Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.11.2015, Az.: L 10 SB 1/13

Rückwirkende Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) und von Merkzeichen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
30.11.2015
Aktenzeichen
L 10 SB 1/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 32949
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2015:1130.L10SB1.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 23.11.2012 - AZ: S 42 SB 358/10

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. November 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die rückwirkende Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) und von Merkzeichen für den verstorbenen I. (nachstehend der Verstorbene).

Der Verstorbene ist am 22. Januar 1995 geboren worden. Seine Eltern - die jetzigen Kläger - haben für ihn am 26. Oktober 2009 beantragt, die bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen als Behinderung festzustellen. Hierbei waren sie der Auffassung, die Feststellung solle mit dem Zeitpunkt der Geburt beginnen. Bei dem Verstorbenen hatte im Wesentlichen ein Asperger-Autismus vorgelegen.

Das beklagte Land wertete die ihm vorliegenden medizinischen Unterlagen aus und stellte mit Bescheid vom 27. Januar 2010 ab April 2007 einen GdB von 50 fest. Zur Begründung für eine nicht noch weiter in die Vergangenheit reichende Feststellung wies das beklagte Land darauf hin, das Asperger-Syndrom des Verstorbenen sei erst zu diesem Zeitpunkt nachgewiesen worden. Auf den Widerspruch des Verstorbenen erging der Teilabhilfebescheid vom 3. Mai 2010, worin dem Verstorbenen ab April 2007 auch das Merkzeichen "H" zuerkannt wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2010 zurückgewiesen.

Am 20. Juli 2010 ist Klage erhoben worden. Zu deren Stützung ist der Bericht des Autismus-Zentrums J. vom 31. Januar 2010 vorgelegt worden. Während des laufenden Klageverfahrens haben die Eltern des Verstorbenen im Juli 2010 für diesen einen Neufeststellungsantrag gestellt. Auch insoweit sollte es um die Feststellung eines GdB ab Geburt gehen sowie um die Merkzeichen "G" und "B". Das Sozialgericht (SG) Hannover holte einen Befundbericht von dem Kinder- und Jugendarzt K. ein. Hierzu nahm das beklagte Land durch seinen Ärztlichen Dienst (Dr. L.) Stellung. Der vormalige Kläger ist am 13. Mai 2012 an einer Krebserkrankung verstorben. Die nunmehrigen Kläger setzten das Verfahren fort und erstrebten nunmehr nur noch eine Anerkennung des GdB ab dem dritten Lebensjahr.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. November 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg ausgeführt, die Kläger seien nicht berechtigt, die Ansprüche des Verstorbenen weiter geltend zu machen. Hierbei handele es sich um höchstpersönliche Ansprüche, die mit dem Tod des Verstorbenen untergegangen seien.

Gegen das am 29. November 2012 zugestellte Urteil ist am 23. Dezember 2012 Berufung eingelegt worden. Die Kläger sind der Auffassung, sie seien sehr wohl berechtigt, die Ansprüche ihres Sohnes als Sonderrechtsnachfolger geltend zu machen. Die Erkrankung des Verstorbenen habe auch bereits seit Geburt vorgelegen und daher seien dem Verstorbenen sowohl ein GdB von 50 ab Geburt sowie die Merkzeichen "G" und "B" zuzuerkennen.

Die Kläger beantragen nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. November 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des beklagten Landes vom 27. Januar 2010 in der Gestalt, die er durch den Teilabhilfebescheid vom 3. Mai 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2010 gefunden hat, zu ändern,

  2. 2.

    das beklagte Land zu verurteilen, bei dem verstorbenen I. ab der Geburt einen GdB von 50 sowie ab Oktober 2009 die Merkzeichen "G" und "B" festzustellen.

Das beklagte Land beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung weist es nach wie vor darauf hin, die Kläger seien nicht berechtigt, die Ansprüche des Verstorbenen zu verfolgen. In der Sache hätten die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers aber auch nicht bereits seit Geburt vorgelegen bzw. hätten sich nicht auf seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ausgewirkt.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet in Anwendung von § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung, da eine solche zur Wahrung der prozessualen Rechte der Beteiligten hier nicht erforderlich erscheint.

Die Berufung ist unzulässig, soweit die Kläger die Zuerkennung eines GdB und von Merkzeichen für die Zeit vor dem 3. Lebensjahr des Verstorbenen begehren. Für diesen Zeitraum hatten sie mit Schriftsatz vom 5. Juli 2012 keine Ansprüche mehr geltend gemacht und daher die Klage insoweit zurückgenommen.

Die im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage mit seinem hier angefochtenen Urteil vom 23. November 2012 zu Recht abgewiesen. Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger nicht berechtigt waren, die Ansprüche des Verstorbenen weiter geltend zu machen. Es hat sich hierbei zu Recht und ausführlich auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. erneut Urteil vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 4/89 = SozR 3870 § 4 Nr. 4) sowie auf die Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18. Juni 2009 - L 6 SB 286/08 = Breithaupt 2009 Seite 1027 ff. bezogen). Dieser Rechtsprechung hat sich auch das LSG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 17. Januar 2013 (L 11 SB 99/11 ZVW) angeschlossen (zustimmend auch Goebel in Schlegel/Voelzke, PK SGB IX § 69 RdNr. 11). Auch der erkennende Senat macht sich diese Auffassung zu eigen und folgt ihr.

Das SG hat diese Rechtsprechung auch ausführlich zitiert. Der Senat nimmt in Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug.

Soweit die Kläger meinen, diese Rechtsprechung treffe nicht zu, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Soweit die Kläger für ihre Auffassung diverse Entscheidungen zitieren, sind diese nicht einschlägig. Soweit sie zunächst auf die Entscheidung des BSG vom 1. September 1999 (B 13 RJ 49/98 R) Bezug nehmen, ist der maßgebliche Unterschied darin zu sehen, dass es dort um eine Geldleistung i.S.v. § 59 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ging. In der zitierten Rechtsprechung des BSG und der ihm folgenden Landessozialgerichte ist indessen eingehend dargelegt, dass die Ansprüche aus § 69 SGB IX gerade keine Ansprüche auf Geldleistungen i.S.d. von §§ 58,59 SGB I sind. Daher ist die von den Klägern zitierte Entscheidung des BSG gerade nicht dazu geeignet, etwas Gegenteiliges nachzuweisen. Gleiches gilt für die dann weiter zitierte Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt (vom 15. April 2010 - L 10 KR 58/05). Angesichts dessen sieht auch der Senat, der sich der Auffassung des BSG und der anderen Landessozialgerichte für diese Fallkonstellation anschließt, keinen Anlass für weitere Ausführungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 183 Satz 2, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG und § 154 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Kläger, die - wie sich aus dem Vorstehenden ergibt - nicht Sonderrechtsnachfolger der geltend gemachten Rechte sind - konnten danach nur erstinstanzlich Kostenfreiheit geltend machen und haben als diejenigen, die unterlegen sind, die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf der Anwendung von § 197a Absatz 1 Teilsatz 1 SGG in Verbindung mit §§ 63 Absatz 2 Satz 1, 52 Absatz 1 und 2, 47 Gerichtskostengesetz. In Ermangelung anderer Anhaltspunkte ist der Senat vom Regelstreitwert ausgegangen.

Anlass, die Revision in Anwendung von § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.