Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 20.12.2011, Az.: L 2 R 794/11 B ER

Übernahme der Kosten für die Begleitung durch ein Elternteil während der Dauer einer bewilligten stationären Heilbehandlung in der gesetzlichen Rentenversicherung; Grundsätze zur Ermessensentscheidung des Leistungsträgers

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.12.2011
Aktenzeichen
L 2 R 794/11 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 33225
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:1220.L2R794.11B.ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 30.11.2011 - AZ: S 5 R 282/11 ER

Redaktioneller Leitsatz

1. Zu den Anforderungen an eine dem Leistungsträger obliegende Ermessensentscheidung über die Mitaufnahme eines Elternteils während einer stationären Heilbehandlung eines Kindes.

2. Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie dieses entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen (und Fehlen von rechtsvernichtenden Einwendungen) hat ein Rehabilitationsträger nach pflichtgemäßem Ermessen in den Grenzen seiner Aufgaben zu entscheiden, ob die beantragte Leistung nach den Umständen des Einzelfalles geeignet (und erforderlich, zumutbar, wirtschaftlich und sparsam) ist, die im Einzelfall bestehende Rehabilitationschance zu nutzen (hier: Ermessensentscheidung über die Mitaufnahme eines Elternteils während einer stationären Heilbehandlung eines Kindes). [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der 2000 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten für eine zumindest zeitweilige Begleitung durch ein Elternteil während der Dauer einer bewilligten stationären Heilbehandlung.

2

Der Antragsteller leidet an einem Asthma bronchiale. Auf seinen Rehabilitationsantrag vom Juli 2011 bewilligte ihm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 9. August 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2011 eine sechswöchige Maßnahme der stationären Kinderrehabilitation in der Fachklinik E. in F., wobei sie zugleich die Kosten einer Begleitperson für die An- und Abreise übernahm. Hingegen erfolgte keine Kostenzusage für eine Begleitung des Antragstellers während des stationären Aufenthaltes. Eine solche Begleitung erachtet die Antragsgegnerin nicht für erforderlich.

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Hiergegen hat der Antragsteller Anfang November 2011 Klage erhoben und angesichts seiner für den 3. Januar 2012 vorgesehenen Aufnahme zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Mit Beschluss vom 30. November 2011 hat das Sozialgericht Oldenburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Notwendigkeit einer Begleitung des Antragstellers durch ein Elternteil sei nicht glaubhaft gemacht worden.

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Mit seiner am 5. Dezember 2011 eingelegten Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

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II. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Auch der Senat sieht keinen rechtfertigenden Anlass zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.

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Es ist nicht ersichtlich, dass ohne den Erlass der begehrten Anordnung die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde oder dass die Anordnung anderweitig zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich ist (§ 86b Abs. 2 SozialgerichtsgesetzSGG).

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Im Ausgangspunkt ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu berücksichtigen: Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei auf eine Vorwegnahme des sacheverfahrens gerichteten Eilanträgen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG, B.v. 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 - NZS 2009, 674 mwN).

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Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine stationäre Heilbehandlung für Kinder gewährt. Sie hat das ihr insoweit durch § 31 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) eingeräumte Ermessen im Sinne der Bewilligung der Maßnahme für den Antragsteller persönlich (einschließlich der Übernahme der Kosten einer Begleitperson für die Hin- und Rückreise) und gleichzeitiger Versagung der Übernahme weitergehender Kosten für eine Begleitung des Antragstellers (durch einen Elternteil) auch während der Dauer dieser Maßnahme ausgeübt.

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Diese Entscheidung dürfte nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht frei von Ermessensfehlern sein. Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie dieses entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes BuchSGB I). Bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen (und Fehlen von rechtsvernichtenden Einwendungen) hat ein Rehabilitationsträger nach pflichtgemäßem Ermessen in den Grenzen seiner Aufgaben zu entscheiden, ob die beantragte Leistung nach den Umständen des Einzelfalles geeignet (und erforderlich, zumutbar, wirtschaftlich und sparsam) ist, die im Einzelfall bestehende Rehabilitationschance zu nutzen (BSG, U.v. 14. Dezember 1994 - 4 RA 42/94 - SozR 3-1200 § 39 Nr 1).

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Eine dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechende Ermessensausübung stellt einen Ermessensfehler dar. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt zum einen vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt (Ermessensmissbrauch). Zum anderen liegt der Fehlgebrauch als Abwägungsdefizit vor, wenn sie nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Der Fehlgebrauch kann zudem als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Deshalb haben die Tatsachengerichte in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen, die sie ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (BSG, U.v. 9. November 2010 B 2 U 10/10 R - Breithaupt 2011, 630).

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Inhaltlich hat die Antragsgegnerin bei der Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens zunächst den Vorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Rechnung zu tragen. Der Träger der Rentenversicherung bestimmt nach dieser Vorschrift im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Des Weiteren sind insbesondere auch die Vorgaben der §§ 2 und 33 SGB I sowie des § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zu berücksichtigen: § 2 Abs 2 SGB I lautet: Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. § 33 SGB I bestimmt: Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. In § 9 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX heißt es: Bei der Entscheidung über die Leistung und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen des Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches.

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Die allgemeine Auslegungsrichtlinie in § 2 Abs 2 SGB I zielt bereits auf eine möglichst weitgehende Verwirklichung der sozialen Rechte ab. In Ergänzung dazu enthält § 33 SGB I neben einem Individualisierungsprinzip auch den Grundsatz der Berücksichtigung angemessener Wünsche. § 9 SGB IX konkretisiert diese allgemeine Verpflichtung für den Bereich der Leistungen zur Teilhabe, lässt die nach § 33 SGB I bestehenden Pflichten jedoch im Übrigen unberührt. Das Zusammenwirken dieser Regelungen führt zu einer Verpflichtung der Leistungsträger und sonstigen Rechtsanwender, den Wünschen und Interessen der Leistungsberechtigten im Rahmen der gesetzlichen Grenzen unter Berücksichtigung der Ziele der Leistungserbringung Rechnung zu tragen (BSG, U.v. 6. Oktober 2011 - B 9 V 3/10 R -).

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Ausweislich des für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Widerspruchsbescheides hat die Antragsgegnerin zunächst darauf abgestellt, ob ohne die begehrte Begleitung ein "erfolgreicher" Rehabilitationsverlauf "nicht zu erwarten" sei. Bereits diese Ausgangsfragestellung verkürzt die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte. Mit dem schlichten Gegenüberstellen von "nicht erfolgreichen" und "erfolgreichen" Maßnahmen wird nicht hinreichend deutlich dem Umstand Rechnung getragen, dass in vielen Fällen unterschiedliche Ausmaße eines Erfolges einer Rehabilitationsmaßnahme in Betracht kommen. Dementsprechend ist im vorliegenden Zusammenhang im Rahmen der gesetzlich gebotenen umfassenden Abwägung der betroffenen Belange auch der Frage nachzugehen, ob und ggf. in welchem Ausmaß eine Begleitung des Kindes durch ein Elternteil Chancen auf weiterreichende Erfolge der Rehabilitationsmaßnahme begründen kann.

15

Soweit die Antragsgegnerin nachfolgend darauf abhebt, dass aufgrund der Inanspruchnahme "qualifizierter" Kliniken bei schulpflichtigen Kindern die Notwendigkeit einer Begleitung nur "in medizinisch besonders gelagerten Ausnahmefällen" angenommen werden könne, bleibt unklar auf welche - anhand welcher Krankheitsbilder, welcher Therapieverfahren und auf der Grundlage welcher Qualifikationsmerkmale der begutachteten Kliniken gewonnenen? - wissenschaftlichen Erkenntnisse sich der diesbezüglich für den Regelfall angenommene allgemeine Erfahrungssatz gründen soll.

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Hinsichtlich der daran anknüpfenden Feststellung des Nichtvorliegens eines Ausnahmetatbestandes im vorliegenden Einzelfall bleibt unklar, welcher Arzt auf der Grundlage welchen Befunde und Untersuchungen im vorliegenden Fall nach welchen Kriterien die im Widerspruchsbescheid in Bezug genommene "ärztliche Überprüfung" vorgenommen haben soll. Auch dürfte eine solche Prüfung ohnehin zur Voraussetzung haben, dass zunächst einzelfallbezogen ausgehend vom individuellen Behandlungsbedarf konkrete Zielvorgaben für die stationäre Heilmaßnahme festgelegt werden. Erst auf der Grundlage einer diesbezüglich - im Übrigen auch im Interesse der Effektivität und damit der Wirtschaftlichkeit entsprechender Maßnahmen wünschenswerten - konkretisierten Planungsgrundlage dürfte sich einzelfallbezogen beurteilen lassen, ob und ggfs. in welchem zeitlichen Ausmaß eine Begleitung des Kindes durch ein Elternteil als förderlich, angemessen und wirtschaftlich einzuschätzen ist.

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Überdies setzt sich die Begründung des Widerspruchsbescheides gar nicht näher mit den vorstehend erläuterten Vorschriften der §§ 2 und 33 SGB I sowie des § 9 SGB IXüber das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten auseinander, welches vorliegend durch die Eltern des Antragstellers als seine gesetzlichen Vertreter im Sinne des Wunsches auf Ermöglichung einer zumindest zeitweisen Begleitung durch ein Elternteil ausgeübt worden ist. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin auch versäumt, näher darzulegen, ob und ggfs. inwieweit dieser Wunsch als unberechtigt und unangemessen im Sinne der vorstehend erläuterten Vorschriften zu beurteilen sein könnte.

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Auch wenn sich im Hauptsacheverfahren die derzeitige Einschätzung einer ermessensfehlerhaften Entscheidung der Antragsgegnerin bestätigen wird, bedeutet dies allerdings noch nicht einen Erfolg für den Antragsteller im Sinne seines vorliegenden Eilantrages. Da eine Ermessensreduzierung im Sinne des Antragsbegehrens schon angesichts der bislang nur unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts nach derzeitigem Sachstand nicht ersichtlich ist, würden die angesprochenen Ermessensfehler bei der derzeitigen Sachlage allein eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung begründen.

19

Im Ergebnis sind damit (gemessen am Antragsbegehren) die letztendlichen Chancen des Hauptsacheverfahrens als offen zu beurteilen. Auch im Rahmen der damit gebotenen Interessenabwägung fehlt es jedoch an einer tragfähigen Grundlage für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des Antragsbegehrens.

20

Nach derzeitigem Sach- und Streitstand vermag der Senat nicht zu überblicken, ob die von dem durch seine Eltern vertretenen Antragsteller geltend gemachte Notwendigkeit einer Begleitung gegeben ist oder ob sie nicht sogar umgekehrt die Erfolgschancen der stationären Maßnahme beeinträchtigen könnte. Insbesondere kann auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren die Notwendigkeit einer entsprechenden Begleitung nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden.

21

Die Eltern des Antragstellers haben vielmehr im Schriftsatz vom 24. November 2011 ausdrücklich vorgetragen, dass weder aus ihrer Sicht noch aus der Sicht des behandelnden Arztes besondere medizinische Gründe eine Begleitung des Antragstellers als notwendig erscheinen ließen. Sie würden allerdings eine Begleitung ihres Sohnes für jeweils eine Woche zu Beginn und am Ende der Maßnahme für "sinnvoll und zweckmäßig" erachten. Die Eltern heben des Weiteren hervor, dass sie ihrerseits bereits die erforderliche Schulung für einen sachgerechten Umgang mit der chronischen Erkrankung ihres Sohnes durchlaufen haben.

22

Auch sonst vermag der Senat schon in tatsächlicher Hinsicht nicht zu beurteilen, ob im Ergebnis ein Aufenthalt mit oder ohne Begleitung durch einen Elternteil für den Antragsteller förderlicher wäre (oder ob nicht eventuell sogar ein Verzicht auf die bewilligte mit einer sechswöchigen [durch einzelne Schulstunden in der Klinik nur in Teilen auszugleichende] Abwesenheit vom gewohnten Schulunterricht verbundene Maßnahme für ihn am vorteilhaftesten wäre). Damit bietet auch die erläuterte Folgenabwägung keine Grundlage für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.

23

Insbesondere bleibt nach derzeitigem Sach- und Streitstand bereits die Notwendigkeit der - bewilligten - stationären Heilmaßnahme letztlich offen. Der Senat vermag schon nicht zu überblicken, welche konkreten Behandlungserfolge durch die stationäre Maßnahme erzielt werden sollen und weshalb sich diese nicht durch eine Fortsetzung und bei Bedarf - Intensivierung der ambulanten Therapie erreichen lassen können.

24

Die Hausärzte Dres. G., H. und I. haben in ihrem Befundbericht vom 11. Juli 2011 (auf ausdrückliche Frage) keine Probleme bei der bisherigen ambulanten Behandlung des Krankheitsbildes benennen können. Die Eltern des Antragstellers haben auf Nachfrage des Senates eingeräumt, dass der behandelnde Lungenfacharzt nicht die Notwendigkeit einer stationären Heilmaßnahme sieht. Soweit sie ausführen, dass sie als medizinische Laien - die "Vorstellung" hätten, dass in der Rehabilitationsklinik Behandlungskonzepte ohne Dauermedikation "vorgestellt" werden könnten, lässt sich diese subjektive Erwartungshaltung nach Aktenlage nicht objektivieren. Insbesondere gibt auch der (auch vom Antragsteller herangezogene) Internetauftritt der Rehabilitationsklinik diesbezüglich keine Hinweise.

25

Sollten die Eltern Zweifel daran haben, dass die bisherige lungenfachärztliche Behandlung sachgerecht ist, wäre im Übrigen die Einholung einer zweiten fachärztlichen Meinung im Rahmen der kurativen Behandlung angezeigt; die Notwendigkeit einer stationären Heilmaßnahme wird dadurch nach derzeitigem Streitstand nicht begründet.

26

Soweit die Eltern des Antragstellers eine "Vermeidung von Situationen, in denen Krankheitsschübe entstehen können" ansprechen, bringen sie ebenfalls zunächst ihre laienhafte Vorstellung zum Ausdruck. Auch insoweit lässt sich weder dem Akteninhalt noch dem Internetauftritt der Rehabilitationsklinik entnehmen, dass ein solcher Vermeidungsansatz medizinisch erfolgversprechend ist und die Rehabilitationsmaßnahme prägen wird und dass für die Umsetzung eines solchen Ansatzes eine Begleitung durch ein Elternteil förderlich ist. Im Übrigen gehört eine Unterrichtung der den Leistungsberechtigten am Heimatort behandelnden Ärzte durch einen ausführlichen Behandlungsbericht insbesondere auch zur Sicherung und Fortführung der während der Rehabilitationsmaßnahme eingeleiteten Behandlungskonzepte zum üblichen Leistungsstandard der Rehabilitationskliniken.

27

Die Klinik hebt auf ihrer Webside hervor, dass eine "Fixierung auf die Erkrankung" vermieden werden soll, um Störungen der Persönlichkeitsentwicklung zu verhindern, bereits eingetretenen psycho-sozialen Beeinträchtigungen soll entgegengewirkt werden. Auch auf Nachfrage des Senates vermochten die Eltern jedoch nicht näher darzulegen, dass diesbezüglich bislang ein spezifischer Behandlungsbedarf beim Antragsteller zu erkennen ist. Darüber hinaus lässt sich gerade unter diesem Gesichtspunkt nicht beurteilen, ob eine Begleitung des Antragstellers durch ein Elternteil für den Rehabilitationserfolg überhaupt förderlich oder sogar nachteilig wäre. Letztlich muss gerade der Antragsteller selbst die psychische Akzeptanz und Bewältigung seiner Erkrankung erlernen und erfahren.

28

Der Antragsteller ist inzwischen elf Jahre und hat damit ein Alter erreicht, in dem durchaus mitunter Kinder auch bereits ein Internat besuchen. Die soziale Integrationsfähigkeit wird von der behandelnden Ärztin mit "gut" beschrieben. Bei dieser Ausgangslage bietet der derzeitige Streitstand keine tragfähige Grundlage für eine Einschätzung, dass eine zumindest zeitweilige Anwesenheit eines Elternteiles für den Rehabilitationserfolg nachhaltig förderlich wäre.

29

Zugleich ergibt sich daraus, dass nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht hinreichend verlässlich beurteilt werden kann, ob die Ausübung des Wahlrechts im Sinne des Wunsches auf Ermöglichung einer zumindest zeitweisen Begleitung durch ein Elternteil als angemessen und berechtigt oder als unangemessen und unberechtigt im Sinne von §§ 33 SGB I und 9 SGB IX zu werten ist. Soweit die Eltern es als "nachrangig" ansehen wollen, ob ihre Aufnahme in die Rehabilitationseinrichtung für den Erfolg der Maßnahme "hilfreich oder schädlich" wäre (vgl. S. 2 des Schriftsatzes vom 14. Dezember 2011) vermag ihnen der Senat schon im Ausgangspunkt nicht zu folgen. Die der Antragsgegnerin obliegende Ermessensausübung hat sich im Ausgangspunkt entsprechend den gesetzlichen Zielvorstellungen gerade an der langfristigen effektiven Förderung der Gesundheit der Leistungsberechtigten auszurichten.

30

Überdies darf sich eine sachgerechte Wahrnehmung des der Antragsgegnerin durch § 33 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI eingeräumten Ermessens gerade auch zur Sicherung der Effektivität und damit Wirtschaftlichkeit entsprechender Maßnahmen nicht auf eine einmalige Abwägung beschränken. Vielmehr hat die Antragsgegnerin im Zusammenwirken mit den von ihr beauftragten Rehabilitationskliniken gerade auch während der Dauer des stationären Aufenthaltes zu überprüfen, ob sich eine zuvor im Bewilligungsverfahren aufgestellte Prognose der mangelnden Notwendigkeit einer Begleitung durch ein Elternteil auch unter Berücksichtigung des tatsächlichen Ablaufs des Aufenthaltes und der während seiner eingeleiteten Behandlungsmaßnahmen bestätigt. Ergibt sich davon abweichend erst während des Aufenthaltes ein Bedarf zur zumindest zeitweiligen Mitaufnahme eines Elternteils zur Sicherung des Rehabilitationserfolges, dann hat die Antragsgegnerin umgehend ihre Entscheidung entsprechend abzuändern.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

32

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).