Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.06.2012, Az.: L 13 BK 7/11

Aufforderung zur Vorlage einer Vollmacht; Bevollmächtigter; Fristsetzung; Originalvollmacht; Rechtsanwalt; wirksame Bevollmächtigung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
11.06.2012
Aktenzeichen
L 13 BK 7/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44304
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 11.07.2011 - AZ: S 35 BK 31/11

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Aufforderung zur Vorlage einer Prozessvollmacht kommt nach dem seit dem 1. Juli 2008 geltenden Recht von Amts wegen nur noch in besonders gelagerten Fällen in Betracht, etwa wenn die gegnerische Partei den Mangel der Vollmacht rügt oder wenn das Gericht Erkenntnisse hat, die am Vorliegen einer wirksamen Bevollmächtigung zweifeln lassen.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 11. Juli 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht Oldenburg zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts Oldenburg vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides, mit welchem die Beklagte vom Kläger Kinderzuschlag nach § 6 a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den Zeitraum vom 1. Juni 2010 bis zum 31. Dezember 2010 zurückgefordert hat.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger, der bereits für vorausgegangene Zeiträume Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG bezogen hatte, für den genannten Zeitraum Kinderzuschlag in Höhe von monatlich 325,00 €, wobei sie die Bewilligung ausdrücklich unter den Vorbehalt der Rückforderung stellte. Diesen Vorbehalt begründete sie mit schwankendem Einkommen des Klägers und einer beabsichtigten Überprüfung anhand später vorzulegender Unterlagen über die tatsächlich erzielten Einkünfte des Klägers. Mit Bescheid vom 24. Januar 2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen errechne sich bei abschließender Prüfung des Bewilligungszeitraumes von Juni 2010 bis Dezember 2010 - bedingt durch einen Wechsel des Arbeitgebers zum Juli 2010 - aufgrund höheren zugrunde zu legenden Einkommens als zunächst angenommen, welches den Gesamtbedarf übersteige, kein Anspruch auf Kinderzuschlag mehr (§ 6 a Abs. 1 Nr. 4 BKGG). Demnach sei Kinderzuschlag in Höhe von 1.950,00 € zu Unrecht gezahlt worden. Der gemäß § 32 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlte Kinderzuschlag sei vom Kläger zu erstatten.

Den hiergegen vom Kläger durch einen Bevollmächtigten - Herrn E. - eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 17. März 2011 unter näherer Darlegung des erzielten Einkommens und der gesetzlichen Bestimmungen zurück; wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides verwiesen.

Der Kläger hat - nunmehr anwaltlich vertreten - durch seine Prozessbevollmächtigten am 15. April 2011 fristgerecht Klage erhoben, welcher die Beklagte entgegen getreten ist. Nach Klageeingang hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg von den Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Originalvollmacht angefordert und hat diese Aufforderung mit Schreiben vom 7. Juni 2011 bekräftigt, indem der Kammervorsitzende den Erlass eines Gerichtsbescheides gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angekündigt hat, verbunden mit der hervorgehobenen Anmerkung, die Klage werde als unzulässig abgewiesen, wenn die Vollmacht nicht fristgerecht innerhalb von drei Wochen im Original übersandt werde.

Mit am 30. Juni 2011 beim SG Oldenburg eingegangenen Schriftsatz haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers an die bereits zuvor beantragte Akteneinsicht erinnert und haben die Klagebegründung nach erfolgter Akteneinsicht in Aussicht gestellt. Die angeforderte Vollmacht hat diesem Schriftsatz nicht beigelegen.

Das SG Oldenburg hat mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2011 die Klage ohne weitere Zwischenkorrespondenz mit der tragenden Begründung abgewiesen, die Klage sei unzulässig, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers trotz gerichtlicher Aufforderung eine schriftliche Bevollmächtigung nicht nachgewiesen und damit die Klage als Nichtbevollmächtigter erhoben habe.

Nachdem der Gerichtsbescheid am 13. Juli 2011 den Prozessbevollmächtigten des Klägers zustellt worden war, haben diese am 20. Juli 2011 eine am 15. Juli 2011 unterschriebene Vollmacht des Klägers dem Gericht eingereicht.

Mit am 10. August 2011 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingegangenem Schriftsatz haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers für diesen Berufung eingelegt und haben sich darauf berufen, mit Schreiben vom 6. Juni 2011 sei nach Aufforderung des Gerichts die Prozessvollmacht im Original eingereicht worden. Im Zusammenhang mit der per Schriftsatz vom 29. Juni 2011 erfolgten Erinnerung an die Akteneinsicht sei dem unterzeichnenden Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt F., fernmündlich mitgeteilt worden, dass die Prozessvollmacht bei Gericht nicht eingegangen sei. Daraufhin sei die zweite Prozessvollmacht übersandt worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 11. Juli 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zunächst auf die Inhalte des angefochtenen Gerichtsbescheides des SG Oldenburg vom 11. Juli 2011 sowie ihres angefochtenen Bescheides Bezug genommen.

In seinem die Berufung begründenden Schriftsatz vom 1. Februar 2012 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers einerseits die seines Erachtens gegebene formelle und materielle Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides dargelegt und hat andererseits auf ein vor dem Bundessozialgericht (BSG) anhängiges Revisionsverfahren hingewiesen, das im Zusammenhang mit den auch hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen stehe, und hat insoweit ein Ruhen des Verfahrens angeregt. Die Beklagte hat unter Nennung des Aktenzeichens des BSG - B 4 KG 2/11 R - dem Ruhen des Verfahrens grundsätzlich zugestimmt, hat dies jedoch unter den Vorbehalt gestellt, dass der Senat nicht von der Möglichkeit der Zurückverweisung an das Sozialgericht nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG Gebrauch mache.

Nachdem der Berichterstatter des Senats mit Schreiben vom 26. April 2012 den Beteiligten die Einschätzung mitgeteilt hatte, nach Rücksprache mit dem Senatsvorsitzenden sei die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Oldenburg vom 11. Juli 2011 und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Oldenburg in Anwendung des § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG beabsichtigt, haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter allein ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anwendung der §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 SGG einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG) und im Sinne einer Aufhebung und Zurückverweisung an das SG Oldenburg begründet.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das LSG durch Urteil eine angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden.

Das SG Oldenburg hat die Klage als unzulässig abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. In derartigen Fällen kommt eine Zurückverweisung – als Ausnahme gegenüber dem Regelfall, dass das LSG die Angelegenheit selbst durchentscheidet – auf der Grundlage einer Abwägung im Rahmen einer Ermessensausübung des LSG insbesondere dann in Betracht, wenn das SG zu Unrecht nicht in der Sache entschieden hat und den Beteiligten hierdurch eine Instanz verloren geht (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 159 Rn. 2 ff.), ausgehend von einem grundsätzlich bestehenden Interesse der Beteiligten an einer Sachentscheidung durch die im Rechtszug jeweils zuständige Gerichtsinstanz.

Der Senat übt sein Ermessen im Sinne einer Einzelfallabwägung dahingehend aus, dass vorliegend dem anderenfalls – für den Fall des Absehens von einer Zurückverweisung – eintretenden Verlust einer Instanz, ferner der Notwendigkeit einer deutlichen Klarstellung der nachfolgenden Rechtsfragen, Vorrang vor einer ggf. durch eigene Entscheidung des Senats möglichen Beschleunigung des Verfahrens gegeben wird, zumal vor dem Hintergrund, dass eine solche Beschleunigung aufgrund des angeregten Ruhens des Verfahrens voraussichtlich nicht eintreten würde.

Die Vorgehensweise des SG Oldenburg, dem Kläger und seinen Rechtsanwälten von Amts wegen den Mangel der Einreichung einer schriftlichen Originalvollmacht vorzuhalten und die Klage aus diesem Grund als unzulässig zu verwerfen, widerspricht dem seit dem 1. Juli 2008 geltenden Recht (in der Fassung des Art. 12 Nr. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007, BGBl. 2007 Teil I, S. 2840).

Nach § 73 Abs. 2 SGG können sich die Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens durch prozessfähige Bevollmächtigte vertreten lassen. Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen; sie kann nachgereicht werden, wofür das Gericht eine Frist bestimmen kann (§ 73 Abs. 6 Sätze 1, 2 SGG). Indes hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen nur dann zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (§ 73 Abs. 6 Satz 5 SGG). Übergangsregelungen sind nicht vorgesehen (näher hierzu und zu den Motiven des Gesetzgebers: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Dezember 2008 – L 12 AS 4351/08 – juris Rn. 17). Eine von Amts wegen erfolgende Fristsetzung zur Vorlage einer Vollmacht kommt bei Rechtsanwälten daher nur noch in besonders gelagerten Fällen in Betracht, etwa wenn die gegnerische Partei den Mangel der Vollmacht rügt (vgl. LSG Baden-Württemberg, a. a. O., mit Verweis auf BT-Drucks. 16/3655 S. 90, 96) oder wenn das Gericht – ggf. aus anderen Verfahren – Erkenntnisse hat, die am Vorliegen einer wirksamen Bevollmächtigung zweifeln lassen, etwa weil der konkrete Rechtsanwalt auch in anderen, dem Gericht bekannt gewordenen Fällen bereits vollmachtlos aufgetreten ist oder er das Fehlen der Vollmacht selbst angezeigt hat, ferner immer dann, wenn die Umstände des Einzelfalles begründete Zweifel am Bestehen einer wirksamen Bevollmächtigung rechtfertigen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. April 2011 – L 6 U 3907/10 – juris Rn. 15). Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.