Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 07.12.2011, Az.: L 2 R 335/11

Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung; Zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge; Materiellrechtliche Neuqualifizierung; Intertemporales Sozialrecht

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
07.12.2011
Aktenzeichen
L 2 R 335/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 43522
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1207.L2R335.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - AZ: S 2 R 138/09

Redaktioneller Leitsatz

1. Der Tatbestand des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV beinhaltet eine materiellrechtliche Frist.

2. Ungeachtet dessen, dass diese Vorschrift ihrerseits im Tatbestand hinsichtlich der maßgeblichen Frist auf die Verjährungsvorschrift des § 27 Abs. 2 SGB IV verweist, begründet § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV - ebenso wie die vorausgehende mit der Formulierung "Gleiches gilt" in Bezug genommene Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 SGB IV - nach seinem klaren Wortlaut keine Verjährung der Beitragserstattungsforderungen, sondern eine materiellrechtliche Umgestaltung der anfänglich zu Unrecht gezahlten Beiträge in zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge.

3. Mit dieser materiellrechtlichen Neuqualifizierung korrespondiert lediglich - ebenfalls materiellrechtlich - der Ausschluss von Erstattungsansprüchen; diese entfallen aufgrund der materiellrechtlichen Bewertungsänderung, aufgrund ihres materiellrechtlichen Wegfalls stellt sich gar nicht mehr die Frage ihrer Verjährung.

4. Nach den allgemeinen Grundsätzen für das intertemporale Sozialrecht ist ein Rechtssatz grundsätzlich auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden, nicht hingegen auf bereits verwirklichte Tatbestände.

5. Die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse beurteilen sich nach dem Recht, das zur Zeit der Anspruchsentstehung gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der am 1. Dezember 1951 geborene Kläger begehrt die Rückerstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Rentenversicherungsträger führt das Rentenkonto des Klägers.

Der Kläger ist seit August 1993 in dem von seiner Ehefrau geführten Unternehmen, welches sich insbesondere mit der Herstellung und dem Vertrieb von Reinigungs- und Poliermitteln befasst, beruflich tätig. Da die Ehefrau gegenüber der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen - als der zuständigen Einzugsstelle seinerzeit die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit durch ihren Ehemann angemeldet hatte, sind für diesen in den folgenden Jahren regelmäßig Beiträge zur Sozialversicherung und damit auch zur Rentenversicherung abgeführt worden.

Mit Anwaltsschreiben vom 22. November 2006 beantragte der Kläger bei der Einzugsstelle die Klärung seines sozialversicherungspflichtigen Status und machte geltend, dass er Mitunternehmer des nach außen allein von seiner Ehefrau geführten Unternehmens sei. Er sei Eigentümer des Betriebsgrundstückes und habe auch in ganz erheblichem Umfang Einzelbürgschaften für Firmenkredite übernommen. Nachdem im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren zunächst ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festgestellt worden war, hat das Sozialgericht Aurich auf die frühere gegen die Einzugsstelle gerichtete Klage des Klägers (S 8 KR 56/07) mit Urteil vom 28. Mai 2008 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass der Kläger seit August 1993 "nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt" gewesen sei. Dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.

Aufgrund dieses Urteils richteten der Kläger und seine Ehefrau im Juli 2008 ein Beitragserstattungsersuchen an die Einzugsstelle. Dabei erklärten sie namentlich, dass die zu Unrecht gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung nicht als Beiträge zur freiwilligen Versicherung beim Rentenversicherungsträger verbleiben sollten und dass auf die weiteren Rechte nach § 202 SGB VI sowie auf einen durch vorausgegangene Arbeitgeberprüfungen ggfs. vermittelten Bestandsschutz verzichtet werde.

Unter Hinweis auf eine in Teilen bereits eingetretene Verjährung der Erstattungsforderung leitete die Einzugsstelle diesen Antrag hinsichtlich der Rentenversicherungsbeiträge zur abschließenden Bearbeitung an die Beklagte weiter.

Im Oktober 2008 trat der Kläger seinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile an den für ihn entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen an die beigeladene Landessparkasse zu J. ab.

Mit Bescheid vom 11. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2009 entsprach die Beklagte dem Erstattungsbegehren des Klägers nur hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile für die für den Beitragszeitraum 1. Dezember 2003 bis 31. Mai 2008 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge und sprach dem Kläger diesbezüglich einen Erstattungsbetrag in Höhe von 18.833,79 EUR zu. Für die vorausgegangenen Tätigkeitszeiträume vom 1. August 1993 bis zum 30. November 2003 lehnte sie hingegen eine Beitragserstattung insbesondere auch bezogen auf die Arbeitnehmeranteile mit der Begründung ab, dass dieser Anspruch nach Maßgabe des § 26 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV bereits verjährt sei.

Mit der am 6. Mai 2009 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass ein Antrag auf Rückerstattung der Rentenversicherungsbeiträge vor Abschluss des vorausgegangenen Verfahrens S 8 KR 56/07 "objektiv nicht möglich" gewesen sei. Hätte die Einzugsstelle alsbald den in dem vorausgegangenen Verfahren geltend gemachten Anspruch auf Feststellung des Fehlens eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses anerkannt, hätte er den Beitragsrückerstattungsantrag bereits vor der Neufassung des § 26 Abs. 1 SGB IV stellen können.

Anlass für die Stellung des Statusfeststellungsantrages im Jahr 2006 sei gewesen, dass er für das Unternehmen der Familie zusätzliche finanzielle Mittel benötigt habe (vgl. die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Äußerungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung).

Mit Urteil vom 10. Mai 2011 hat das Sozialgericht Aurich die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückerstattung der für den streitbetroffenen Zeitraum von ihm entrichteten Beiträge, da diese unter Berücksichtigung der zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Neufassung des § 26 Abs. 1 SGB IV bedingt durch den Ablauf der Vierjahresfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV als mit Rechtsgrund entrichtete Pflichtbeiträge zu werten seien. Das Gesetz enthalte auch keine Übergangsregelung, die eine Heranziehung der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage zugunsten des Klägers ermögliche.

Es bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die lediglich eine sog. unechte Rückwirkung beinhaltende und als solche grundsätzlich zulässige Neufassung des § 26 Abs. 1 SGB IV. Ein die öffentlichen Interessen überwiegendes Individualinteresse des Klägers sei nicht ersichtlich.

Gegen dieses ihm am 16. Mai 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 27. Mai 2011. Er vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt hervor, dass er den Statusfeststellungsantrag bereits mehr als ein Jahr vor der Neufassung des § 26 Abs. 1 SGB IV gestellt habe. Richtigerweise hätte die Beklagte seinem Feststellungsbegehren spätestens im Sommer 2007 entsprechen müssen.

Ende 2005 habe es "in den Medien" eine "massive Berichterstattung" zur sozialversicherungsrechtlichen Einordnung von mitarbeitenden Familienangehörigen gegeben, die dem Unternehmen Kapital zur Verfügung gestellt hätten. Diese habe ihn dazu bewogen, den Statusfeststellungsantrag zu stellen.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 10. Mai 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 11. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2009 aufzuheben und

2. die Beklagte zu verpflichten, die für ihn für den Zeitraum 1. August 1993 bis 30. November 2003 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe jeweils des Arbeitnehmeranteils an die Beigeladene zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Kläger hat bezogen auf den streitbetroffenen Beitragszeitraum vom 01. August 1993 bis 30. November 2003 keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten erworben, so dass er entsprechende Ansprüche auch nicht mehr nach Abtretung an die Beigeladene mit der von dieser zum Ausdruck gebrachten Ermächtigung im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft verfolgen kann. Es fehlt an der erforderlichen Anspruchsgrundlage. Die allein in Betracht zu ziehende Anspruchsgrundlage des § 26 Abs. 2 SGB IV sieht eine Erstattung nur für "zu Unrecht" entrichtete Beiträge vor. Die Beiträge, bezüglich derer eine Erstattung noch streitig ist, gelten inzwischen jedoch als "zu Recht" entrichtete Pflichtbeiträge.

Die für den Kläger getragenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gelten nach § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV als zu Recht entrichtete Beiträge, weil sie nicht mehr beanstandet werden können. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gelten Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Gleiches gilt nach § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV (angefügt mit Wirkung zum 1. Januar 2008 durch Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007 - SGB IV ÄndG - BGBl I, 3024) für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV bestimmten Frist. Nach letzterer Vorschrift verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Diese zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Regelung (Art. 21 SGB IV ÄndG) hat zur Folge, dass auch anfänglich zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gleichwohl nach vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entrichtet worden sind, als zu Recht entrichtete Beiträge gelten und damit nicht mehr erstattungsfähig sind.

Da die Beiträge für die streitbetroffenen Beitragszeiträume vom 1. August 1993 bis 30. November 2003 bis Ende 2003 entrichtet worden sind, gelten diese seit dem 1. Januar 2008 aufgrund des Inkrafttretens des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV und des Verstreichens der Vierjahresfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV als zu Recht entrichtete Beiträge. Bezüglich solcher Beiträge sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Erstattung vor.

Der Tatbestand des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV beinhaltet seinerseits eine materiellrechtliche Frist. Ungeachtet dessen, dass diese Vorschrift ihrerseits im Tatbestand hinsichtlich der maßgeblichen Frist auf die Verjährungsvorschrift des § 27 Abs. 2 SGB IV verweist, begründet § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV - ebenso wie die vorausgehende mit der Formulierung "Gleiches gilt" in Bezug genommene Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 SGB IV - nach seinem klaren Wortlaut keine Verjährung der Beitragserstattungsforderungen, sondern eine materiellrechtliche Umgestaltung der anfänglich zu Unrecht gezahlten Beiträge in zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Mit dieser materiellrechtlichen Neuqualifizierung korrespondiert lediglich - ebenfalls materiellrechtlich - der Ausschluss von Erstattungsansprüchen. Diese entfallen aufgrund der materiellrechtlichen Bewertungsänderung. Aufgrund ihres materiellrechtlichen Wegfalls stellt sich gar nicht mehr die Frage ihrer Verjährung.

Diese auch die Beklagte bindende materiellrechtliche Ausgestaltung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV hat zugleich zur Folge, dass verjährungsrechtliche Vorgaben nicht heranzuziehen sind. Namentlich kommt keine Hemmung der Vierjahresfrist in Anwendung des § 198 Satz 2 SGB VI in Betracht; auch verfügt die Beklagte über kein Ermessen, welches ihr die Möglichkeit eines Absehens von den Rechtsfolgen des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV einräumen könnte (vgl. demgegenüber zur Pflicht, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung einer Verjährungseinrede zu treffen, etwa BSG, U.v. 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R - SozR 4-2400 § 27 Nr. 1).

Auch die Grundsätze des intertemporalen Sozialrechts geben keinen Anlass, den Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV in einem Sinne zu interpretieren, dass die vorliegend streitbetroffenen Beitragszahlungen von dieser Norm noch nicht erfasst werden könnten.

Das SGB IV ÄndG enthält keine ausdrückliche Übergangsregelung; § 300 SGB VI bezieht sich nur auf Ansprüche nach dem SGB VI. Damit bestimmt sich der zeitliche Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB grundsätzlich nach den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen, soweit diese Norm nicht ihrerseits im Sinne eines weitergehenden zeitlichen Anwendungsbereiches zu interpretieren ist.

Nach den allgemeinen Grundsätzen für das intertemporale Sozialrecht ist ein Rechtssatz grundsätzlich auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden, nicht hingegen auf bereits verwirklichte Tatbestände und schon Ansprüche. Die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse beurteilen sich nach dem Recht, das zur Zeit der Anspruchsentstehung gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimmt (BSG, U.v. 27. August 2008 - B 11 AL 11/07 R - SozR 4-4300 § 335 Nr. 1 m.w.N.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, U.v. 21.01.2011 - L 4 KR 4672/10 -).

Allerdings entsteht ein Erstattungsanspruch grundsätzlich bereits mit der Zahlung der zu Unrecht entrichteten Beiträge; er ist von Amts wegen zu erfüllen (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 26 SGB IV, Rn. 12). Dementsprechend zählt die in § 26 Abs. 2 SGB IV erwähnte Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nicht zu den tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs.

Unter Berücksichtigung der mit der Neuregelung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV verfolgten Zielrichtung, wie diese namentlich auch in den Gesetzesmaterialien verdeutlicht wird, darf diese Vorschrift aber gleichwohl nicht so verstanden werden, als dass von ihr nur solche Beiträge erfasst werden sollen, die erst nach ihrem Inkrafttreten entrichtet worden sind (und bezüglich derer die Vierjahresfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV verstrichen ist).

Ein solches Normenverständnis, nach dem diese Norm erstmals nach Ablauf von vier vollen Kalenderjahren nach dem Durchlaufen eines Beitragszahlungszeitraumes nach ihrem Inkrafttreten, d.h. erstmals ab dem Jahr 2013, bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung im Übrigen lediglich einer Erstattung von Beiträgen für Beitragszeiträume ab dem Jahr 2008, bezüglich derer die Vierjahresfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV verstrichen ist, entgegenstehen würde, widerspräche dem Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat die Norm vielmehr mit dem Ziel eingeführt, zeitnah eine Geltendmachung von Erstattungsansprüchen für mehr als vier volle Jahre zurückliegende Beitragszeiträume zu verhindern.

In der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber seinen Willen zur zeitnahen Korrektur der bisherigen Rechtslage zum Ausdruck gebracht, wonach zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Einzelfall (jedenfalls in vielen Fallgestaltungen) viele Jahre rückwirkend erstattet werden mussten. Um dies zu vermeiden, sollten mit der Neuregelung zu Unrecht entrichtete Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung nach Ablauf der Frist von vier Kalenderjahren (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV) als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge gelten. Damit bleiben die Beiträge als solche erhalten, eine Erstattung ist nicht möglich. Es entsteht damit insbesondere keine Schlechterstellung gegenüber der Situation, wenn der Antragsteller tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/6540, S 18).

Im Interesse der vom Gesetzgeber angestrebten zeitnahen Umsetzung der Neuregelung ist diese auf alle zurückliegende Beitragszahlungen anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob vor Inkrafttreten bereits ein Erstattungsanspruch bestanden haben mag. Für diese Norminterpretation spricht auch, dass der Gesetzgeber in § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV nicht unmittelbar einen Erstattungsanspruch ausgeschlossen, sondern vielmehr primär unter den dort normierten tatbestandlichen Voraussetzungen das Erstarken von zunächst rechtswidrigen Beiträgen in zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge normiert hat, wodurch im Übrigen in vielen Fallgestaltungen gerade die Versicherten begünstigt werden. Erst mittelbar ergibt sich aus dieser Umgestaltung der beitragsrechtlichen Bewertung der tatsächlich erfolgten Beitragszahlungen ein Ausschluss eines eventuellen Beitragserstattungsanspruchs.

Im vorliegenden Verfahren kann dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich der heranzuziehenden Gesetzesfassung Abweichendes gilt, falls bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV ausdrücklich ein Antrag auf Erstattung von (Renten-)Versicherungsbeiträgen gestellt worden wäre (wie dies auch bereits vor Abschluss des früheren Statusfeststellungsverfahrens in Betracht gekommen wäre). Jedenfalls im vorliegenden Fall ist ein solcher Antrag erstmals im Juli 2008 und damit erst nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift gestellt worden.

Weder ein Antrag nach § 7a SGB IV noch ein Antrag nach § 28h Abs. 2 SGB IV auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status beinhaltet als solcher zugleich einen Antrag auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (vgl. dazu und zum folgenden: LSG Baden-Württemberg, aaO.). Das Verwaltungsverfahren zur Erstattung von Beiträgen kann nicht als bloßer Annex des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung des Status nach § 7a SGB IV oder nach § 28h Abs. 2 SGB IV angesehen werden, sondern es handelt sich um zwei getrennte Verwaltungsverfahren. Insbesondere ist die Erstattung von zu Unrecht entrichteten Beiträgen namentlich zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht zwangsläufige Folge eines Feststellungsverfahrens, mag dieses auch zu der Feststellung geführt haben, die geprüfte Tätigkeit sei keine versicherungspflichtige.

Die Erstattung von zu Unrecht entrichteten Beiträgen setzt nicht nur die fehlende Versicherungspflicht zu dem betroffenen Zweig der Sozialversicherung voraus, vielmehr ist insbesondere weiter zu klären, ob nicht aufgrund ihrer bereits Leistungen im Sinne des § 26 Abs. 2 SGB IV erbracht worden sind.

Des Weiteren ist der vermeintlich Versicherte nicht verpflichtet, sich zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstatten zu lassen. Vielmehr ist es letztlich seine Entscheidung, ob er die Erstattung begehrt oder nicht. Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung hat er nach § 202 Satz 1 SGB VI die Möglichkeit, die entrichteten Beiträge als freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung fortbestehen zu lassen. Nach dieser Vorschrift gelten Beiträge, die in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht gezahlt und deshalb beanstandet worden sind, aber nicht zurückgefordert werden, als freiwillige Beiträge. Über diese Möglichkeit hat der Rentenversicherungsträger den vermeintlich Versicherten vor einer Erstattung zu beraten.

Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die erläuterte Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV. Namentlich werden weder Grundrechte des Klägers missachtet noch schutzwürdiges Vertrauen unzulässigerweise enttäuscht.

Das Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007 ist erst nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten (vgl. Art. 21 Abs. 1); damit liegt von vornherein kein Fall einer echten Rückwirkung vor. Die Regelung nimmt allerdings eine sog. tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. dazu BVerfG, B.v. 14. Mai 1986 - 2 BvL 2/83 - E 72, 200, Juris-Rz. 92) vor (wie sie auch als unechte Rückwirkung bezeichnet wird), indem sich der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich auch auf vor dem Inkrafttreten bereits erfolgte Beitragsentrichtungen erstreckt. Diese sind - nach Ablauf der Frist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV - auch dann als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge zu berücksichtigen, mögen diese auch bis zum Inkrafttreten des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV als zu Unrecht entrichtete Beiträge zu bewerten gewesen sein. Damit korrespondiert der Wegfall von Erstattungsansprüchen bezüglich der von der Neuregelung betroffenen Beitragszahlungen.

Tatbestandliche Rückanknüpfungen können vorrangig zunächst Grundrechte berühren, die mit der Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals vor Verkündung der Norm "ins Werk gesetzt" worden sind. In die damit erforderliche grundrechtliche Bewertung fließen insbesondere die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit (hier beschränkt auf den Gesichtspunkt der Vergangenheitsanknüpfung) in der Weise ein, wie dies allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht (BVerfG, aaO., Rz. 91).

Auch soweit vor Inkrafttreten des SGB IV ÄndG entstandene Beitragserstattungsansprüche dem grundrechtlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG unterfielen, lässt sich ein rechtswidriger Eingriff in dieses Grundrecht nicht feststellen. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV lediglich eine Inhaltsbestimmung des geschützten Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG mit der Maßgabe vorgenommen, dass an Stelle des Anspruchs bzw. der Anwartschaft auf eine Beitragserstattung eine Rentenanwartschaft getreten ist. Zutreffend weist die Gesetzesbegründung (aaO.) darauf hin, dass damit die Beiträge als solche "erhalten" bleiben. Es entsteht im Ergebnis insbesondere keine Schlechterstellung gegenüber der Situation, wenn der Antragsteller tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre, wovon er selbst bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Versicherungspflicht bzw. bis zur Beantragung einer solchen auch (jedenfalls im Regelfall) ausgegangen sein dürfte.

Diese Inhaltsbestimmung stellt sich als durch wichtige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt dar. Soweit die bis 2007 geltende Rechtslage jedenfalls in vielen Fallgestaltungen weit zurückreichende Erstattungsansprüche vorsah, widersprach dies bereits dem Versicherungsgedanken. Die Feststellung eines atypischen Ausnahmefalls, aufgrund dessen beispielsweise ein mitarbeitender Familienangehöriger ungeachtet seiner Anmeldung als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer ausnahmsweise doch nicht der Versicherungspflicht unterlag, hängt in der Praxis vielfach von unternehmensinternen Details ab, bezüglich derer zwar der Versicherte und sein (möglicher) Arbeitgeber, nicht aber die Sozialleistungsträger Kenntnis haben. Damit eröffnete die frühere Rechtslage in vielen Fällen die Möglichkeit, zunächst einmal Beiträge zu entrichten, um im eventuellen Versicherungsfall unter Versicherungsschutz zu stehen, diese aber gleichwohl unter Offenlegung der besonderen Umstände des Einzelfalls zurückzufordern, wenn sich im Laufe der Zeit der Nichteintritt eines solchen Versicherungsfalls ergab.

Darüber hinaus tangierte die frühere Rechtslage auch das Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, wonach - abgesehen von wenigen ausdrücklich geregelten Ausnahmen - Beiträge, und zwar nicht nur Pflichtbeiträge, sondern auch freiwillige Beiträge, gerade nicht zurückgefordert werden können. Mit diesem Grundsatz soll die soziale Absicherung des Betroffenen auch unabhängig von späteren Willensänderungen und damit in der Praxis insbesondere auch unabhängig von eventuellen nachfolgenden finanziellen Engpässen des Versicherten sichergestellt werden (vgl. etwa auch die im vorliegenden Fall erfolgte Abtretung der streitigen Beitragserstattungsforderung an eine Bank). Diese Absicherung dient auch dem öffentlichen Interesse, da ansonsten vielfach der mit einer Beitragsrückforderung verbundene Wegfall von Leistungsansprüchen im Leistungsfall zu einer Inanspruchnahme anderweitiger aus Steuermitteln zu finanzierender Sozialleistungen namentlich in Form der Sozialhilfe führen würde.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsverkehr klare Verhältnisse benötigt und deshalb vor einer Verdunklung der Rechtslage bewahrt bleiben soll, wie sie bei späterer Geltendmachung von Rechtsansprüchen auf Grund längst vergangener Tatsachen zu befürchten wäre. Diese Erwägungen treffen auch auf die Beitragserstattungsansprüche Beschäftigter zu. Diese setzen voraus, dass die tatsächlichen Umstände einer Beschäftigung für den gesamten Erstattungszeitraum ermittelt werden. Derartige Umstände lassen sich für die Vergangenheit jedoch erfahrungsgemäß nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten nachweisen (BSG, U.v. 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R - SozR 4-2400 § 27 Nr. 1). Auch dies spricht für die mit § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV im Ergebnis in zeitlicher Hinsicht begrenzte Möglichkeit einer Geltendmachung von Beitragserstattungsansprüchen.

Schutzwürdige Interessen der betroffenen Versicherten stehen der erläuterten Inhaltsbestimmung nicht entgegen. Dabei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass ohnehin in rentenrechtlichen Anwartschaften von vornherein die Möglichkeit von Änderungen angelegt ist. Eine Unabänderlichkeit der bei ihrer Begründung bestehenden Bedingungen widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das im Unterschied zu einem privaten Versicherungsverhältnis von Anfang an nicht allein auf dem Versicherungsprinzip, sondern auch auf dem Gedanken des sozialen Ausgleichs beruht (BVerfG, B.v. 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/08, 1 BvR 555/09 - SozR 4-2600 § 77 Nr. 9). Dies gilt nicht nur für Renten-, sondern gleichermaßen auch für Beitragserstattungsanwartschaften.

Die Umwandlung rechtswidriger Beiträge in zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge nach Ablauf der Frist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV entspricht typischerweise ohnehin auch dem eigenen wohlverstandenen Interesse des Versicherten. Dies gilt in besonderem Maße in Fallgestaltungen, in denen dieser nur eine Erstattung der Arbeitnehmeranteile beanspruchen könnte.

Als schutzwürdig kann bei dieser Ausgangslage ein eventuelles Vertrauen in den Fortbestand der bis 2007 geltenden Rechtslage um so weniger angesehen werden, als auch das seinerzeit geltende Recht die Möglichkeit einer Verjährung einer Beitragserstattungsforderung grundsätzlich kannte (§ 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Lediglich bedingt dadurch, dass im Falle einer Beanstandung der Rechtswirksamkeit von Beiträgen die Verjährung erst mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beanstandung begann und dass die Rechtsprechung u.a. als Beanstandung regelmäßig auch Bescheide gewertet hat, mit denen etwa über die Erstattung der danach zu Unrecht entrichteten Beiträge entschieden worden ist (vgl. BSG, U.v. 24. Juni 2010 - B 10 LW 4/09 R - E 106, 239), verblieb für die Geltendmachung einer Verjährungseinrede vielfach kein Anwendungsbereich.

Soweit dabei die zitierte Rechtsprechung darauf abgestellt hat, dass ein auf der erfolgten Beitragsentrichtung beruhender Vorsorgeplan des Versicherten durch die Beanstandung enttäuscht worden sei (BSG, aaO.), war ohnehin festzuhalten, dass von einer solchen "Enttäuschung" nur schwerlich gesprochen werden konnte, wenn der Versicherte selbst durch das nachträgliche Geltendmachung besonderer Umstände die in der vom Arbeitgeber vorgenommenen Anmeldung zur Sozialversicherung zum Ausdruck gebrachte und zunächst auch von dem Rentenversicherungsträger bzw. der Einzugsstelle in diesem Sinne bewertete Annahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses selbst zu Fall gebracht hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).