unverzüglich bei der Agentur für Arbeit angezeigt, so dass mit der Arbeitsaufnahme seine vorangegangene Arbeitslosmeldung gem. § 122 Abs 2 Nr 2 SGB III a.F. erloschen war (nunmehr: § 141 Abs 2 Nr 2 SGB III in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung). Dementsprechend fehlte es in der Zeit ab 20. August 2005 an einer (erneuten) persönlichen Arbeitslosmeldung i.S.d. § 122 Abs 1 SGB III a.F. und damit an einer der für einen Anspruch auf Alg erforderlichen Anspruchsvoraussetzung. Somit ist der Alg-Anspruch nicht nur für die Zeiten der Beschäftigung im Autohaus L. GmbH, sondern durchgängig bis zum Ende des Leistungsbezugs am 31. Oktober 2005 entfallen.
Hiergegen kann der Kläger auch nicht einwenden, dass er aufgrund der Praktika sowieso nicht arbeitslos gewesen sei. Es trifft zwar zu, dass bei Ableistung eines von der Bundesagentur für Arbeit genehmigten Praktikums Verfügbarkeit fingiert wird, so dass trotz der zeitlichen Bindung durch das Praktikum weiterhin Anspruch auf Alg besteht (§§ 48, 120 Abs 1 SGB III in den bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassungen). Dem Senat erschließt sich jedoch nicht, weshalb diese Fiktion den Kläger zusätzlich berechtigen soll, während des laufenden Alg-Bezugs einer Beschäftigung im zeitlichen Umfang von mindestens 15 Stunden pro Woche nachgehen zu dürfen, ohne seinen Alg-Anspruch zu verlieren. Schließlich bestimmt § 119 Abs 1 Nr 1 i.V.m. Abs 3 SGB III a.F. (nunmehr: § 138 Abs 3 SGB III in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung) ausdrücklich, dass nur eine Beschäftigung von weniger als 15 Stunden pro Woche für das Tatbestandsmerkmal "Beschäftigungslosigkeit" unschädlich ist. Eine Fiktion der Beschäftigungslosigkeit bei Beschäftigungen von mindestens 15 Stunden enthält das SGB III nicht. Eine diese Rechtsfolge vorsehende Norm ist auch vom Kläger nicht benannt worden.
Die Rücknahme der Alg-Bewilligung für die Zeit vom 16. August bis 31. Oktober 2005 hat die Beklagte zuletzt (vgl. hierzu: Bescheid vom 20. Februar 2008) zutreffend auf § 45 SGB X gestützt.
Nach § 45 Abs 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs 2 SGB III ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs 2 bis 4 SGB X zurückzunehmen. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch u.a. dann nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 S 1 und 3 SGB X). Liegen die in § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen vor, ist der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 330 Abs 2 SGB III).
Der Kläger hatte in seinem Alg-Antrag vom 19. Juli 2005 die Frage, ob er weiterhin eine Beschäftigung/Tätigkeit ausübe, ausdrücklich verneint. Mit seiner Unterschrift versicherte er gleichzeitig, dass seine Angaben zutreffen und er Änderungen unverzüglich anzeigen wird. Durch das ihm bei seiner Arbeitslosmeldung überreichte "Merkblatt für Arbeitslose - Ihre Rechte - Ihre Pflichten" (Stand: Januar 2005) war der Kläger hinreichend darüber informiert, dass er in seinem eigenen Interesse jede Beschäftigung oder Tätigkeit vor deren Beginn bei der Arbeitsagentur anzuzeigen hat, damit die Arbeitsagentur prüfen kann, ob durch die Beschäftigung oder Tätigkeit die Arbeitslosigkeit und der Anspruch auf Arbeitslosengeld berührt wird (vgl. S. 15 des genannten Merkblatts). In diesem Merkblatt wurde der Kläger sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass selbst eine unentgeltliche ehrenamtliche Tätigkeit nur dann der Arbeitslosigkeit nicht entgegensteht, wenn die Tätigkeit "bestimmten Anforderungen genügt". Weiter heißt es in dem Merkblatt wörtlich: "Erkundigen Sie sich hierzu bei Ihrer Agentur für Arbeit". Da der Kläger die Aufnahme der Tätigkeit bei der Autohaus L. GmbH gleichwohl nicht unverzüglich angezeigt hat, sind seine Angaben in der Zeit zwischen Antragstellung (18./19. Juli 2005) und Erlass des Bewilligungsbescheides (24. August 2005) unvollständig geblieben. Dies geschah auch zumindest grob fahrlässig, da das dem Kläger überreichte Merkblatt ausdrücklich Hinweise zu u.a. "ehrenamtlichen" Tätigkeiten enthielt und der Kläger noch im Widerspruchsverfahren geltend gemacht hat, seine Tätigkeit für die Autohaus L. GmbH für "ehrenamtlich" gehalten zu haben.
Der Kläger ist zu der rückwirkenden Aufhebung der Alg-Bewilligung vorab gemäß § 24 SGB X angehört worden (Anhörungsschreiben vom 21. August 2007). Die Beklagte hat auch die Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X sowie die 10-Jahresfrist nach § 45 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB X eingehalten.
Infolge der Aufhebung der Alg-Bewilligung hat der Kläger das ihm vom 16. August bis 31. Oktober 2005 gewährte Alg einschließlich der in diesem Zeitraum geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten (§ 50 SGB X, § 335 SGB III). Fehler bei der Berechnung des Erstattungsbetrags sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht worden.
Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 20. Februar 2008 ist auch nicht wegen fehlender Bestimmtheit i.S.d. § 33 SGB X rechtswidrig. Vielmehr lassen sich dem Bescheid sowohl der von der Aufhebung betroffene Zeitraum als auch der genaue Erstattungsbetrag zweifelsfrei entnehmen. Aus diesen Angaben konnte der Kläger ohne Weiteres erkennen, dass sich die verfügten Änderungen auf den Leistungsbescheid vom 24. August 2005 bezogen. Damit weisen die angefochtenen Bescheide die nach § 33 SGB X erforderliche Bestimmtheit auf (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R, Rn 16, 17; vgl. zu den Einzelheiten des vom BSG entschiedenen Sachverhalts: LSG Bayern, Urteil vom 11. Dezember 2008 - L 7 AS 100/08, Rn 31, 32 - zitiert nach [...]; Beschluss des erkennenden Senats vom 16. November 2010 - L 11 AS 925/10 B).
Auch der Widerspruchsbescheid vom 2. April 2008 erweist sich als im Ergebnis rechtmäßig. Zwar wurde mit dem Bescheid vom 20. Februar 2008 der bereits mit Widerspruch des Klägers angefochtene Bescheid vom 12. September 2007 ersetzt (Rücknahme statt Aufhebung der Alg-Bewilligung; Beschränkung des Rücknahmezeitraums auf die Zeit vom 16. August bis 31. Oktober 2005), so dass der Bescheid vom 20. Februar 2008 gem. § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des bereits laufenden Widerspruchsverfahrens wurde. Dementsprechend war gegen diesen Bescheid - entgegen der im Bescheid enthaltenen Rechtsmittelbelehrung - kein weiterer Widerspruch mehr zulässig. Die Beklagte hätte den weiteren Widerspruch des Klägers somit als unzulässig verwerfen müssen. Dass sie stattdessen den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen hat, stellt letztlich nur einen Fehler in der Begründung dar, führt aber nicht zur Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2008.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.