Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 12.12.2011, Az.: L 11 AS 79/11 B ER
Widerlegung der Vermutung einer Verantwortungsgemeinschaft und Einstehensgemeinschaft; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 12.12.2011
- Aktenzeichen
- L 11 AS 79/11 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 35950
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1212.L11AS79.11B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 10.12.2010 - AZ: S 17 AS 5444/10 ER
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II
- § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II
- § 86b Abs. 2 SGG
Redaktioneller Leitsatz
1. Abgrenzung von Wohngemeinschaften zu Einstandsgemeinschaften im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II in einem Einzelfall. Widerlegung der Vermutung in § 7 Abs. 3a SGB II.
2. Nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II ist ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen im Sinne von § 7a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II zu vermuten, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen leben. Bei dieser Vermutung handelt es sich um die gesetzliche Vermutung von Tatsachen - es wird aus einer tatbestandsfremden Tatsache auf das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals geschlossen. Aus dem Vorliegen des Vermutungstatbestandes wird auf den Willen zum Führen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft und daraus wieder auf das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals geschlossen, also auf das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft. Der Gegenbeweis beziehungsweise im einstweiligen Anordnungsverfahren die Glaubhaftmachung des Gegenteils ist jederzeit möglich. Insofern kommt es auf die richterliche Überzeugungsbildung an. Dabei dürfen aber an den Gegenbeweis nicht so hohe Anforderungen gestellt werden, dass er im Ergebnis unmöglich wird. Den Hilfesuchenden muss eine realistische Möglichkeit zur Verfügung, die vom Gesetzgeber gemutmaßte Unterstützung durch Dritte zu widerlegen, wenn diese nicht tatsächlich zur Verfügung steht. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens in vollem Umfang.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um die Höhe des Anspruchs der Antragstellerin auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die 1964 geborene Antragstellerin steht seit November 2008 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner. Bereits zuvor hatte sie in G. Grundsicherungsleistungen bezogen. Schon damals lebte sie mit Herrn H. I. zusammen, der sich damals noch J. nannte. Im November 2008 verzog sie zusammen mit Herrn I., der behindert und pflegebedürftig ist, in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners und zog in die jetzige Wohnung zusammen mit Frau K. L. und deren Tochter M. ein. Bei ihrem erstmaligen Antrag gab sie an, sie sei noch mit Frau N. O. verheiratet, die ihr indessen keinen Unterhalt gewähren könne, da sie selbst Sozialhilfeempfängerin und pflegebedürftig sei. Frau L. gab anlässlich der Antragstellung an, ihre Tochter M. erhalte Kindergeld und Unterhaltsleistungen von ihrem Vater, dem vormaligen Ehemann von Frau L ... Unterhaltsleistungen von ihrer früheren Lebenspartnerin, Frau P. L., erhalte sie nicht (vgl. zur Abtretung etwaiger Unterhaltsansprüche von Frau K. L. gegenüber Frau P. L. an den Antragsgegner: Abtretungserklärung, Bl. 92 Verwaltungsakte).
Ab November 2008 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen. Er ging dabei vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau L. und ihrer Tochter aus. Herrn I. sah der Antragsgegner nie als Teil der Bedarfsgemeinschaft an.
Ab April 2009 schieden Frau L. und ihre Tochter aus der Bedarfsgemeinschaft aus, da Frau L. ein Studium der Sozialpädagogik aufgenommen hatte und insoweit ein laufendes Ausbildungsdarlehen bezog. In der Folge gewährte der Antragsgegner allein der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen, wobei die Kosten der Unterkunft (KdU) jeweils nur im Hinblick auf ihren Anteil an den Gesamtkosten an der weiterhin in derselben Konstellation bewohnten Wohnung wird, übernommen wurden. Zuletzt mit Bescheid vom 7. Mai 2010 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Juni bis November 2010 in Höhe von monatlich 507,61 Euro.
Ab dem 6. September 2010 nahm Frau L., die ihre Ausbildung beendet hatte, eine Tätigkeit in einer Schule auf. Die Antragstellerin beantragte am 19. Oktober 2010, ihr weiterhin Grundsicherungsleistungen zu zahlen. Am 21. Oktober 2010 wandte sich der Antragsgegner an die Landesschulbehörde und bat um Auskunft über die Höhe des Einkommens von Frau L., welche ihr durch die Landesschulbehörde am 1. November 2010 erteilt wurde.
Mit hier streitigem Bescheid vom 18. November 2010 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Dezember 2010 bis Mai 2011 in Höhe von monatlich 256,02 Euro. Er ging dabei von einem monatlichen Regelsatzbedarf in Höhe von 323,- Euro und einen KdU-Bedarf in Höhe von 184,61 Euro aus. Die Leistungen überwies der Antragsgegner nunmehr nicht mehr auf das Konto der Antragstellerin, sondern auf das Konto von Frau L., ohne dass es insoweit zu einer Änderung oder einem diesbezüglichen Wunsch seitens der Antragstellerin gekommen war.
Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und beantragte am 26. November 2010 bei dem Sozialgericht (SG) Braunschweig die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Sie machte geltend, Einkommen von Frau L. dürfe bei ihr nicht berücksichtigt werden. Sie bildeten eine Haushaltsgemeinschaft und keine Bedarfsgemeinschaft. Das ergebe sich schon daraus, dass Frau L. noch verheiratet sei. Sowohl sie als auch Frau L. hätten jeweils bereits zwei Ehen hinter sich und derart Erfahrungen gemacht, dass sie nicht mehr bereit seien, finanzielle Verantwortung für andere zu übernehmen.
Der Antragsgegner führte am 3. Dezember 2010 einen Hausbesuch durch und fertigte insoweit ein Protokoll an, auf das Bezug genommen wird.
Das SG hat am 8. Dezember 2010 einen Erörterungstermin durchgeführt und dabei sowohl die Antragstellerin als auch Frau L. ausführlich gehört. Insoweit wird auf das Protokoll des Erörterungstermins Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 10. Dezember 2010 verpflichtete das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung der Antragstellerin bis Mai 2011 weitere monatliche Leistungen in Höhe von 295,59 Euro zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, es liege zwischen der Antragstellerin und Frau L. keine Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vor. Das Gericht habe sich davon überzeugt, dass der Vortrag der Antragstellerin, wonach sie und Frau L. zwar eine Liebesbeziehung hätten, aber nicht gewillt seien, füreinander wirtschaftliche Verantwortung zu übernehmen, zutreffe. Dies zugrunde gelegt, handele es sich nicht um eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Grundsicherungsrechtes, weshalb auch Einkommen von Frau L. nicht auf den grundsicherungsrechtlichen Anspruch der Antragstellerin anzurechnen sei.
Gegen den am 15. Dezember 2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 12. Januar 2011 Beschwerde eingelegt. Er ist zunächst der Auffassung, das vom SG Zugesprochene gehe über das von der Antragstellerin Beantragte hinaus. Sodann hat sich der Antragsgegner mit der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts auseinandergesetzt und im Wesentlichen dargelegt, nach seiner Auffassung müsse von einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden. Dies ergebe sich zunächst aus dem Abschluss eines gemeinsamen Mietvertrages. Daneben ergebe sich die finanzielle Verwobenheit der Antragstellerin und von Frau L. auch daraus, dass diese einander jeweils Kontobevollmächtigungen ausgestellt hätten. Dass die Antragstellerin und Frau L. kein gemeinsames Konto führten, spreche nicht gegen das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, denn dies sei auch in Ehen nicht immer üblich. Weiter hätten die Antragstellerin und Frau L. anlässlich des Erörterungstermins eingeräumt, eine Liebensbeziehung miteinander zu haben. Schon daraus müsse darauf geschlossen werden, dass sie auch Willens seien finanziell füreinander einzustehen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin und Frau L. gemeinsam Herrn I., den vormaligen Lebensgefährten der Antragstellerin pflegten. Auch dies deute darauf hin, dass es sich hier um eine Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne des Grundsicherungsrechts handele.
Die nunmehr anwaltlich vertretene Antragstellerin ist dem entgegengetreten.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) glaubhaft gemacht hat. Die Antragstellerin hat sowohl die Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund) als auch einen Anspruch in der Sache (Anordnungsanspruch) nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch erforderlichen, summarischen Prüfung glaubhaft gemacht (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO).
Der Antragsgegner kann dem zunächst nicht entgegenhalten, das SG habe der Antragstellerin mehr zugesprochen, als von dieser beantragt worden sei und damit gegen §§ 153 Abs 1, 92 SGG verstoßen. Insoweit hat zunächst die nunmehr von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren beauftragte Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 17. Februar 2011 klar gestellt, dass die Antragstellerin der Sache nach auch die Zuerkennung des vollen Regelsatzes beansprucht. Zudem hat die Antragstellerin anlässlich ihrer Antragstellung bei der Rechtsantragsstelle des SG ausdrücklich den vollen Regelsatz in Höhe von 359,- Euro geltend gemacht. Außerdem war das SG in Anwendung von§ 123 SGG - wie der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners durchaus sieht - nicht an die Fassung der Anträge durch die Antragstellerin gebunden. Im Zweifel hat das Gericht bei der Anwendung dieser Norm davon auszugehen, dass der Antragsteller das beantragen wollte, was ihm am Besten zum Ziel verhilft, wobei anzunehmen ist, dass er alles zugesprochen haben möchte, was ihm auf Grund des Sachverhalts zusteht (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 123 Rn 3). Von daher war das SG prozessual berechtigt, das Begehren der Antragstellerin in der Weise zu verstehen, dass damit der gesamte Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zur Überprüfung gestellt werden sollte, wie es auch der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) entspricht (vgl. etwa: BSG, Urteil vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 62/06 R, Rn 16).
Der Antragsgegner kann dem geltend gemachten Anspruch insbesondere nicht entgegenhalten, das Einkommen der Frau Brüninghaus müsse bei der Berechnung des grundsicherungsrechtlichen Anspruchs der Antragstellerin berücksichtigt werden. Der Senat hat im hier vorliegenden, ganz besonders gelagerten Einzelfall nicht mit der für die Versagung des Anspruchs erforderlichen Gewissheit feststellen können, dass die Antragstellerin und Frau L. neben ihrer - von ihnen eingeräumten - emotionalen Verbundenheit auch willens sind, finanziell füreinander einzustehen.
Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung zunächst Bezug auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des SG in seinem hier angefochtenen Beschluss vom 10. Dezember 2010 (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).
Ergänzend sieht sich der Senat veranlasst, auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen:
Der Senat stimmt zunächst dem Antragsgegner insoweit zu, als es hier auf die Entscheidung der Kontroverse zwischen dem 9. und dem 13. Senat des Landessozialgerichts (LSG), wie das Tatbestandsmerkmal "zusammenleben" in § 7 Abs 3a Nr 1 SGB II auszulegen ist, vorliegend nicht ankommt. Auch nach der engen Auffassung des 9. Senats wäre hier wohl von einem "Zusammenleben" im Sinne des Gesetzes auszugehen, da - wie die Antragstellerin und Frau L. anlässlich des Erörterungstermins des SG auch eingeräumt haben - eine sehr verdichtete Form des Zusammenwohnens vorliegt, die wohl auch die Anforderungen, die der 9. Senat in ständiger Rechtsprechung stellt, erfüllt (vgl. etwa Beschlüsse vom 2. Dezember 2008, L 9 AS 509/08 ER; vom 4. Dezember 2008, L 9 AS 467/08 ER; vom 10. September 2007, L 9 AS 439/07 ER; vom 3. August 2006, L 9 AS 349/06 = info also 2006,266f; dem 9. Senat insoweit zustimmend etwa Berlit, juris PR SozR 18/2006 Anm. 1; Loose in Hohm, GK SGB II, § 7 Rn 67; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rn 56a; Thie/Schoch in LPK SGB II, 4. Aufl., § 7 Rn 79).
Dies ergibt sich für den beschließenden Senat zunächst und zentral daraus, dass die Antragstellerin und Frau L. übereinstimmend und in sich widerspruchsfrei angeben, sie führten seit mindestens November 2008 auch eine Liebesbeziehung und führten ihren Haushalt auch in einer besonders engen Form zusammen, die über das hinausgehen dürfte, was auch in besonders vertrauten und langjährigen Wohngemeinschaften üblich sein dürfte. Hinzu kommt auch die gemeinsame Pflege von Herrn I ... Auch dies dürfte über das hinausgehen, was in Wohngemeinschaften noch üblich ist.
Damit tritt die Vermutungswirkung von § 7 Abs 3a Nr 1 SGB II ein. Nach dieser Vorschrift ist ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen im Sinne von § 7a Abs 3 Nr 3c SGB II zu vermuten, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen leben. Bei dieser Vermutung handelt es sich um die gesetzliche Vermutung von Tatsachen - es wird aus einer tatbestandsfremden Tatsache auf das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals geschlossen (Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl., § 7 SGB II Rn 17 auch zum Nachstehenden). Aus dem Vorliegen des Vermutungstatbestandes wird auf den Willen zum Führen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft und daraus wieder auf das Vorliegen des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals geschlossen, also auf das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft. Der Gegenbeweis beziehungsweise im einstweiligen Anordnungsverfahren die Glaubhaftmachung (Thie/Schoch, aaO., Rn 84) des Gegenteils ist jederzeit möglich (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn 48). Insofern kommt es auf die richterliche Überzeugungsbildung an. Dabei dürfen aber an den Gegenbeweis nicht so hohe Anforderungen gestellt werden, dass er im Ergebnis unmöglich wird (Thie/Schoch, aaO., Rn 85; vgl. auch schon Wenner in Soziale Sicherheit, 2006, 146, 147). Dies ergibt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht auch schon daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 nochmals darauf hingewiesen hat, dass Hilfesuchende nicht auf Ansprüche gegen andere verwiesen werden dürfen, die sie nicht durchsetzen können, weil ihnen insoweit kein subjektives Recht zur Seite steht (1 BvL 1/09 u.a., Rn 136). Auch hieraus ergibt sich, dass den Hilfesuchenden eine realistische Möglichkeit zur Verfügung stehen muss, die vom Gesetzgeber gemutmaßte Unterstützung durch Dritte zu widerlegen, wenn diese nicht tatsächlich zur Verfügung steht. Dies hat auch der Gesetzgeber schon so gesehen, der in den Gesetzesmaterialien von der Möglichkeit des Gegenbeweises ausgeht und die Entkräftung der Vermutung zulässt (BT Drs 16/1410, S. 19; vgl. auch den Hinweis bei Spellbrink aaO.). Insoweit muss zwar mehr vorliegen als die bloße Behauptung, die vom Gesetz vermutete Unterstützung werde nicht geleistet, die Anforderungen an den Vortrag dürfen insoweit aber eben auch nicht überspannt werden.
Insoweit hat das SG sich durch die Durchführung des Erörterungstermins und die persönliche Anhörung der Antragstellerin und der Zeugin L. die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren höchst mögliche Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit der zu Grunde liegenden Angaben verschafft.
Die Antragstellerin und Frau L. haben die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs 3a SGB II durch ihren auch für den Senat glaubhaften Vortrag und ihre Aussagen anlässlich des Erörterungstermins des SG am 8. Dezember 2010 erschüttert, so dass sich auch der Senat nicht mit der auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren notwendigen Überzeugungsgewissheit (vgl. hierzu nochmals Spellbrink aaO., Rn 50) vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II überzeugen kann. Beide haben übereinstimmend und voneinander unabhängig ausgesagt, sie seien angesichts ihrer Vorerfahrungen (jeweils zwei Ehen bzw. eingetragene Partnerschaften) nicht mehr bereit, auch finanzielle Verantwortung für einen Lebensabschnittpartner zu übernehmen. Der Senat hält dies mit dem SG insgesamt für glaubwürdig.
Das ergibt sich für den Senat auch daraus, dass die Antragstellerin keine Betreuungspflichten gegenüber der Tochter von Frau L. übernimmt. Insoweit haben die Antragstellerin und Frau L. bereits im November 2008 (vgl. Bl. 64 in Band I des vorgelegten Verwaltungsvorgangs) angegeben, sowohl Frau L. als auch der Kindsvater lehnten es ab, dass die Antragstellerin Verantwortung oder Pflichten hinsichtlich des Kindes übernehme. Auch damals ist schon auf die Beziehungsgeschichte der Beteiligten hingewiesen worden, die auch bei dem Kind durch die vorangegangenen Trennungen von Bezugspersonen bereits zu Brüchen und Enttäuschungen geführt habe. Dies haben die Antragstellerin und Frau L. anlässlich des Erörterungstermins erneut überzeugend dargelegt. Warum der Antragsgegner dies in seiner Beschwerdeschrift für lebensfremd hält und deswegen sogar den Vermutungstatbestand von § 7 Abs 3a Nr 3 SGB II (Versorgung von Kindern im Haushalt) für verwirklicht hält, hat er nicht näher erläutert. Soweit er zur Stützung dieser Auffassung nur darauf hinweist, Frau L. sei berufstätig, findet diese Auffassung in der sozialen Wirklichkeit nach Kenntnis des Senats keine Stütze. Es ist vielmehr bekannt, dass zahlreiche Alleinerziehende Vollzeit berufstätig sind, ohne dass daraus geschlossen werden kann, die Kinder dieser Alleinerziehenden würden noch von anderen Erwachsenen versorgt. Auch die Annahme des Antragsgegners, schon aus der langen Zeit des Zusammenlebens der Antragstellerin mit der Tochter von Frau L. ergebe sich zwangsläufig, dass diese sie auch versorge, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Angesichts der geschilderten Lebens- und Beziehungsgeschichte von Frau L. hält es der Senat für mindestens ebenso gut denkbar, dass ihre Tochter zu neuen Lebensabschnittspartnern eher Distanz hält, um nicht erneut einschneidende Verluste zu erleben, wenn sich die Situation wieder ändern sollte.
Die vom SG für glaubhaft gehaltenen Angaben der Antragstellerin und von Frau L. zu der Frage, wie sich der Tagesablauf der Tochter von Frau L. gestaltet, und an deren Wahrhaftigkeit auch der Senat keinen Anlass zu zweifeln hat, sind für den Senat jedenfalls auch ein Hinweis darauf, dass die Antragstellerin und Frau L. vor dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte eine so enge, insbesondere wirtschaftliche Verwobenheit, wie sie vom Gesetz in Umsetzung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vorausgesetzt wird, - jedenfalls zur Zeit - nicht mehr zu leben bereit sind. Wenn dies aber nicht der Fall ist, so liegen eben die Voraussetzungen für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft im grundsicherungsrechtlichen Sinne nicht vor. Insoweit weist auch das BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 17. November 1992 (1 BvL 8/87, Rn 97 = BVerfGE 87,234 ff [BVerfG 17.11.1992 - 1 BvL 8/87]) darauf hin, dass derjenige, der Teil einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (früher: eheähnliche Gemeinschaft) ist, jederzeit ohne Verletzung rechtlicher Verpflichtungen beschließen kann, den anderen Partner nun nicht mehr zu unterstützen.
Auffallend ist auch, dass sowohl die Antragstellerin als auch Frau L. jedenfalls zu Anfang des Leistungsbezugs bei dem Antragsgegner noch in einer Lebenspartnerschaft beziehungsweise in einer Partnerschaft zu einer anderen Frau gestanden haben, wie sich aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ergibt. Dies spricht nach der soeben zitierten Rechtsprechung des BVerfG`es als Indiz gegen das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, weil zu deren Charakteristika der Ausschluss von weiteren derartigen Beziehungen gehört (aaO. Rn 92). Ob diese anderen Beziehungen mittlerweile aufgelöst sind, lässt sich aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen.
Daneben haben die Antragstellerin und Frau L. anlässlich des Erörterungstermins auch für das SG und den Senat überzeugend geschildert, wie sie versuchen, ihre finanziellen Verhältnisse getrennt zu halten, was offenbar im Verhältnis zum Antragsgegner nicht immer einfach ist. So hat dieser die Leistungen für die Antragstellerin bis Ende November 2010 noch auf deren eigenes Konto überwiesen, wie sich aus dem Bescheid vom 7. Mai 2010 ergibt. Ab Dezember 2010 hat der Antragsgegner die Leistungen dann auf das Konto von Frau L. überwiesen, wie sich aus dem Bescheid vom 18. November 2010 ergibt, ohne dass sich aus der vorgelegten Akte ergibt, dass die Antragstellerin zuvor eine Willensäußerung in dieser Richtung abgegeben hätte. Angesichts dessen kann hieraus nichts für eine dennoch vorhandene Bereitschaft von Frau L. geschlossen werden, ihr Konto der Antragstellerin zur Verfügung zu stellen. Die Antragstellerin und Frau L. haben vor diesem Hintergrund glaubhaft geschildert, dass ihnen eine Zeit lang gegen ihren Willen gemeinsam Leistungen überwiesen wurden, was sie dahingehend aufgelöst haben, dass die Antragstellerin die Frau L. zustehenden Beträge an diese ausgezahlt hat. Wenn der Antragsgegner dann im weiteren Fortgang seiner Beschwerdeschrift auch noch argumentiert, die Existenz von getrennten Konten sei gerade auch in Ehen durchaus üblich, so teilt der Senat diese Auffassung, vermag aber nicht zu erkennen, was dies zur Bewertung des vorliegenden Verfahrens beizutragen vermag.
Soweit der Antragsgegner dem unter Hinweis auf den gemeinsam abgeschlossenen und unterschriebenen Mietvertrag entgegen tritt, vermag dies nicht zu überzeugen. Auch in Wohngemeinschaften ist es nämlich durchaus üblich, dass Mietverträge gemeinsam abgeschlossen werden. Hieran haben einerseits die Mitglieder der Wohngemeinschaft Interesse, um zu verhindern, dass beim Auszug des Hauptmieters der Fortbestand der Wohngemeinschaft gefährdet ist. Aber auch Vermieter sind hieran unter dem Gesichtspunkt der gesamtschuldnerischen Haftung, auf den der Antragsgegner zutreffend hinweist, durchaus interessiert. Auch hieraus lässt sich also kein durchschlagendes Kriterium für die Frage gewinnen, ob Frau L. unter Zurückstellung eigener Wünsche und Bedürfnisse bereit ist, zunächst die Antragstellerin aus ihren Mitteln zu unterstützen (zu diesem Kriterium, das letztlich auf das BVerfG, Urteil vom 17. November 1992, 1 BvL 8/87, Rn 95 = BVerfGE 87, 234 ff [BVerfG 17.11.1992 - 1 BvL 8/87] zurück geht auch das vom Antragsgegner zitierte Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 13. November 2008, B 14 A 2/08 R, Rn 35; zu dieser Entscheidung mit beachtenswerten Gründen sehr kritisch Münder, NZS 2009, 593 ff).
Auch die anderen vom Antragsgegner aufgeführten Indizien vermögen nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. So ist die gemeinsame Nutzung der Wohnung durchaus auch in Wohngemeinschaften üblich. Immerhin hat die Antragstellerin, was auch von den Außendienstmitarbeitern des Antragsgegners bestätigt wurde ein eigenes, komplett ausgestattetes Zimmer, was im hergebrachten Bild einer Ehe jedenfalls nicht immer der Fall ist. Soweit der Antragsgegner auf die gemeinsame Nutzung eines Kleiderschranks hinweist, kann dies zwar durchaus ein Indiz sein. Die Antragstellerin und Frau L. haben aber anlässlich des Erörterungstermins hierzu Erklärungen abgegeben, die das SG für glaubhaft gehalten hat und die auch nicht außerhalb der Erfahrungswelt liegen. So ist es zum Beispiel durchaus vorstellbar, dass die Beteiligten angesichts der besonderen Konstellation ihres Zusammenlebens Schwierigkeiten gehabt haben, im ländlichen Raum adäquaten Wohnraum zu finden und sich daher auf räumliche Kompromisse eingelassen haben (kleines Zimmer für die Antragstellerin mit der Möglichkeit, Teile eines Kleiderschranks anderweitig zu nutzen).
Soweit der Antragsgegner aus dem gemeinsamen Verbringen von Feiertagen auf das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft schließen will, ist auch dies nicht nachzuvollziehen. Ein derartiges Lebensmodell ist nämlich durchaus auch in studentischen Wohngemeinschaften im Zuge der zunehmenden Abnabelung vom elterlichen Haushalt anzutreffen. Zudem ist die Anwesenheit des pflegebedürftigen Herrn I. als weiteres "Wohngemeinschaftsmitglied" zu berücksichtigen, der an diesen gemeinsamen Feiertagen offensichtlich ebenfalls teilnimmt. Dies entspricht nun gerade nicht dem Bild einer "normalen" Familie, die sich zu den Feiertagen zusammen findet und erlaubt daher keinen Rückschluss auf die wirtschaftliche Verbundenheit der Antragstellerin mit Frau L ...
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Der Beschluss ist in Anwendung von § 177 SGG unanfechtbar.