Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.12.2011, Az.: L 3 KA 87/08
Honorierung vertragsärztlicher Leistungen; Nichtigkeit des ab 1.4.2006 geltenden Honorarverteilungsmaßstabes der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 21.12.2011
- Aktenzeichen
- L 3 KA 87/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 36626
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1221.L3KA87.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 18.06.2008 - AZ: S 24 KA 39/07
Rechtsgrundlagen
- § 85 Abs. 4 S. 7, 8 SGB V
- § 85 Abs. 4a S. 1 SGB V
Redaktioneller Leitsatz
1. Die Übergangsregelung unter Teil III Nr. 2.2 desBeschlusses des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 gilt nicht für das Jahr 2006.
2. Der bremische Honorarverteilungsmaßstab in der ab 1.4.2006 geltenden Fassung ist nichtig, weil er keine nach Maßgabe desBeschlusses des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 festgesetzten Regelleistungsvolumen enthält. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 18. Juni 2008 sowie die Honorarbescheide für die Quartale II und III/2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2007 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, über die Honoraransprüche der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 18.471,02 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe des vertragsärztlichen Honorars für die Quartale II/2006 und III/2006.
Die Klägerin ist eine fachübergreifende Gemeinschaftspraxis mit Tagesklinik, in der ein Facharzt für Chirurgie und eine Fachärztin für Anästhesiologie tätig sind. BeideÄrzte sind in Bremen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Im Bereich der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) galt seit dem 1. April 2006 ein Honorarverteilungsvertrag (Honorarverteilungsmaßstab - HVM), der in § 4 eine fallzahlabhängige Begrenzung der zu vergütenden Leistungen nach Maßgabe arztgruppenspezifischer Fallpunktzahlen (FPZ - sog Grundmodule) enthielt. In vergleichbarer Weise regelte § 5 qualifikationsgebundene Zusatzmodule, die eine Erhöhung der FPZ beim Vorliegen entsprechender Gebiets- oder Schwerpunktbezeichnungen vorsahen. In § 13 Abs 3 HVM waren die Verteilungspunktwerte für die fachärztlichen Arztgruppen nach Anl 1 des HVM geregelt:
"a) 70 % der nach §§ 4 und 5 begrenzten Gesamtpunktzahl werden mit einem Punktwert von 4,5 Cent vergütet, b) die restlichen Punktzahlen bis zur nach §§ 4 und 5 begrenzten Gesamtpunktzahl werden mit einem floatenden Punktwert vergütet. Hierzu wird die in dem Honorartopf zur Verfügung stehende Gesamtvergütung um die nach a) zu zahlende Vergütung bereinigt und durch die Punktzahl nach S 1 dividiert. Der floatende Punktwert darf maximal 4,0 Cent betragen."
Eine "Ausnahmeregelung" in § 15 Abs 2 HVM sah vor, dass der genannte Prozentsatz, sollte die zur Verfügung stehende Gesamtvergütung nicht ausreichen, um die Punktwerte nach § 12 Abs 3a und § 13 Abs 3a HVM zu vergüten, in Schritten zu 5 %-Punkten soweit reduziert werden konnte, bis der Punktwert erreicht wird.
In den Honorarbescheiden für das 2. und das 3. Quartal 2006 rechnete die Beklagte die Punktwerte des Grundmoduls und der qualifikationsgebundenen Zusatzmodule gemäß § 13 Abs 3a) HVM zu 60 % mit 4,5 Cent ab. Den floatende Bereich von 40 % vergütete sie gemäß § 13 Abs 3b) HVM mit einem Punktwert von 0,21 bzw 0,44 Cent. Die Klägerin erhielt im Quartal II/2006 ein Honorar iHv 72.538,74 Euro und im Quartal III/2006 iHv 78.978,98 Euro vergütet.
Die Klägerin legte gegen den Honorarbescheid für das Quartal II/2006 am 20. November 2006 und gegen den Honorarbescheid für das Quartal III/2006 am 23. Februar 2007 Widerspruch ein. Sie begründete ihre Widersprüche damit, dass die extrabudgetierte Vergütung für die ambulanten Operationen nicht durch die Budgetbereinigung kompensiert werde. Trotz einer Entwicklung des Bruttohonorars aller Chirurgen um plus 8,9 % verzeichne sie einen Umsatzrückgang bei einer Steigerung der Patientenzahlen. Die Beklagte habe die Regelung des § 13 Abs 3a) HVM nicht eingehalten, da nur 60 % der anästhesiologischen und chirurgischen Leistungen mit einem festen Punktwert vergütet worden seien. Hintergrund sei, dass bei der Befüllung der Fachgruppentöpfe die durch die Einführung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs fürärztliche Leistungen (EBM) 2000plus bedingten Mehranforderungen an Punkten durch die höhere Bewertung chirurgischer Leistungen bei der Verteilung der Gesamtvergütung auf die einzelnen Fachgruppentöpfe nicht berücksichtigt worden seien. Zudem seien die auf die extrabudgetär vergüteten ambulanten Operationen entfallenen Beträge dem zunächst gebildeten Honorartopf der Chirurgen wieder teilweise entnommen worden. In anderen Bereichen der extrabudgetären Vergütung, zB bei denen der Gynäkologen, werde dies durch eine Budgetbereinigung nicht kompensiert. Die Praxis der Klägerin sei von diesem Zustand besonders betroffen, da sie eine fachübergreifende Gemeinschaftspraxis sei.
Die Beklagte wies die Widersprüche der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2007 zurück. Die Abrechnung in den beiden Quartalen sei nach dem gültigen EBM und dem HVM erfolgt. Unter Beachtung des Beschlusses des Bewertungsausschusses (BewA) vom 29. Oktober 2004 sei die Beklagte verpflichtet, auf der Grundlage des EBM 2000plus mit den Krankenkassen (KKen) bzw ihren Verbänden einen Vertrag zur Honorarverteilung zu schließen. Auf der Grundlage von Teil III Nr 2.2 des Beschlusses des BewA könnten die vor dem 1. April 2005 geltenden Steuerungsinstrumente fortgeführt werden, wenn diese in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vergleichbar seien. Der HVM sehe die Bildung von Arztgruppentöpfen, die Vergütung innerhalb eines Grenzwertes (fallzahlabhängiges Gesamtkontingent) zu einem festen Punktwert sowie eine Vergütung der den Grenzwert überschreitenden Leistungsmenge zu einem abgestaffelten Punktwert vor. Damit entspreche die Honorarverteilung der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs 4 SGB V. Für die Absenkung des festen Bereichs bei der Fachgruppe der Chirurgen/Anästhesisten im Quartal II/2006 sei jedoch nicht ein erhöhter Leistungsbedarf die Ursache, sondern eine geringere zur Verfügung stehende Honorarsumme im Arztgruppentopf. Im Quartal III/2006 sei wiederum der feste Bereich von 70 % des Gesamtkontingents erreicht und mit dem Punktwert von 4,5 Cent vergütet worden. Gegenüber den Basisquartalen sei bei allen operierenden Arztgruppen eine Budgetbereinigung vorzunehmen, da ausgewählte Eingriffe gem Förderkatalog zum ambulanten Operieren von verschiedenen Krankenkassen ab dem Quartal I/2006 extrabudgetär vergütet worden seien. Darüber hinaus habe insgesamt durch Verluste im Fremdkassenzahlungsausgleich (FKZ) zwischen den KÄVen weniger Honorar zur Verfügung gestanden.
Die Klägerin hat am 11. Juni 2007 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erhoben und diese wie den Widerspruch begründet. Zusätzlich trägt sie noch vor, dass sie als fachübergreifende Gemeinschaftspraxis besonders betroffen sei, da von der zu geringen Befüllung des Honorartopfes auch sämtliche Anästhesieleistungen betroffen seien. Dieses widerspreche zum einen dem Grundsatz der leistungsproportionalen Vergütung, aber zum anderen auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da die Klägerin für die identischen Leistungen weniger erhalte als zB eine rein anästhesistische Praxis. Zudem sei aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich, dass die Beklagte nach den Vorgaben des § 15 Abs 2 HVM vorgegangen sei und den Prozentsatz von 70 % in Schritten von 5 %-Punkten reduziert habe.
Das SG hat mit Urteil vom 18. Juni 2008 die Klage abgewiesen. Zutreffend habe die Beklagte den Fachärzten nach § 13 HVM einen festen Punktwert in Höhe von 4,5 Cent für 60 % der anerkannten Punkte gewährt. Da aus dem zur Verfügung stehenden Topf der Arztgruppe, der die Klägerin angehöre, eine Entnahme zur Finanzierung der extrabudgetär zu vergütenden Leistungen erfolgt sei sowie eine ungünstige Situation durch einen Fremdkassenausgleich in Höhe von ca 2.000.000,00 Euro vorgelegen habe, sei der Betrag gesenkt worden, sodass nur 60 % mit einem festen Punktwert von 4,5 Cent hätten vergütet werden können. Die Beklagte sei aufgrund der finanziellen Gesamtsituation berechtigt und verpflichtet gewesen, nur die Gelder zu verteilen, die ihr auch zugeflossen seien. Eine etwaiger Fehlgebrauch des Ermessens bei der Anwendung des § 15 HVM sei nach alledem nicht ersichtlich.
Gegen das am 11. Juli 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11. August 2008 Berufung eingelegt. Das SG sei in seiner Begründung nicht darauf eingegangen, dass das Fehlen eines ausreichenden Honorars für die Vergütung von 70 % der Gesamtpunktzahl mit einem festen Punktwert gemäß § 13 Abs 3a) des HVM in erster Linie darauf beruhe, dass Gelder für extrabudgetär zu vergütende ambulante Operationen verwendet worden seien. Letztendlich führe die gesetzlich vorgesehene Förderung der ambulanten Operationen dazu, dass das sonstige Honorar der Klägerin ganz erheblich reduziert werde. Zudem habe das SG die finanzielle Situation der Beklagten im wesentlichen Punkt unvollständig dargestellt. Die Beklagte habe für den Bereich der extrabudgetär zu vergütenden ambulanten Operationen eine Sonderzahlung seitens der Krankenkassen erhalten. Diese sollten dazu dienen, die Belastungen der sonstigen Leistungen durch die Förderung der ambulanten Operationen zu vermeiden. Es sei nicht erkennbar, dass die Beklagte die Gelder, die sie von den Krankenkassen zur Förderung der ambulanten Operationen erhalten habe, zweckentsprechend verwendet habe.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 18. Juni 2008 und die Honorarbescheide für das 2. und 3. Quartal 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2007 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, über ihre Honoraransprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihren bisherigen Vortrag und trägt ergänzend vor, dass sie die Ausnahmeregelung nach § 15 Abs 2 HVM habe anwenden müssen, um im Rahmen des Gebots der Schutzwirkung der Topfbildung für die anderen Fachgruppen nach § 13 Abs 2 HVM den zum festen Punktwert von 4,5 Cent zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungsanteil in Schritten zu 5 %-Punkten reduzieren zu können. Die Beklagte habe nicht mehr Honorar ausschütten können, als ihr von den KKen zur Verfügung gestellt worden sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das SG hat die Klage gegen die angefochtenen Bescheide zu Unrecht abgewiesen.
Die als (Teil-)Anfechtungs- und Bescheidungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm § 131 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Die Honorarbescheide für die Quartale II und III/2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2007 sind rechtswidrig. Unabhängig von den seitens der Klägerin vorgebrachten Einwänden ergibt sich dies bereits daraus, dass der HVM der Beklagten in der ab 1. April 2006 geltenden Fassung - als Grundlage der Honorarbescheide - insgesamt nichtig ist. Denn er ist nicht mit den gesetzlichen Vorgaben des § 84 Abs 4 S 7 SGB V vereinbar.
1. Gemäß § 85 Abs 4 SGB V (hier anzuwenden idF des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) vom 14. November 2003, BGBl I 2190) verteilt die KÄV die Gesamtvergütung an die Vertragsärzte. Dabei sind insbesondere nach § 84 Abs 4 S 7 SGB V arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen nach festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina - RLV). Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; grundlegend: BSGE 106, 156 ff) ergibt sich, dass mit dieser Regelung vor allem zwei Kernvorgaben verbunden sind, nämlich die Festlegung arztgruppenspezifischer Grenzwerte und die Festlegung fester Punktwerte (vgl hierzu auch Senatsurteile vom 21. Dezember 2011 - L 3 KA 61/09; L 3 KA 117/10; L 3 KA 111/10). Für den Fall einer Überschreitung der Grenzwerte ist nach § 85 Abs 4 S 8 SGB V vorzusehen, dass die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten vergütet wird.
Ziel der Regelung ist es, den Vertragsärzten Kalkulationssicherheit hinsichtlich ihrer Praxisumsätze und -einkommen zu geben. Die Bestimmung fester Punktwerte (anstelle sog floatender Punktwerte) stellt dabei eine zentrale und strikte Vorgabe dar (vgl die Begründungen zum Gesetzentwurf BT-Drucks 15/1170 S 79 und BT-Drucks 15/1525 S 101). Nicht im selben Maße strikt ist die Vorgabe der Festlegung "arztgruppenspezifischer Grenzwerte": Die arztgruppenspezifischen Grenzwerte müssen nicht einheitlich in der Form festgelegt werden, dass der gesamten Arztgruppe das gleiche RLV zugewiesen wird. Vielmehr kann dem Erfordernis arztgruppenspezifischer Grenzwerte auch eine Regelung genügen, die eine arztgruppeneinheitliche Festlegung nur bei den FPZ vorgibt, dann deren Multiplikation mit den individuellen Behandlungsfallzahlen vorsieht und so zu praxisindividuellen Grenzwerten führt (vgl dazu insb BSGE 106, 56, [BSG 17.03.2010 - B 6 KA 43/08 R] 58).
Nach § 85 Abs 4a S 1 SGB V obliegt es dem BewA, die Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütungen zu bestimmen. Dieser Verpflichtung ist der BewA zunächst mit seinem Beschluss vom 29. Oktober 2004 nachgekommen (DÄ 2004, 101 (46), A-3129 ff). Danach waren im Zeitraum vom 1. April bis 31. Dezember 2005 in der Honorarverteilung der KÄVen RLV nach Maßgabe von Teil III Nr 3 des Beschlusses in der Weise festzulegen, dass durch die Multiplikation arztgruppenspezifischer FPZ mit individuellen Behandlungsfallzahlen im Ergebnis praxisindividuelle RLV entstehen, die mit einem von den Vertragspartnern des Honorarverteilungsvertrags vereinbarten festen Punktwert vergütet werden. In der Anl 1 zum Teil III des Beschlusses sind tabellarisch die erfassten Arztgruppen aufgeführt, die dem RLV unterliegen. In der Anl 2 wird näher festgelegt, nach welchen Faktoren die FPZ für die Bestimmung des RLV zu berechnen ist. Für den vorliegend entscheidenden Zeitraum hat der Erweiterte BewA in seiner Sitzung vom 16. Dezember 2005 beschlossen, dass die genannten Regelungen auch im Jahr 2006 anzuwenden sind (DÄ 2006, 103 (1-2), A-76). Diese (bundeseinheitlichen) Vorgaben des BewA sind kraft Gesetzes (§ 84 Abs 4 S 10 SGB V) Bestandteil der Honorarverteilungsverträge und von den KÄVen bei der Verteilung der Gesamtvergütung einzuhalten. Im Falle einer divergierenden Regelung kommt den Regelungen des BewA der Vorrang zu (BSGE 105, 236, 240 [BSG 03.02.2010 - B 6 KA 31/08 R] = SozR 4-2500 § 85 Nr 53).
a) Der HVM der Beklagten - in der hier maßgeblichen Fassung ab dem 1. April 2006 - ist aber mit den Bestimmungen im Beschluss des BewA vom 29. Oktober 2004 nicht zu vereinbaren. Zwar sieht auch der HVM konzeptionell die Bildung von praxisindividuellen, mit festen Punktwerten zu vergütendenRLV vor. So ergibt sich zunächst aus der Anwendung der dortigen§§ 4 und 5 iVm mit der Anl zum HVM ein praxisindividuelles Punktzahlvolumen, von dem für die fachärztlichen Arztgruppen gemäß § 13 Abs 3a) HVM (grundsätzlich) 70 % mit festen Punktwerten vergütet werden - für die Hausärzte 80 %, vgl § 12 Abs 3a) HVM -, während das darüber hinausgehende Volumen mit einem floatenden Punktwert vergütet wird.
Jedoch wird der HVM damit in keiner Weise den in der Anl 2 des Beschlusses des BewA aufgeführten Faktoren zur Berechnung derRLV-relevanten FPZ gerecht. Die Berechnung der KV-bezogenen, arztgruppenspezifischen FPZ erfolgt für die in der Anl 1 genannten Arztgruppen - zu denen auch die Klägerin zählt - nach den in der Anl 2 aufgeführten Berechnungsformeln. Diese setzen ua die Ermittlung eines arztgruppenspezifischen Leistungsbedarfs in Punkten im Zeitraum vom 2. Halbjahr 2003 bis zum 1. Halbjahr 2004 und einer arztgruppenspezifischen Anzahl der kurativ-ambulanten Behandlungsfälle in diesem Zeitraum voraus. Zudem sind die FPZen differenziert nach (drei) Altersgruppen (dh für Versicherte bis zum vollendeten 5. Lebensjahr, für Versicherte ab dem 6. bis zum vollendeten 59. Lebensjahr und für Versicherte ab dem 60. Lebensjahr) zu ermitteln. Diese differenzierten Vorgaben erfüllt der HVM der Beklagten ebenso wenig wie zB die Regelung in Teil III Nr 3.2.1 des Beschlusses vom 29. Oktober 2004, die eine weitere Abstaffelung der FPZ in Abhängigkeit von der Fallzahl der jeweiligen Arztpraxis vorschreibt. Schließlich enthält der HVM der Beklagten auch keine arztgruppenspezifische Obergrenze der bei der Berechnung des RLV zu berücksichtigenden Fallzahl (vgl Teil III Nr 3.3.1 des Beschlusses).
b) Ausdrückliche Abweichungen von den Vorgaben des BewA sind nur insoweit gestattet, als die Übergangregelung in Teil III Nr 2.2 des Beschlusses vom 29. Oktober 2004 zulässt, dass bisherige Steuerungsinstrumente der KÄVen fortgeführt werden, deren Auswirkungen mit den Vorgaben des § 85 Abs 4 SGB V vergleichbar sind (vgl BSGE 105, 236, 240 f [BSG 03.02.2010 - B 6 KA 31/08 R]; vgl zur Zulässigkeit der Übergangsregelung BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 54 und Urteil vom 14. Dezember 2011 - B 6 KA 3/11 R - juris). Allerdings ist die Übergangsregelung auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2005 begrenzt, so dass bereits deshalb eine Anwendbarkeit auf die hier streitgegenständlichen Quartale II/2006 und III/2006 ausscheidet.
Der Erweiterte BewA hat zwar in Ausübung der ihm durch§ 85 Abs 4a SGB V eingeräumten Gestaltungsfreiheit am 16. Dezember 2005 beschlossen: "Die im Beschluss vom 29.10.2004 in Teil III für den Zeitraum 1.4.2005 bis zum 31.12.2005 getroffene Regelung für die Bildung von Regelleistungsvolumen ist auch im Jahre 2006 anzuwenden. Die in diesem Beschluss getroffenen Vorgaben zur Steuerung arztgruppenspezifischer Auswirkungen und zur Ermittlung und Anwendung von Regelleistungsvolumen gelten weiter bis zum 31.12.2006." (Teil IV des Beschlusses vom 16. Dezember, DÄ aaO.). Hiermit hat der Erweiterte BewA aber lediglich die Geltungsdauer der in Teil III des Beschlusses vom 29. Oktober 2004 getroffenen Regelung insgesamt um ein Jahr verlängert, ohne die Regelung selbst inhaltlich zu verändern. Damit kann nicht angenommen werden, dass die bisherige Formulierung der Regelung unter Nr 2.2: "können diese bis zum 31. Dezember 2005 fortgeführt werden" in der Weise geändert werden sollte, dass es nunmehr heißen sollte: "können diese bis zum 31. Dezember 2006 fortgeführt werden". Die Verlängerung der Geltungsdauer des im Wortlaut unveränderten Teils III für das Jahr 2006 ändert deshalb nichts daran, dass die Übergangsregelung unter Nr 2.2 nur bis zum 31. Dezember 2005 galt.
Für dieses Ergebnis spricht auch der Charakter der Nr 2.2 als bloße Übergangsregelung. Das BSG (SozR 4-2500 § 85 Nr 54) hat die Rechtmäßigkeit der Nr 2.2 in Hinblick auf die gesetzliche Grundlage in § 85 Abs 4a S 1 iVm Abs 4 S 6 bis 8 SGB V nur unter Hinweis darauf angenommen, dass es unter dem Gesichtspunkt des Interesses derÄrzte an einer Kontinuität des Honorierungsumfangs und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität problematisch gewesen wäre, eine sofortige volle Übereinstimmung mit den Vorgaben des§ 85 SGB V erreichen zu wollen. Vielmehr sei es bei solchen Anpassungen sachgerecht, eine nur allmähliche Anpassung genügen zu lassen undübergangsweise noch Abweichungen zu tolerieren (BSG aaO. Rn 21). Mit einer weiter gehenden Verlängerung der Frist ginge der Übergangscharakter aber verloren, zumal der BewA in seiner 117. Sitzung die Geltungsdauer von Teil III des Beschlusses vom 29. Oktober 2004 in vergleichbarer Weise auch noch auf das Jahr 2007 ausgedehnt hat (DÄ 2006 103 (42), A-2818). Eine weitüber eine bloße Übergangsphase hinausgehende Geltungsdauer der Dispensvorschrift unter Nr 2.2 ist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2011 - B 6 KA 3/11 R - juris).
2. Nach alledem verletzt der HVM 2006 der Beklagten in zentralen Punkten die gesetzlichen Vorgaben und die bindenden Vorgaben des BewA. Er ist deshalb insgesamt unwirksam.
Zur Festsetzung der Honoraransprüche der Klägerin für die Quartale II und III/2006 wird die Beklagte deshalb zunächst einen HVM beschließen müssen, der arztgruppenbezogene RLV nach der im Beschluss des BewA vom 29. Oktober 2004 vorgesehenen Berechnungsweise enthält. Für die Ausnahmeregelung in der zwischen den Beteiligten umstrittenen Vorschrift des § 15 Abs 2 HVM - wonach der Prozentsatz der Gesamtpunktzahl, der zu einem festen Punktwert zu vergüten ist, schrittweise reduziert werden kann, wenn die Gesamtvergütung nicht ausreicht - ist dabei kein Raum, weil die genannte Prozentsatzregelung - wie dargelegt - insgesamt rechtswidrig ist. Allerdings ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, dem Umstand einer nicht ausreichenden Gesamtvergütung auch im System der nach § 85 Abs 4 S 7 und 8, Abs 4a S 1 SGB V zu bestimmenden RLV mit festen Punktwerten Rechnung zu tragen, indem die Punktwerte letztlich doch quotiert werden. Dies hat das BSG wiederholt unter Hinweis darauf entschieden, dass die Festlegung "absolut" fester Punktwerte unter der Geltung einer gedeckelten Gesamtvergütung von vornherein ausgeschlossen ist (SozR 4-2500 § 85 Nr 61; Urteil vom 14. Dezember 2011 - B 6 KA 3/11 R - juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision wird gem § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zugelassen, da der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus der Anwendung des § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).